David Foster Wallace ist eine der auffälligsten Stimmen der jungen amerikanischen Literatur. Die Vielseitigkeit seiner Themen, sein Hang zum Grotesken, sein kreativer Umgang mit Sprache und seine scharfe Beobachtungsgabe machen diese Stories zu einer aufregenden Lektüre. Als Kind ist David Foster Wallace in Werbespots aufgetreten. Früh scheint er Sprache und Gestik des Fernseh- und Werbezeitalters registriert zu haben, und dieses Thema hat ihn nicht mehr losgelassen. Er stellt in seinen Stories die schrille Exotik und auch die Einsamkeit der Menschen in einer Mega-TV-Quiz-Show dar oder das verschwommene Realitätsbewusstsein von TV-Promis.Das unglaubliche Sprachtalent des Autors, seine tollkühnen Metaphern, sein Spaß beim Verballhornen und beim Schaffen neuer Bilder zeigt sich in allen Stories, ist geschickt abgestimmt auf die jeweiligen Figuren - säbelbeinige, hartgesottene Oklahoma-Boys, einen Yuppi-Anwalt, der sich mit Punks umgibt, oder den ehemaligen Präsidenten Johnson und seine Gattin Lady Bird, die aus der Sicht eines schwulen Mitarbeiters dargestellt werden. David Foster Wallace ist beim Schreiben unglaublich risikofreudig und kennt - sehr zum Vergnügen des Lesers - absolut keine Berührungsängste.
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Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 31.03.2001Die Quizfrage des Seins
David F. Wallace kürt die Kandidaten · Von Richard Kämmerlings
In seinem Essay "Das Nullmedium oder Warum alle Klagen über das Fernsehen gegenstandslos sind" machte sich Hans Magnus Enzensberger schon 1988 über eine ideologiekritische Medientheorie lustig, die kurz zuvor mit der Einführung des Privatfernsehens zu neuer Blüte gelangt war. Fast zur gleichen Zeit, als der einstige Kritiker der "Bewußtseinsindustrie" im Fernseher die "buddhistische Maschine" entdeckte, erschien in den Vereinigten Staaten der Erzählungsband "Girl with Curious Hair" von David Foster Wallace, der sich wie eine direkte Replik lesen läßt. Denn das fiktionale Universum des 1962 geborenen Wallace fällt mit dem gekrümmten Kosmos der Medien zusammen: Es kennt wie dieser keine Grenze und läuft doch immer wieder nur endlos in sich selbst zurück.
"Palindrome, musikalische Astrologie, Achtzehntes Jahrhundert, Berühmte Eduarde, Die Bibel, Geschichte der Mode, Gemütszustände, Sportarten ohne Ball" lauten die Wissensgebiete von Folge 46 der TV-Rateshow "Jeopardy!", die zum Wendepunkt der bis dahin mäßig erfolgreichen Sendung werden wird. Julie Smith, eine im Auftreten unsichere, verschüchterte junge Frau, kann jede Frage beantworten und wird mit einem Schlag zur landesweiten Berühmtheit. Sie wird auch in den folgenden siebenhundert Sendungen ihren verzweifelnden Herausforderern keine Chance lassen und damit die Einschaltquoten in traumhafte Höhen treiben.
"Tiere sehen dich an", die erste Geschichte des Bandes, ist ein wunderbares Beispiel für die Virtuosität, mit der Wallace aus einem trivialen Stoff erzählerische Funken schlägt. Das Sittenbild der Showbranche mit alkoholabhängigen Producern, sexistischen Moderatoren und intriganten Strippenziehern ist nur der Hintergrund für ein ganz anderes mediales Format: die Soap-opera. Die Fähigkeiten der mysteriösen Ratequeen Julie sind nämlich nur die Kehrseite einer traumatischen Kindheit, in der das Mädchen jahrelang mit ihrem autistischen Bruder weggesperrt wurde, um die Liebhaber ihrer alleinerziehenden Mutter nicht zu stören. Ihre Zeit vertrieben sich die Kinder mit der exzessiven Lektüre einer "obskuren, limitierten kanadischen Enzyklopädie", des "LaPlace's Guide to Total Data", aus dem Julie ihr außergewöhnliches Wissen bezieht. Die verkorkste Biographie, die Julie buchstäblich zu einem wandelnden Lexikon werden ließ, ist selber ein Stoff, aus dem die Albträume der Talkmaster sind.
Wallace spielt in fast allen Geschichten mit dem auffälligen Interesse des Fernsehens für Listen, Hitparaden, Akkumulationen von Daten aller Art, die an die Stelle von sinnvoll zusammengebundenen Erklärungen treten. Für jede Frage gibt es mehrere Antwortmöglichkeiten, für jede Handlung viele einleuchtende Motive. Doch anders als in der Quizshow erklingt kein Jingle, der dem Leser einen Wink gibt. "Was Julie nicht leiden kann: Grußpostkarten, Adoptiveltern, die ihre Liebesfähigkeit vorher nicht oder nur unrealistisch einschätzen, den Gestank von Schwefel, John Updike, Insekten mit Fühlern sowie überhaupt Tiere." Das Erscheinen des Großmeisters des amerikanischen Romans, der einer ganzen Generation die Verlaufsformen ihrer Beziehungsdramen durchdeklinierte, ist in dieser Reihe nicht zufällig. Gegen herkömmliche Formen des Realismus läuft Wallace erzählerisch Amok, indem er die Psychologie seiner Figuren durch einen schieren analytischen Exzeß aushebelt.
