Produktdetails
  • Verlag: Insel Verlag
  • Seitenzahl: 188
  • Deutsch
  • Abmessung: 23mm x 133mm x 220mm
  • Gewicht: 370g
  • ISBN-13: 9783458171096
  • ISBN-10: 3458171096
  • Artikelnr.: 10285728
Rezensionen

Süddeutsche Zeitung - Rezension
Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 27.04.2002

Die Langeweile hat kein Ende
Der Philosoph Lars Svendsen findet für ein großes Problem eine kleine Lösung
Er hatte, wenn wir ihm glauben wollen, ein langwieriges Forschungsprojekt abgeschlossen. Da saß er nun und hätte ausspannen können. Doch er begann sich zu langweilen. Er sah sich gezwungen, „etwas” zu tun. Deshalb entschied er sich, einen Essay zu schreiben. So entstand seine „kleine Philosophie der Langeweile”, in der Lars Svendsen versucht hat, „etwas Wesentliches über unsere Existenzbedingungen auszusagen”. Das klingt viel versprechend. Denn wer möchte diesem jungen norwegischen Dozenten nicht Recht geben, dass man auch als Philosoph ab und zu versuchen müsse, „sich mit den großes Fragen zu befassen”? Und wenn, wie ja schon Ludwig Wittgenstein gesagt hat, Philosophie als „Arbeit an einem selbst” zu leisten sei, so gibt es durchaus gute Gründe, auch der Langeweile eine philosophische Untersuchung zu widmen.
Svendsen entschied sich also, einen Essay über diese existenzielle Grunderfahrung der Langeweile zu schreiben, die „zwangsläufig das eigene Sein in Frage stellt”. Doch der Essay gehört nicht zufällig zu den schwierigsten Formen des Philosophierens. Weil er die Gedanken nicht nach den Regeln einer diskursiven Logik entwickelt, sondern auch der Spontaneität subjektiver Phantasie einen breiten Raum zugesteht, fordert der Essay eine hochgradige Intensität. Davon aber findet sich in Svendsens kleiner Philosophie keine Spur.
„Essay” ist zum Euphemismus geworden, um den Mangel an argumentativerStringenz und stilistischer Prägnanz zu kaschieren. Darüber könnte geschwiegen werden, wenn es sich dabei nicht um das Symptom einer existenziellen und philosophischen Verwirrung handelte, die sich immer weiter zu verbreiten droht: Philosophie light, zusammengestoppelt aus unzähligen Zitaten und diffusen Meinungen. Moderne Arbeitstechniken scheinen diese Orientierungslosigkeit zu unterstützen. Informationsüberflutung verbindet sich mit Gedankenlosigkeit.
Zugriff ohne Angst
„Am liebsten hätte ich den ganzen Text aus Zitaten zusammengesetzt, doch es stellte sich heraus, dass ich das eine oder andere hinzuzufügen hatte.” Statt dem philosophischen Anspruch zu entsprechen, sich über vage Gefühle und verschwommene Gedanken klar zu werden, griff Svendsen vor allem auf die europäische Kulturgeschichte als Datenbank zurück. Sie diente ihm als ein unerschöpfliches Universum zitierbarer Informationen ohne jede geschichtliche, gesellschaftliche und psychische Atmosphäre. An die Stelle des Begreifens trat der Zugriff. Svendsen scheint „Langeweile” als Suchbegriff eingegeben zu haben. Es kam viel zum Ausdruck, ein Wust an Aussagen von Blaise Pascal bis Fernando Pessoa, von Johann Georg Hamann bis Sören Kierkegaard und E. M. Cioran.
