Die DDR ist tot - es leben die Ostprodukte. Die (N)Ostalgie-Welle schwappt durch Deutschland, und nicht nur durch die neuen Länder. So viele neue Konsumgüter der Westen auch zu bieten haben mag, einige traditionelle Marken kann er einfach nicht ersetzen, wie z. B. das Reinigungsmittel ATA (-außen Putz und innen Schmutz-), den beliebten Hansa-Keks ( der -entgegen anderslautenden Vermutungen nicht aus Lehm gebrannt, sondern gebacken war-) oder die gute alte Vita Cola (-in partnerschaftlicher Zusammenarbeit mit einer Fabrik für Büroleim entwickelt-). Mit beißender Ironie und einem Hauch von Nostalgie erinnert sich Reinhard Ulbrich an all die schönen Sachen von -damals-, die es wahrlich wert sind, nicht in Vergessenheit zu geraten.
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 06.02.1997Grobschlächtig, schwer zu handhaben, irgendwie altmodisch
Ein "Verdienter Einkäufer des Volkes" blickt zurück - im kleinen Lexikon großer Ostprodukte
Do. FRANKFURT, 5. Februar. "Eigentlich gibt es ja bei den wenigsten Ostprodukten Anlaß zur Nostalgie . . . " Reinhard Ulbrich, 1953 in Ost-Berlin geboren, weiß, wovon er spricht. Denn er hat nicht nur Anglistik, Amerikanistik und Germanistik studiert, sondern auch alle Konsum-Filialen und Kaufhallen der DDR. Was er dabei erlebt und erlitten hat, läßt sich nun nachlesen: in seinem "Kleinen Lexikon großer Ostprodukte". Eigentlich, meint Ulbrich, hätte er für seine Einkaufsmühen mit dem Kampforden "Keine Angst vor langen Schlangen" ausgezeichnet werden müssen, aber er habe es nur bis zum "Goldenen Schneemann" (Wintersportabzeichen für Kinder) gebracht. Den Titel "Verdienter Einkäufer des Volkes" nimmt er allerdings für sich in Anspruch.
Ulbrich hat viel Humor, Satire und Respektlosigkeit aufgeboten (und eben ein bißchen nostalgische Erinnerung), um dem Leser die Lektüre schmackhaft und die Situation verständlich zu machen. Die pfiffig formulierten Produktbeschreibungen von "Alekto-Besteck" und "Ata", über "Goldi" und "Kathi", bis hin zu "Zekiwa" und "Ziphona" liest man mit einem lachenden und einem weinenden Auge - aus Spaß an den Einfällen und schreiberischen Künsten des Autors, aus Betroffenheit und Zorn über den grauen Produktalltag in der "größten DDR der Welt" (Zitat). Daß sich manches im nachhinein zu verklären scheint, deutet der Verlag an: "Die große Resonanz der Leser zeigt, daß die Erinnerung an die guten alten ,Markenprodukte' ungebrochen ist." In Ulbrichs Lexikon liest sich das zum Beispiel so: "Konsum-Brot: Eine einzigartige Erfindung - kaum geliefert, schon hart. Völlig zu Recht bedachte der Volksmund dieses Ostprodukt mit dem Reim: Rums, schon wieder einer tot vom ollen Konsum-Brot." Und über die Uhren aus Ruhla (Thüringen) berichtet der Autor: Sie seien so oft falsch gegangen, daß Volkes Stimme den Chronometer mit ätzendem Spott belegt habe: "Ruhla-Uhren gehen nach wie vor." Auch das "Mifa"-Fahrrad, die Konkurrenzmarke zum "Diamant-Rad", war unter die Räder des Volksspotts gekommen: "Wer Mifa fährt, fährt nie verkehrt, weil Mifa überhaupt nicht fährt."
Unter dem Stichwort "Intershop" schildert Ulbrich, wie begehrt Devisen oder - als Ersatz - die sogenannten Forum-Schecks gewesen sind (mit denen man Westprodukte oder auch diverse DDR-Erzeugnisse in den Intershops kaufen konnte): "Was sagt der Handwerksmeister, wenn man ihn zur Reparatur bestellt? Ganz einfach: Forum geht's denn?"