In der einleitenden, durchaus psychologisch präzise zu verstehenden "Urszene" der Erzählung wird Julie mit ihrem Bruder am Rande eines Highways, neben einer Kuhwiese ausgesetzt. Dies erklärt rückblickend sowohl die sexuelle Orientierung Julies, die in einer homosexuellen Beziehung zur Rechercheurin der Produktion lebt, als auch ihre einzige Achillesferse, eine ungewöhnliche Schwäche bei Tierfragen: Männer und Tiere haben seit jenem Tag für sie den gleichen leeren Blick, der sich wiederum im maskenhaften Angesicht des voyeuristischen Publikums und des gierigen Kameraauges verdoppelt. Die Übermotivation ist eine Falle für den Leser, der im Fernsehen wie in der Literatur auf die eingefahrene Spur lückenloser Kausalität gesetzt worden ist. In der Titelstory wird die sexuelle Perversion eines zynischen Yuppies, der mit einer Punkergang durch L.A. zieht und Befriedigung nur aus dem Anbrennen von Körperteilen gewinnt, mit einer Mißhandlung durch den Vater "erklärt". Diese Technik, nichts im unklaren zu belassen und gerade dadurch auf einer höheren Ebene zu verrätseln, teilt Wallace mit den Märchenplots von David Lynchs Filmen, denen er vor einigen Jahren einen ausführlichen Essay gewidmet hat.
Die Gesetze des Fernsehens braucht man nicht zu ironisieren, es genügt ihre Übererfüllung. In der Geschichte "Mein Auftritt", in der Edilyn, einer Schauspielerin, die Teilnahme an der "David-Letterman-Show" zum Psychotrip wird, windet sich das Mediengeschäft selbst in den Elfenbeinturmgängen der Selbstreflexion. So wie es längst keine Geheimnisse mehr hinter den Kulissen gibt, die noch entdeckt werden müßten, besteht die Welt insgesamt aus reiner Oberfläche. Letterman trägt vor der Kamera einen Zettel auf der Stirn, auf dem "Make up" steht. Bei ihm sei "alles nur Fake, aber das ist eben der entscheidende Punkt", sagt Rudy, Edilyns übervorsichtiger Mann, der eine Einladung zum Schafott wittert und daher für jede Eventualität des Gesprächsverlaufs gewappnet sein will: "Also nie laut lachen, setz dein Pokerface auf, tu so, als wär dir schon seit ewigen Zeiten klar, was für ein absurder Firlefanz das alles ist, lauter Klischees, Hype und Banalitäten - und eben deshalb ein Riesenspaß." Aber auch Täuschungen und Rollenspiele sind Realität und der von den Medien induzierte Gleichstrom der Schicksale und Stories kann entweder ein prickelndes Kitzeln der Neugier oder einen kräftigen Elektroschock beschädigter Selbstachtung auslösen. Der großartig parodierte Letterman scheitert an einer ebenbürtigen Partnerin, die die Rolle einer sich selbst zur Würstchenwerbung erniedrigenden Schauspielerexistenz so überzeugend spielt, daß keine Angriffsflächen bleiben. Edilyn gibt öffentlich eine Frau, die keine Illusionen mehr hat, um ihnen dann freilich privat dennoch auf den Leim zu gehen. Wer die verbotene Frage nach dem Sein stellt, fällt dem Schein zum Opfer. In einem programmatischen Essay über "Television and U.S. Fiction" hatte Wallace 1990 dargelegt, wie das "Nullmedium" dem Romanschriftsteller zur Muse werden kann. Daß man Vertrauen ins Fernsehen haben könne, klingt ungeheuerlich in einem Literaturbetrieb, der sich vor allem durch Distanz zu den Massenmedien definiert und in dem ein Walter Kempowski noch unlängst glaubte, durch reine Transkription das Kulturgefälle zwischen Joyce und Jauch abbilden zu können. Analog zu Enzensberger oder auch Norbert Niemann in seinem Roman "Wie man's nimmt" hält Wallace die Entlarvung der manipulatorischen Macht der Medien durch einen spionierenden Beobachter für abwegig; umgekehrt sei das Fernsehen unser aller Inneres geworden. Das Anschauen gerade der populärsten Sendungen bietet daher einen Blick in das Fenster der Seele.
Nicht jede der fünf in diesem Band versammelten Geschichten, die in Umfang und leitmotivischer Konzentration ans Novellistische heranreichen, ist von dieser hellsichtigen Qualität. Die Schockeffekte in "John Billy" folgen eher der Ästhetik des Splatterfilms und können auch im furiosen Sound der monologischen Suada nicht ganz das Selbstzweckhaft-Provozierende vermeiden. Auch die letzte Geschichte, eine biographische Phantasie über Lyndon B. Johnson aus der Sicht eines Privatsekretärs, erzeugt in ihrer zu schematischen Konfrontation fiktiver Details des präsidentialen Intimlebens mit seiner öffentlichen Persona jenen Eindruck von Eindimensionalität, den das Wörtlichnehmen der medialen Phantasmen aufbrechen soll. Dennoch sind auch diese schwächeren Stücke dieses Erzähldebüts lesenswert, das nun unter dem Titel "Kleines Mädchen mit komischen Haaren" von dem durch die harte Gaddis-Schule gegangenen Marcus Ingendaay ins Deutsche übersetzt und von Denis Scheck mit einem lesenswerten Nachwort versehen worden ist.
