Manche Menschen öffnen sich wie Blumen: Langsam, bedächtig entfaltet sich jedes Blütenblatt, reagierend, bestätigend. Nicola Barker beschreibt präzise, wie bizarre Beziehungen zwischen Menschen auf einen Abrund zu führen können. Ein fabelhafter, spannender, grotesker wie humorvoller -eben britischer- Roman. In kleine Verhältnisse machen starke Frauen den Männern das Leben ganz schön schwer.
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 01.08.1997Liguster bis zum Abwinken
Zerwühlte Gemüsebeete: Nicola Barkers Beklommenheitsroman
Das unendliche Repertoire der Romanliteratur läßt sich nicht durch formale Unterschiede in übersichtliche Genres teilen: Seit eh und je wird es nach Inhalt und Sujet geschieden in Abenteuerroman, Ehebruchsroman, Bildungsroman. Ein neuer Typus dominiert mittlerweile in der Gegenwartsliteratur, den man den "Beklommenheitsroman" nennen könnte. In dieser Gattung kündigt der Erzähler sogleich zu Beginn der Geschichte an, daß etwas Ungeheuerliches geschehen werde, und von nun an wiederholt er seine Drohung alle paar Seiten. Einmal raunt er selbst von etwas, was sich zusammenbraut, dann wieder läßt er eine Figur nach der anderen dahinterkommen, daß ein Unglück in der Luft hängt; jedenfalls wird der Leser mit Warnungen überschüttet und durch die Drohgebärden, mit denen das Schicksal winkt, dermaßen eingeschüchtert, daß er es nicht wagt, sich von der sehr ereignislosen Bühne des Romangeschehens zu verabschieden und das Buch aus der Hand zu legen. Angesichts der Dürftigkeit des Plots drängt sich der Verdacht auf, daß die Beklommenheit, die unter den Figuren herrscht, nur ein Vorwand ist, um eine Spannung zu erzeugen, die die Handlungsarmut des Romans kaschieren soll.
Nicola Barkers "Kleine Verhältnisse" sind nur ein Exemplar aus der reichlichen Auswahl, die für diesen Typ von Roman bereits zur Verfügung steht, doch beherrscht die Autorin das Genre perfekt. Andeutungen sind nahezu der einzige Inhalt ihres Büchleins, das sich, wie so viele kleine Schilderungen kleiner Verhältnisse, die zur Zeit kursieren, fast zu unrecht "Roman" nennt. Was sich so nennt, ist ein Zustand zwischen Hangen und Bangen. Die Dialoge der Figuren haben die Struktur des Verfolgungswahns: "Dann hast sogar du gemerkt", sagt eine Hellhörige zur Naiven, "daß etwas los ist. Sogar du hast es endlich gemerkt." - "Ich will nur sagen . . ." - "Geh vom Schlimmsten aus." - "Soweit wird es wohl kaum kommen." Das Schema erfüllt sich um so sicherer, je weniger sich die Warnungen erfüllen; denn wo nichts geschieht, kann weiter gewarnt werden.
Bei Nicola Barker droht ein Schicksalsschlag, über dessen Charakter und Bedingungen der Leser gänzlich im ungewissen bleibt. Es geht um eine "Parkangelegenheit", ein Abstraktum, aus dem die Phantasie, die sich einen Reim auf die Geheimnistuerei machen möchte, keinen Funken schlagen kann. Eine Gruppe von Gärtnern muß einen Park, den sie lange gepflegt hat, aufgeben, und offenbar aus Verzweiflung zerstört einer von ihnen lieber, was er verlieren soll, als daß er es - oder sich - klaglos opfert.
Das aufgeregte Leserherz muß all seine Erwartungen aufgeben und sich auf die minimal art einer subtilen Zeichnung von leisesten Winken einlassen. Manchmal gibt es unter den Verzweifelten eine blutige Nase, manchmal ein zerwühltes Gemüsebeet, manchmal eine Ladung Liguster von unsinnigen Ausmaßen - aber was ist das schon gegen all die Versprechungen, die da gemacht werden, um einen kriminalistischen Sinn zu reizen, der sich an Agatha Christie und Simenon geschult hat!
Die Kuriosität der Figuren soll für die Dürftigkeit der Handlung entschädigen: Die eine hat nur ein Bein, die andere ist ein Schwergewicht, die dritte eine Mischung aus Hindu und Griechin, eine "Hybride", wie es heißt - doch ist das ganze Genre dieses "Beklommenheitsromans" eine Hybridzüchtung "zur Erzielung einer hohen markt- oder betriebsgerechten . . . Produktion durch Bastardwüchsigkeit", um Meyers Enzyklopädie zu zitieren. HANNELORE SCHLAFFER
Nicola Barker: "Kleine Verhältnisse". Roman. Aus dem Englischen übersetzt von Brigitte Heinrich. Suhrkamp Verlag, Frankfurt am Main 1997. 189 S., geb., 38,- DM.
