Der heute vorherrschende Konsens über unser Klima lässt wenig Raum für andere ökologische Anliegen. Taktiken und Ziele des Klimaschutzaktivismus folgen immer noch dem gleichen Muster, das überhaupt erst zu Klimawandel und Umweltzerstörung geführt hat: Probleme wie Genmanipulation, riesige Biosprit-Plantagen oder die Anlage von Staudämmen werden ignoriert oder sogar als Lösung angeboten, was zu einer weiteren Verschärfung der Entwicklungs- und Globalisierungsproblematik führt.In seinem neuen Buch Klima plädiert Charles Eisenstein dafür, dass wir uns wieder dem Wasser, dem Boden, den Wäldern, der regenerativen Landwirtschaft und dem Naturschutz zuwenden, denn vieles, was Treibhausgasen und globaler Erwärmung zugeschrieben wird, ist in Wahrheit unserem separatistischen Weltbild geschuldet, das zur Krise unseres Planeten geführt hat. In Klima kommt Eisenstein zu dem Schluss, dass es nicht ausreicht, lediglich neue Formen der Energiegewinnung oder des Konsums einzuführen, um eine »nachhaltige Entwicklung« zu ermöglichen. Vielmehr bedarf es eines radikalen Umdenkens im Sinne von »Interbeing«, einem ganzheitlichen Fühlen und Handeln, das die Verbundenheit aller Menschen, aber auch die Verbundenheit von Mensch und Natur ins Zentrum stellt, um einen positiven Wandel zu ermöglichen. Wir alle müssen lernen, Verantwortung für unser Tun zu übernehmen, und zur Heilung unseres Ökosystems beitragen; denn nur so können wir eine Heilung unserer klimatischen und sozialen Systeme erreichen.
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 01.11.2019Lebt enkeltauglich!
Wie Charles Eisenstein den Planeten heilen möchte
Die Diskussion um den Umgang mit der die Zukunft bedrohenden globalen Erwärmung ist zum beherrschenden Thema geworden, die Antworten auf die offenen Fragen entscheiden in der Bundesrepublik mittlerweile Wahlen, haben die Jugend an den Freitagen millionenfach auf die Straße gebracht und im Oktober erst zur Teil-Blockade der Bundeshauptstadt geführt. Trotz dieser allgegenwärtigen Aufregung steht die Gesellschaft weitgehend ratlos vor der historischen Herausforderung des Klimawandels: Allen großen Worten zum Trotz steigen die CO2-Emissionen, die globalen Temperaturen klettern auf Rekorde.
Charles Eisenstein, Kulturkritiker, Philosoph und Mathematiker an der Yale University, untersucht seit Jahren das Narrativ der Moderne: jene kollektive Geschichte der Weltdeutung und des menschlichen Selbstbildes, auf dessen Grundlage die westliche Zivilisation erbaut wurde. Er ist ein Vordenker für eine holistische, "enkeltaugliche" Lebensweise. Um der Fehlentwicklung moderner Zivilisation auf die Spur zu kommen, gräbt er tief in der Kulturgeschichte und Mythologie der westlichen Zivilisation und stellt in seinen Büchern, Reden, Podcasts und Online-Essays liebgewonnene Mythen und hilflose Argumente an den Pranger.
Mit seinem Buch "Klima. Eine neue Perspektive" wagt sich Eisenstein nun an das Gesamtbild - und setzt sich damit zwischen alle Stühle. Er fordert die globale Ökologie-Bewegung auf, sich nicht verrückt machen zu lassen und statt dessen unbeirrt an der Heilung existentiell bedrohter Ökosysteme weiterzuarbeiten, anstatt der abstrakten Reduktion des Kohlendioxids als einziger globaler Lösung das Wort zu reden.