Diese Entdeckung erfolgt spät, aber nicht zu spät. Spät, weil David Foster Wallace spätestens nach dem Roman "Infinite Jest", seinem Opus magnum, als einer der bedeutendsten amerikanischen Autoren der jüngeren Generation gilt, hierzulande aber, trotz der großen Erfolge von Geistesverwandten wie DeLillo, Pynchon oder Gaddis, noch vollkommen unbekannt ist. Nicht zu spät, weil seine Stories nichts an ätzender Schärfe und intelligenter Komik verloren haben. Vielleicht hätten sie gar in der Ära vor Harald Schmidt oder Stefan Raab hierzulande nur für entsetzt-arrogantes Kopfschütteln über die Abgründe der amerikanischen Unterhaltungsindustrie gesorgt. Die Paradoxien einer ganz um den Fetisch Prominenz kreisenden Branche, die zugleich ihre eigenen Bedingungen genüßlich bloßstellt und alle kritischen Hiebe austänzelt, sind hinlänglich beschrieben. Doch indem Wallace das Augenzwinkern des Moderators auf eine romantische Ironie der Selbstaufhebung zurückblendet und zur Grundbedingung moderner Existenz erklärt, gesteht er dem Leser keinen Standpunkt außerhalb der medialen Arena zu. Diese Literatur, von so quasselnder Sinnlichkeit und intellektuellem Raffinement zugleich, stellt unermüdlich Fragen. Wir alle sind ihre Kandidaten.
David Foster Wallace: "Kleines Mädchen mit komischen Haaren". Stories. Aus dem Amerikanischen übersetzt von Marcus Ingendaay. Hrsg. und mit einem Nachwort von Denis Scheck. Verlag Kiepenheuer & Witsch, Köln 2001. 256 S., geb., 38,- DM.
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
David F. Wallace kürt die Kandidaten · Von Richard Kämmerlings
In seinem Essay "Das Nullmedium oder Warum alle Klagen über das Fernsehen gegenstandslos sind" machte sich Hans Magnus Enzensberger schon 1988 über eine ideologiekritische Medientheorie lustig, die kurz zuvor mit der Einführung des Privatfernsehens zu neuer Blüte gelangt war. Fast zur gleichen Zeit, als der einstige Kritiker der "Bewußtseinsindustrie" im Fernseher die "buddhistische Maschine" entdeckte, erschien in den Vereinigten Staaten der Erzählungsband "Girl with Curious Hair" von David Foster Wallace, der sich wie eine direkte Replik lesen läßt. Denn das fiktionale Universum des 1962 geborenen Wallace fällt mit dem gekrümmten Kosmos der Medien zusammen: Es kennt wie dieser keine Grenze und läuft doch immer wieder nur endlos in sich selbst zurück.
"Palindrome, musikalische Astrologie, Achtzehntes Jahrhundert, Berühmte Eduarde, Die Bibel, Geschichte der Mode, Gemütszustände, Sportarten ohne Ball" lauten die Wissensgebiete von Folge 46 der TV-Rateshow "Jeopardy!", die zum Wendepunkt der bis dahin mäßig erfolgreichen Sendung werden wird. Julie Smith, eine im Auftreten unsichere, verschüchterte junge Frau, kann jede Frage beantworten und wird mit einem Schlag zur landesweiten Berühmtheit. Sie wird auch in den folgenden siebenhundert Sendungen ihren verzweifelnden Herausforderern keine Chance lassen und damit die Einschaltquoten in traumhafte Höhen treiben.
"Tiere sehen dich an", die erste Geschichte des Bandes, ist ein wunderbares Beispiel für die Virtuosität, mit der Wallace aus einem trivialen Stoff erzählerische Funken schlägt. Das Sittenbild der Showbranche mit alkoholabhängigen Producern, sexistischen Moderatoren und intriganten Strippenziehern ist nur der Hintergrund für ein ganz anderes mediales Format: die Soap-opera. Die Fähigkeiten der mysteriösen Ratequeen Julie sind nämlich nur die Kehrseite einer traumatischen Kindheit, in der das Mädchen jahrelang mit ihrem autistischen Bruder weggesperrt wurde, um die Liebhaber ihrer alleinerziehenden Mutter nicht zu stören. Ihre Zeit vertrieben sich die Kinder mit der exzessiven Lektüre einer "obskuren, limitierten kanadischen Enzyklopädie", des "LaPlace's Guide to Total Data", aus dem Julie ihr außergewöhnliches Wissen bezieht. Die verkorkste Biographie, die Julie buchstäblich zu einem wandelnden Lexikon werden ließ, ist selber ein Stoff, aus dem die Albträume der Talkmaster sind.
Wallace spielt in fast allen Geschichten mit dem auffälligen Interesse des Fernsehens für Listen, Hitparaden, Akkumulationen von Daten aller Art, die an die Stelle von sinnvoll zusammengebundenen Erklärungen treten. Für jede Frage gibt es mehrere Antwortmöglichkeiten, für jede Handlung viele einleuchtende Motive. Doch anders als in der Quizshow erklingt kein Jingle, der dem Leser einen Wink gibt. "Was Julie nicht leiden kann: Grußpostkarten, Adoptiveltern, die ihre Liebesfähigkeit vorher nicht oder nur unrealistisch einschätzen, den Gestank von Schwefel, John Updike, Insekten mit Fühlern sowie überhaupt Tiere." Das Erscheinen des Großmeisters des amerikanischen Romans, der einer ganzen Generation die Verlaufsformen ihrer Beziehungsdramen durchdeklinierte, ist in dieser Reihe nicht zufällig. Gegen herkömmliche Formen des Realismus läuft Wallace erzählerisch Amok, indem er die Psychologie seiner Figuren durch einen schieren analytischen Exzeß aushebelt.
