Als die Tür der Kühlkammer mit einem "Klack" hinter Nestor Chaffino zufällt und der Roman einsetzt, spinnt das Schicksal längst seine Fäden. Aber das Schicksal ist ein Hallodri. Wem führt es die Hand?
Im Sommerhaus des Kunsthändlers Ernesto Teldi, dessen Fest für exzentrische Sammler der Chefkoch Nestor Chaffino ausrichtet, gibt es in dieser Nacht mehr als einen, der ihn und sein heikles Wissen lieber heute als morgen zum Schweigen gebracht sähe.
In Nestors erstarrter Faust findet sich ein Blatt aus seinem Notizbuch, in das er die raffinierten Kniffe eingetragen hat, die Küchenmeister gewöhnlich nicht verraten. Kleine Infamien hat er die Aufzeichnungen überschrieben - wo doch die höchsten kulinarischen Wonnen ans Unanständige grenzen. Aber will der Koch, der in so mancherlei Milieus verkehrt, wirklich nur einem alten Freund Geheimnisse preisgeben? Nicht nur die junge Chloe, die in dieser Nacht von äußerst verwirrenden Erinnerungen heimgesucht wird, vermutet mehr. Was weiß Nestor von Adela Teldi und ihren verhängnisvollen Amouren? Was von der Vergangenheit ihres Mannes im Argentinien der Militärdiktatur? Was von den dunklen Leidenschaften des korrekten Richters Serafín Tous?
Bewundernswert souverän spielt Carmen Posadas das klassische Muster einer Kriminalintrige aus, um eine so elegante wie böse Gesellschaftskomödie aus der heutigen Welt in Gang zu setzen. Bei aller Leichtigkeit gelingt ihr eine überzeugende psychologische Durchdringung der Figuren. Kein Wunder, daß ihr Roman bereits in zwölf Sprachen übersetzt wurde.
Im Sommerhaus des Kunsthändlers Ernesto Teldi, dessen Fest für exzentrische Sammler der Chefkoch Nestor Chaffino ausrichtet, gibt es in dieser Nacht mehr als einen, der ihn und sein heikles Wissen lieber heute als morgen zum Schweigen gebracht sähe.
In Nestors erstarrter Faust findet sich ein Blatt aus seinem Notizbuch, in das er die raffinierten Kniffe eingetragen hat, die Küchenmeister gewöhnlich nicht verraten. Kleine Infamien hat er die Aufzeichnungen überschrieben - wo doch die höchsten kulinarischen Wonnen ans Unanständige grenzen. Aber will der Koch, der in so mancherlei Milieus verkehrt, wirklich nur einem alten Freund Geheimnisse preisgeben? Nicht nur die junge Chloe, die in dieser Nacht von äußerst verwirrenden Erinnerungen heimgesucht wird, vermutet mehr. Was weiß Nestor von Adela Teldi und ihren verhängnisvollen Amouren? Was von der Vergangenheit ihres Mannes im Argentinien der Militärdiktatur? Was von den dunklen Leidenschaften des korrekten Richters Serafín Tous?
Bewundernswert souverän spielt Carmen Posadas das klassische Muster einer Kriminalintrige aus, um eine so elegante wie böse Gesellschaftskomödie aus der heutigen Welt in Gang zu setzen. Bei aller Leichtigkeit gelingt ihr eine überzeugende psychologische Durchdringung der Figuren. Kein Wunder, daß ihr Roman bereits in zwölf Sprachen übersetzt wurde.
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 27.01.2005Sorbet surprise, Hausmacherart
Kommissar Zufall, bitte übernehmen Sie: Carmen Posadas am Herd
Die "Kleinen Infamien" beginnen mit einer großen: Néstor Chaffino, Kochkünstler, Konditor und Autor gastrosophischer Schweinereien, wird in einem Landhaus an der Costa del Sol ermordet. Der Kreis der Verdächtigen ist, wie beim klassischen Whodunnit, so überschaubar wie ihre Motivlage. Der Hausherr, der Kunstsammler und Mäzen Ernesto Teldi, hat sich einst als Schmuggler und Geschäftspartner argentinischer Foltergeneräle erpreßbar gemacht. Seine nymphomanische Frau treibt es mit jungen Männern. Richter Serafin Tous gibt gern den Gentleman, ist aber ein verschämter Päderast. Küchenjunge Karel, der einfältige tschechische Bodybuilder, kommt ebenso in Frage wie seine Freundin Chloe, die verlorene Tochter aus gutem Hause. Jeder hat eine Leiche im Keller, und darüber vergißt man fast jene in der Kühlkammer.
