Tennis ist ein schöner Sport: der Rasen grün, die Socken weiß, die Menschen braungebrannt. Der Ball ist kleiner und feiner als beim Fußball, er fliegt über ein niedriges Netz hin und her, und es macht plopp - plopp. Im Publikum herrscht Ruhe, Tennisfans machen vor allem die typische Kopfbewegung. Wenn die Sonne scheint, scheint sie gnadenlos auf den Platz, und Nicht-Fans sinnieren darüber, ob dieses schöne Spiel im Schatten nicht noch schöner wäre. Und Fans? Leidenschaftliche Tennis-Spieler und -Gucker? Eine ganz besondere Spezies Mensch? Bestimmt!
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 13.10.1999Das schöne Blobb, das böse Blitsch, das fiese Blömpf
Das Hauptziel seiner Tennis-Karriere scheint für Dieter Hildebrandt unerreichbar zu sein: "ein einigermaßen verwendbarer Tennispartner zu werden". Der Kabarettist, Mitbegründer der Münchner Lach- und Schießgesellschaft, hat auf dem Tennisplatz nur einen Titel geholt. In seinem "Club", einer losen Verbindung von Freizeitspielern, wird er "Häuptling Böse Zunge" genannt. Mit Worten schlägt er Asse und Returns, wie er es mit der Filzkugel gern könnte. Doch zu oft hat der kleine gelbe Ball, der früher weiß war, sich als "feindliches Flugobjekt" erwiesen. "Nirgendwo ist über diesen aufgeblasenen Filzkörper zu lesen, mit welcher Hinterlist, Bösartigkeit und vorsätzlicher Gefühllosigkeit seitens des Gegners er geschlagen, geschnitten, überrissen, underspint oder overspint werden kann", klagt Hildebrandt. Mit diesem Lamento leitet er sein Buch "Tennis" ein, den neuesten Band aus der dtv-Reihe "Kleine Philosophie der Passionen".
Tennis bedeutet für den Autor Leidenschaft im doppelten Sinne des Wortes: Er ist ein passionierter Spieler, und er leidet darunter, dass er dieses Spiel so liebt. "Es ist zu schwer." Viele zertrümmern ihren Schläger; Hildebrandt fordert: "Lasst die Luft aus den Bällen." Vor allem der Ball verleidet ihm den Spaß am Sport. Wenn Emotionen wie Wut oder Hass die Wahrnehmung beeinflussen, ist auch der akustische Genuss getrübt. Das absolute Gehör eines Tennisspielers vermag die Qualität eines Schlages an seiner Klangfarbe zu erkennen. Ob "dieses schöne Blobb mit Hall", das weniger ohrenfreundliche Blöbb" oder "dieses höchst gefährliche Blitsch" ertönt, hänge von der Bespannung ab und von der Technik, lehrt Hildebrandt; das "Blömpf" eines "Rahmenballes" zeuge einfach nur von Unvermögen. Und wenn es ganz schlimm kommt, hört der professionelle Spötter den Filz sogar feixen. "Ich behaupte steif und fest, dass es schon Bälle gegeben hat, die, nachdem sie hinter mir im Feld aufgesprungen waren, ,Kuckuck' gerufen haben."
Mit der akustischen Analyse seiner gestörten Ball-Beziehung schlägt der Autor sich ein. Die Misstöne bürgerlicher Tennis-Gemeinschaften klingen schriller und fieser als das gefährlichste Blitsch und das dumpfeste Blömpf. In nahezu jeder Großfamilie, die sich Tennisclub nennt, tun sich menschliche Abgründe auf. Es wird "gehäkelt, geflüstert und gehetzt". Um die scheinbar endlose Tiefe dieser Abgründe zu veranschaulichen, nimmt der Ich-Erzähler den Leser mit zum "Laubenschlag" - so heißt die Anlage seines "Clubs", der ohne Vorstand und Kassierer auskommt, sonst aber alles besitzt, was nötig ist. Hauptschauplatz sind "diese zehn Plätze, auf denen mein Herz herumliegt und Teile meiner Galle, ein paar Eimer Schweiß und auch eine Menge Geld, ganz zu schweigen von dem verkochten Alkohol".
