Produktdetails
- Narr Studienbücher
- Verlag: Narr
- 1999.
- Seitenzahl: 212
- Deutsch
- Abmessung: 240mm
- Gewicht: 373g
- ISBN-13: 9783823349723
- ISBN-10: 3823349724
- Artikelnr.: 07937347
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 12.07.1999Mitleidlos zerstückelt
Der Feuilletonroman: Unter dem Strich ist über dem Strich
"Emmelinhypothenusios ging aus der Thür. Fortsetzung folgt. Er sah sich um und rief: Fortsetzung folgt. Ha! Fortsetzung folgt. Denn er hatte einen Blick gethan - Fortsetzung folgt. In die Ewigkeit. Fortsetzung folgt. Bis ihn eine Schwalbe wieder zum wirklichen Leben erweckte. Schluß nächstens. Worauf er zurück in sein Haus ging. Beschluß."
An der Wiege des Feuilletonromans standen die Romantiker und schütteten Spott solcher und schlimmerer Art aus über dem armen Kinde, das da so mitleidlos zerstückelt auf die Welt gekommen war. Banal, billig, schwülstig: ein Bastard des Literaturbetriebs, zur Auflagensteigerung der Zeitungen zurechtgestutzt in tägliche oder wöchentliche Portionen, weit entfernt von jeder Originalität. 1822, als Ludwig Tieck die neue Mode in seiner Novelle "Der Geheimnisvolle" persiflierte, war nicht abzusehen, welch langes, zuletzt zäh verteidigtes Leben der Feuilletonroman bis in die neunziger Jahre des zwanzigsten Jahrhunderts hinein führen würde, und der erste, ganz große Erfolg des neuen Genres stand noch aus. Er gelang Eugène Sue 1842 mit den "Geheimnissen von Paris" und 1844 mit dem "Ewigen Juden", dessen Übersetzung noch im selben Jahr in der in Leipzig erscheinenden "Deutschen Allgemeinen Zeitung" abgedruckt wurde.
Daß Tieck auch die Realitätstauglichkeit des Feuilletonromans unterschätzt hatte, erwies sich mit dem ersten eigens für eine Zeitung verfaßten deutschen Originalroman, der vier Jahre später in der "Neuen Rheinischen Post" erschien. Für den darin karikierten Fürsten Felix Lichnowsky jedenfalls hatte Georg Weerths "Leben und Thaten des berühmten Ritters Schnapphahnski" tödliche Folgen. Der Landadelige, den Weerth - wie vor ihm schon Heinrich Heine im "Atta Troll"" - kaum verschlüsselt als charakterlos, eitel, dreist und feige porträtierte, wurde während des Frankfurter Aufstandes im September 1848, als noch kaum die Hälfte des Romans erschienen war, von einer aufgebrachten Menge erschlagene, und der Autor, der dazu "mittelbar" beigetragen habe, zu einer dreimonatigen Haftstrafe verurteilt.
Ein Beleg weniger für mangelndes Fiktionalitätsbewußtsein seitens der Leser als für die bewußt hergestellte Nähe von Nachricht und Unterhaltung in der politischen Tageszeitung, die Norbert Bachleitner als eigentliches Charakteristikum des Feuilletonromans geltend macht. Entscheidend seien nicht die Methoden, um Spannung zu erzeugen, oder die Umfänge der Romane, die sich nach dem Erfolg richteten. Ausschlaggebend seien die Auswahlkriterien der Zeitungen, die für den Roman unter sowie für die Nachricht über dem Strich gelten: Ein aktueller Konflikt, ein Verstoß gegen die Norm oder der lokale Bezug machen ein Ereignis zur Nachricht und den Roman zum Feuilletonroman.
Der Roman im Feuilleton reagiert kurzfristig, beispielsweise auf die Ermordung des serbischen Königspaares im Jahr 1903, deren Hintergründe schon eine Woche später in dem Roman "Königin Dragas Racheschwur" in der "Illustrierten Kronen-Zeitung" fortgesetzt erläutert wurden. Er thematisiert gesellschaftliche Stimmungen und Spannungen, um diese - wie Ludovica Hesekiel in "Fromm und feudal" 1885 in der "Neuen Preußischen (Kreuz-)Zeitung" - einem konservativen Weltbild einzuverleiben, öfter aber, um der Revolution den Boden zu bereiten. "Glaub nur an den Tag und hoff auf ihn! Er wird kommen und uns alle erlösen", verspricht Edmund Wengraf 1893 den Lesern der "Wiener Arbeiterzeitung", die ihm bis ans Ende des Romans "Armer Leute Kinder" folgen mochten.