Bei Agatha Christie würde jetzt Miss Marple oder Hercule Poiret alle Türen von Las Lilas schließen, um die Tischgesellschaft der Heuchler und Hochstapler samt Personal ins Gebet zu nehmen. Carmen Posadas, Wahlspanierin aus Montevideo, glaubt, auf Detektive und ihre Logik verzichten zu können. "Das Schicksal ist ein Hallodri", und Kommissar Zufall wird ihn schon fangen. Allein, Zufälle sind, wie Madame Longstaffe, die Wahrsagerin, orakelt, "Scherze, die sich die Götter mit den Menschlichen erlauben". Oder, wie der Koch präzisiert: "Zufälle sind wie Soufflés. Sie gehen nicht auf, wenn niemand sich findet, der das Eiweiß rührt, schlägt und schäumt." Posadas rührt nach Leibeskräften, um kleine Skandälchen zu ruchlosen Infamien und delikate Petitessen zu Delikatessen aufzuschäumen; aber ihr "Sorbet surprise" fällt immer wieder in sich zusammen. "Kleine Infamien" nannte Néstor seine Sammlung von Dessertrezepten und Familiengeheimnissen. Sein Koch- und Notizbuch war ein kompromittierender Enthüllungsroman, den der Mörder zu Ende schreibt und als Gesellschaftskomödie im Krimi-Mantel veröffentlicht: So wird der arme Koch nicht nur um sein Leben, sondern auch um seinen literarischen Ruhm gebracht.
Alle Zutaten für ein Festmahl sind versammelt: verschrobene Schickeria-Typen und ihre verschwiegenen Laster, ein geheimnisvolles Bild und enigmatische Kakerlaken, gut abgehangene Tatmotive wie Rache und Eifersucht, Neurosen, Spleens und politische Intrigen; selbst das Sahnehäubchen postmoderner Selbstreflexivität fehlt nicht. Dennoch will die Komposition nicht recht schmecken: Die Figuren sind flach, ihre Motive küchenpsychologisch konstruiert, und auch die Auflösung des "nutzlosen Mords" ist an den Haaren in der Suppe herbeigezogen. Vor allem aber trieft das Ragout aus "Sünde, Leidenschaft und Niedertracht" von einer lateinamerikanischen Sinnlichkeit, die sich in einer eher altbackenen kulinarischen Ironie, verschwiemelter Lust ("Worte sind fehl am Platz, wenn die Körper sich begehren") und allerlei Tangos, Sons und Rancheras Bahn bricht. So hübsch sich die bunten Bildungswimpel und dekorativen Zitronenscheiben auf der Silberplatte machen: Man riecht schnell den mit Shakespeare-Zitaten und Oscar-Wilde-Bonmots gespickten Braten, auch wenn er in einer Sauce aus blumigen Metaphern, neckischen Einwürfen und kleinen Platitüden schwimmt.
Zugegeben, es ist nicht leicht, einen Kriminalroman zu schreiben, der literarischen Anspruch mit gewöhnlicher Spannung vereint. Posadas kennt womöglich das Geheimrezept; immerhin war ihr Buch in Spanien ein preisgekrönter Bestseller. Aber was sie geschmäcklerisch und geschwätzig zusammenrührt, ist weder Fisch noch Fleisch und kaum eine Nachspeise: Zum Krimi fehlt ihrem Roman das Salz des Thrills, zur Satire der Pfeffer wirklicher Niedertracht.
MARTIN HALTER
Carmen Posadas: "Kleine Infamien". Roman. Aus dem Spanischen übersetzt von Thomas Brovot. Suhrkamp Verlag, Frankfurt 2004. 286 S., geb., 19,80 [Euro].
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Kommissar Zufall, bitte übernehmen Sie: Carmen Posadas am Herd
Die "Kleinen Infamien" beginnen mit einer großen: Néstor Chaffino, Kochkünstler, Konditor und Autor gastrosophischer Schweinereien, wird in einem Landhaus an der Costa del Sol ermordet. Der Kreis der Verdächtigen ist, wie beim klassischen Whodunnit, so überschaubar wie ihre Motivlage. Der Hausherr, der Kunstsammler und Mäzen Ernesto Teldi, hat sich einst als Schmuggler und Geschäftspartner argentinischer Foltergeneräle erpreßbar gemacht. Seine nymphomanische Frau treibt es mit jungen Männern. Richter Serafin Tous gibt gern den Gentleman, ist aber ein verschämter Päderast. Küchenjunge Karel, der einfältige tschechische Bodybuilder, kommt ebenso in Frage wie seine Freundin Chloe, die verlorene Tochter aus gutem Hause. Jeder hat eine Leiche im Keller, und darüber vergißt man fast jene in der Kühlkammer.
