Produktdetails
- Aufbau Taschenbücher
- Verlag: Aufbau TB
- Seitenzahl: 372
- Gewicht: 292g
- ISBN-13: 9783746653020
- Artikelnr.: 24070335
Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 15.03.2016Kind und
Kodderschnauze
Ein Hörspiel nach Falladas
„Kleiner Mann – was nun?“
Es ist einer der entzückendsten Kosenamen der deutschen Literatur: Lämmchen. Wie man überhaupt Hans Falladas Emma Mörschel nicht mehr vergisst in ihrer vom Autor wohlkalkulierten Mischung aus sorglos-naiv und patent-trotzig. Denn eines ist die junge Heldin aus „Kleiner Mann – was nun?“ nicht: ein Opferlamm. Das ist schon eher Johannes Pinneberg, ihr „Junge“. Fallada schildert in seinem bekanntesten Roman, erschienen 1932, den schrittweisen Abstieg des kleinen Angestellten am Vorabend des Dritten Reichs – ein Schwanengesang, der trotzdem den Autor nicht davor schützte, wenig später seinen „Knicks“ vor den Nazis zu machen.
„Armut ist nicht nur Elend, Armut ist auch strafwürdig. Armut ist Makel, Armut heißt Verdacht“, heißt es an einer Stelle. Bei aller seziermesserscharfen Diagnose: Fallada wäre nicht Fallada, wenn die autobiografisch eingefärbte Geschichte ohne Hoffnung enden würde: „Du bist doch bei mir, wir sind doch beisammen . . . “ Dabei funkeln über dem Paar die Sterne, und in ihrem Gartenlaubenheim schlummert das gemeinsame Kind.
Birgit Vanderbeke hat in ihrem Nachwort zu Falladas unlängst erschienenen „Schönsten Geschichten“ ganz richtig erkannt, dass der Schriftsteller „die Neigung hatte, sich erzählerisch die Biografie wie auch ganz umfassend die Welt etwas zu harmonisieren . . . “ Das verwundert einen immer wieder, war Fallada doch zeitlebens ein psychisch wie physisch (An)Geschlagener: alkohol- und morphiumsüchtig.
Fallada, der bürgerlich Rudolf Ditzen hieß, liebte Märchen. In den 1930er-Jahren schrieb er selber welche unter dem Titel „Geschichten aus der Murkelei“ und sie sind wunderschön. Murkel ist auch der Name des nicht geplanten Kindes, das „Lämmchen“ und ihr „Junge“ am Anfang von „Kleiner Mann – was nun?“ erwarten. Einmal auf der Welt, macht es das Leben der beiden nicht leichter. Und bedeutet doch das ganze Glück.
Der neusachliche Roman ist genau genommen ein sozialromantisches Märchen. So interpretierte es auch Irene Schuck, die ihn für den NDR als Hörspiel adaptierte. Im Vordergrund ihrer etwas mehr als einstündigen Fassung steht das junge Ehepaar, stehen dessen Nöte. Der Rest der Geschichte – Politik, Berliner Milieu, Gaunereien – wird angedeutet, aber nicht mehr als zum Verständnis nötig ausgeleuchtet. Das gelingt, weil in Astrid Meyerfeldt als Johannesʼ biestig-larmoyanter Mutter Mia und Matthias Brandt als deren halbseidenem Luftikus-Freund Jachmann zwei großartig präsente Schauspieler zur Verfügung stehen.
Einen passenderen „Jungen“ als Nico Holonics kann man sich schwer vorstellen. Er verleiht seiner Rolle genau das richtige Maß an zarter Verzweiflung. Ihm zur Seite die wunderbare Laura Maire als „Lämmchen“: mal ganz Kind, mal Kodderschnauze, mal zweckoptimistisch tapfer und forsch. Die beiden liefern sich herrliche Dialogpingpongs. Dazu zwitschern die Vögel, prasselt der Regen, säuselt eine Einschlafuhr. Und für authentisches Zwanzigerjahre-Flair sorgt die an Hanns Eisler erinnernde Hintergrund- und Zwischenmusik, komponiert von Sabine Worthmann.
FLORIAN WELLE
Hans Fallada: Kleiner Mann – was nun? Mit Laura Maire, Nico Holonics u.a. Osterworld Audio, Hamburg 2016. 1 CD, Laufzeit 75 Min., 12 Euro.