In der einleitenden, durchaus psychologisch präzise zu verstehenden "Urszene" der Erzählung wird Julie mit ihrem Bruder am Rande eines Highways, neben einer Kuhwiese ausgesetzt. Dies erklärt rückblickend sowohl die sexuelle Orientierung Julies, die in einer homosexuellen Beziehung zur Rechercheurin der Produktion lebt, als auch ihre einzige Achillesferse, eine ungewöhnliche Schwäche bei Tierfragen: Männer und Tiere haben seit jenem Tag für sie den gleichen leeren Blick, der sich wiederum im maskenhaften Angesicht des voyeuristischen Publikums und des gierigen Kameraauges verdoppelt. Die Übermotivation ist eine Falle für den Leser, der im Fernsehen wie in der Literatur auf die eingefahrene Spur lückenloser Kausalität gesetzt worden ist. In der Titelstory wird die sexuelle Perversion eines zynischen Yuppies, der mit einer Punkergang durch L.A. zieht und Befriedigung nur aus dem Anbrennen von Körperteilen gewinnt, mit einer Mißhandlung durch den Vater "erklärt". Diese Technik, nichts im unklaren zu belassen und gerade dadurch auf einer höheren Ebene zu verrätseln, teilt Wallace mit den Märchenplots von David Lynchs Filmen, denen er vor einigen Jahren einen ausführlichen Essay gewidmet hat.
Die Gesetze des Fernsehens braucht man nicht zu ironisieren, es genügt ihre Übererfüllung. In der Geschichte "Mein Auftritt", in der Edilyn, einer Schauspielerin, die Teilnahme an der "David-Letterman-Show" zum Psychotrip wird, windet sich das Mediengeschäft selbst in den Elfenbeinturmgängen der Selbstreflexion. So wie es längst keine Geheimnisse mehr hinter den Kulissen gibt, die noch entdeckt werden müßten, besteht die Welt insgesamt aus reiner Oberfläche. Letterman trägt vor der Kamera einen Zettel auf der Stirn, auf dem "Make up" steht. Bei ihm sei "alles nur Fake, aber das ist eben der entscheidende Punkt", sagt Rudy, Edilyns übervorsichtiger Mann, der eine Einladung zum Schafott wittert und daher für jede Eventualität des Gesprächsverlaufs gewappnet sein will: "Also nie laut lachen, setz dein Pokerface auf, tu so, als wär dir schon seit ewigen Zeiten klar, was für ein absurder Firlefanz das alles ist, lauter Klischees, Hype und Banalitäten - und eben deshalb ein Riesenspaß." Aber auch Täuschungen und Rollenspiele sind Realität und der von den Medien induzierte Gleichstrom der Schicksale und Stories kann entweder ein prickelndes Kitzeln der Neugier oder einen kräftigen Elektroschock beschädigter Selbstachtung auslösen. Der großartig parodierte Letterman scheitert an einer ebenbürtigen Partnerin, die die Rolle einer sich selbst zur Würstchenwerbung erniedrigenden Schauspielerexistenz so überzeugend spielt, daß keine Angriffsflächen bleiben. Edilyn gibt öffentlich eine Frau, die keine Illusionen mehr hat, um ihnen dann freilich privat dennoch auf den Leim zu gehen. Wer die verbotene Frage nach dem Sein stellt, fällt dem Schein zum Opfer. In einem programmatischen Essay über "Television and U.S. Fiction" hatte Wallace 1990 dargelegt, wie das "Nullmedium" dem Romanschriftsteller zur Muse werden kann. Daß man Vertrauen ins Fernsehen haben könne, klingt ungeheuerlich in einem Literaturbetrieb, der sich vor allem durch Distanz zu den Massenmedien definiert und in dem ein Walter Kempowski noch unlängst glaubte, durch reine Transkription das Kulturgefälle zwischen Joyce und Jauch abbilden zu können. Analog zu Enzensberger oder auch Norbert Niemann in seinem Roman "Wie man's nimmt" hält Wallace die Entlarvung der manipulatorischen Macht der Medien durch einen spionierenden Beobachter für abwegig; umgekehrt sei das Fernsehen unser aller Inneres geworden. Das Anschauen gerade der populärsten Sendungen bietet daher einen Blick in das Fenster der Seele.
Nicht jede der fünf in diesem Band versammelten Geschichten, die in Umfang und leitmotivischer Konzentration ans Novellistische heranreichen, ist von dieser hellsichtigen Qualität. Die Schockeffekte in "John Billy" folgen eher der Ästhetik des Splatterfilms und können auch im furiosen Sound der monologischen Suada nicht ganz das Selbstzweckhaft-Provozierende vermeiden. Auch die letzte Geschichte, eine biographische Phantasie über Lyndon B. Johnson aus der Sicht eines Privatsekretärs, erzeugt in ihrer zu schematischen Konfrontation fiktiver Details des präsidentialen Intimlebens mit seiner öffentlichen Persona jenen Eindruck von Eindimensionalität, den das Wörtlichnehmen der medialen Phantasmen aufbrechen soll. Dennoch sind auch diese schwächeren Stücke dieses Erzähldebüts lesenswert, das nun unter dem Titel "Kleines Mädchen mit komischen Haaren" von dem durch die harte Gaddis-Schule gegangenen Marcus Ingendaay ins Deutsche übersetzt und von Denis Scheck mit einem lesenswerten Nachwort versehen worden ist.
