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Dem politischen Ehrenamt wird heute nur noch wenig Respekt entgegengebracht. Immer mehr Akteure streichen frustriert die Segel: Pöbeleien, Drohungen, Angriffe und mangelnde Wertschätzung sind oft der Lohn für anspruchsvolle, aber unbezahlte Aufgaben in Kommune und Kreis. Wer setzt sich dem noch freiwillig aus? Marco Pagano, früherer Bezirksbürgermeister in Köln-Kalk, schreibt offen und schonungslos über diese Herausforderungen und erzählt, warum er es trotzdem noch einmal wagen würde. Zeitmangel, schwierige Verwaltungsprozesse, fehlende Achtung in der Gesellschaft, überzogene…mehr

Produktbeschreibung
Dem politischen Ehrenamt wird heute nur noch wenig Respekt entgegengebracht. Immer mehr Akteure streichen frustriert die Segel: Pöbeleien, Drohungen, Angriffe und mangelnde Wertschätzung sind oft der Lohn für anspruchsvolle, aber unbezahlte Aufgaben in Kommune und Kreis. Wer setzt sich dem noch freiwillig aus? Marco Pagano, früherer Bezirksbürgermeister in Köln-Kalk, schreibt offen und schonungslos über diese Herausforderungen und erzählt, warum er es trotzdem noch einmal wagen würde. Zeitmangel, schwierige Verwaltungsprozesse, fehlende Achtung in der Gesellschaft, überzogene Erwartungshaltungen der Bürger_innen, intrigante Parteifreunde - das sind nur einige der Hürden, mit denen Pagano zu kämpfen hatte. Offen, ehrlich und selbstkritisch regt er daher zu einem Perspektivwechsel an. Es fehlt am Verständnis dafür, wie demokratisch legitimierte Politik im Kleinen funktioniert und an welche Grenzen Kommunalpolitiker_innen häufig stoßen. Ohne sie, die Ehrenämtler_innen in Politik, Sport, Kultur und Gemeinde, funktioniert kein Gemeinwesen. Denken wir mal darüber nach!
Autorenporträt
Marco Pagano, geb. 1980 in Köln, Informationswirt, Sachgebietsleiter in der Abfallwirtschaft und in seiner Freizeit leidenschaftlicher Musiker. Er war 15 Jahre lang politisch aktiv, u. a. Vorstandsmitglied der Kölner SPD und von 2017¿2019 ehrenamtlicher Bürgermeister des Stadtbezirks Kalk mit über 120.000 Einwohnern.
Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 11.07.2023

Helden des Dorfplatzes

Marco Pagano engagierte sich viele Jahre für die SPD in Köln-Kalk als ehrenamtlicher Politiker. Dann gab er auf und schrieb sich seine Sorgen von der Seele.

Die Kommunen sind die Frühwarnsysteme der Politik. Nur leider werden die Diagnosen, die von hauptamtlichen oder auch ehrenamtlichen Politikern ausgestellt werden, in den Landeshauptstädten und erst recht in Berlin häufig lange ignoriert. Während der Flüchtlingskrise vor fast acht Jahren, das berichten Landräte und Bürgermeister heute immer noch mit entsetzten Gesichtern, habe man der damaligen Bundeskanzlerin Angela Merkel "die Tür eintreten" müssen, damit sie die Probleme in Städten und Gemeinden bei der Flüchtlingsaufnahme wahrgenommen habe. Deshalb sind für viele Landräte oder Kommunalpolitiker 20-Prozent-Umfrage-Ergebnisse für die AfD auch keine Überraschung. Zu diesen Erfahrungen passt das Buch von Marco Pagano, einem Sozialdemokraten, der sich als Bezirksvertreter und als ehrenamtlicher Bürgermeister von Köln-Kalk 15 Jahre engagiert und dann in einem Akt der Verzweiflung entschied, der Politik und, was für ihn noch wichtiger ist, dem ehrenamtlichen Engagement für das Gemeinwesen den Rücken zuzuwenden. Er brachte seine Frustration mal auf die Formel, das Ansehen eines ehrenamtlichen Politikers changiere in Deutschland irgendwo zwischen Drogenboss und Bankräuber. Die Statistik belegt das: Fast jeder zweite Amtsträger kann aus dem ersten Halbjahr dieses Jahres von massiven Anfeindungen berichten. In einigen Ländern sind Meldestellen geschaffen worden.

