Marktplatzangebote
5 Angebote ab € 4,00 €
  • Broschiertes Buch

Nach seiner Einführung in die Geschichte der Ästhetik legt Werner Jung jetzt seine Einführung in die Geschichte der Poetik, also der Dichtungstheorie, vor. Gedacht vor allem für Studenten der Literaturwissenschaft, vermittelt das Buch einen Überblick, der von der antiken Diskussion bei Aristoteles, Horaz und Longinus über das Mittelalter, die Renaissance, den Barock (Opitz) und die Aufklärung (Gottsched, Gellert, Gebrüder Schlegel, Lessing) bis zu den klassischen Avantgarden (Futurismus, Expressionismus, Surrealismus) reicht. Neben den zahlreich vorliegenden Monographien über bestimmte…mehr

Produktbeschreibung
Nach seiner Einführung in die Geschichte der Ästhetik legt Werner Jung jetzt seine Einführung in die Geschichte der Poetik, also der Dichtungstheorie, vor. Gedacht vor allem für Studenten der Literaturwissenschaft, vermittelt das Buch einen Überblick, der von der antiken Diskussion bei Aristoteles, Horaz und Longinus über das Mittelalter, die Renaissance, den Barock (Opitz) und die Aufklärung (Gottsched, Gellert, Gebrüder Schlegel, Lessing) bis zu den klassischen Avantgarden (Futurismus, Expressionismus, Surrealismus) reicht.
Neben den zahlreich vorliegenden Monographien über bestimmte Detailprobleme in bestimmten Epochen ist eine kompakte, einführende Gesamtdarstellung, die historisch ausgerichtet ist, aber auch systematische Fragen nicht außer acht läßt, ein echtes Desiderat.
Autorenporträt
Werner Jung, geb. 1955, Privatdozent an der Gerhard-Mercator-Universität Duisburg, im akademischen Jahr 1999/2000 visiting full Professor am German Department und im Literature Program der Duke University, NC. Lehr- und Forschungsgebiete: Literatur des 18. bis 20. Jahrhunderts, Literaturtheorie, Ästhetik, Poetik.
Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 29.08.1997

Überhörtes Mittelalter
Werner Jung macht sich die Geschichte der Poetik klar

Diese "Kleine Geschichte der Poetik" müßte eigentlich auf Seite 75 zu Ende sein. Da schließt das fünfte Kapitel ("Poetik der Aufklärung: Von der Regel zum Genie") mit dem lapidaren Satz: "Ästhetik ersetzt die Poetik." Worum geht es also in den verbleibenden zwei Dritteln des Werks? Wenn man streng ist, geht es um den Nachweis des allerletzten Satzes: ". . . auf poetologische Prinzipien mit auch nur annähernd mittlerer Reichweite läßt sich das literarische Werk jedoch kaum mehr bringen!"

Seit Aristoteles ihr ein Buch gewidmet hat, stehen neben der Poetik im Singular die Poetiken im Plural: Poetik ist selber eine literarische Gattung. Für die "Kleine Geschichte der Poetik" ist das eine Kalamität, denn ihr wichtigstes Material sind natürlich "die Poetiken", wenn diese Gattung auch nicht immer gepflegt worden ist und fast immer der Literatur oder dem Geist ihrer Zeit hinterdreinhinkt. Der Historiker wird in solchen Fällen zu poetologischen Reflexionen in der Literatur selbst greifen. Damit aber wächst das Korpus der Poetikgeschichte ins nur noch willkürlich begrenzbare Unendliche.

Dieses Problem ausdrücklicher und unausdrücklicher Poetik existiert von Anfang an: Aristoteles steht ja nicht etwa am Beginn poetologischer Reflexion, er ist nur "der erste, der systematisch die Probleme der Poesie behandelt hat". Seine Abhandlung "Über die Dichtkunst"bezieht ihre poetologischen Aussagen ganz induktiv aus der Literatur. Ihr Ziel ist nicht, ein zeitloses theoretisches Lehrgebäude zu errichten, sondern "ein Stück politisch-kultureller Wirklichkeit ihrer Zeit zu durchdringen". Das heißt, daß Aristoteles jene klassische Poetik gar nicht geschrieben hat, die man ihm zweitausend Jahre lang unterstellte. Dasselbe läßt sich von Horaz sagen. Auch seine "Ars poetica" ist "keine Theorie im eigentlichen philosophischen Sinne". Sie ist "ein Werk dichterischer Selbstreflexion", nach Ernst Topitsch "eine kunstvoll geführte Plauderei". Und der weniger populäre Longinus hat mit seiner Abhandlung "Über das Erhabene" ebenfalls keine Poetik im engeren Sinne geschrieben.