Diese Entdeckung erfolgt spät, aber nicht zu spät. Spät, weil David Foster Wallace spätestens nach dem Roman "Infinite Jest", seinem Opus magnum, als einer der bedeutendsten amerikanischen Autoren der jüngeren Generation gilt, hierzulande aber, trotz der großen Erfolge von Geistesverwandten wie DeLillo, Pynchon oder Gaddis, noch vollkommen unbekannt ist. Nicht zu spät, weil seine Stories nichts an ätzender Schärfe und intelligenter Komik verloren haben. Vielleicht hätten sie gar in der Ära vor Harald Schmidt oder Stefan Raab hierzulande nur für entsetzt-arrogantes Kopfschütteln über die Abgründe der amerikanischen Unterhaltungsindustrie gesorgt. Die Paradoxien einer ganz um den Fetisch Prominenz kreisenden Branche, die zugleich ihre eigenen Bedingungen genüßlich bloßstellt und alle kritischen Hiebe austänzelt, sind hinlänglich beschrieben. Doch indem Wallace das Augenzwinkern des Moderators auf eine romantische Ironie der Selbstaufhebung zurückblendet und zur Grundbedingung moderner Existenz erklärt, gesteht er dem Leser keinen Standpunkt außerhalb der medialen Arena zu. Diese Literatur, von so quasselnder Sinnlichkeit und intellektuellem Raffinement zugleich, stellt unermüdlich Fragen. Wir alle sind ihre Kandidaten.
David Foster Wallace: "Kleines Mädchen mit komischen Haaren". Stories. Aus dem Amerikanischen übersetzt von Marcus Ingendaay. Hrsg. und mit einem Nachwort von Denis Scheck. Verlag Kiepenheuer & Witsch, Köln 2001. 256 S., geb., 38,- DM.
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 21.03.2001Wie es einen kotzüblen Nachmittag lang nur Schafteile am Regnen war
Der Amerikaner David Foster Wallace präsentiert fünf Balladen aus dem beschädigten Leben: „Kleines Mädchen mit komischen Haaren”
Wissen Sie, wie Thanksgiving, die amerikanische Variante des Erntedankfestes und dort das höchste Fest im Kirchenjahr, entstanden ist?
Also, die Pilgerväter wollten sich nach getaner Arbeit im Herbst ein wenig ausruhen. Sie hatten fleißig die Wälder gerodet, das Land urbar gemacht und bei jeder zweiten Gelegenheit dem Herrn dafür gedankt, dass sie statt daheim in Schottland oder Nordengland von den Eiferern verfolgt zu werden, hier in aller Ruhe und bibelgerecht nochmal ganz vorn im Paradiesgärtlein anfangen konnten, das ganze Programm: Ackerbau, Viehzucht und Gottesfurcht. Die komischen dunklen Männer, die vorher auf dieser schönen amerikanischen Erde herumschwärmten, hatten sich freundlicherweise in die Büsche geschlagen und ließen die Neubürger gewähren. Sie waren zwar Eindringlinge, machten aber noch einen harmlosen Eindruck. Der rote Mann, in seiner herzensguten Einfalt, wollte nicht so sein, gesellte sich zum weißen Mann und palaverte und rauchte Friedenspfeife und tranchierte den Truthahn. Alles war eitel Freude und Erntedankbarkeit. Und zur Erinnerung an dieses Völkerverständigungsfest werden bis heute allherbstlich Millionen Truthähne tranchiert, allerdings ohne Indianer. So die Legende.
Kann ja sein.
Geredet werden sie schon haben, und wer erzählt, hat keine Hand frei, um dem anderen an die Gurgel zu gehen. Der Indianer erzählte vom Büffel und von der Prärie und sparte nicht mit Berichten von seinen Jagdabenteuern. Als die Reihe am Mr. Pilgervater war, wusste er nur mit seinem allzeit gottesfürchtigen Leben zu renommieren. Der rote Mann verzog keine Miene bei diesen Geschichten, die so blass waren wie das Bleichgesicht unter dem steifen Hut. Und das kann der rote Mann ja wirklich wie nix, keine Miene verziehen -: So jedenfalls kam damals dieses berühmte amerikanische Erzählen in die Welt, Sie wissen schon, Hemingway und Grisham und alles.
Ich glaube ja, dass kein Mensch die Geschichten im New Yorker liest. Die sogenannten short stories sind immer noch so streng gehalten wie vor sechzig Jahren: einleitende Verwirrung; Verallgemeinerung; Erzählung; Schlusspointe. Dazwischen geht es um einen kleinen Ehebruch oder einen größeren Diebstahl oder wie mir neulich beim Cappuccinotrinken, als ich so ein merkwürdig verformtes Gebäck reintauchte (zwinker! zwinker!), plötzlich wieder einfiel, wie mich einmal, als ich acht war, meine zwei Jahre ältere Schwester ganz gemein gepiesackt hat oder so.
David Foster Wallace hat alle vorschriftsmäßigen New Yorker-Ingredienzien, Kinderkram, milder Sex, einigermaßen unerhörte Begebenheit, aber bei ihm würden die Indianer am Lagerfeuer mit Truthahn nicht so versteinert zuhören müssen. In der Geschichte „John Billy” tobt der Wilde Westen so leidenschaftlich wie in einem Ganghofer-Roman. Die Helden bekriegen sich um Frauen und Land und vor allem um Rinder, fahren sich mit ihren hochgerüsteten Landmaschinen um Kopf und Unterkiefer und jagen einander die Viecher mit Dynamit in die Luft. Chuck Nunns Feind T. Rex Minogue beauftragt zwei Schläger damit, dem Konkurrenten die Pferche wegzusprengen, bis es „einen kotzüblen Nachmittag lang nur Schafteile am Regnen war”. John Billy erzählt diese Geschichte einem etwas minderbemittelten Boden-Luft-Observanten, der seit Roosevelts Zeiten den Auftrag hat, jene Staubwolken zu beobachten, die im Staate Oklahoma die Erde forttragen und die Farmer um ihren Nährboden bringen. Er erzählt sie, sekundiert von Glory Joy duBoise, Chuck Nunns Frau, die „durch die Bombentrichter ihrer vormaligen Weiden lief, wo sie sich ihren besten Seidenschirm für immer ruinierte und doch nur zugucken konnte, wie ihr Mann fassungslos und O-beinig über die explosionsartig untergepflügten Grasnarben taumelte, bis zum Wahn übersät mit Lammtartare und Gemetzel und blutigen Hadern, und Chuck Nunn immer mit seinem Schurkorb am Machen, wo normalerweise die Wolle reinkam, aber jetzt, wie er versuchte, ein gerüttelt Maß von seinen Lieblingstieren, die da vom Himmel regneten, aufzufangen, wo aber Glory Joy nicht entgehen konnte, dass seine Laune und Stimmung konkrete Formen annehmen und in Worten beschreibbar waren wie Trauer, Bestürzung, Leid, Orientierungslosigkeit, aber auch Verdacht und Wut, schlussendlicherseits gar unmissverständlicher und ungeteilter Tobsucht und Raserei”.