Nicht die Angst vor den bevorstehenden Folgen des Klimawandels würde uns zum Handeln bringen, sondern die Liebe zur Natur, das Gefühl der Verbundenheit mit dem Netz des Lebens. Er geht so weit, von einer "Revolution der Liebe" zu sprechen, die es bräuchte, um die Macht der Ratio und den totalen Kontrollwahn der Befürworter des globalen Geo-Engineerings einer weltweiten Wetter-Manipulation zu brechen. Eisenstein warnt die Klimaaktivisten vor einem Fundamentalismus, Kohlendioxid zum Alleinschuldigen zu machen. Klassische Klimapolitik sei gerade darauf aus, CO2 zu reduzieren, wolle aber die industrielle Wachstumsgesellschaft mit erneuerbaren Energien unverändert weiterlaufen lassen. Der Autor plädiert stattdessen für eine spirituell und politisch "neue Geschichte", um langfristig zukunftsfähig zu werden. Angelehnt an den buddhistischen Mönch Thich Nhat Hanh, wirbt er für ein neues Paradigma des "Interbeing" - eines Weltbildes, das von der tiefen Verflochtenheit, gegenseitigen Abhängigkeit und Verbundenheit allen Lebens ausgeht. Wer aus einer achtsamen Wertehaltung handele, könne weder andere Länder noch die Natur oder sich selbst ausbeuten.
Die "neue Geschichte", die Eisenstein vorschlägt, sieht die Welt als komplexen, sich immer weiter entwickelnden Organismus und den Menschen als ihren Diener, dessen Rolle darin besteht, alles Leben im großen Ganzen noch lebendiger zu machen. Der Organismus Gaia könnte mit Temperaturschwankungen umgehen, wenn seine Organe gesund wären: Wälder, Meere, Feuchtgebiete, Ökosysteme, Lebewesen, Böden, Flüsse und Luft. Weil die Organe schon krank sind und geschwächt, könne der Organismus das erhöhte CO2 nicht verdauen. In der Konsequenz hieße das: regional alles zu tun, um die Ökosysteme zu regenerieren, die Gewässer zu reinigen, die Meere zu schützen, die Vergiftung zu stoppen.
Ein radikaler, tiefenökologischer Ansatz, der die globale Krise als Initiation begreift: als existentielle Prüfung für die Menschheit, die über ihr eigenes Selbstbild herauswachsen und erwachsen werden muss, wenn sie heil aus diesem Übergang in eine neue Kultur herausfinden will. Eisenstein liefert keinen Rettungsplan, aber er justiert den Kompass neu.
GESEKO VON LÜPKE
Charles Eisenstein: "Klima". Eine neue Perspektive.
Aus dem Englischen von Jürgen Hornschuh, Eike Richter und Nikola Winter. Europa Verlag, München 2019. 396 S., geb., 22,- [Euro].
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Wie Charles Eisenstein den Planeten heilen möchte
Die Diskussion um den Umgang mit der die Zukunft bedrohenden globalen Erwärmung ist zum beherrschenden Thema geworden, die Antworten auf die offenen Fragen entscheiden in der Bundesrepublik mittlerweile Wahlen, haben die Jugend an den Freitagen millionenfach auf die Straße gebracht und im Oktober erst zur Teil-Blockade der Bundeshauptstadt geführt. Trotz dieser allgegenwärtigen Aufregung steht die Gesellschaft weitgehend ratlos vor der historischen Herausforderung des Klimawandels: Allen großen Worten zum Trotz steigen die CO2-Emissionen, die globalen Temperaturen klettern auf Rekorde.
Charles Eisenstein, Kulturkritiker, Philosoph und Mathematiker an der Yale University, untersucht seit Jahren das Narrativ der Moderne: jene kollektive Geschichte der Weltdeutung und des menschlichen Selbstbildes, auf dessen Grundlage die westliche Zivilisation erbaut wurde. Er ist ein Vordenker für eine holistische, "enkeltaugliche" Lebensweise. Um der Fehlentwicklung moderner Zivilisation auf die Spur zu kommen, gräbt er tief in der Kulturgeschichte und Mythologie der westlichen Zivilisation und stellt in seinen Büchern, Reden, Podcasts und Online-Essays liebgewonnene Mythen und hilflose Argumente an den Pranger.
