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Rezensionen

Süddeutsche Zeitung - Rezension
Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 12.05.2001

Dicke Trauben, große Mucken
1000 Jahre Wetter, Klima, Katastrophen – die erste „Klimageschichte Mitteleuropas”
„Mehr als fragwürdig und sehr zu kritisieren”, findet Rüdiger Glaser von der Universität Würzburg die Entscheidung des US- Präsidenten, sich nicht an das Kyoto-Klimaschutzabkommen von 1997 zu halten. „Natürlich stehen wirtschaftliche Interessen dahinter – Bush hätte aber auch eine Absichtserklärung geben oder einen zeitlichen Rahmen abstecken können. Ein Wiederaufforstungsprogramm beispielsweise wäre dem Land direkt zugute gekommen. Das Kyoto-Protokoll aber so vom Tisch zu wischen, ist ein Schlag ins Gesicht des Klimaschutzes – und zeugt von einer gewissen Ignoranz.”
Glaser weiß, wovon er spricht. Der 41-jährige Geograf beschäftigt sich seit fünfzehn Jahren mit der Klimahistorie Mitteleuropas, jetzt hat er seine umfassenden Ergebnisse als Buch veröffentlicht. Die Schlussfolgerungen sind eindeutig: „Der Mensch hat seit der industriellen Revolution Stoffe in die Atmosphäre freigesetzt, die das Klima beeinflussen ... Keiner kann die Spätfolgen präzise vorhersagen. Trotzdem können wir nicht das Ende des Experiments abwarten – weil es dann zu spät ist.”
Das Klima ändert sich bereits, das steht für ihn fest. „Die 90er Jahre des letzten Jahrhundert waren das wärmste Jahrzehnt bisher”, berichtet er. „Der milde Winter diesen Jahres allerdings ist noch kein Anzeichen für eine Klimaänderung.” 1000 Jahre Klimageschichte haben ihm gezeigt, dass „die Veränderlichkeit das Wesensmerkmal des mitteleuropäischen Klimas war und ist. Es gibt keinen als „normal” zu bezeichnenden Zeitabschnitt, der nicht auch ein Zuviel oder ein Zuwenig beinhaltet oder in dem nicht auch die unterschiedlichsten Extreme aufgetreten wären.”
Das kann nun jeder – streckenweise bis auf einzelne Jahre genau – nachlesen. Denn der größte Teil der Klimahistorie ist eine beeindruckende Chronik der letzten tausend Jahre, angereichert mit zeitgenössischen Quellenberichten und Abbildungen. Einblick in den ungeheuren Aufwand für dieses Jahrtausendwerk gibt Glaser in den Kapiteln zur Spurensuche und Auswertung der Daten. Gestützt hat er sich vor allem auf schriftliche Aufzeichnungen, die durch Daten aus so genannten Klimazeigern ergänzt und bestätigt wurden. „Zu unseren Quellen im Naturarchiv gehören beispielsweise die Baumringe”, berichtet Glaser.
Mehr als ein Jahrzehnt lang war er auf der Suche nach Klimadaten und musste dabei eine gute Spürnase und sehr viel Fantasie beweisen. Denn nur die wenigsten Wetteraufzeichnungen waren auch unter entsprechenden Schlagworten archiviert. Nur selten war systematisch und kontinuierlich aufgezeichnet worden – wie etwa bei Schiffstagebüchern. Erschwerend kamen Subjektivität und mangelnde Präzision hinzu – so musste Glaser die Motivation und Ausbildung des Verfassers, aber auch den Zeitgeist bei der Auswertung berücksichtigen. Nur so war eine Einordnung von historischen Zitaten möglich, in denen es etwa heißt: „Anno 1060 Ist widerumb ein sehr grimkalter Winter gewessen, in dem die Wölffe allenthalben umb Nürnberg grossen Schaden gethan haben.” Eine andere Quelle berichtet aus dem Jahr 1661: „Nach dem nun der Sommer gar dürr geweßen, aber im Augusto, und gegen dem herbst ein continuirlich regenwetter, eingefallen, sind die Trauben beer gar gros worden, auch Viel gar auffgesprungen, und weilen es Viel Wepßen, große Mucken, und anders ungeziffer gab, die es gar außsaugenten, als geschahe den Leüten großer schaden, den mancher trauben endlich ganz dürr würde.”
Ein eigenes Kapitel hat Glaser den Wetterextremen gewidmet. „Viele halten für ungewöhnlich, was eigentlich ganz normal ist”, meint er. „Außerdem glauben sich viele Menschen an Bilderbuchjahreszeiten in ihrer Kindheit erinnern zu können. Meistens stimmt das aber nicht – das Tauwetter um Weihnachten herum etwa ist sogar ein meteorologischer Regelfall.”
SUSANNE
WEDLICH
RÜDIGER GLASER: Klimageschichte Mitteleuropas. 1000 Jahre Wetter, Klima, Katastrophen. Primus Verlag, Darmstadt 2001. 227 Seiten, 78 Mark.
SZdigital: Alle Rechte vorbehalten - Süddeutsche Zeitung GmbH, München
Jegliche Veröffentlichung exklusiv über www.diz-muenchen.de
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Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 16.01.2002

Die Qualität eines Weines hängt nicht nur von Kelterkünsten des Kellermeisters ab. Vor allem in unseren Breiten beeinflußt auch das Wetter die Güte eines Jahrganges. Richtig interpretiert ist daher die Geschichte des Weines auch ein langfristiger Wetterbericht, gleichsam eine Geschichte des Klimas einer Anbauregion. Gewiß mögen Fachleute die Qualität einzelner Jahrgänge unterschiedlich bewerten. Unbestritten ist aber, daß der beste Frankenwein des vergangenen Jahrtausends im Jahre 1540 gelesen wurde. Sein Zuckergehalt war so hoch, daß er noch mehrere Jahrhunderte später zu festlichen Anlässen kredenzt wurde. Nach Meinung des Würzburger Geographen Rüdiger Glaser ließen ein außergewöhnlich feuchter Frühling und später eine wochenlang andauernde Hitze und Trockenheit im Jahre 1540 die Reben zu dem Jahrtausendwein reifen. Der Forscher hat aus Archiven und alten Chroniken Tausende solcher Fakten für das Buch "Klimageschichte Mitteleuropas" zusammengetragen und daraus für die vergangenen tausend Jahre jeweils die in Deutschland und seinen Nachbarländern herrschenden Wetterlagen rekonstruiert. Die Ergebnisse seiner Archivstudien hat er außerdem in einer historischen Klimadatenbank zusammengefaßt. Die Häufigkeiten von Stürmen und Orkanen lassen sich daraus ebenso ablesen wie die Intensitäten von Sturmfluten an den Küsten. Die Datenbank weist aber nicht nur das Wein-Jahr 1540 als Anomalie aus. Auch im Februar des Jahres 1784 schlug das Wetter ungewöhnliche Kapriolen. Damals traten nahezu alle deutschen Flüsse als reißende Ströme über die Ufer und zerstörten alles, was ihnen im Weg stand, wie auf unserem Bild in Würzburg. Glaser nennt dieses Hochwasser eine der größten Umweltkatastrophen der frühen Neuzeit in Mitteleuropa. (Das Buch "Klimageschichte Mitteleuropas" von Rüdiger Glaser ist im Primus Verlag, Darmstadt 2001, erschienen und kostet 39,90 Euro.)

Abb. aus dem besprochenen Band
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