Der Übersetzer Marcus Ingendaay muss alles geben in diesem henscheidschen Filibustern. Schade deshalb, dass das Buch so lieblos gemacht ist: Auf dem Schmutztitel heißen die Geschichten „stories”, auf der Titelseite sind es „Storys”. Getrennt wird nach Lust und Laune eines wild gewordenen Trennprogramms. Charles de Gaulle schreibt sich hier „DeGaulle”, der texanische Gouverneur John Connally auch mal „Donnally” und Lyndon B. Johnson, der bis Anfang 1969 Präsident der USA war, kommt bereits 1968 in den Genuss eines offiziellen Nachrufs.
In den anderen Geschichten dieses Bandes geht es kaum weniger anspruchsvoll und auch nicht unbedingt friedlicher zu. Sick Puppy in der Titelerzählung „Kleines Mädchen mit komischen Haaren” ist eigentlich nichts weiter als ein Bürgersöhnchen, ein logisch erfolgreicher Anwalt, der für verschiedene Firmen Regressforderungen von Kunden abwehrt. Der Anwalt gibt den üblichen republikanischen Müll von sich, preist die freie Marktwirtschaft und das „Gleichgewicht des Schreckens”, nennt die Schwarzen noch „Neger” und sengt mit seinem Feuerzeug einem Demokraten beiläufig den Bart an. Das gefällt den Punks, die zufällig in die Party der Jungen Republikaner einfallen. Sick Puppy wird ihr Maskottchen, und er hat endlich das richtige Umfeld, in dem er sein Feuerzeug an Mann und Frau hemmungslos einsetzen kann. Denn natürlich ist auch dieser Anwalt so gestört, wie man es nur sein kann, wenn man aus einer Offiziersfamilie kommt und der eigene Bruder dem Präsidenten den Koffer mit dem streng geheimen Code für den nuklearen Erstschlag hinterherträgt.
Wäre das „Kleine Mädchen mit komischen Haaren” nicht schon vorher erschienen, es könnte eine Parodie des markenfixierten Serienkillers in Bret Easton Ellis’ Roman American Psycho sein. Außerdem ist Wallace wesentlich komischer. Sein kranker Held kann sich gar nicht genug preisen für sein ansprechendes Äußeres und hat selbst Mühe, die Neugier der Punks abzuwehren, die nicht verstehen wollen, warum sich einer wie er mit dem Abschaum abgebe: „Weinend erklärte er mir, dass er mich nicht begreife und sich deshalb vor mir ängstige. Ich hielt dagegen, dass dieser Umstand wohl nicht ganz der Komik entbehre: Ein Punk mit Patronengürtel wie Cheese, der Angst habe vor einer schnieken, gut aussehenden Zivilperson wie Sick Puppy. Ich sagte ihm, das sei nun alles andere als böse gemeint und bis zur Hochzeit sicher wieder gut, bot ihm für die Zwischenzeit jedoch an, meinen Einfluss dahingehend geltend zu machen, dass Gimlet ihn auf ihre kundige Art fellationiere. ”
Nicht alle Geschichten in diesem Band können das Groteske und Perverse sprachlich so gut verbinden. Am besten gelingt es in der fast gewaltfreien und vielleicht deshalb um so grausameren Erzählung von der Quiz-Show-Kandidatin Julie, die alles weiß, weil sie als Kind nur die Gesellschaft einer Enzyklopädie und ihren autistischen Bruder hatte. Als ihre Mutter mal wieder einen neuen Mann gefunden hatte, mussten die Kinder entsorgt werden. Sie werden ausgesetzt wie der Hund, den man nicht in den Urlaub nehmen kann: „Ein Himmel wie Hirnmasse. Darunter, im Wind, eine Weide. Neben der Wiese verläuft ein blasser Highway. Viele Autos fahren vorbei. Eines hält an der Wiese. Eine junge Frau mit schlaffem Gesicht setzt zwei Kinder auf der Wiese ab. Ein Mann sitzt am Steuer, schaut nur geradeaus. Sie legt die Hände der Kinder, kleine Hände, an den Zaunpfahl. Die Frau sagt den Kindern, sie sollen da stehen bleiben und den Pfahl ja nicht loslassen, bis das Auto zurückkommt. Sie steigt ins Auto, das Auto fährt weg. Der Wind weht. Viele Autos fahren vorbei. So stehen sie den ganzen Tag. ”
So beginnt die Geschichte „Tiere sehen dich an”, so fängt das Buch von David Foster Wallace an. Das müssen Sie lesen.
WILLI WINKLER
DAVID FOSTER WALLACE: Kleines Mädchen mit komischen Haaren. Storys. Deutsch von Marcus Ingendaay. Hrsg. und mit einem Nachwort von Denis Scheck. Kiepenheuer & Witsch, Köln 2001. 256 Seiten, 38 Mark.
