Noch ignorieren wir die globale Erwärmung in der Hoffnung, den Ingenieuren werde schon etwas einfallen, wenn der Problemdruck groß genug ist. Friedrich von Borries stellt eine realistischere Frage: Wie werden wir uns anpassen, wenn der Klimawandel Realität geworden ist? Er entwirft ein Szenario, in der die Reichen in abgeriegelten Kapseln leben, während die Armen auf schwimmende Inseln warten. In fiktionalen Porträts stellt er die Protagonisten der Kapselwelt vor, den Architekten, den Flüchtling, den Sonnenlenker u. a. Ein Glossar gibt zudem einen Überblick über Projekte, in deren Rahmen sich Künstler, Regisseure und Architekten in den letzten Jahrzehnten mit dem Thema Klima befaßt haben.
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 06.06.2010Zurück mit der Zukunft!
Wie wird das Leben aussehen nach dem Klimawandel? Exakt wie im Science-Fiction-Film. Sagen ein neues Buch und eine Ausstellung in Hamburg
Wenn wir Glück haben, werden wir schon bald in klimaneutralen Städten leben, mit weißen Oberflächen und vertikalen Gärten, ohne Autos und Umweltverschmutzungen, die Recyclingquote wird nahezu einhundert Prozent betragen und die Energie aus dem Sonnenlicht gewonnen werden. Es wird ein ökologisches Paradies sein. Wir werden nur zusehen müssen, dass wir diejenigen, die weniger Glück haben, davon abhalten, Löcher in die Wände dieser katastrophensicheren Welt zu schlagen - sei es, weil sie mit hineinwollen, sei es, um sie zu zerstören.
Woher kennt man das Szenario eigentlich - aus aktuellen Sachbüchern und Zeitschriften oder aus älteren Science-Fiction-Filmen? Antwort: Aus beidem. Offenbar sind wir an einem Punkt, wo beides auf das Gleiche hinausläuft.
Wenn der Mensch den Klimawandel nicht aufhält, dann wird er sich anpassen müssen. Das ist eine der Gewissheiten, über die sich nur wenige Leute ernsthaft streiten würden, und zum Glück ist der Mensch ja auch fähig, sich anzupassen. Der Streit wird aber ausbrechen, wenn es darum geht, wer dabei mitmachen darf und wer nicht. "Wenn wir den Klimawandel nicht abwenden, müssen wir uns anpassen", schreibt auch Friedrich von Borries: "Unsere Wohlstandsinseln werden militärisch und atmosphärisch geschützte Klimakapseln." Und was dann folgt, ist ein Ausblick auf eine Welt, die zu gleichen Teilen aus Harald Welzers "Klimakriegen" und Filmen wie "Total Recall" zusammengebaut ist.
Friedrich von Borries, der in Hamburg Architekturtheorie lehrt, hat dort jetzt am Museum für Kunst und Gewerbe eine Ausstellung kuratiert, die in erster Linie eines zeigt: dass Künstler, Architekten und Designer, die heute pragmatische Antworten auf die Zumutungen des Klimawandels suchen, vor allem bei den verspielt-utopischen Projekten fündig werden, die ihre Kollegen vor vierzig Jahren unter dem Eindruck von Raumfahrt und Mondlandung zusammengebastelt haben. "Klimakapseln - Überlebensbedingungen in der Katastrophe" heißt sie, und das Buch gleichen Titels ist nicht so sehr das Buch zur Ausstellung (eher ist es die Ausstellung zum Buch), dieses Buch macht aus diesem Befund gleich ein literarisches Prinzip: die Intertextualität von Science-Fiction, Fachmagazinen und Weltlage "nach Kopenhagen" erweist sich als tragfähiges Gerüst, um darauf einen eigenen Zukunftsentwurf aus den Zitaten zusammenzucollagieren, der von bedrückender Wahrscheinlichkeit ist. Aber auch von beträchtlichem literarischem Reiz. Es liest sich jedenfalls wie der Entwurf zu einem Roman, den Frank Schätzing erst noch schreiben muss.
Da ist der "Architekt" der Kapselstadt, ein ökologischer Demiurg, dem die eisigen Worte des realen Bauingenieurs Werner Sobek aus Stuttgart aus dem Munde fließen: "Ich habe schon als Kind Seifenblasen geliebt, und mein Traum war immer, einmal in einer zu wohnen."