Aufschlußreich und amüsant sind zudem Ulbrichs Beschreibungen der HO-Geschäfte ("Wenn auf etwas unfehlbar Verlaß war, dann darauf, daß unbedingt etwas fehlte"), der Kaufhallen (mit Regalbrettern, "die selbst dann durchhingen, wenn sie gar nichts zu tragen hatten") und der Einkaufsgewohnheiten (unter dem Stichwort "Einkaufsbeutel").
Über die früheren "Halloren-Kugeln" witzelt Ulbrich: "In der DDR schwankte ihr Geschmack je nach verfügbaren Rohstoffen zwischen Kokosflocken und Kokosläufer." Und das Endprodukt des "Kathi"-Kloßmehls beschreibt der Autor als kugelrundes Gebilde mit betonhartem Kern und glasiger Außenhülle, das die Volksarmee mit Granatwerfern hinter die Linien des Klassenfeinds hätte verschießen können. Die "Erika"-Schreibmaschine habe sich nur zum Arbeiten bewegen lassen, wenn man die Tastatur unter Einsatz aller Kraftreserven angeschlagen habe, und die "Pentacon"-Fotoapparate seien aus Metallteilen gefertigt worden, die auch als Schiffswand hätten verarbeitet werden können.
Unter dem Stichwort "Ziphona" (Plattenspieler und Radiokomponenten "der besonders wuchtigen Art") faßt Ulbrich die "klassischen Merkmale" der DDR-Produkte zusammen: "grobschlächtig, schwer zu handhaben, irgendwie altmodisch - und manchmal doch auf eine sehr persönliche, ganz und gar unerklärliche Weise gehaßliebt". Zu einigen Produkten ist die Liebe bis heute nicht erloschen; sie ziehen mit der neuen Zeit: Rotkäppchen-Sekt zum Beispiel, Halberstädter Würstchen, Radeberger Bier, Spee Waschmittel und die schon erwähnten Halloren-Kugeln (Ulbrich: inzwischen aus "allerfeinsten Zutaten"), die - wie nur wenige Produkte aus den neuen Bundesländern - das Glück haben, auch im westdeutschen Handel "gelistet" zu sein.
Reinhard Ulbrich: Kleines Lexikon großer Ostprodukte. Micado Verlag, Köthen 1996, 134 Seiten, 16,80 DM.
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Ein "Verdienter Einkäufer des Volkes" blickt zurück - im kleinen Lexikon großer Ostprodukte
Do. FRANKFURT, 5. Februar. "Eigentlich gibt es ja bei den wenigsten Ostprodukten Anlaß zur Nostalgie . . . " Reinhard Ulbrich, 1953 in Ost-Berlin geboren, weiß, wovon er spricht. Denn er hat nicht nur Anglistik, Amerikanistik und Germanistik studiert, sondern auch alle Konsum-Filialen und Kaufhallen der DDR. Was er dabei erlebt und erlitten hat, läßt sich nun nachlesen: in seinem "Kleinen Lexikon großer Ostprodukte". Eigentlich, meint Ulbrich, hätte er für seine Einkaufsmühen mit dem Kampforden "Keine Angst vor langen Schlangen" ausgezeichnet werden müssen, aber er habe es nur bis zum "Goldenen Schneemann" (Wintersportabzeichen für Kinder) gebracht. Den Titel "Verdienter Einkäufer des Volkes" nimmt er allerdings für sich in Anspruch.