Mit seinem Buch "Klima. Eine neue Perspektive" wagt sich Eisenstein nun an das Gesamtbild - und setzt sich damit zwischen alle Stühle. Er fordert die globale Ökologie-Bewegung auf, sich nicht verrückt machen zu lassen und statt dessen unbeirrt an der Heilung existentiell bedrohter Ökosysteme weiterzuarbeiten, anstatt der abstrakten Reduktion des Kohlendioxids als einziger globaler Lösung das Wort zu reden.
Nicht die Angst vor den bevorstehenden Folgen des Klimawandels würde uns zum Handeln bringen, sondern die Liebe zur Natur, das Gefühl der Verbundenheit mit dem Netz des Lebens. Er geht so weit, von einer "Revolution der Liebe" zu sprechen, die es bräuchte, um die Macht der Ratio und den totalen Kontrollwahn der Befürworter des globalen Geo-Engineerings einer weltweiten Wetter-Manipulation zu brechen. Eisenstein warnt die Klimaaktivisten vor einem Fundamentalismus, Kohlendioxid zum Alleinschuldigen zu machen. Klassische Klimapolitik sei gerade darauf aus, CO2 zu reduzieren, wolle aber die industrielle Wachstumsgesellschaft mit erneuerbaren Energien unverändert weiterlaufen lassen. Der Autor plädiert stattdessen für eine spirituell und politisch "neue Geschichte", um langfristig zukunftsfähig zu werden. Angelehnt an den buddhistischen Mönch Thich Nhat Hanh, wirbt er für ein neues Paradigma des "Interbeing" - eines Weltbildes, das von der tiefen Verflochtenheit, gegenseitigen Abhängigkeit und Verbundenheit allen Lebens ausgeht. Wer aus einer achtsamen Wertehaltung handele, könne weder andere Länder noch die Natur oder sich selbst ausbeuten.
Die "neue Geschichte", die Eisenstein vorschlägt, sieht die Welt als komplexen, sich immer weiter entwickelnden Organismus und den Menschen als ihren Diener, dessen Rolle darin besteht, alles Leben im großen Ganzen noch lebendiger zu machen. Der Organismus Gaia könnte mit Temperaturschwankungen umgehen, wenn seine Organe gesund wären: Wälder, Meere, Feuchtgebiete, Ökosysteme, Lebewesen, Böden, Flüsse und Luft. Weil die Organe schon krank sind und geschwächt, könne der Organismus das erhöhte CO2 nicht verdauen. In der Konsequenz hieße das: regional alles zu tun, um die Ökosysteme zu regenerieren, die Gewässer zu reinigen, die Meere zu schützen, die Vergiftung zu stoppen.
Ein radikaler, tiefenökologischer Ansatz, der die globale Krise als Initiation begreift: als existentielle Prüfung für die Menschheit, die über ihr eigenes Selbstbild herauswachsen und erwachsen werden muss, wenn sie heil aus diesem Übergang in eine neue Kultur herausfinden will. Eisenstein liefert keinen Rettungsplan, aber er justiert den Kompass neu.
GESEKO VON LÜPKE
Charles Eisenstein: "Klima". Eine neue Perspektive.
Aus dem Englischen von Jürgen Hornschuh, Eike Richter und Nikola Winter. Europa Verlag, München 2019. 396 S., geb., 22,- [Euro].
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"Eisensteins ermutigende Botschaft: Heilung, auf welcher Ebene auch immer, trägt zur Heilung des Ganzen bei." (Spuren, Oktober 2019) "(...) eine gut argumentierte und engagierte Invektive." (Falter, 11.10.2019)