77 Lektionen, das Leben besser zu verstehen
Das Leben stellt uns jeden Tag viele Fragen: Wie kann ich im richtigen Moment nein sagen? Warum benötige ich für ein Vorhaben immer mehr Zeit, als ich anfangs geschätzt habe? Macht das Sehen von Gewalt gewalttätig? Sind Kinderkrippen schädlich? Kann ich mich bei Kaufentscheidungen auf mein Gefühl verlassen? Kommt mit dem Alter auch die Weisheit?
Diese und über 70 andere alltagsrelevante Fragen beantwortet der Autor vor dem Hintergrund anerkannter Studien. Dabei verzichtet er auf unnötige Theorie und konzentriert sich auf den praktischen Nutzwert für den Leser – mit dem Ergebnis, dass wir unser Leben besser verstehen und im Alltag besser handeln können.
Das Leben stellt uns jeden Tag viele Fragen: Wie kann ich im richtigen Moment nein sagen? Warum benötige ich für ein Vorhaben immer mehr Zeit, als ich anfangs geschätzt habe? Macht das Sehen von Gewalt gewalttätig? Sind Kinderkrippen schädlich? Kann ich mich bei Kaufentscheidungen auf mein Gefühl verlassen? Kommt mit dem Alter auch die Weisheit?
Diese und über 70 andere alltagsrelevante Fragen beantwortet der Autor vor dem Hintergrund anerkannter Studien. Dabei verzichtet er auf unnötige Theorie und konzentriert sich auf den praktischen Nutzwert für den Leser – mit dem Ergebnis, dass wir unser Leben besser verstehen und im Alltag besser handeln können.
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 28.04.2008Wer das Tüchlein wählt
Zu den unvermeidlichen Lautsprecherdurchsagen auf deutschen Bahnsteigen gehört jene, wonach der erwartete Zug wegen einer Verzögerung im Betriebsablauf soundso viele Minuten Verspätung habe. Es ist die Variante, deren Begründungsaufwand für die mitgeteilte Verspätung gegen Null tendiert. Schließlich könnte man sie auch übersetzen in: Weil es zu Verspätungen kommt, kommt der Zug später. Aber trotzdem läuft sie nicht auf die schlichte Feststellung hinaus, dass der Zug nun einmal nicht pünktlich komme. Es gibt da offenbar einen Mehrwert, der in dem kleinen Wörtchen "weil" steckt und unabhäging davon ist, welche "Begründung" es im Schlepptau hat.
Solcher Vermutung kann man auf kalten Bahnsteigen nachhängen. Man kann aber auch in einem Band nachschlagen, der auf bündige Weise psychologische Experimente referiert, die manche Lebenssituationen erhellen (Rolf Reber: "Kleine Psychologie des Alltäglichen". 77 Lektionen, das Leben besser zu verstehen. Verlag C. H. Beck, München 2008. 149 S., br., 9,95 [Euro]). In der dritten Lektion resümiert dort der Autor, selbst Professor für Kognitionspsychologie, das Experiment einer amerikanischen Psychologin, die sich am Kopierer mit verschiedenen Begründungen Vortritt erbat. Und siehe da, zumindest bei wenigen Kopien funktioniert die Pseudobegründung, "Darf ich kopieren, weil ich Kopien machen muss?", genauso gut wie die Äußerung eingängiger Gründe.
Der Einwand, dass man für diese Einsicht wohl nicht unbedingt ein Experiment gebraucht hätte, geht am entscheidenden Punkt vorbei. Natürlich wissen wir meist, wie leicht wir auf den verschiedensten Gebieten auf bestimmte Anmutungen hereinfallen. Ebenso wie wir vage wissen, um einige der im Buch beleuchteten Phänomene heranzuziehen, wie Vorurteile oder Gerüchte funktionieren, wie unzuverlässig Erinnerungen sind und einfallsreich unser Umgang mit ihnen, und dass man nachher immer klüger ist. Doch der Reiz der Experimente besteht gerade darin, die Effekte deutlich vor sich zu haben, zumal wir mit unseren Vermutungen auch nicht immer richtig liegen. Viel Aufwand braucht es dazu in der Regel gar nicht, aber gute Ideen beim Entwerfen der experimentellen Settings.
Niemand muss erst erklären, dass es einen Zusammenhang zwischen körperlicher und moralischer "Reinheit" gibt. Aber wie hübsch die Idee, Versuchspersonen moralisch gute oder verwerfliche eigene Handlungen aufschreiben und sie dann zwischen kleinen Geschenken wählen zu lassen, unter denen sich auch ein Erfrischungstüchlein befindet. Und richtig, zwei Drittel der mit einem moralischen Sündenfall Beschäftigten wählten das Tüchlein. Ging es ausschließlich um eigene Sündenfälle und bekam danach die Hälfte der Versuchspersonen Gelegenheit, sich die Hände zu reinigen, war diese Hälfte dann deutlich schwerer zu einer spontanen Hilfestellung für einen in Verlegenheit geratenen Doktoranden zu motivieren. So lernt man, Symbolik nicht zu unterschätzen, also keinesfalls für bloß symbolisch zu halten.