Der heute 43 Jahre alte Politiker entstammt einer deutsch-italienischen Familie, er studierte Informationswirtschaft und begann sich 2009 für die SPD kommunalpolitisch zu engagieren. Er war der erste Bürgermeister in Kalk mit Migrationshintergrund. Die Perspektive für das sinnentleerte und mit nutzlosen Terminen belastete Leben von Politikern wird in Deutschland selten eingenommen, selbst ehrenamtliche Kommunalpolitiker werden schnell als geldgierige Funktionäre abgekanzelt. Nur Peter Dausend und Horand Knaup öffneten mit ihrem Buch "Alleiner kannst Du gar nicht sein. Unsere Volksvertreter zwischen Macht, Sucht und Angst" einer größeren Öffentlichkeit einen Einblick in das triste und schwierige Politikerleben. Pagano ergänzt diese Darstellung nun mit einem lebensnahen Alltagsbericht aus der Sicht des ehrenamtlichen Kommunalpolitikers. Vor allem schildert er, dass ehrenamtliches Engagement die Voraussetzung für das Funktionieren einer demokratischen Gesellschaft war und weiterhin sein sollte: In Deutschland gibt es zum Beispiel nur 110 Berufsfeuerwehren, für die etwa 35.000 Feuerwehrleute arbeiten, etwa eine Million Menschen gehören aber Freiwilligen Feuerwehren an.

Als ehrenamtlicher Mandatsträger bezeichnet sich der Sozialdemokrat selbst als "Freiwild": "Zu oft habe ich persönlich erlebt, wie man in den Fokus von Menschen gerät, die, aus welchen Gründen auch immer, unzufrieden sind", schreibt er. Paganos Krisencharakterisierung ist ernüchternd: "Für mich ist das Erschreckende, dass diese Krise in unglaublicher Weise offenbart, dass viele Menschen in unserer Gesellschaft keinerlei Bindung mehr zu Demokratie, Wissenschaft und Aufklärung haben." Auch die Fähigkeit, Kompromisse zu akzeptieren, sei in der Bevölkerung mittlerweile äußerst unterentwickelt. "Aber viele Menschen sind mit Kompromissen nicht mehr zufrieden, Sie erwarten das Maximum ihrer Forderungen, egal ob es dafür Mehrheiten gibt oder ob das Geforderte für die anderen schlecht oder weniger gut ist. Abstriche zu machen gehört oft nicht mehr zum guten Ton." Dabei spielt auch die Kommunikationsrevolution durch das Internet eine Rolle: Früher galt das Wort eines Bürgermeisters und eines Gemeinderats etwas, den Bürgern blieb nichts anderes übrig, als der Antwort der Politiker zunächst zu vertrauen. Kritik und Widerspruch erforderten Fleiß, heute ist das anders. Das Netz schuf für jede politische Ebene eine Misstrauenskultur, die von den alten Medien noch befeuert wird. Paganos Analyse können sicher viele Gemeinderäte und Ehrenamtler teilen. Sein Erfahrungsbericht aus Köln-Kalk ist verdienstvoll, weil er die Erosion der Grundlagen jeder freiheitlichen und demokratischen Gesellschaft klar benennt. Das Buch hätte eine bessere Struktur und auch ein gründlicheres Lektorat verdient, an einigen Stellen ist der Ton unnötig parteipolitisch, etwa wenn Pagano behauptet, die Union habe eine vernünftige Bürgergeldreform verhindert. Manchmal formuliert er auch ungenau, etwa wenn er schreibt, Köln werde als viertgrößte Stadt Deutschlands "ehrenamtlich" regiert. Womit man bei Paganos Vorschlägen zur Lösung des "Wahnsinnsproblems" wäre: Sein wichtigster Vorschlag ist, die Verwaltung von Stadtbezirken zu professionalisieren: Köln-Kalk hat knapp 120.000 Einwohner. Nach Paganos Auffassung wäre es besser, einen hauptamtlichen Bezirksbürgermeister mit einem eigenen Mitarbeiterstab einzusetzen und die Zahl der Gemeinderäte zu reduzieren und ihnen statt einer Aufwandsentschädigung eine Diät zu bezahlen. Diese Professionalisierung kostet etwas Geld. Nichts zu tun wird jedenfalls kostspieliger. Das Buch endet mit zwölf ziemlich trivialen Ratschlägen, der wichtigste lautet: "Ihr habt ein Privatleben. Bei allem Engagement solltet Ihr darauf achten, Abstand zu halten." RÜDIGER SOLDT

Marco Pagano: Kleine Helden. Eine Liebeserklärung an Ehrenamt und Kommunalpolitik.

Verlag J.H.W. Dietz Nachf., Bonn 2023. 176 S., 18,- Euro.

Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
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Perlentaucher-Notiz zur F.A.Z.-Rezension

Rezensent Rüdiger Soldt dankt dem ehrenamtlichen Kommunalpolitiker Marco Pagano für eine Innenperspektive aus dem Leben eines Sozialdemokraten, der zum "Freiwild" für unzufriedene Bürger wurde. Das Sinnentleerte und Ernüchternde seiner Arbeit schildert der Autor laut Soldt lebensnah. Wie Demokratie, Kompromissbereitschaft und die Bindung an die Ideale der Aufklärung in der Gesellschaft Stück für Stück schwinden, macht Pagano eindringlich deutlich, findet Soldt. Strukturell hat der Band laut Soldt Mängel, und auch der manchmal allzu parteipolitische Ton wäre nicht nötig gewesen, meint der Rezensent.

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