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Mit leiser Ironie erzählt die amerikanische Pulitzerpreisträgerin Anne Tyler von einer Vierzigjährigen, die Mann und Kinder verläßt, um ihr eigenes Leben zu leben. Sie genießt das Singledasein, obwohl sie gezwungen ist, Geld zu verdienen. Das Angebot, als Haushälterin zu arbeiten, bringt sie allerdings in eine zwiespältige Situation: Sie übt - wenn auch gegen Bezahlung - die gleiche Tätigkeit aus wie bisher. Den Job hat sie bekommen, weil die Frau des Hauses ihre Familie verlassen hat, da sie meinte, sich selbstverwirklichen zu müssen.

Produktbeschreibung
Mit leiser Ironie erzählt die amerikanische Pulitzerpreisträgerin Anne Tyler von einer Vierzigjährigen, die Mann und Kinder verläßt, um ihr eigenes Leben zu leben. Sie genießt das Singledasein, obwohl sie gezwungen ist, Geld zu verdienen. Das Angebot, als Haushälterin zu arbeiten, bringt sie allerdings in eine zwiespältige Situation: Sie übt - wenn auch gegen Bezahlung - die gleiche Tätigkeit aus wie bisher. Den Job hat sie bekommen, weil die Frau des Hauses ihre Familie verlassen hat, da sie meinte, sich selbstverwirklichen zu müssen.
Autorenporträt
Anne Tyler wurde 1941 in Minneapolis, Minnesota, geboren und ist »eine der erfolgreichsten Autorinnen der amerikanischen Gegenwartsliteratur« (ZEITmagazin). Sie ist Preisträgerin des Pulitzerpreises und des Sunday Times Awards für ihr Lebenswerk. Bei Kein & Aber erschienen bislang ihre Romane »Verlorene Stunden« (2010), »Abschied für Anfänger« (2012), »Dinner im Restaurant Heimweh«, »Im Krieg und in der Liebe« (beide 2014) und »Der leuchtend blaue Faden« (2015). Anne Tyler lebt in Baltimore.
Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 25.08.1995

Hier läßt sich lange schmoren
Hausfrau bleiben: Anne Tyler senkt ein Lot in die Beziehungskiste

Längst nicht alle der dreizehn Romane, die Anne Tyler seit 1964 veröffentlicht hat, habe ich gelesen. Aber alle Leseausflüge, die ich nach Baltimore unternommen habe - Heimat der Autorin und ihre erzählte Welt zugleich - deuten darauf hin, daß sie sich im Lauf der Jahre von manch stilistischem Aufputz, von manchen romantischen Ideen und krassen Einfällen verabschiedet hat. Um so schärfer tritt ihr eigentliches Sujet hervor, das Schicksal des Privaten, des Ehe- und Familienlebens in der traditionalistischen weißen Mittelschicht.

Ideal und Wirklichkeit haben immer auseinandergeklafft, und an Erzählstoffen aus diesen Bereichen, die wir alle kennen, herrschte deshalb auch nie Mangel. So versteht man etwa, daß die Ehe mit einem Künstler, dessen Genie mit sozialer Debilität einhergeht, wie in "Segeln mit den Sternen" (1974), auf Dauer nicht gutgehen kann und zum dramatischen Auszug von Mutter und Kindern in die Wildnis führen muß. Sehr gut vorstellbar ist auch, daß die Ermordung des einzigen halbwüchsigen Sohnes in der Nähe seines Feriencamps die Eltern aus der Bahn wirft, wovon die "Reisen des Mr. Leary" (1985) handeln.

Sicher waren für Anne Tyler sonderbare Personen und extreme Ereignisse immer nur ein Lot, das sie in die Beziehungskisten senkte, in denen zu schmoren Menschenlos schien. Aber wo es Ursache und Wirkung gibt, da gibt es auch noch Hoffnung auf Verbesserung. Mr. Leary zum Beispiel zieht schließlich um, von der Mittel- in die Unterschicht und zu einer Frau, deren Hauptattraktivität aus einer kämpferischen Lebenslust besteht.

Von dieser Hoffnung auf etwas, das, wenn schon nicht besser und richtiger, dann doch wenigstens anders und neu wäre, finden sich in Tylers letztem Roman allenfalls noch Spuren. Das liegt zum einen daran, daß mit der Autorin auch die Protagonisten älter geworden sind. Mittlerweile sind sie zwischen vierzig und fünfzig. Die großen Hoffnungen, die wichtigsten Ereignisse und Erfolge liegen, nach den Regeln Baltimores, schon hinter ihnen. Nicht nur dieser Gedanke verbreitet Tristesse, noch schlimmer die Erkenntnis, daß das Arbeiten, Heiraten und Kinderkriegen auf Dauer keinen persönlichen Sinn mit sich bringt, nichts, worauf sich der einzelne verlassen, was ihn tragen und rechtfertigen könnte. Es sei denn, er vermag Schuldgefühle auszunutzen, auf die es im modernen Familienleben ja vor allem ankommt.