Vom sozialen Sündenfall zur Strafe ist es ein kleiner Schritt, der Verhaltensökonomen schnell auf die Frage bringt, wie viel wir es uns eigentlich kosten lassen, das eigennützige Verhalten anderer zu bestrafen. Hier besteht das Experiment in einem Spiel um Geld. Die Teilnehmer konnten entweder in ein Gruppenprojekt investieren, das zu einer Mehrung des Einsatzes und dessen Verteilung an alle Spieler führte. Es gab aber auch die Option, sein Geld für sich zu behalten und auf diese Weise, sofern die anderen ins Gruppenprojekt investierten, sogar noch besser abzuschneiden. Doch dieses Verhalten konnte von den anderen mit einem gewissen Aufwand bestraft werden. Tatsächlich wurde dieser Aufwand investiert und die egoistischen Spieler blieben davon nicht unbeeindruckt.
Dieses Experiment lässt an das noch einfachere denken, bei dem es um die Auszahlung einer bestimmten Summe an zwei Personen geht: Die eine Person legt fest, in welchem Verhältnis der Betrag zwischen den beiden aufgeteilt wird, die andere Person aber muss dieser Aufteilung zustimmen, damit es überhaupt zu einer Auszahlung kommt. Andernfalls gehen beide leer aus. Auch hier zeigte sich, dass wir uns die Bestrafung des zu deutlich nur auf seinen eigenen Nutzen sehenden Mitspielers durchaus etwas kosten lassen.
Als rational hätte man dagegen ansehen können, dass jede vorgeschlagene Aufteilung akzeptiert wird, weil schließlich wenig immer noch mehr als nichts ist. Die evolutionären Anthropologen brachte das übrigens auf eine Idee, und sie entwarfen ein entsprechendes Experiment für unsere stammesgeschichtlich nächsten Verwandten, indem es nicht um Geld, sondern um Früchte ging. Im Gegensatz zu uns akzeptierten die Schimpansen noch die unfairste Aufteilung und entpuppten sich als rationale Maximierer. Woran sich zeigte, dass sie die Form tief angelegter sozialer Kooperation noch nicht kennen, die unser Leben von Anfang an bestimmt. Einige der uns daraus entstehenden Verwicklungen kann man sich mit den Lektionen des vorliegenden Bandes vor Augen führen.
HELMUT MAYER
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Zu den unvermeidlichen Lautsprecherdurchsagen auf deutschen Bahnsteigen gehört jene, wonach der erwartete Zug wegen einer Verzögerung im Betriebsablauf soundso viele Minuten Verspätung habe. Es ist die Variante, deren Begründungsaufwand für die mitgeteilte Verspätung gegen Null tendiert. Schließlich könnte man sie auch übersetzen in: Weil es zu Verspätungen kommt, kommt der Zug später. Aber trotzdem läuft sie nicht auf die schlichte Feststellung hinaus, dass der Zug nun einmal nicht pünktlich komme. Es gibt da offenbar einen Mehrwert, der in dem kleinen Wörtchen "weil" steckt und unabhäging davon ist, welche "Begründung" es im Schlepptau hat.
Solcher Vermutung kann man auf kalten Bahnsteigen nachhängen. Man kann aber auch in einem Band nachschlagen, der auf bündige Weise psychologische Experimente referiert, die manche Lebenssituationen erhellen (Rolf Reber: "Kleine Psychologie des Alltäglichen". 77 Lektionen, das Leben besser zu verstehen. Verlag C. H. Beck, München 2008. 149 S., br., 9,95 [Euro]). In der dritten Lektion resümiert dort der Autor, selbst Professor für Kognitionspsychologie, das Experiment einer amerikanischen Psychologin, die sich am Kopierer mit verschiedenen Begründungen Vortritt erbat. Und siehe da, zumindest bei wenigen Kopien funktioniert die Pseudobegründung, "Darf ich kopieren, weil ich Kopien machen muss?", genauso gut wie die Äußerung eingängiger Gründe.