In der Nikolaikirche
SZdigital: Alle Rechte vorbehalten - Süddeutsche Zeitung GmbH, München
Jegliche Veröffentlichung exklusiv über www.diz-muenchen.de
Der Amerikaner David Foster Wallace präsentiert fünf Balladen aus dem beschädigten Leben: „Kleines Mädchen mit komischen Haaren”
Wissen Sie, wie Thanksgiving, die amerikanische Variante des Erntedankfestes und dort das höchste Fest im Kirchenjahr, entstanden ist?
Also, die Pilgerväter wollten sich nach getaner Arbeit im Herbst ein wenig ausruhen. Sie hatten fleißig die Wälder gerodet, das Land urbar gemacht und bei jeder zweiten Gelegenheit dem Herrn dafür gedankt, dass sie statt daheim in Schottland oder Nordengland von den Eiferern verfolgt zu werden, hier in aller Ruhe und bibelgerecht nochmal ganz vorn im Paradiesgärtlein anfangen konnten, das ganze Programm: Ackerbau, Viehzucht und Gottesfurcht. Die komischen dunklen Männer, die vorher auf dieser schönen amerikanischen Erde herumschwärmten, hatten sich freundlicherweise in die Büsche geschlagen und ließen die Neubürger gewähren. Sie waren zwar Eindringlinge, machten aber noch einen harmlosen Eindruck. Der rote Mann, in seiner herzensguten Einfalt, wollte nicht so sein, gesellte sich zum weißen Mann und palaverte und rauchte Friedenspfeife und tranchierte den Truthahn. Alles war eitel Freude und Erntedankbarkeit. Und zur Erinnerung an dieses Völkerverständigungsfest werden bis heute allherbstlich Millionen Truthähne tranchiert, allerdings ohne Indianer. So die Legende.
Kann ja sein.
Geredet werden sie schon haben, und wer erzählt, hat keine Hand frei, um dem anderen an die Gurgel zu gehen. Der Indianer erzählte vom Büffel und von der Prärie und sparte nicht mit Berichten von seinen Jagdabenteuern. Als die Reihe am Mr. Pilgervater war, wusste er nur mit seinem allzeit gottesfürchtigen Leben zu renommieren. Der rote Mann verzog keine Miene bei diesen Geschichten, die so blass waren wie das Bleichgesicht unter dem steifen Hut. Und das kann der rote Mann ja wirklich wie nix, keine Miene verziehen -: So jedenfalls kam damals dieses berühmte amerikanische Erzählen in die Welt, Sie wissen schon, Hemingway und Grisham und alles.
Ich glaube ja, dass kein Mensch die Geschichten im New Yorker liest. Die sogenannten short stories sind immer noch so streng gehalten wie vor sechzig Jahren: einleitende Verwirrung; Verallgemeinerung; Erzählung; Schlusspointe. Dazwischen geht es um einen kleinen Ehebruch oder einen größeren Diebstahl oder wie mir neulich beim Cappuccinotrinken, als ich so ein merkwürdig verformtes Gebäck reintauchte (zwinker! zwinker!), plötzlich wieder einfiel, wie mich einmal, als ich acht war, meine zwei Jahre ältere Schwester ganz gemein gepiesackt hat oder so.
David Foster Wallace hat alle vorschriftsmäßigen New Yorker-Ingredienzien, Kinderkram, milder Sex, einigermaßen unerhörte Begebenheit, aber bei ihm würden die Indianer am Lagerfeuer mit Truthahn nicht so versteinert zuhören müssen. In der Geschichte „John Billy” tobt der Wilde Westen so leidenschaftlich wie in einem Ganghofer-Roman. Die Helden bekriegen sich um Frauen und Land und vor allem um Rinder, fahren sich mit ihren hochgerüsteten Landmaschinen um Kopf und Unterkiefer und jagen einander die Viecher mit Dynamit in die Luft. Chuck Nunns Feind T. Rex Minogue beauftragt zwei Schläger damit, dem Konkurrenten die Pferche wegzusprengen, bis es „einen kotzüblen Nachmittag lang nur Schafteile am Regnen war”. John Billy erzählt diese Geschichte einem etwas minderbemittelten Boden-Luft-Observanten, der seit Roosevelts Zeiten den Auftrag hat, jene Staubwolken zu beobachten, die im Staate Oklahoma die Erde forttragen und die Farmer um ihren Nährboden bringen. Er erzählt sie, sekundiert von Glory Joy duBoise, Chuck Nunns Frau, die „durch die Bombentrichter ihrer vormaligen Weiden lief, wo sie sich ihren besten Seidenschirm für immer ruinierte und doch nur zugucken konnte, wie ihr Mann fassungslos und O-beinig über die explosionsartig untergepflügten Grasnarben taumelte, bis zum Wahn übersät mit Lammtartare und Gemetzel und blutigen Hadern, und Chuck Nunn immer mit seinem Schurkorb am Machen, wo normalerweise die Wolle reinkam, aber jetzt, wie er versuchte, ein gerüttelt Maß von seinen Lieblingstieren, die da vom Himmel regneten, aufzufangen, wo aber Glory Joy nicht entgehen konnte, dass seine Laune und Stimmung konkrete Formen annehmen und in Worten beschreibbar waren wie Trauer, Bestürzung, Leid, Orientierungslosigkeit, aber auch Verdacht und Wut, schlussendlicherseits gar unmissverständlicher und ungeteilter Tobsucht und Raserei”.
Der Übersetzer Marcus Ingendaay muss alles geben in diesem henscheidschen Filibustern. Schade deshalb, dass das Buch so lieblos gemacht ist: Auf dem Schmutztitel heißen die Geschichten „stories”, auf der Titelseite sind es „Storys”. Getrennt wird nach Lust und Laune eines wild gewordenen Trennprogramms. Charles de Gaulle schreibt sich hier „DeGaulle”, der texanische Gouverneur John Connally auch mal „Donnally” und Lyndon B. Johnson, der bis Anfang 1969 Präsident der USA war, kommt bereits 1968 in den Genuss eines offiziellen Nachrufs.