Nun hatte Svendsen ja noch „das eine oder andere hinzuzufügen”. Die Flut des Zitierten wird gestaut durch ein verwirrtes Ich, das sich mit seinen Gefühlen und Meinungen nach vorne drängt. Wir erfahren, dass Svendsen sich langweilt, wenn er eine Vorlesung zum vierten Mal hört oder hält, wenn er „wie ein Automat” eine Arbeit abschließt, wenn er an „sozialen Praktiken” teilnimmt, „die von Langeweile durchtränkt sind”, wenn er Warhols Tagebücher liest und dabei die „Tage meines Lebens” verbringt. Warhols kulturkritischer Witz ist ihm fremd. Er erkennt nicht den Künstler, sondern sieht nur einen Menschen, der die Leerheit und Langeweile „voll und ganz lebte”.
Im dritten Teil seiner Collage wagt sich Svendsen an eine Phänomenologie der Langeweile. Er setzt sich mit Martin Heidegger auseinander und zitiert aus dessen Analyse der „tiefen Langeweile”, die alles erfasst und in einen schweigenden Nebel rückt. Doch Svendsen versteht wieder nur Bahnhof. Dass er zu Heideggers Angstanalyse kein richtiges Verhältnis finden konnte, gibt er zwar gern zu, „weil ich kaum Erfahrung mit Angst habe”. Aber mit der Langeweile will sich der junge Philosoph ja gut auskennen. Schließlich habe er sich schon als Student in Vorlesungen gelangweilt. Doch dann fragt er sich: „Was ist denn so tief an der Langeweile?” Heidegger muss sich geirrt haben. Wusste er nicht, dass die Langeweile zum alltäglichen Leben gehört und keine metaphysische Schwere verträgt?
Mit dieser Entschärfung kommt unser Philosophiedozent am Ende zu einer überraschenden Lösung seines Problems. Das Leben hält nun einmal „eine
Menge Langeweile bereit”. Ein Heilmittel gegen diese laue Qual gebe es sowieso nicht. Die Religion helfe nicht; denn an Gott glaubt Svendsen nicht. Arbeit erscheint ihm eher eine Ursache als eine Alternative der Langeweile zu sein. Die Liebe trage auch kein erfülltes Leben mehr. Wenn man sie nicht besitze, scheine sie zwar viel zu versprechen. „Besitzt man sie aber, erweist sie sich als ungenügend.” Ästhetische Zerstreuungen nützen nur für Augenblicke. Auch über Arnold Gehlens Ansicht, vor Langeweile schütze die Erfahrung der Wirklichkeit, kann Svendsen nur lächeln. Denn für ihn gehört doch die Langeweile gerade zur Wirklichkeit. Am besten helfe noch der Schlaf. Doch leider „kann man nicht ständig schlafen'.
Und die Moral von der Geschicht? Jeder Versuch, der Langeweile bewusst zu entkommen, „wird die Sache, aller Voraussicht nach, nur verschlimmern.” So endet diese kleine Philosophie über ein großes Problem mit der beruhigenden Selbsterkenntnis: „Die Langeweile muss als unvermeidliche Tatsache angenommen werden, als die Schwerkraft des eigenen Lebens. Das ist keine großartige Lösung, denn das Problem der Langeweile hat keine Lösung.' Svendsens leichtgewichtiger Essay bietet keine Analyse der
Langeweile, sondern gewährt Einblick in die Mentalität eines Jungakademikers, der sich immer irgendwie mit „etwas” beschäftigen muss. „Und dieses Etwas ist der vorliegende Essay”, der bereits in fünf Sprachen übersetzt worden ist und auf Grund seiner eigentümlichen Schwerkraft auch in Deutschland einen renommierten Verlag gefunden hat.
MANFRED GEIER
LARS F. H. SVENDSEN: Kleine Philosophie der Langeweile. Aus dem Norwegischen von Lothar Schneider. Insel Verlag, Frankfurt am Main, Leipzig 2002. 189 Seiten, 16,90 Euro.
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Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 08.04.2002