Tendenz und ästhetisches Niveau des Feuilletonromans müssen zum Profil der Zeitung passen. Ein Fehlgriff kann das Ende sein, wie sich am Beispiel der konservativen "Haude- und Spenerschen Zeitung" erwies, die 1872 Paul Heyses "Kinder der Welt" abdruckte und postwendend ohne Abonnenten dasaß. Eine Überforderung provoziert Protest: Der Leser sei gezwungen, jeden Morgen durch den Dreck zu waten, lauteten die Klagen, als die "Frankfurter Zeitung" 1929 Döblins "Berlin Alexanderplatz" druckte. Viel Aufmerksamkeit widmet Bachleitner darum der politischen Kontur der Presselandschaft sowie dem Vergleich mit den europäischen Nachbarländern; anstatt der Geschichte des Feuilletonromans rückt dann die (lesenswerte) Geschichte des Mediums in den Mittelpunkt, das ihn transportiert. Die Romananalysen kommen dabei etwas zu kurz und manchmal über Inhaltsangaben nicht hinaus. So kann zwar die These von der Durchlässigkeit des Strichs, der Fakt und Fiktion nur zu trennen vorgibt, überzeugen, nicht immer aber der Beweis am Text.
Die Systematik des Buchs leidet ein wenig unter der groben Chronologie, in die Bachleitner seine Kapitel unterteilt. So stößt man unverhofft im letzten Drittel der Lektüre auf das erste Beispiel für die Kürzungen, mit denen die Redaktionen in die Romane eingriffen - erläutert anhand von Ludwig Renns "Krieg" in der "Frankfurter Zeitung". Aufschlußreiche Passagen wie diese wären mit Hilfe einer thematischen Gliederung leichter aufzufinden.
Ausführlich stellt Bachleitner dagegen die Kulturkämpfe dar, die Mitte der neunziger Jahre in den Leserbriefen um den "Barbier von Bebra" in der "tageszeitung" und um "Finks Krieg" in der "Frankfurter Allgemeinen Zeitung" tobten. Ein "geschickt lancierter" Diskurs über das Verhältnis von Fiktion und Wirklichkeit sei die Auseinandersetzung um "Finks Krieg" gewesen, bei der der Feuilletonroman selbst zur Nachricht wurde. Er kehrt damit zurück zu seinen Ursprüngen, als die Novelle noch Nachricht und nichts weiter war. Ob es sich dabei, wie Bachleitner meint, um die Zuckungen eines Todgeweihten handelt, dessen letzte Blüte in den fünfziger Jahren süßlich nach Heimat duftete, wird sich noch erweisen.
SUSANNE KUSICKE.
Norbert Bachleitner: "Kleine Geschichte des deutschen Feuilletonromans". narr studienbücher. Gunter Narr, Tübingen 1999. 212 S., br., 32,80 DM.
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Der Feuilletonroman: Unter dem Strich ist über dem Strich
"Emmelinhypothenusios ging aus der Thür. Fortsetzung folgt. Er sah sich um und rief: Fortsetzung folgt. Ha! Fortsetzung folgt. Denn er hatte einen Blick gethan - Fortsetzung folgt. In die Ewigkeit. Fortsetzung folgt. Bis ihn eine Schwalbe wieder zum wirklichen Leben erweckte. Schluß nächstens. Worauf er zurück in sein Haus ging. Beschluß."
An der Wiege des Feuilletonromans standen die Romantiker und schütteten Spott solcher und schlimmerer Art aus über dem armen Kinde, das da so mitleidlos zerstückelt auf die Welt gekommen war. Banal, billig, schwülstig: ein Bastard des Literaturbetriebs, zur Auflagensteigerung der Zeitungen zurechtgestutzt in tägliche oder wöchentliche Portionen, weit entfernt von jeder Originalität. 1822, als Ludwig Tieck die neue Mode in seiner Novelle "Der Geheimnisvolle" persiflierte, war nicht abzusehen, welch langes, zuletzt zäh verteidigtes Leben der Feuilletonroman bis in die neunziger Jahre des zwanzigsten Jahrhunderts hinein führen würde, und der erste, ganz große Erfolg des neuen Genres stand noch aus. Er gelang Eugène Sue 1842 mit den "Geheimnissen von Paris" und 1844 mit dem "Ewigen Juden", dessen Übersetzung noch im selben Jahr in der in Leipzig erscheinenden "Deutschen Allgemeinen Zeitung" abgedruckt wurde.
Daß Tieck auch die Realitätstauglichkeit des Feuilletonromans unterschätzt hatte, erwies sich mit dem ersten eigens für eine Zeitung verfaßten deutschen Originalroman, der vier Jahre später in der "Neuen Rheinischen Post" erschien. Für den darin karikierten Fürsten Felix Lichnowsky jedenfalls hatte Georg Weerths "Leben und Thaten des berühmten Ritters Schnapphahnski" tödliche Folgen. Der Landadelige, den Weerth - wie vor ihm schon Heinrich Heine im "Atta Troll"" - kaum verschlüsselt als charakterlos, eitel, dreist und feige porträtierte, wurde während des Frankfurter Aufstandes im September 1848, als noch kaum die Hälfte des Romans erschienen war, von einer aufgebrachten Menge erschlagene, und der Autor, der dazu "mittelbar" beigetragen habe, zu einer dreimonatigen Haftstrafe verurteilt.
