"Kleiner Bruder" ist eine kunstvolle Hommage an Peter Brasch, den Berliner Schriftsteller, Künstler und Liebenden. Der Autor Stefano Zangrando ist wiederholt seinen Spuren nachgereist und hat mit Menschen gesprochen, die Peter Brasch nahestanden. Daraus hervorgegangen ist das Bild eines rastlosen Rebellen, der sich an Widerständen in der eigenen Familie und in zwei deutschen Staaten abarbeitete. Zangrando rekapituliert Braschs Arbeit als Autor, Regisseur und Dramaturg. In dieser intimen Annäherung kommen seine frühe Hinwendung zur Literatur sowie die Liebe zu den Frauen, dem Theater, der Poesie, aber auch zum Alkohol zur Sprache. Diese erfundene und gefundene Biografie ist in ein Porträt der Künstler-Szene im Prenzlauer Berg eingebettet, deren Teil Peter Brasch war.
Perlentaucher-Notiz zur Süddeutsche Zeitung-Rezension
Rezensent Lothar Müller trifft in Stefano Zangrandos Buch den Schriftsteller Peter Brasch. Der Autor zeichnet ihn als Bruder von Thomas Brasch und als literarische Figur, der der Autor und sein Erzähler-Ich im Buch in Berliner Archiven und in den Briefen an Thomas Brasch nachspürt, wie Müller erklärt. Mit der zusätzlichen Montage von Roman- und Gedichtauszügen und der Besichtigung von Braschs Lebensstationen schafft Zangrando laut Rezensent ein vielschichtiges Porträt des Schriftstellers.
© Perlentaucher Medien GmbH
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Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 17.12.2020Auch er in Berlinien
Stefano Zangrandos Blick auf eine fremde Stadt
Schönhausen ist in etlichen Bundesländern, in Ost wie West, eine Gemeinde. In Pankow ist es ein Schloss, in dem nach den Königen des alten Preußens der Präsident der jungen DDR schöner wohnte. Und in Getrenntschreibung ist es ein Romantitel: "Schön hausen" von Peter Brasch. Dieser war der kleine Bruder von Thomas und Klaus und der große von Marion. Nach seinem Tod 2001 gesellt sich ihm wahlverwandtschaftlich Stefano Zangrando als kleiner Bruder hinzu. Der italienische Autor, 1973 im Trentino geboren, besuchte Ost-Berlin erstmals nach 1989 und hat Peter Brasch nie persönlich kennengelernt, in ihm aber sofort einen Seelenverwandten erkannt.
Das liegt keineswegs an dem Protagonisten aus "Schön hausen", dem Italiener Gianluca, den es aus Sizilien in die Hauptstadt der DDR verschlägt, denn diesen Roman hat der Erzähler von Zangrandos autobiographisch gefärbtem Collagewerk "Kleiner Bruder" erst kennengelernt, als der Funke schon per Filmaufnahme übergesprungen war. Als er Braschs Buch dann liest, stellt er schonungslos fest: "Es war kein Meisterwerk", um noch im selben Atemzug nachzuschieben, "doch die Vorstellungskraft, die darin steckte, hatte etwas Unwiderstehliches."
Die überbordende Phantasie Peters, wie er im Buch nur genannt wird, begeistert den Erzähler immer wieder, selbst wenn er bei einem Werk mitunter das Gefühl hat, "vor der Abstrusität dieses Textes kapitulieren zu müssen". Die eigene interpretatorische Überforderung bemäntelt er indes nicht, indem er Peter beispielsweise zum verkannten Genie stilisiert. Im Gegenteil, er stellt ihn als begabt, aber nicht überragend dar, als facettenreiche Person, die den Rand der Gesellschaft suchte und jedes Zentrum mied. Vielleicht lag das am strahlenden Licht des großen Bruders Thomas, vielleicht hat Peter mit seinem schmalen OEuvre aus einem Roman, wenigen Erzählungen und dramatischen Werken, Gedichten und Zeichnungen aber auch tatsächlich alles aus sich herausgeholt, was es in ihm gab, das lässt Zangrando offen.