Der objektiv-normative Charakter der Poetik, den man in der Nachfolge des Aristoteles unterstellen zu können glaubt, scheint bei den antiken Theoretikern selbst nur schwach ausgeprägt gewesen zu sein. Keiner der drei Kronzeugen scheint die Forderung nach "poetologischen Prinzipien mit auch nur annähernd mittlerer Reichweite" befriedigen zu können oder auch nur zu wollen. Woher stammt dann aber der Begriff einer prinzipiell objektiven, normativen Poetik? Unter dem neuen Vorzeichen "Gotteslob" glaubt man ihn im Mittelalter schon eher zu finden: Eine Reihe von lateinisch abgefaßten Poetiken belegt jene These von Ernst Robert Curtius, die das Fortleben der lateinischen Tradition in der Literatur des Mittelalters behauptet. Sie war so erfolgreich, daß sie schon seit geraumer Zeit neue Erkenntnisse verhindert. Denn die poetischen und poetologischen Entwicklungen des Zeitalters werden von diesen lateinischen Werken nun einmal so gut wie nicht erfaßt. Vielmehr hat weder vorher noch nachher eine volkssprachliche Kultur die Poetik, das heißt nun das Dichten und Singen über Dichtung und Gesang, so sehr zu ihrem eigenen gesellschaftlichen Identifikationsobjekt gemacht, wie dies im europäischen Minnesang der ritterlich-höfischen Kultur der Fall gewesen ist. An ihrem Ausgang erschienen denn auch die ersten ausdrücklichen Poetiken, die sich dezidiert und ausführlich mit Fragen der Melodie und Metrik befassen, das heißt mit der Form und mit dem "Material" der Dichtung (bei Dante, bei den Troubadours, später bei den Meistersingern). Darüber findet man in diesem Buch nichts. Denn getreu einem verbreiteten wissenschaftlichen Klischee "bleibt sich das gesamte Mittelalter mehr oder minder gleich, was die Fragen der Poetik anbelangt". Das mag unter Nichtmediävisten noch immer konsensfähig sein - in Wahrheit aber ist das Mittelalter die poetische und poetologische Blütezeit der abendländischen Geschichte. Es gibt sogar etwas, das sie theoretisch mit der Antike des Aristoteles verbindet: die Melodie!

In der mittelalterlichen Poesie ist die Melodie das Medium sowohl der ästhetischen Erscheinungsform als auch der Produktion und der Rezeption, zu einem nicht geringen Teil auch noch ihr Inhalt. Was ist sie bei Aristoteles? Man möchte irgendwie verstehen und nicht nur verwundert zur Kenntnis nehmen, daß er die Melodik zu den Mitteln der Mimesis (Nachahmung) zählt.

Findet die Poetik in der Renaissance endlich zu sich selbst? Zwar bestanden damals nach August Buck die poetologischen Bemühungen darin, "schon Gestaltetem neue Gestalt zu geben". Aber mit dieser neuen Gestalt war ein entscheidender neuer Inhalt verbunden, die nun prinzipiell dekretierte Vorbildhaftigkeit der antiken Autoritäten Horaz und wenig später auch Aristoteles. Die Berufung auf die ferne Antike befreite die Zeitgenossen Scaligers im 16. Jahrhundert von mittelalterlichen Traditionen und erlaubte den Zeitgenossen von Martin Opitz im 17. Jahrhundert, die Poesie genau so streng wie das Hofleben zu disziplinieren. Hat die Periode der "objektiven" Normpoetik vielleicht keine zweitausend, sondern nur zweihundert Jahre, vom 16. bis zum 18. Jahrhundert, gedauert? Danach ist die Geschichte der Poetik eigentlich eine Geschichte der Literatur, die in den bekannten Epochen fortschreitet, bis sie zwischen Ästhetik, Semiotik, Hermeneutik und poststrukturalistischer Dekonstruktion ins Meer der Unverbindlichkeit mündet.

Die Darstellungsweise dieser Übersicht macht manchmal den Eindruck eines "Readers". Für die Leser hat das den Vorteil, mehrere Stimmen zu einem Problem kennenzulernen. Einen Nachteil hat es, wenn diese Stimmen nicht mehr aktuell sind: Bruno Boesch veröffentlichte "Die Kunstanschauung in der mittelhochdeutschen Dichtung" im Jahre 1936. Das poetologische Credo Gottfrieds von Straßburg sei gewesen, "seine eigene Persönlichkeit in ihrem ganzen Sein und Wollen zur Verkörperung zu bringen" - ob das wenigstens damals plausibel klang?

Für wen hat der Autor dieses Buch geschrieben? Vielleicht ganz zuerst einmal für sich selbst, um sich beim Schreiben dessen zu versichern, was er selber weiß und denkt. Das macht es auf weite Strecken interessant und oft sogar spannend. Eine konzise Geschichte der Poetik konnte es nicht werden, dazu ist die Behandlung der ausdrücklichen Poetiken zu knapp, während die etwas rabiate Durchmusterung vor allem der deutschen Literatur frei über die Grenzen der Poetik, ja sogar der Literatur hinwegwuchert: "Die Interessen des Bürgertums drängen sich mit Macht in den Mittelpunkt." Die Vorlieben des Autors werden dabei immer deutlich, zum Beispiel wenn er mit Befriedigung gegen die deutschen Realisten vom Leder zieht - "entweder Augen zu oder die rosarote Brille aufgesetzt!" - und Gustav Freytags "Soll und Haben" das "verlogenste Buch der ganzen Richtung" nennt. Das ist oft erfrischend direkt, man hört einen mitreißenden Vorlesungston, der freilich gedruckt gelegentlich befremdet. So erfährt man über Arthur Schnitzler: "Das Ich ist ein Fliegengewicht, die Moral Gesprächsstoff für den Biertisch, die Werte liegen im Dreck." HANS-HERBERT RÄKEL

Werner Jung: "Kleine Geschichte der Poetik". Junius Verlag, Hamburg 1997. 246 S., br., 29,80 DM.

Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
…mehr