Eine der faszinierendsten Frauengestalten der Geschichte.
Wolfgang Schullers neue Kleopatra-Biographie macht Ernst mit der Tatsache, dass sie zuallererst Königin des 3000 Jahre alten Ägypten war und betont diese Seite ihres Lebens und ihrer Politik besonders. Natürlich kommen auch ihre politischen und persönlichen Beziehungen zu Rom und den großen Römern Caesar und Mark Anton nicht zu kurz, und weil Kleopatra nach ihrer kulturellen Herkunft Griechin war, wird das Ineinander dieser drei Kulturen ausgiebig behandelt. Schullers ebenso geistreich wie kurzweilig geschriebenes Buch beruht auf den neuesten und eingehend dokumentierten Erkenntnissen und Funden der Fachwissenschaft. Es breitet die antiken Quellen aus - von ägyptischen Inschriften bis zu Werken der großen römischen Dichter - und lässt eine ganze Epoche wieder lebendig werden.
Wolfgang Schullers neue Kleopatra-Biographie macht Ernst mit der Tatsache, dass sie zuallererst Königin des 3000 Jahre alten Ägypten war und betont diese Seite ihres Lebens und ihrer Politik besonders. Natürlich kommen auch ihre politischen und persönlichen Beziehungen zu Rom und den großen Römern Caesar und Mark Anton nicht zu kurz, und weil Kleopatra nach ihrer kulturellen Herkunft Griechin war, wird das Ineinander dieser drei Kulturen ausgiebig behandelt. Schullers ebenso geistreich wie kurzweilig geschriebenes Buch beruht auf den neuesten und eingehend dokumentierten Erkenntnissen und Funden der Fachwissenschaft. Es breitet die antiken Quellen aus - von ägyptischen Inschriften bis zu Werken der großen römischen Dichter - und lässt eine ganze Epoche wieder lebendig werden.
Wolfgang Schuller beschreibt Kleopatra als intelligente Akteurin zwischen drei Kulturen / Von Uwe Walter
Wenn Regisseure teurer Filme in Zeiten, als es weder die DVD noch den "director's cut" gab, den Kampf um die künstlerische Hoheit über ihr Werk verloren, waren sie oft selbst schuld. Die sechs Stunden "Kleopatra", die Joseph Mankiewicz dem Verleih als Zweiteiler anbot, bedeuteten eine Zumutung, und auch an der vierstündigen Premierenfassung fand die Schere noch reiche Beute. Übrig blieb ein dramaturgisch fragmentierter, dummer Film, dem man vor allem ansehen sollte, wie viel Geld er gekostet hatte.
Eine Schlüsselszene war erst wieder auf Arte in einer rekonstruierten Fassung zu sehen. Sie verdichtet die Vision einer universalen, auf Frieden und Wohlstand ruhenden ägyptisch-griechisch-römischen Weltzivilisation in einem großen Dialog zwischen der Protagonistin und Caesar am Sarkophag Alexanders des Großen. William Tarn, ein seinerzeit einflußreicher Alexanderforscher, hatte die Verschmelzungspolitik des makedonischen Welteroberers im Geiste damals gängiger Hoffnungen auf die Vereinten Nationen und einen zu schaffenden Weltstaat interpretiert. Arnold Toynbee verlieh dieser Idee in einem Gedankenspiel nach dem Muster der Alternativgeschichte literarische Gestalt: Wäre Alexander nicht so früh verstorben, hätte eine solche weltumspannende Friedensordnung vielleicht über die Zeiten hinweg Bestand haben können.
Der Film trivialisierte solche Visionen insofern, als er die Liebe zwischen den Herrschern als treibende Kraft ausmalte - und dabei auch von der während der Dreharbeiten spektakulär begonnenen Beziehung zwischen den Stars Elizabeth Taylor und Richard Burton profitierte. Aber indem "Kleopatra" in dieser Szene hoffnungsstark über die von Herrschsucht und einseitigem Männlichkeitswahn geprägt erscheinende Wirklichkeit hinauswies, spiegelte er den Zukunfts- und Fortschrittsoptimismus seiner Zeit sehr genau.
Doch Geschichte ist mehr als Geschichtsbilder. Die letzte Pharaonin Ägyptens stellt jeden Historiker vor unüberwindliche Probleme. Denn nicht nur ist die literarische Überlieferung bruchstückhaft und spät, sondern auch das zeitgenössische Bild der Königin war vom Ringen um die Macht und die Deutungshoheit in den vierziger und dreißiger Jahren des letzten vorchristlichen Jahrhunderts in Rom dominiert. Kleopatra verlor gegen den späteren Augustus, und anders als die republikanische Sache fand sie keine Fürsprecher im Geiste. Die Niederlage und die einem Römer fremde Vorstellung von einer herrschenden Frau, dazu Orientklischees, die in Zeiten, als Augustus seinen Mitbürgern ihr Römersein neu einzuschärfen suchte, auf fruchtbaren Boden fielen, taten ein übriges.