Überhaupt psychologisiert er wenig. Die familiäre Situation muss grauenvoll gewesen sein, Vater Horst ein hohes Tier in der DDR, Bruder Thomas nach dem Prager Frühling ausgewiesen, Bruder Klaus und Mutter Gerda schon gestorben, als Peter Mitte zwanzig war. Alkohol spielte bei fast allen eine verhängnisvolle Rolle. Die einzige Schwester, Marion, hat die Familiengeschichte bereits in ihrem Roman "Ab jetzt ist Ruhe" aufgegriffen, in den sie zudem politische Aspekte einwebt.
Auch die fehlen bei Zangrando weitgehend. Er beschränkt sich meist darauf, in Berlin auf die Suche nach einem verlorenen Land zu gehen, um dieses zu begreifen. Mit der Figur Peters macht er es nicht anders. Er will verstehen, wohl auch sich selbst, seine eigene Faszination. So flaniert er mit geradezu staunender Unbedarftheit durch Berlin, um Eindrücke aufzunehmen, nicht um Urteile zu fällen. Das bedeutet den Verzicht auf Analyse, macht das Buch jedoch grundsätzlich sympathisch und trägt den Text. Dies zeigt sich im mittleren Teil, als der Erzähler den Frauen um Peter herum buchstäblich die Bühne überlässt. Sie, die auch alle nur mit Vornamen genannt werden, proben ein Stück, das seine Persönlichkeit fassen soll. Diese Passagen schwanken zwischen hagiographischer Hymne und pädagogischem Protestsong.
Dann ergreift der Erzähler wieder das Wort - und die wohltuende Verunsicherung ist zurück. Innerlich lasse sie ihn zusammenzucken, kann er offen zugeben, die Einschätzung Peters, nach 1989 habe sich ein Übergang von einer "Diktatrie" zu einer "Demokratur" vollzogen. "Aber leb doch mal mit einer Biografie und einer Geschichte, durch die ein solcher Bruch geht. Und in der das zweite Kapitel sich die Deutungshoheit über das erste herausnimmt."
Zangrando baut Auszüge aus Originaltexten Peter Braschs in sein Werk ein. Die Figur im Roman übersetzt einen Teil von "Schön hausen" ins Italienische, Zangrando selbst hat Ingo Schulze übertragen, der für "Kleiner Bruder" das Vorwort besorgt hat. Dieses Zeugnis deutsch-italienischer Seelenverwandtschaft wiederum ist nun auch eine "Abrechnung mit dem, was Berlin mehr als ein Jahrzehnt lang für mich gewesen war, dieser Habenichts, der mich aufgenommen hatte, um mir eine seiner vielen Geschichten zu erzählen", nun aber "realistisch, spießig und gewinnorientiert" geworden ist, passend gemacht, "für Kinderwagen, markige Fahrräder aus Weichmetalllegierungen und Mini Countrymen". Es ist eine Abrechnung ohne jede Ostalgie, dafür aber voller Wärme.
CHRISTIANE PÖHLMANN
Stefano Zangrando: "Kleiner Bruder".
Aus dem Italienischen von Michaela Heissenberger. Eulenspiegel Verlag, Berlin 2020. 224 S., geb., 20,- [Euro].
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Stefano Zangrandos Blick auf eine fremde Stadt
Schönhausen ist in etlichen Bundesländern, in Ost wie West, eine Gemeinde. In Pankow ist es ein Schloss, in dem nach den Königen des alten Preußens der Präsident der jungen DDR schöner wohnte. Und in Getrenntschreibung ist es ein Romantitel: "Schön hausen" von Peter Brasch. Dieser war der kleine Bruder von Thomas und Klaus und der große von Marion. Nach seinem Tod 2001 gesellt sich ihm wahlverwandtschaftlich Stefano Zangrando als kleiner Bruder hinzu. Der italienische Autor, 1973 im Trentino geboren, besuchte Ost-Berlin erstmals nach 1989 und hat Peter Brasch nie persönlich kennengelernt, in ihm aber sofort einen Seelenverwandten erkannt.
Das liegt keineswegs an dem Protagonisten aus "Schön hausen", dem Italiener Gianluca, den es aus Sizilien in die Hauptstadt der DDR verschlägt, denn diesen Roman hat der Erzähler von Zangrandos autobiographisch gefärbtem Collagewerk "Kleiner Bruder" erst kennengelernt, als der Funke schon per Filmaufnahme übergesprungen war. Als er Braschs Buch dann liest, stellt er schonungslos fest: "Es war kein Meisterwerk", um noch im selben Atemzug nachzuschieben, "doch die Vorstellungskraft, die darin steckte, hatte etwas Unwiderstehliches."