Ein Beleg weniger für mangelndes Fiktionalitätsbewußtsein seitens der Leser als für die bewußt hergestellte Nähe von Nachricht und Unterhaltung in der politischen Tageszeitung, die Norbert Bachleitner als eigentliches Charakteristikum des Feuilletonromans geltend macht. Entscheidend seien nicht die Methoden, um Spannung zu erzeugen, oder die Umfänge der Romane, die sich nach dem Erfolg richteten. Ausschlaggebend seien die Auswahlkriterien der Zeitungen, die für den Roman unter sowie für die Nachricht über dem Strich gelten: Ein aktueller Konflikt, ein Verstoß gegen die Norm oder der lokale Bezug machen ein Ereignis zur Nachricht und den Roman zum Feuilletonroman.
Der Roman im Feuilleton reagiert kurzfristig, beispielsweise auf die Ermordung des serbischen Königspaares im Jahr 1903, deren Hintergründe schon eine Woche später in dem Roman "Königin Dragas Racheschwur" in der "Illustrierten Kronen-Zeitung" fortgesetzt erläutert wurden. Er thematisiert gesellschaftliche Stimmungen und Spannungen, um diese - wie Ludovica Hesekiel in "Fromm und feudal" 1885 in der "Neuen Preußischen (Kreuz-)Zeitung" - einem konservativen Weltbild einzuverleiben, öfter aber, um der Revolution den Boden zu bereiten. "Glaub nur an den Tag und hoff auf ihn! Er wird kommen und uns alle erlösen", verspricht Edmund Wengraf 1893 den Lesern der "Wiener Arbeiterzeitung", die ihm bis ans Ende des Romans "Armer Leute Kinder" folgen mochten.
Tendenz und ästhetisches Niveau des Feuilletonromans müssen zum Profil der Zeitung passen. Ein Fehlgriff kann das Ende sein, wie sich am Beispiel der konservativen "Haude- und Spenerschen Zeitung" erwies, die 1872 Paul Heyses "Kinder der Welt" abdruckte und postwendend ohne Abonnenten dasaß. Eine Überforderung provoziert Protest: Der Leser sei gezwungen, jeden Morgen durch den Dreck zu waten, lauteten die Klagen, als die "Frankfurter Zeitung" 1929 Döblins "Berlin Alexanderplatz" druckte. Viel Aufmerksamkeit widmet Bachleitner darum der politischen Kontur der Presselandschaft sowie dem Vergleich mit den europäischen Nachbarländern; anstatt der Geschichte des Feuilletonromans rückt dann die (lesenswerte) Geschichte des Mediums in den Mittelpunkt, das ihn transportiert. Die Romananalysen kommen dabei etwas zu kurz und manchmal über Inhaltsangaben nicht hinaus. So kann zwar die These von der Durchlässigkeit des Strichs, der Fakt und Fiktion nur zu trennen vorgibt, überzeugen, nicht immer aber der Beweis am Text.
Die Systematik des Buchs leidet ein wenig unter der groben Chronologie, in die Bachleitner seine Kapitel unterteilt. So stößt man unverhofft im letzten Drittel der Lektüre auf das erste Beispiel für die Kürzungen, mit denen die Redaktionen in die Romane eingriffen - erläutert anhand von Ludwig Renns "Krieg" in der "Frankfurter Zeitung". Aufschlußreiche Passagen wie diese wären mit Hilfe einer thematischen Gliederung leichter aufzufinden.
Ausführlich stellt Bachleitner dagegen die Kulturkämpfe dar, die Mitte der neunziger Jahre in den Leserbriefen um den "Barbier von Bebra" in der "tageszeitung" und um "Finks Krieg" in der "Frankfurter Allgemeinen Zeitung" tobten. Ein "geschickt lancierter" Diskurs über das Verhältnis von Fiktion und Wirklichkeit sei die Auseinandersetzung um "Finks Krieg" gewesen, bei der der Feuilletonroman selbst zur Nachricht wurde. Er kehrt damit zurück zu seinen Ursprüngen, als die Novelle noch Nachricht und nichts weiter war. Ob es sich dabei, wie Bachleitner meint, um die Zuckungen eines Todgeweihten handelt, dessen letzte Blüte in den fünfziger Jahren süßlich nach Heimat duftete, wird sich noch erweisen.
SUSANNE KUSICKE.
Norbert Bachleitner: "Kleine Geschichte des deutschen Feuilletonromans". narr studienbücher. Gunter Narr, Tübingen 1999. 212 S., br., 32,80 DM.
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main