An zwei Orten kommt mitunter die tiefschwarze Seite zum Vorschein, die auch dem anständigsten Charakter innewohnt: im Auto und auf dem Tennisplatz. Aus braven Bürgern werden gemeine, ja gefährliche Menschen. "Es iss so, als wenn die, wenn die die rote Asche schnuppern, die ganze Erziehung und die Bildung, mit der sie sich so groß tun, in die Tonne schmeißen", sagt "Lärge" Nitschke, der Tennislehrer aus Breslau, der die "Laubenschläger" trainiert. Im Club bricht sich oftmals nicht nur das Ballgefühl Bahn - so etwa beim gemischten Doppel. Die Rechtsanwälte Mettke und Klein leben von ihren Gattinnen getrennt, weil Herr Mettke und Frau Klein, die reife "Mäuse-Monroe" mit tiefem Ausschitt und kurzem Röckchen, ein ehebrecherisches Verhältnis unterhalten. Ihr gemischtes Doppel spielen die Ehepaare unbeirrt weiter.
Tennis kann zusammenhalten, was nicht mehr zusammengehört, und - ebenso absurd - trennen, was alles andere überdauert hat. Doktor Kuhnert, der Ranglistenerste am Laubenschlag, und der Zweitplatzierte Rosenbauer kennen sich seit dem Krieg; später haben sie sich gegenseitig als Nazis denunziert und, vertreten durch die Anwälte Mettke und Klein, gegeneinander prozessiert. Dennoch sind sie Freunde geworden. Zu Feinden, zu erbitterten Feinden, hat sie erst die gemeinsame Passion gemacht. In einem wichtigen Ranglistenspiel ging es um eine Rückhand, die Kuhnert in die äußerste Ecke geschlagen hatte. Der Schiedsrichter gab den Ball "gut", Rosenbauer sagte "Aus", Kuhnert schwieg. Dann fiel der Satz, der die Männerfreundschaft zerschmettert hat. Rosenbauer sagte zu Kuhnert: "Betrüger".
Hildebrandt gesteht seiner Liebe, die so viel Leiden schafft, letztlich nur einen Vorteil zu. "Ein Abseits oder ähnliche intellektuelle Zusatzhandicaps gibt es beim Tennis nicht." RICHARD LEIPOLD
Besprochenes Buch: Dieter Hildebrandt: "Tennis", Deutscher Taschenbuch Verlag, München (dtv-Reihe "Kleine Philosophie der Passionen"), 111 Seiten, 14,90 Mark.
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Das Hauptziel seiner Tennis-Karriere scheint für Dieter Hildebrandt unerreichbar zu sein: "ein einigermaßen verwendbarer Tennispartner zu werden". Der Kabarettist, Mitbegründer der Münchner Lach- und Schießgesellschaft, hat auf dem Tennisplatz nur einen Titel geholt. In seinem "Club", einer losen Verbindung von Freizeitspielern, wird er "Häuptling Böse Zunge" genannt. Mit Worten schlägt er Asse und Returns, wie er es mit der Filzkugel gern könnte. Doch zu oft hat der kleine gelbe Ball, der früher weiß war, sich als "feindliches Flugobjekt" erwiesen. "Nirgendwo ist über diesen aufgeblasenen Filzkörper zu lesen, mit welcher Hinterlist, Bösartigkeit und vorsätzlicher Gefühllosigkeit seitens des Gegners er geschlagen, geschnitten, überrissen, underspint oder overspint werden kann", klagt Hildebrandt. Mit diesem Lamento leitet er sein Buch "Tennis" ein, den neuesten Band aus der dtv-Reihe "Kleine Philosophie der Passionen".