Das tut Cordelia Grinstead, obwohl sie allen Grund dazu hätte, nicht. Ihre Ehe hat sich längst - mit einem Wort Freuds - amortisiert; jetzt liest sie schwülstige Liebesromane aus dem Supermarkt. Das jüngste der drei Kinder ist bereits fünfzehn und damit auch in dem Alter, wo Mütter anfangen, lästig zu werden. Aber es bleibt nicht bei Rüpeleien vom Nachwuchs, alle Menschen um sie herum benehmen sich schlecht. Man scheint sie mehr für ein Möbel denn für eine Person zu halten.

Das alles macht Cordelia aber nicht wütend, sondern auf eine ganz unauffällige Weise depressiv. Endlich tut sie, was viele Menschen in den Vereinigten Staaten tun - die Größe des Landes und laxere Meldegesetze machen es möglich -: Sie setzt sich ab und beginnt, mit minimalen Requisiten ein neues Leben zu konstruieren, in dem das Alleinsein der tragende Pfeiler wird.

Für eine Frau, die nie aus der Familie herausgekommen ist, wird es eine wunderbare Erfahrung, für ihre Umgebung ein Niemand zu sein und so zum ersten Mal in ihrem Leben zu erproben, wer sie ist: eine sympathische, recht hübsche, freundliche Person ohne Ehrgeiz und Leidenschaft. Ihre Flucht und das Experiment mit sich selbst führen also zu keiner Offenbarung eines verkannten, unterdrückten und nun befreiten Wesens, und deshalb leuchtet es auch ein, daß Cordelia sich am Ende als Hausdame bei einem Schulleiter und dessen Sohn findet.

Sie ist wieder dort, wo ein Jahr zuvor ihre Flucht begann, bei einem pubertierenden Jungen und einem freundlichen, einsamen Mann mittleren Alters, der aber ebenso erstarrt ist wie Mr. Grinstead, den sie vor zwanzig Jahren geheiratet hatte. Warum dann nicht nach Hause zurückkehren? Den Anlaß bietet die Hochzeit ihrer ältesten Tochter. Etwas Willkür ist schon dabei, wenn Cordelia in der Nacht in sein Schlafzimmer tappt und sich neben ihn legt, als gälte es nicht nur, ihrer gemeinsamen Vergangenheit die Ehre zu erweisen, sondern jene letzte Geste zu probieren, die Menschen vor dem Nichts, dem Tod zusammenschließt.

So grundsätzlich und metaphysisch, wie ich Tylers letzten Roman resümiere, ist er natürlich nicht geschrieben. Und so traurig das Sujet auch ist, so interessant, ja spannend und aufregend hat die Autorin es zerlegt. In den Vereinigten Staaten hat nie jemand behauptet, daß die Familie in erster Linie Keimzelle des Staates sei; dafür ist aber der American way of life ohne den Familienkult, der sich im kirchlichen Gemeindeleben fortsetzt, nicht zu denken. In Tylers weißem Baltimore gibt es schon keine Kirche mehr, und die Familien werden vom Prozeß der Individualisierung ergriffen, dessen Ziel nicht abzusehen ist.

Anne Tyler hält ihre Diagnose in der Schwebe und verzichtet auf naheliegende Antworten. Wäre Cordelia Grinstead weitergekommen, wenn sie feministische Aufbauliteratur gelesen hätte, wie Joyce Carol Oates in ihrer Rezension anregt? Doch dieser Einwand berücksichtigt nur die oberste, augenfälligste Schicht des Romans. Spuren von Vitalität und manchmal verzweifelter Lebenslust finden sich auch diesmal wieder bei den Freundinnen, welche die Protagonistin in der Unterschicht findet. Wie immer erweist sich Anne Tyler auch diesmal als großartige Beobachterin von Kindern und Heranwachsenden in allen Zuständen. KATHARINA RUTSCHKY

Anne Tyler: "Kleine Abschiede". Roman. Aus dem Amerikanischen übersetzt von Christine Frick-Gerke. S. Fischer Verlag, Frankfurt am Main 1995. 384 Seiten, geb., 42,- DM.

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