Wolfgang Schuller zitiert in diesem Sinne Rudolf Borchardt: "Kleopatra liegt wie die Königsmumien des Landes, in dem sie herrschte, unausgegraben sechs Faden tief unter Sandmeeren der Vergessenheit und der Irrtümer. Unverrückbar und unzugänglich steht darüber die Pyramide der Schulbücher zweier Jahrtausende." Doch in seiner Biographie nimmt der Konstanzer Althistoriker den Charakter der Überlieferung ernst, indem er sie breit zu Wort kommen läßt und kommentiert, mit "common sense", oder wie man früher gesagt hätte: taktvoll. Mit Recht hütet er sich davor, alle spektakulären und spekulativen Elemente ins Reich der Fabel zu verweisen und alle Kleopatra betreffenden Sachverhalte so zu entzaubern, daß "nur noch das Grau in Grau einer vermeintlichen Wissenschaftlichkeit übrigbleibt".
Manchem theoretisch anspruchsvollen Leser mögen hier und da die salvierenden Verfremdungsformeln fehlen: Kann man als fehlendes Glied im Motivationsgeflecht einfach eine aus Kleopatras Monogamie gegenüber Caesar und Marcus Antonius erschlossene, nicht historisierte Liebe einsetzen? Nun, der Autor ist ein viel zu guter Historiker, um nicht auf nüchterne Einbettung und der Zeit gemäße Erklärungen zu setzen, wenn er sich selbst auch wohl zu wenig Platz eingeräumt hat, um vor allem den römischen Hintergrund hinreichend verständlich zu machen.
Seine These zielt ohnehin in eine andere Richtung. Ohne es so plakativ zu formulieren, zeichnet er Kleopatra als eine sehr bewußt agierende Akteurin in einem erzwungenen Globalisierungsgeschehen, die am Ende scheiterte, und dies mit einer gewissen Wahrscheinlichkeit, aber nicht notwendigerweise. Ihr Selbstbewußtsein speiste sich aus der dreitausend Jahre alten und als Kontinuum erkennbaren Hochkultur Ägyptens, der sie als regierende Pharaonin vorstand und auf die sie sich auch einließ: Anders als alle ihre Vorgänger erlernte die gebürtige Makedonin die ägyptische Sprache und erwies der traditionellen Religion Wohltaten. Auch den Alltag des Regierens nahm sie ernst, wie sich aus Dokumenten ergibt, und Ägypten erwuchs keine erkennbare Schwächung aus dem Umstand, daß dort seit Alexander dem Großen Makedonen und Griechen herrschten und Alexandria eine multikulturelle Metropole war. Kleopatra wirkte zwanzig Jahre lang als eine tatkräftige Herrscherin und war insofern eine Zentralfigur der Geschichte.
Das Problem hörte auf den Namen Rom. Als Kleopatra im Jahr 69 vor Christus geboren wurde, hatte die Weltmacht am Tiber längst die gesamte östliche Mittelmeerwelt unter ihre Botmäßigkeit gebracht und beinahe alle Strukturen zerschlagen, ohne eine auf Dauer gestellte, eigene Ordnung zu begründen. Wenige Jahre später erhielten Kleinasien und der Levanteraum durch Pompeius eine halbwegs tragfähige Organisation. Doch Ägypten wollte man nicht zur Provinz machen; zu groß schienen die unwägbaren Sicherheitsprobleme und der absehbare Gewinn, der einzelnen Politikern aus diesem unermeßlich reichen Land zufließen mochte.
Zugleich nahm Rom massiven Einfluß auf die inneren Angelegenheiten, und die Hofparteien in Alexandria suchten ihrerseits schiedsrichterliche Hilfe bei den Mächtigen dort. Hinzu kamen die wirtschaftlichen Verflechtungen, die sich aus der Privilegierung einzelner Römer ergaben - ein erst seit kurzem bekanntes Dokument, das von dieser Durchdringung zeugt, interpretiert Schuller fast ein wenig zu harmlos. Für beide Seiten komplizierten sich die Beziehungen noch mit dem Beginn der Bürgerkriege, als die römischen Parteien sich der Hilfsquellen des Landes am Nil vergewissern mußten, während man dort auf die richtige, das heißt am Ende siegreiche Seite zu setzen hatte.
Kleopatra gelang dies beim ersten Versuch, als sie sich an Caesar wandte und von ihm in den Sattel gesetzt wurde. Mit ihm hatte sie einen Sohn, Ptolemaios Kaisar, und was auch immer Caesars Pläne mit der Königin und seinem einzigen männlichen Nachkommen gewesen sein mochten - aus ihrer Sicht war damit die Grundlage für eine partielle, aber dauerhafte Souveränität Ägyptens im römischen Herrschaftsverband gegeben, einem Verband, der damals noch keineswegs rechtlich durchgestaltet und zum Reich vereinheitlicht war. Caesars Ermordung einen Tag vor dem Aufbruch zu einem neuen Ostfeldzug, der Kleopatras Bedeutung gewiß gestärkt hätte, machte ihre Chance zunächst zunichte.