Werdet erwachsen, Romantiker!

Haben Sie heute schon Sinn gestiftet? Dem Ganzen des Seins ein Licht aufgesteckt, dessen weithin strahlendes Leuchten Zusammenschau und Orientierung ermöglicht? Oder haben Sie sich doch nur wieder in Arbeit und Ablenkung verströmt, sich an die Dinge der Welt und die Welt der Dinge vergessen, an immer neue und interessante Sachen, Einfälle, Menschen? Das wäre schlecht. Denn dann droht Ihnen der geistige Schnupfen, mit dem wir halt- und weglosen Kontingenzbewältiger immer wieder zu kämpfen haben: das Gefühl der Leere in der ausweglosen Fülle, eine plötzliche Gleichgültigkeit gegenüber dem Überangebot der Welt. Also, nach einer soeben vorgelegten Diagnose, die Langeweile (Lars Fr. H. Svendsen: "Kleine Philosophie der Langeweile". Aus dem Norwegischen von Lothar Schneider. Insel Verlag, Frankfurt am Main 2002. 189 S., geb., 16,90 ). "Langeweile bedeutet Sinnverlust", lautet bündig die These des Autors, der man nicht vorwerfen kann, mit dem frivolen Reiz des Neuen zu blenden. Endlos haben Philosophen, Dichter und Literaturwissenschaftler es uns ja vorgebetet: In der religiösen, durch Gott verbürgten Ordnung erfuhr der Mensch die Welt noch als ein sinnüberwölbtes Ganzes. Mit der Aufklärung aber wurde das Individuum auf sich gestellt, um dann erschrocken festzustellen, daß ihm die Vision eines größeren, über die Daseinsbewältigung hinausreichenden Lebenszusammenhangs immer noch unentbehrlich war - nur daß es diese Vision nunmehr aus sich selbst schöpfen mußte. Glaube nur an den Sinnzusammenhang, den du selber gestiftet hast: Die Romantik hat vorgeführt, daß auf diese Weise kein sicherer Grund unter die Füße zu bekommen ist. Seitdem, so führt Svendsens Essay aus, häufen sich die Thematisierungen der Langeweile in Literatur und Philosophie. Nichtig erscheinen nun immer wieder die weltlichen Passionen, in die das Individuum verstrickt ist, und mit Byrons Don Juan läßt sich konstatieren: "There's nothing left but to be bored or bore." In der tiefen Langeweile ergreifen wir keine Initiative mehr, weil alle zur Wahl stehenden Möglichkeiten gleich bedeutend erscheinen und damit gleich unbedeutend, so daß das Gefühl der Leere die Kategorien des Wählens und der Initiative selbst erfaßt. Nicht nur die Welt entleert sich, auch das Ich. "Die Seele schrumpft zusammen wie eine Zwetschge", heißt es in Tiecks klassischem und leider "furchtbar langweiligem" Langeweile-Roman "William Lovell". Svendsens Stippvisiten bei philosophischen Behandlungen der Langeweile von Pascal bis Nietzsche und Heidegger machen wenig Hoffnung auf Besserung. Daß uns weder Pascals Gott noch Nietzsches übermenschliche Daseinsbejahung zu Gebote stehen, ist ja gerade die Grunderfahrung des mit der Sinnstiftung überforderten modernen Menschen. In der Langeweile, wie sie in zeitgenössischen Romanen und Filmen begegnet, in Bret Easton Ellis' "American Psycho" und David Cronenbergs Film "Crash", findet der Autor in der Logik der permanenten Überschreitung allenthalben das romantische Sinnstreben wieder. Ob Beckett oder Andy Warhol, stets geht es um Sinn, Sinn, Sinn, und stets ist er unmöglich. Gerade macht sich die Seele des Lesers resigniert daran, wie eine Zwetschge zu schrumpfen, als Svendsen einen neuen Lichtstrahl auf die Szenerie fallen läßt: Betrauern wir nicht eigentlich, wenn wir am metaphysischen Sinnverlust leiden, eine verlorene Kindheit, jene gleichfalls in der Epoche der Romantik zum Ideal erhobene magische Zeit der frühen, freien, spielerischen Weltaneignung? Dann hieße die Moral der Langeweile, endlich aus der "ewigen Pubertät" dieser unerfüllbaren Sehnsucht herauszutreten, vollends erwachsen zu werden und die Langeweile als ein zwar unlösbares, aber auch nicht so dramatisches Problem zu akzeptieren. So abrupt tritt diese Überlegung auf, daß man fast meinen möchte, dem Verfasser sei selbst etwas langweilig geworden mit seiner Ausgangsthese. Doch ist für Svendsen die Langeweile auch positiv aufzufassen, als eine Art Schonraum, eine von festgefahrenen Wertungen freie Stimmung, in der frische Ideen heranwachsen, in der sich Windwechsel vorbereiten können. Am Ende gewinnt sein Buch einigen Charme aus seinen zwei Gesichtern: Es wirkt wie das letzte, das die selbstkritische Großerzählung der Moderne vom dramatischen Verlust des Sinnganzen noch ernst nimmt, und wie das erste, das ihr probehalber einmal den Rücken kehrt.

MICHAEL ADRIAN

Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
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Perlentaucher-Notiz zur Süddeutsche Zeitung-Rezension

Cornelia Vismann hat vor allem die "leichthändige" Art gefallen, mit der der Autor seine Thesen darlegt. Lars Svendsen macht "individuelle Angst" zum Ausgangspunkt seiner Reflexionen und beruft sich dabei auf Heidegger, teilt die Rezensentin mit. Doch er beziehe auch Hollywoodfilme und Erzählungen der Romantik in seine Überlegungen ein. Nicht nur lobt Vismann den Autor als belesen, sie freut sich zudem, dass er so gar nicht prinzipienreiterisch daherkommt.

© Perlentaucher Medien GmbH