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Zerwühlte Gemüsebeete: Nicola Barkers Beklommenheitsroman
Das unendliche Repertoire der Romanliteratur läßt sich nicht durch formale Unterschiede in übersichtliche Genres teilen: Seit eh und je wird es nach Inhalt und Sujet geschieden in Abenteuerroman, Ehebruchsroman, Bildungsroman. Ein neuer Typus dominiert mittlerweile in der Gegenwartsliteratur, den man den "Beklommenheitsroman" nennen könnte. In dieser Gattung kündigt der Erzähler sogleich zu Beginn der Geschichte an, daß etwas Ungeheuerliches geschehen werde, und von nun an wiederholt er seine Drohung alle paar Seiten. Einmal raunt er selbst von etwas, was sich zusammenbraut, dann wieder läßt er eine Figur nach der anderen dahinterkommen, daß ein Unglück in der Luft hängt; jedenfalls wird der Leser mit Warnungen überschüttet und durch die Drohgebärden, mit denen das Schicksal winkt, dermaßen eingeschüchtert, daß er es nicht wagt, sich von der sehr ereignislosen Bühne des Romangeschehens zu verabschieden und das Buch aus der Hand zu legen. Angesichts der Dürftigkeit des Plots drängt sich der Verdacht auf, daß die Beklommenheit, die unter den Figuren herrscht, nur ein Vorwand ist, um eine Spannung zu erzeugen, die die Handlungsarmut des Romans kaschieren soll.
Nicola Barkers "Kleine Verhältnisse" sind nur ein Exemplar aus der reichlichen Auswahl, die für diesen Typ von Roman bereits zur Verfügung steht, doch beherrscht die Autorin das Genre perfekt. Andeutungen sind nahezu der einzige Inhalt ihres Büchleins, das sich, wie so viele kleine Schilderungen kleiner Verhältnisse, die zur Zeit kursieren, fast zu unrecht "Roman" nennt. Was sich so nennt, ist ein Zustand zwischen Hangen und Bangen. Die Dialoge der Figuren haben die Struktur des Verfolgungswahns: "Dann hast sogar du gemerkt", sagt eine Hellhörige zur Naiven, "daß etwas los ist. Sogar du hast es endlich gemerkt." - "Ich will nur sagen . . ." - "Geh vom Schlimmsten aus." - "Soweit wird es wohl kaum kommen." Das Schema erfüllt sich um so sicherer, je weniger sich die Warnungen erfüllen; denn wo nichts geschieht, kann weiter gewarnt werden.
Bei Nicola Barker droht ein Schicksalsschlag, über dessen Charakter und Bedingungen der Leser gänzlich im ungewissen bleibt. Es geht um eine "Parkangelegenheit", ein Abstraktum, aus dem die Phantasie, die sich einen Reim auf die Geheimnistuerei machen möchte, keinen Funken schlagen kann. Eine Gruppe von Gärtnern muß einen Park, den sie lange gepflegt hat, aufgeben, und offenbar aus Verzweiflung zerstört einer von ihnen lieber, was er verlieren soll, als daß er es - oder sich - klaglos opfert.
Das aufgeregte Leserherz muß all seine Erwartungen aufgeben und sich auf die minimal art einer subtilen Zeichnung von leisesten Winken einlassen. Manchmal gibt es unter den Verzweifelten eine blutige Nase, manchmal ein zerwühltes Gemüsebeet, manchmal eine Ladung Liguster von unsinnigen Ausmaßen - aber was ist das schon gegen all die Versprechungen, die da gemacht werden, um einen kriminalistischen Sinn zu reizen, der sich an Agatha Christie und Simenon geschult hat!
Die Kuriosität der Figuren soll für die Dürftigkeit der Handlung entschädigen: Die eine hat nur ein Bein, die andere ist ein Schwergewicht, die dritte eine Mischung aus Hindu und Griechin, eine "Hybride", wie es heißt - doch ist das ganze Genre dieses "Beklommenheitsromans" eine Hybridzüchtung "zur Erzielung einer hohen markt- oder betriebsgerechten . . . Produktion durch Bastardwüchsigkeit", um Meyers Enzyklopädie zu zitieren. HANNELORE SCHLAFFER
Nicola Barker: "Kleine Verhältnisse". Roman. Aus dem Englischen übersetzt von Brigitte Heinrich. Suhrkamp Verlag, Frankfurt am Main 1997. 189 S., geb., 38,- DM.
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