Die überbordende Phantasie Peters, wie er im Buch nur genannt wird, begeistert den Erzähler immer wieder, selbst wenn er bei einem Werk mitunter das Gefühl hat, "vor der Abstrusität dieses Textes kapitulieren zu müssen". Die eigene interpretatorische Überforderung bemäntelt er indes nicht, indem er Peter beispielsweise zum verkannten Genie stilisiert. Im Gegenteil, er stellt ihn als begabt, aber nicht überragend dar, als facettenreiche Person, die den Rand der Gesellschaft suchte und jedes Zentrum mied. Vielleicht lag das am strahlenden Licht des großen Bruders Thomas, vielleicht hat Peter mit seinem schmalen OEuvre aus einem Roman, wenigen Erzählungen und dramatischen Werken, Gedichten und Zeichnungen aber auch tatsächlich alles aus sich herausgeholt, was es in ihm gab, das lässt Zangrando offen.
Überhaupt psychologisiert er wenig. Die familiäre Situation muss grauenvoll gewesen sein, Vater Horst ein hohes Tier in der DDR, Bruder Thomas nach dem Prager Frühling ausgewiesen, Bruder Klaus und Mutter Gerda schon gestorben, als Peter Mitte zwanzig war. Alkohol spielte bei fast allen eine verhängnisvolle Rolle. Die einzige Schwester, Marion, hat die Familiengeschichte bereits in ihrem Roman "Ab jetzt ist Ruhe" aufgegriffen, in den sie zudem politische Aspekte einwebt.
Auch die fehlen bei Zangrando weitgehend. Er beschränkt sich meist darauf, in Berlin auf die Suche nach einem verlorenen Land zu gehen, um dieses zu begreifen. Mit der Figur Peters macht er es nicht anders. Er will verstehen, wohl auch sich selbst, seine eigene Faszination. So flaniert er mit geradezu staunender Unbedarftheit durch Berlin, um Eindrücke aufzunehmen, nicht um Urteile zu fällen. Das bedeutet den Verzicht auf Analyse, macht das Buch jedoch grundsätzlich sympathisch und trägt den Text. Dies zeigt sich im mittleren Teil, als der Erzähler den Frauen um Peter herum buchstäblich die Bühne überlässt. Sie, die auch alle nur mit Vornamen genannt werden, proben ein Stück, das seine Persönlichkeit fassen soll. Diese Passagen schwanken zwischen hagiographischer Hymne und pädagogischem Protestsong.
Dann ergreift der Erzähler wieder das Wort - und die wohltuende Verunsicherung ist zurück. Innerlich lasse sie ihn zusammenzucken, kann er offen zugeben, die Einschätzung Peters, nach 1989 habe sich ein Übergang von einer "Diktatrie" zu einer "Demokratur" vollzogen. "Aber leb doch mal mit einer Biografie und einer Geschichte, durch die ein solcher Bruch geht. Und in der das zweite Kapitel sich die Deutungshoheit über das erste herausnimmt."
Zangrando baut Auszüge aus Originaltexten Peter Braschs in sein Werk ein. Die Figur im Roman übersetzt einen Teil von "Schön hausen" ins Italienische, Zangrando selbst hat Ingo Schulze übertragen, der für "Kleiner Bruder" das Vorwort besorgt hat. Dieses Zeugnis deutsch-italienischer Seelenverwandtschaft wiederum ist nun auch eine "Abrechnung mit dem, was Berlin mehr als ein Jahrzehnt lang für mich gewesen war, dieser Habenichts, der mich aufgenommen hatte, um mir eine seiner vielen Geschichten zu erzählen", nun aber "realistisch, spießig und gewinnorientiert" geworden ist, passend gemacht, "für Kinderwagen, markige Fahrräder aus Weichmetalllegierungen und Mini Countrymen". Es ist eine Abrechnung ohne jede Ostalgie, dafür aber voller Wärme.
CHRISTIANE PÖHLMANN
Stefano Zangrando: "Kleiner Bruder".
Aus dem Italienischen von Michaela Heissenberger. Eulenspiegel Verlag, Berlin 2020. 224 S., geb., 20,- [Euro].
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