In den anderen Geschichten dieses Bandes geht es kaum weniger anspruchsvoll und auch nicht unbedingt friedlicher zu. Sick Puppy in der Titelerzählung „Kleines Mädchen mit komischen Haaren” ist eigentlich nichts weiter als ein Bürgersöhnchen, ein logisch erfolgreicher Anwalt, der für verschiedene Firmen Regressforderungen von Kunden abwehrt. Der Anwalt gibt den üblichen republikanischen Müll von sich, preist die freie Marktwirtschaft und das „Gleichgewicht des Schreckens”, nennt die Schwarzen noch „Neger” und sengt mit seinem Feuerzeug einem Demokraten beiläufig den Bart an. Das gefällt den Punks, die zufällig in die Party der Jungen Republikaner einfallen. Sick Puppy wird ihr Maskottchen, und er hat endlich das richtige Umfeld, in dem er sein Feuerzeug an Mann und Frau hemmungslos einsetzen kann. Denn natürlich ist auch dieser Anwalt so gestört, wie man es nur sein kann, wenn man aus einer Offiziersfamilie kommt und der eigene Bruder dem Präsidenten den Koffer mit dem streng geheimen Code für den nuklearen Erstschlag hinterherträgt.
Wäre das „Kleine Mädchen mit komischen Haaren” nicht schon vorher erschienen, es könnte eine Parodie des markenfixierten Serienkillers in Bret Easton Ellis’ Roman American Psycho sein. Außerdem ist Wallace wesentlich komischer. Sein kranker Held kann sich gar nicht genug preisen für sein ansprechendes Äußeres und hat selbst Mühe, die Neugier der Punks abzuwehren, die nicht verstehen wollen, warum sich einer wie er mit dem Abschaum abgebe: „Weinend erklärte er mir, dass er mich nicht begreife und sich deshalb vor mir ängstige. Ich hielt dagegen, dass dieser Umstand wohl nicht ganz der Komik entbehre: Ein Punk mit Patronengürtel wie Cheese, der Angst habe vor einer schnieken, gut aussehenden Zivilperson wie Sick Puppy. Ich sagte ihm, das sei nun alles andere als böse gemeint und bis zur Hochzeit sicher wieder gut, bot ihm für die Zwischenzeit jedoch an, meinen Einfluss dahingehend geltend zu machen, dass Gimlet ihn auf ihre kundige Art fellationiere. ”
Nicht alle Geschichten in diesem Band können das Groteske und Perverse sprachlich so gut verbinden. Am besten gelingt es in der fast gewaltfreien und vielleicht deshalb um so grausameren Erzählung von der Quiz-Show-Kandidatin Julie, die alles weiß, weil sie als Kind nur die Gesellschaft einer Enzyklopädie und ihren autistischen Bruder hatte. Als ihre Mutter mal wieder einen neuen Mann gefunden hatte, mussten die Kinder entsorgt werden. Sie werden ausgesetzt wie der Hund, den man nicht in den Urlaub nehmen kann: „Ein Himmel wie Hirnmasse. Darunter, im Wind, eine Weide. Neben der Wiese verläuft ein blasser Highway. Viele Autos fahren vorbei. Eines hält an der Wiese. Eine junge Frau mit schlaffem Gesicht setzt zwei Kinder auf der Wiese ab. Ein Mann sitzt am Steuer, schaut nur geradeaus. Sie legt die Hände der Kinder, kleine Hände, an den Zaunpfahl. Die Frau sagt den Kindern, sie sollen da stehen bleiben und den Pfahl ja nicht loslassen, bis das Auto zurückkommt. Sie steigt ins Auto, das Auto fährt weg. Der Wind weht. Viele Autos fahren vorbei. So stehen sie den ganzen Tag. ”
So beginnt die Geschichte „Tiere sehen dich an”, so fängt das Buch von David Foster Wallace an. Das müssen Sie lesen.
WILLI WINKLER
DAVID FOSTER WALLACE: Kleines Mädchen mit komischen Haaren. Storys. Deutsch von Marcus Ingendaay. Hrsg. und mit einem Nachwort von Denis Scheck. Kiepenheuer & Witsch, Köln 2001. 256 Seiten, 38 Mark.
In der Nikolaikirche
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Perlentaucher-Notiz zur TAZ-Rezension
Vater Literaturprofessor, Mutter Englischlehrerin, als Kind Auftritte im Werbefernsehen und als Jugendlicher auf der westamerikanischen Tennisrangliste platziert: Die Biografie von David Forster Wallace hört sich so an, als sei er für seinen Job gecastet worden, findet Tobias Rapp: Heute schreibt Wallace, neben seiner Tätigkeit als Dozent an einer Universität in Illinois, Bücher zum Thema, was es heißt, Mensch zu sein, weiß der Rezensent. "Kleines Mädchen mit komischen Haaren" lautet der Titel seines neuesten Erzählbandes. Wallace, erklärt Trapp, wählt die Medienindustrie als Rahmen, um menschliche Konflikte zu beschreiben. In der Welt von Quizshows, alternden Schauspielerinnen und Yuppie-Anwälten richtet Wallace den Blick auf die Subjektivitäten in der Medienwelt und fügt so den zweidimensionalen Fernsehbildern eine dritte Dimension zu, informiert der Rezensent, ohne zu verraten, was er von den literarischen Ergebnissen hält.
© Perlentaucher Medien GmbH
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»Ein eigentümliches, andersartiges, aber nichtsdestoweniger poetisches Werk.« Deutsche Welle