Der neusachliche Roman
ist im Grunde ein
sozialromantisches Märchen
DIZdigital: Alle Rechte vorbehalten – Süddeutsche Zeitung GmbH, München
Jegliche Veröffentlichung und nicht-private Nutzung exklusiv über www.sz-content.de
Kodderschnauze
Ein Hörspiel nach Falladas
„Kleiner Mann – was nun?“
Es ist einer der entzückendsten Kosenamen der deutschen Literatur: Lämmchen. Wie man überhaupt Hans Falladas Emma Mörschel nicht mehr vergisst in ihrer vom Autor wohlkalkulierten Mischung aus sorglos-naiv und patent-trotzig. Denn eines ist die junge Heldin aus „Kleiner Mann – was nun?“ nicht: ein Opferlamm. Das ist schon eher Johannes Pinneberg, ihr „Junge“. Fallada schildert in seinem bekanntesten Roman, erschienen 1932, den schrittweisen Abstieg des kleinen Angestellten am Vorabend des Dritten Reichs – ein Schwanengesang, der trotzdem den Autor nicht davor schützte, wenig später seinen „Knicks“ vor den Nazis zu machen.
„Armut ist nicht nur Elend, Armut ist auch strafwürdig. Armut ist Makel, Armut heißt Verdacht“, heißt es an einer Stelle. Bei aller seziermesserscharfen Diagnose: Fallada wäre nicht Fallada, wenn die autobiografisch eingefärbte Geschichte ohne Hoffnung enden würde: „Du bist doch bei mir, wir sind doch beisammen . . . “ Dabei funkeln über dem Paar die Sterne, und in ihrem Gartenlaubenheim schlummert das gemeinsame Kind.
Birgit Vanderbeke hat in ihrem Nachwort zu Falladas unlängst erschienenen „Schönsten Geschichten“ ganz richtig erkannt, dass der Schriftsteller „die Neigung hatte, sich erzählerisch die Biografie wie auch ganz umfassend die Welt etwas zu harmonisieren . . . “ Das verwundert einen immer wieder, war Fallada doch zeitlebens ein psychisch wie physisch (An)Geschlagener: alkohol- und morphiumsüchtig.
Fallada, der bürgerlich Rudolf Ditzen hieß, liebte Märchen. In den 1930er-Jahren schrieb er selber welche unter dem Titel „Geschichten aus der Murkelei“ und sie sind wunderschön. Murkel ist auch der Name des nicht geplanten Kindes, das „Lämmchen“ und ihr „Junge“ am Anfang von „Kleiner Mann – was nun?“ erwarten. Einmal auf der Welt, macht es das Leben der beiden nicht leichter. Und bedeutet doch das ganze Glück.
Der neusachliche Roman ist genau genommen ein sozialromantisches Märchen. So interpretierte es auch Irene Schuck, die ihn für den NDR als Hörspiel adaptierte. Im Vordergrund ihrer etwas mehr als einstündigen Fassung steht das junge Ehepaar, stehen dessen Nöte. Der Rest der Geschichte – Politik, Berliner Milieu, Gaunereien – wird angedeutet, aber nicht mehr als zum Verständnis nötig ausgeleuchtet. Das gelingt, weil in Astrid Meyerfeldt als Johannesʼ biestig-larmoyanter Mutter Mia und Matthias Brandt als deren halbseidenem Luftikus-Freund Jachmann zwei großartig präsente Schauspieler zur Verfügung stehen.
Einen passenderen „Jungen“ als Nico Holonics kann man sich schwer vorstellen. Er verleiht seiner Rolle genau das richtige Maß an zarter Verzweiflung. Ihm zur Seite die wunderbare Laura Maire als „Lämmchen“: mal ganz Kind, mal Kodderschnauze, mal zweckoptimistisch tapfer und forsch. Die beiden liefern sich herrliche Dialogpingpongs. Dazu zwitschern die Vögel, prasselt der Regen, säuselt eine Einschlafuhr. Und für authentisches Zwanzigerjahre-Flair sorgt die an Hanns Eisler erinnernde Hintergrund- und Zwischenmusik, komponiert von Sabine Worthmann.
FLORIAN WELLE
Hans Fallada: Kleiner Mann – was nun? Mit Laura Maire, Nico Holonics u.a. Osterworld Audio, Hamburg 2016. 1 CD, Laufzeit 75 Min., 12 Euro.
Der neusachliche Roman
ist im Grunde ein
sozialromantisches Märchen
DIZdigital: Alle Rechte vorbehalten – Süddeutsche Zeitung GmbH, München
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