Tennis bedeutet für den Autor Leidenschaft im doppelten Sinne des Wortes: Er ist ein passionierter Spieler, und er leidet darunter, dass er dieses Spiel so liebt. "Es ist zu schwer." Viele zertrümmern ihren Schläger; Hildebrandt fordert: "Lasst die Luft aus den Bällen." Vor allem der Ball verleidet ihm den Spaß am Sport. Wenn Emotionen wie Wut oder Hass die Wahrnehmung beeinflussen, ist auch der akustische Genuss getrübt. Das absolute Gehör eines Tennisspielers vermag die Qualität eines Schlages an seiner Klangfarbe zu erkennen. Ob "dieses schöne Blobb mit Hall", das weniger ohrenfreundliche Blöbb" oder "dieses höchst gefährliche Blitsch" ertönt, hänge von der Bespannung ab und von der Technik, lehrt Hildebrandt; das "Blömpf" eines "Rahmenballes" zeuge einfach nur von Unvermögen. Und wenn es ganz schlimm kommt, hört der professionelle Spötter den Filz sogar feixen. "Ich behaupte steif und fest, dass es schon Bälle gegeben hat, die, nachdem sie hinter mir im Feld aufgesprungen waren, ,Kuckuck' gerufen haben."
Mit der akustischen Analyse seiner gestörten Ball-Beziehung schlägt der Autor sich ein. Die Misstöne bürgerlicher Tennis-Gemeinschaften klingen schriller und fieser als das gefährlichste Blitsch und das dumpfeste Blömpf. In nahezu jeder Großfamilie, die sich Tennisclub nennt, tun sich menschliche Abgründe auf. Es wird "gehäkelt, geflüstert und gehetzt". Um die scheinbar endlose Tiefe dieser Abgründe zu veranschaulichen, nimmt der Ich-Erzähler den Leser mit zum "Laubenschlag" - so heißt die Anlage seines "Clubs", der ohne Vorstand und Kassierer auskommt, sonst aber alles besitzt, was nötig ist. Hauptschauplatz sind "diese zehn Plätze, auf denen mein Herz herumliegt und Teile meiner Galle, ein paar Eimer Schweiß und auch eine Menge Geld, ganz zu schweigen von dem verkochten Alkohol".
An zwei Orten kommt mitunter die tiefschwarze Seite zum Vorschein, die auch dem anständigsten Charakter innewohnt: im Auto und auf dem Tennisplatz. Aus braven Bürgern werden gemeine, ja gefährliche Menschen. "Es iss so, als wenn die, wenn die die rote Asche schnuppern, die ganze Erziehung und die Bildung, mit der sie sich so groß tun, in die Tonne schmeißen", sagt "Lärge" Nitschke, der Tennislehrer aus Breslau, der die "Laubenschläger" trainiert. Im Club bricht sich oftmals nicht nur das Ballgefühl Bahn - so etwa beim gemischten Doppel. Die Rechtsanwälte Mettke und Klein leben von ihren Gattinnen getrennt, weil Herr Mettke und Frau Klein, die reife "Mäuse-Monroe" mit tiefem Ausschitt und kurzem Röckchen, ein ehebrecherisches Verhältnis unterhalten. Ihr gemischtes Doppel spielen die Ehepaare unbeirrt weiter.
Tennis kann zusammenhalten, was nicht mehr zusammengehört, und - ebenso absurd - trennen, was alles andere überdauert hat. Doktor Kuhnert, der Ranglistenerste am Laubenschlag, und der Zweitplatzierte Rosenbauer kennen sich seit dem Krieg; später haben sie sich gegenseitig als Nazis denunziert und, vertreten durch die Anwälte Mettke und Klein, gegeneinander prozessiert. Dennoch sind sie Freunde geworden. Zu Feinden, zu erbitterten Feinden, hat sie erst die gemeinsame Passion gemacht. In einem wichtigen Ranglistenspiel ging es um eine Rückhand, die Kuhnert in die äußerste Ecke geschlagen hatte. Der Schiedsrichter gab den Ball "gut", Rosenbauer sagte "Aus", Kuhnert schwieg. Dann fiel der Satz, der die Männerfreundschaft zerschmettert hat. Rosenbauer sagte zu Kuhnert: "Betrüger".
Hildebrandt gesteht seiner Liebe, die so viel Leiden schafft, letztlich nur einen Vorteil zu. "Ein Abseits oder ähnliche intellektuelle Zusatzhandicaps gibt es beim Tennis nicht." RICHARD LEIPOLD
Besprochenes Buch: Dieter Hildebrandt: "Tennis", Deutscher Taschenbuch Verlag, München (dtv-Reihe "Kleine Philosophie der Passionen"), 111 Seiten, 14,90 Mark.
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