Bei Agatha Christie würde jetzt Miss Marple oder Hercule Poiret alle Türen von Las Lilas schließen, um die Tischgesellschaft der Heuchler und Hochstapler samt Personal ins Gebet zu nehmen. Carmen Posadas, Wahlspanierin aus Montevideo, glaubt, auf Detektive und ihre Logik verzichten zu können. "Das Schicksal ist ein Hallodri", und Kommissar Zufall wird ihn schon fangen. Allein, Zufälle sind, wie Madame Longstaffe, die Wahrsagerin, orakelt, "Scherze, die sich die Götter mit den Menschlichen erlauben". Oder, wie der Koch präzisiert: "Zufälle sind wie Soufflés. Sie gehen nicht auf, wenn niemand sich findet, der das Eiweiß rührt, schlägt und schäumt." Posadas rührt nach Leibeskräften, um kleine Skandälchen zu ruchlosen Infamien und delikate Petitessen zu Delikatessen aufzuschäumen; aber ihr "Sorbet surprise" fällt immer wieder in sich zusammen. "Kleine Infamien" nannte Néstor seine Sammlung von Dessertrezepten und Familiengeheimnissen. Sein Koch- und Notizbuch war ein kompromittierender Enthüllungsroman, den der Mörder zu Ende schreibt und als Gesellschaftskomödie im Krimi-Mantel veröffentlicht: So wird der arme Koch nicht nur um sein Leben, sondern auch um seinen literarischen Ruhm gebracht.
Alle Zutaten für ein Festmahl sind versammelt: verschrobene Schickeria-Typen und ihre verschwiegenen Laster, ein geheimnisvolles Bild und enigmatische Kakerlaken, gut abgehangene Tatmotive wie Rache und Eifersucht, Neurosen, Spleens und politische Intrigen; selbst das Sahnehäubchen postmoderner Selbstreflexivität fehlt nicht. Dennoch will die Komposition nicht recht schmecken: Die Figuren sind flach, ihre Motive küchenpsychologisch konstruiert, und auch die Auflösung des "nutzlosen Mords" ist an den Haaren in der Suppe herbeigezogen. Vor allem aber trieft das Ragout aus "Sünde, Leidenschaft und Niedertracht" von einer lateinamerikanischen Sinnlichkeit, die sich in einer eher altbackenen kulinarischen Ironie, verschwiemelter Lust ("Worte sind fehl am Platz, wenn die Körper sich begehren") und allerlei Tangos, Sons und Rancheras Bahn bricht. So hübsch sich die bunten Bildungswimpel und dekorativen Zitronenscheiben auf der Silberplatte machen: Man riecht schnell den mit Shakespeare-Zitaten und Oscar-Wilde-Bonmots gespickten Braten, auch wenn er in einer Sauce aus blumigen Metaphern, neckischen Einwürfen und kleinen Platitüden schwimmt.
Zugegeben, es ist nicht leicht, einen Kriminalroman zu schreiben, der literarischen Anspruch mit gewöhnlicher Spannung vereint. Posadas kennt womöglich das Geheimrezept; immerhin war ihr Buch in Spanien ein preisgekrönter Bestseller. Aber was sie geschmäcklerisch und geschwätzig zusammenrührt, ist weder Fisch noch Fleisch und kaum eine Nachspeise: Zum Krimi fehlt ihrem Roman das Salz des Thrills, zur Satire der Pfeffer wirklicher Niedertracht.
MARTIN HALTER
Carmen Posadas: "Kleine Infamien". Roman. Aus dem Spanischen übersetzt von Thomas Brovot. Suhrkamp Verlag, Frankfurt 2004. 286 S., geb., 19,80 [Euro].
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Perlentaucher-Notiz zur F.A.Z.-Rezension
" Weder um Fisch noch um Fleisch handelt es sich bei diesem Buch für den äußerst unzufriedenen Rezensenten Martin Halter. Vielmehr hat Autorin Carmen Posadas aus seiner Sicht in ihrem Krimi lediglich nach Leibeskräften geschmäcklerisch und geschwätzig gerührt, um kleine Skandälchen zu ruchlosen Infamien und delikate Petitessen zu Delikatessen aufzuschäumen. Dabei seien alle Zutaten für ein Festmal versammelt: verschrobene Schickeria-Typen und ihre verschwiegenen Laster, gut abgehangene Tatmotive wie Rache, Eifersucht, Neurosen, Spleens und politische Intrigen. Selbst das Sahnehäubchen postmoderner Selbstreflexivtät fehle nicht. Trotzdem hat die Komposition dem Rezensenten nicht geschmeckt: die Figuren findet er flach, die Auflösung des Mordes "an den Haaren in der Suppe herbeigezogen". Fazit: Zum Krimi fehlt dem Roman das Salz des Thrills, zur Satire das Pfeffer echter Niedertracht.
© Perlentaucher Medien GmbH"
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