Der Einwand, dass man für diese Einsicht wohl nicht unbedingt ein Experiment gebraucht hätte, geht am entscheidenden Punkt vorbei. Natürlich wissen wir meist, wie leicht wir auf den verschiedensten Gebieten auf bestimmte Anmutungen hereinfallen. Ebenso wie wir vage wissen, um einige der im Buch beleuchteten Phänomene heranzuziehen, wie Vorurteile oder Gerüchte funktionieren, wie unzuverlässig Erinnerungen sind und einfallsreich unser Umgang mit ihnen, und dass man nachher immer klüger ist. Doch der Reiz der Experimente besteht gerade darin, die Effekte deutlich vor sich zu haben, zumal wir mit unseren Vermutungen auch nicht immer richtig liegen. Viel Aufwand braucht es dazu in der Regel gar nicht, aber gute Ideen beim Entwerfen der experimentellen Settings.
Niemand muss erst erklären, dass es einen Zusammenhang zwischen körperlicher und moralischer "Reinheit" gibt. Aber wie hübsch die Idee, Versuchspersonen moralisch gute oder verwerfliche eigene Handlungen aufschreiben und sie dann zwischen kleinen Geschenken wählen zu lassen, unter denen sich auch ein Erfrischungstüchlein befindet. Und richtig, zwei Drittel der mit einem moralischen Sündenfall Beschäftigten wählten das Tüchlein. Ging es ausschließlich um eigene Sündenfälle und bekam danach die Hälfte der Versuchspersonen Gelegenheit, sich die Hände zu reinigen, war diese Hälfte dann deutlich schwerer zu einer spontanen Hilfestellung für einen in Verlegenheit geratenen Doktoranden zu motivieren. So lernt man, Symbolik nicht zu unterschätzen, also keinesfalls für bloß symbolisch zu halten.
Vom sozialen Sündenfall zur Strafe ist es ein kleiner Schritt, der Verhaltensökonomen schnell auf die Frage bringt, wie viel wir es uns eigentlich kosten lassen, das eigennützige Verhalten anderer zu bestrafen. Hier besteht das Experiment in einem Spiel um Geld. Die Teilnehmer konnten entweder in ein Gruppenprojekt investieren, das zu einer Mehrung des Einsatzes und dessen Verteilung an alle Spieler führte. Es gab aber auch die Option, sein Geld für sich zu behalten und auf diese Weise, sofern die anderen ins Gruppenprojekt investierten, sogar noch besser abzuschneiden. Doch dieses Verhalten konnte von den anderen mit einem gewissen Aufwand bestraft werden. Tatsächlich wurde dieser Aufwand investiert und die egoistischen Spieler blieben davon nicht unbeeindruckt.
Dieses Experiment lässt an das noch einfachere denken, bei dem es um die Auszahlung einer bestimmten Summe an zwei Personen geht: Die eine Person legt fest, in welchem Verhältnis der Betrag zwischen den beiden aufgeteilt wird, die andere Person aber muss dieser Aufteilung zustimmen, damit es überhaupt zu einer Auszahlung kommt. Andernfalls gehen beide leer aus. Auch hier zeigte sich, dass wir uns die Bestrafung des zu deutlich nur auf seinen eigenen Nutzen sehenden Mitspielers durchaus etwas kosten lassen.
Als rational hätte man dagegen ansehen können, dass jede vorgeschlagene Aufteilung akzeptiert wird, weil schließlich wenig immer noch mehr als nichts ist. Die evolutionären Anthropologen brachte das übrigens auf eine Idee, und sie entwarfen ein entsprechendes Experiment für unsere stammesgeschichtlich nächsten Verwandten, indem es nicht um Geld, sondern um Früchte ging. Im Gegensatz zu uns akzeptierten die Schimpansen noch die unfairste Aufteilung und entpuppten sich als rationale Maximierer. Woran sich zeigte, dass sie die Form tief angelegter sozialer Kooperation noch nicht kennen, die unser Leben von Anfang an bestimmt. Einige der uns daraus entstehenden Verwicklungen kann man sich mit den Lektionen des vorliegenden Bandes vor Augen führen.
HELMUT MAYER
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Perlentaucher-Notiz zur F.A.Z.-Rezension
Angetan zeigt sich Helmut Mayer von Rolf Rebers Buch über die "Psychologie des Alltäglichen". Er bescheinigt dem Kognitionspsychologen, eine Reihe von mehr oder weniger bekannten psychologischen Phänomenen einleuchtend zu erklären: warum Pseudobegründungen meistens erfolgreich sein, wie Gerüchte und Vorurteile funktionieren oder welchen Zusammenhang es zwischen moralischer und körperlicher "Reinheit" gibt. Dass für viele der präsentierten Einsichten nicht unbedingt Experimente notwendig gewesen wären, ist für Mayer kein echter Einwand, schätzt er das Buch doch gerade wegen der referierten Experimente, deren Reiz für ihn darin besteht, "die Effekte deutlich vor sich zu haben".
© Perlentaucher Medien GmbH
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