Ulbrich hat viel Humor, Satire und Respektlosigkeit aufgeboten (und eben ein bißchen nostalgische Erinnerung), um dem Leser die Lektüre schmackhaft und die Situation verständlich zu machen. Die pfiffig formulierten Produktbeschreibungen von "Alekto-Besteck" und "Ata", über "Goldi" und "Kathi", bis hin zu "Zekiwa" und "Ziphona" liest man mit einem lachenden und einem weinenden Auge - aus Spaß an den Einfällen und schreiberischen Künsten des Autors, aus Betroffenheit und Zorn über den grauen Produktalltag in der "größten DDR der Welt" (Zitat). Daß sich manches im nachhinein zu verklären scheint, deutet der Verlag an: "Die große Resonanz der Leser zeigt, daß die Erinnerung an die guten alten ,Markenprodukte' ungebrochen ist." In Ulbrichs Lexikon liest sich das zum Beispiel so: "Konsum-Brot: Eine einzigartige Erfindung - kaum geliefert, schon hart. Völlig zu Recht bedachte der Volksmund dieses Ostprodukt mit dem Reim: Rums, schon wieder einer tot vom ollen Konsum-Brot." Und über die Uhren aus Ruhla (Thüringen) berichtet der Autor: Sie seien so oft falsch gegangen, daß Volkes Stimme den Chronometer mit ätzendem Spott belegt habe: "Ruhla-Uhren gehen nach wie vor." Auch das "Mifa"-Fahrrad, die Konkurrenzmarke zum "Diamant-Rad", war unter die Räder des Volksspotts gekommen: "Wer Mifa fährt, fährt nie verkehrt, weil Mifa überhaupt nicht fährt."
Unter dem Stichwort "Intershop" schildert Ulbrich, wie begehrt Devisen oder - als Ersatz - die sogenannten Forum-Schecks gewesen sind (mit denen man Westprodukte oder auch diverse DDR-Erzeugnisse in den Intershops kaufen konnte): "Was sagt der Handwerksmeister, wenn man ihn zur Reparatur bestellt? Ganz einfach: Forum geht's denn?"
Aufschlußreich und amüsant sind zudem Ulbrichs Beschreibungen der HO-Geschäfte ("Wenn auf etwas unfehlbar Verlaß war, dann darauf, daß unbedingt etwas fehlte"), der Kaufhallen (mit Regalbrettern, "die selbst dann durchhingen, wenn sie gar nichts zu tragen hatten") und der Einkaufsgewohnheiten (unter dem Stichwort "Einkaufsbeutel").
Über die früheren "Halloren-Kugeln" witzelt Ulbrich: "In der DDR schwankte ihr Geschmack je nach verfügbaren Rohstoffen zwischen Kokosflocken und Kokosläufer." Und das Endprodukt des "Kathi"-Kloßmehls beschreibt der Autor als kugelrundes Gebilde mit betonhartem Kern und glasiger Außenhülle, das die Volksarmee mit Granatwerfern hinter die Linien des Klassenfeinds hätte verschießen können. Die "Erika"-Schreibmaschine habe sich nur zum Arbeiten bewegen lassen, wenn man die Tastatur unter Einsatz aller Kraftreserven angeschlagen habe, und die "Pentacon"-Fotoapparate seien aus Metallteilen gefertigt worden, die auch als Schiffswand hätten verarbeitet werden können.
Unter dem Stichwort "Ziphona" (Plattenspieler und Radiokomponenten "der besonders wuchtigen Art") faßt Ulbrich die "klassischen Merkmale" der DDR-Produkte zusammen: "grobschlächtig, schwer zu handhaben, irgendwie altmodisch - und manchmal doch auf eine sehr persönliche, ganz und gar unerklärliche Weise gehaßliebt". Zu einigen Produkten ist die Liebe bis heute nicht erloschen; sie ziehen mit der neuen Zeit: Rotkäppchen-Sekt zum Beispiel, Halberstädter Würstchen, Radeberger Bier, Spee Waschmittel und die schon erwähnten Halloren-Kugeln (Ulbrich: inzwischen aus "allerfeinsten Zutaten"), die - wie nur wenige Produkte aus den neuen Bundesländern - das Glück haben, auch im westdeutschen Handel "gelistet" zu sein.
Reinhard Ulbrich: Kleines Lexikon großer Ostprodukte. Micado Verlag, Köthen 1996, 134 Seiten, 16,80 DM.
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main