Aber Rom war eben auch eine ganz andere Welt, und Schuller hält es für Kleopatras schwerstes Versäumnis, sich nicht in diese dritte, für ihr Überleben wichtigste Welt eingefunden zu haben; vielmehr verstärkte "die Königin", wie Cicero sie abschätzig nannte, durch ihr Auftreten bei ihrem Besuch in Rom zu Caesars Lebzeiten die Fremdheit und Feindseligkeit noch. Was im Osten galt und Legitimität stiftete - üppige Prachtentfaltung, intime Nähe zu den Göttern, dynastische Verbindungen durch Heirat und männliche Erben -, das galt in Rom, trotz aller Monarchisierungstendenzen dort, noch recht wenig.
Gewiß, für lange Zeit konnte der durch die räumliche Entfernung gemilderte Spagat überbrückt werden, wie sich im zweiten Anlauf mit einem der Erben Caesars zeigen sollte. Marcus Antonius war in Rom Caesarianer, Amtsträger, Liebling der Soldaten und Schwager von Caesars Adoptivsohn, dem späteren Augustus, in Ägypten hingegen ein römischer Dynast, der für seinen Feldzug gegen die Parther auf die Hilfsquellen und das Wissen des Landes angewiesen war, der aber auch als Ehemann Kleopatras und Vater von Zwillingen, dazu als neuer Dionysos ganz und gar in die Welt dort eingebunden schien - oder versunken, wie Kritiker bemerkten.
Und doch war seine römische Anhängerschaft noch ein Jahr vor der Entscheidungsschlacht bei Actium prominenter und besser als die seines Rivalen. Ihren Zerfall löste Kleopatras Präsenz dann allerdings wesentlich mit aus, nachdem sich ihr maßgeblicher Einfluß auch auf die gesamtrömischen Dinge abzuzeichnen begann; Schuller spricht prägnant vom "Zug auf Rom". Doch der Ausgang der Schlacht vor der griechischen Westküste im Jahr 31 vor Christus war keineswegs ausgemacht, und in einem Imperium des Antonius hätte Kleopatra als privilegierte Klientelkönigin wohl ihren Platz gefunden, hätte vielleicht sogar Ägypten "aus der Position des nur noch gnadenhalber existierenden Bittstellers zum Teilhaber an der Weltherrschaft" erheben können, wie Schuller im Sinne der geschnittenen Filmszene spekuliert. Für den späteren Augustus war sie hingegen nur eine Beute, die er im Triumphzug zur Schau stellen wollte. Ihr Selbstmord verhinderte das. Auch ihr Sohn und Mitregent Ptolemaios Kaisar konnte nicht am Leben bleiben, denn er war der amtierende Pharao und stand deshalb den Plänen einer Einziehung Ägyptens als Provinz mit besonderem Status entgegen.
Am Ende gelingt es Schuller, die "feste, enge, dauerhafte Verbindung größter gegenseitiger Nähe, vielleicht sogar ohne Seitensprünge des männlichen Teils" zwischen Kleopatra und Marcus Antonius, die er schlicht Liebe nennt, plausibel in das dynamische Gefüge aus Strukturen, Optionen und Ereignissen einzubinden, aus dem sich die Dramatik dieser Epoche speist, aber auch ihr ungebrochenes Potential an intellektueller Herausforderung. Dies mit leichter Hand - leider in neu-alter Mischorthographie - dem Leser eröffnet zu haben stellt ein Verdienst dar, das hohe Anerkennung verdient.
Wolfgang Schuller: "Kleopatra". Königin in drei Kulturen. Eine Biographie. Rowohlt Verlag, Reinbek 2006. 240 S., geb., 19,90 [Euro].
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Perlentaucher-Notiz zur ZEIT-Rezension
Ausgesprochen beeindruckt zeigt sich Rezensent Helmut Halfmann von dieser Kleopatra-Biografie. Zwar beurteilt er selbst manches anders als der Biograf Wolfgang Schuller, oft auch etwas schärfer. Trotzdem kann ihn das Buch mit seiner Schilderung der berühmten Königin am Schnittpunkt dreier Kulturen fesseln und (bei allem Schaudern über Kleopatras bis zum Mord an den Geschwistern reichendes Machtdenken) für diese schöne, "ungemein intelligente" und "zugleich fühlende" Frau einnehmen. Als Kern dieser "schönen" Biografie beschreibt er die Liebe als "unberechenbare Macht" der Weltgeschichte. Besonders faszinieren ihn Wolfgang Schullers Schilderungen der ägyptischen Religion und Herrschaftstradition. Er fühle sich oft beim Lesen wie auf einer Zeitreise, schreibt er genüsslich, und lobt den Autor für die große Suggestionskraft, mit der er in seinem ebenso prägnant wie dezent ironisch geschrieben, in überschaubare Kapitel eingeteilten Buch Kleopatra wieder auferstehen lässt.
© Perlentaucher Medien GmbH
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