Produktdetails
- Verlag: Altberliner Vlg
- ISBN-13: 9783357008448
- Artikelnr.: 20944259
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 08.05.1999Der Mann im Kind
Schwimmbadneckereien und andere Sorgen
Hände am Hosenlatz, rutschende Kniestrümpfe, Füße, die sich im Wege stehen, dicke Brillengläser und ein verzagter Mund - Martin tritt zum Wettbewerb im Weitpinkeln an. Keinesfalls darf er sich blamieren, denn seit dem letzten Schwimmunterricht sind sich die Jungens seiner Klasse einig: Martins Zizi ist lachhaft klein. Adrien, der kleine Macker, will den Makel entdeckt haben. Lässig das Handtuch über die Schulter geworfen, mit beiden Beinen fest auf den glitschigen Fliesen stehend, verkündet er die vermeintliche Schmach.
Ob Martins Zizi tatsächlich so mickrig ist, läßt sich schwer beurteilen: Die Schwimmbadepisode wird aus einer Perspektive von oben gezeigt, eher verzerrend als realitätsnah. Hier geht es auch nicht um objektive Größenverhältnisse, sondern um Blickwinkel - so, als vergegenwärtige sich ein Erwachsener Szenen aus seiner Kindheit. Die besondere Sichtweise erklärt auch, warum in der kümmerlichen Verfassung des kleinen Martin Rührendes und Komisches zu entdecken ist und warum ein Typ wie Adrien, der für manches Kind die Hölle sein kann, auch sehr lächerlich wirkt.
Überhaupt erinnern die erdigen Farben, der sandgelbe Hintergrund an vergilbte Fotografien aus einem Familienalbum. Die Schulmöbel stammen aus Zeiten, in denen die Anschaffung elektronischer Medien noch keinen Schuletat sprengen konnte und die Jungen wie verkleidete kleine Männer aussahen. Gut möglich also, daß das Künstlerteam Lenain und Poulin eine Geschichte aus Kindheitstagen schildert. Dafür spricht auch der rückblickende, manchmal etwas weitschweifig-behäbige Erzählton. Es klingt künstlich, wenn ein kleines Mädchen zu einem Gleichaltrigen sagt: "Du stinkst zu sehr nach Eitelkeit." Sobald es um die Liebe geht, neigt der Text zum Pathos, und ohne eine Moral kommt die sonst recht freizügige Geschichte auch nicht aus. Besorgte Knaben freilich könnte die tröstliche Botschaft am Schluß beruhigen.
Wie der Wettbewerb im Weitpinkeln ausgeht, läßt sich angesichts Martins verklemmter Körperhaltung leicht erraten: Kein Tropfen will sich aus seiner vollen Blase lösen. Martin kann das nicht verstehen, er hatte hart trainiert. Wenn so ein kleiner Zizi schon solche Zicken macht, wie wird es erst mit einem großen? Martin sorgt sich; denn seine verehrte Anaïs will später einmal zehn Babys haben. Mit ihr, der Vielumschwärmten, scheint es allerdings nichts zu werden. Nur der Sieger des Wettbewerbs darf ihr Liebster sein - so haben es jedenfalls Adrien und seine Kumpels beschlossen. Natürlich ist es Adrien, der vorerst triumphiert. Dann aber staunen die Jungs: Der selbstbewußten Anaïs sind Zizigrößen und Pinkelerfolge schnuppe, Martins verweinte Augen aber nicht.
MYRIAM MIELES
Thierry Lenain / Stéphane Poulin: "Kleiner Zizi". Aus dem Französischen von Michaela Kolodziejcok. Alterberliner Verlag, Berlin 1999. 32 S., geb., 24,80 DM. Ab 4 J.
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Schwimmbadneckereien und andere Sorgen
Hände am Hosenlatz, rutschende Kniestrümpfe, Füße, die sich im Wege stehen, dicke Brillengläser und ein verzagter Mund - Martin tritt zum Wettbewerb im Weitpinkeln an. Keinesfalls darf er sich blamieren, denn seit dem letzten Schwimmunterricht sind sich die Jungens seiner Klasse einig: Martins Zizi ist lachhaft klein. Adrien, der kleine Macker, will den Makel entdeckt haben. Lässig das Handtuch über die Schulter geworfen, mit beiden Beinen fest auf den glitschigen Fliesen stehend, verkündet er die vermeintliche Schmach.
Ob Martins Zizi tatsächlich so mickrig ist, läßt sich schwer beurteilen: Die Schwimmbadepisode wird aus einer Perspektive von oben gezeigt, eher verzerrend als realitätsnah. Hier geht es auch nicht um objektive Größenverhältnisse, sondern um Blickwinkel - so, als vergegenwärtige sich ein Erwachsener Szenen aus seiner Kindheit. Die besondere Sichtweise erklärt auch, warum in der kümmerlichen Verfassung des kleinen Martin Rührendes und Komisches zu entdecken ist und warum ein Typ wie Adrien, der für manches Kind die Hölle sein kann, auch sehr lächerlich wirkt.
Überhaupt erinnern die erdigen Farben, der sandgelbe Hintergrund an vergilbte Fotografien aus einem Familienalbum. Die Schulmöbel stammen aus Zeiten, in denen die Anschaffung elektronischer Medien noch keinen Schuletat sprengen konnte und die Jungen wie verkleidete kleine Männer aussahen. Gut möglich also, daß das Künstlerteam Lenain und Poulin eine Geschichte aus Kindheitstagen schildert. Dafür spricht auch der rückblickende, manchmal etwas weitschweifig-behäbige Erzählton. Es klingt künstlich, wenn ein kleines Mädchen zu einem Gleichaltrigen sagt: "Du stinkst zu sehr nach Eitelkeit." Sobald es um die Liebe geht, neigt der Text zum Pathos, und ohne eine Moral kommt die sonst recht freizügige Geschichte auch nicht aus. Besorgte Knaben freilich könnte die tröstliche Botschaft am Schluß beruhigen.
Wie der Wettbewerb im Weitpinkeln ausgeht, läßt sich angesichts Martins verklemmter Körperhaltung leicht erraten: Kein Tropfen will sich aus seiner vollen Blase lösen. Martin kann das nicht verstehen, er hatte hart trainiert. Wenn so ein kleiner Zizi schon solche Zicken macht, wie wird es erst mit einem großen? Martin sorgt sich; denn seine verehrte Anaïs will später einmal zehn Babys haben. Mit ihr, der Vielumschwärmten, scheint es allerdings nichts zu werden. Nur der Sieger des Wettbewerbs darf ihr Liebster sein - so haben es jedenfalls Adrien und seine Kumpels beschlossen. Natürlich ist es Adrien, der vorerst triumphiert. Dann aber staunen die Jungs: Der selbstbewußten Anaïs sind Zizigrößen und Pinkelerfolge schnuppe, Martins verweinte Augen aber nicht.
MYRIAM MIELES
Thierry Lenain / Stéphane Poulin: "Kleiner Zizi". Aus dem Französischen von Michaela Kolodziejcok. Alterberliner Verlag, Berlin 1999. 32 S., geb., 24,80 DM. Ab 4 J.
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main