Das hatte Sobek einmal in einem Gespräch mit Peter Sloterdijk geäußert, dem anderen großen Experten für Blasen und Weltinnenräume. Das Außen der Kapselstadt muss man sich wie in David Lynchs "Wüstenplanet" vorstellen, zu überleben nur in Schutzanzügen, in denen selbst die eigenen Exkremente recycelt werden. Nur dass einem in dieser Wüste die Aufwindkraftwerke des deutschen Ingenieurs Jörg Schlaich begegnen und die Sonnenkollektoren aus dem Projekt "Sahara Sonne", über das die Wissenschaftsteile der Zeitungen letztes Jahr berichteten. In dieser umweltzerstörten Wüstenei irren Klimaflüchtlinge umher und kämpfen um Einlass oder warten auf die schwimmenden Inseln, die man aus Kevin Reynolds' "Waterworld" kennt - nur dass sie hier zu Heterotopen der Hoffnung umgedeutet werden, zu ziellos über die Ozeane treibenden Fluchtburgen der Migranten dieser Erde.
Solche Umdeutungen gehören zum Reiz und Wesen des Genres. Aus Utopien werden üblicherweise Dystopien. Es gibt aber immer auch den umgekehrten Fall. Dass die Bewohner von Borries' Kapselstadt mit vierzig Jahren entsorgt werden, um anderen Platz zu machen, ist nicht nur eine Referenz an Michael Andersons Film "Logan's Run" von 1976 - der Gedanke findet sich auch im radikalökologischen Programm von Michiko Nittas "Green Guerilla" von 2007 wieder. Unter dem Gesichtspunkt von optimalem Recycling könnte am Ende sogar die aus "Soylent Green" geläufige Aufnahme von Menschenfleisch in die Nahrungsmittelproduktion ihren Schrecken verlieren, denn die Formen der Pietät ändern sich, und unter den Bedingungen der Kapselstadt würde es immerhin auf Bioqualität hinauslaufen. Friedrich von Borries behandelt diesen speziellen Rezeptionseffekt von Science-Fiction mit ironischem Selbstbewusstsein: Bei ihm ist Richard Buckminster Fuller ein Ingenieur, der mit einer Zeitmaschine aus der Zukunft in die fünfziger Jahre katapultiert wurde, um die Menschheit vor dem Horror der Kapsel- und Blasenwelten zu warnen. Jedoch: "Kaum in der Vergangenheit angelangt, machte Fuller da weiter, wo er in der Zukunft aufgehört hatte." Und was tun die Leute? Sie begeistern sich für seine Weltüberkuppelungsmodelle. Es bleibt dann wieder am Terminator hängen, in seiner Rolle als kalifornischer Gouverneur, die Zukunft zu korrigieren, beziehungsweise (Stichworte: grünes Engagement und hart bewachte Grenze) ins Kapselstadtartige zu treiben.
Um in den postindustriellen Katastrophengebieten zu überleben, bieten sich dann ausgerechnet ein paar Ideen aus den fortschrittsfreudigen Sechzigern an, wie die "Walking Cities" von Ron Herron: "Ursprünglich als hedonistisch utopisches Modell gedacht, ergeben sich für Walking Cities aus heutiger Sicht verschiedene Einsatzmöglichkeiten. Sie können Wanderarbeiter beherbergen und weiterziehen, sobald die Rohstoffe abgeschöpft sind. Man kann sie als Flüchtlingslager in Kriegssituationen einsetzen. Sie dienen als Auffanglager am Rande von Städten nach Erdbeben, Wirbelstürmen oder Überschwemmungen. Und Abenteuerlustige können auf ihnen Kreuzfahrten durch unwirtliche Regionen wie Wüsten oder Slums machen."
Der pragmatische Zynismus, der da durchschimmert, ist typisch und spiegelt sich auch in der Ausstellung, wo immerhin schon mal ein wanderndes Haus zu besichtigen ist. Was in den Sechzigern frohgemut erdacht wurde und um 1970 herum oft in fortschrittsskeptische Dystopien umschlug, das wird heute von einer Generation, die exakt zu dieser Zeit geboren wurde und sich mit geradezu freudianischem Eifer in die Kapselphantasien ihrer Eltern zurückträumt, als praktische Handreichung für eine kaputte Welt nachgebaut. Damals ging es um Bewusstseinserweiterungen, heute um bewohnbare Obdachlosenkleidung. Die Ausstellung ist nicht weniger aufregend als das Buch. An vielen Stellen ähnlich komisch. Und überall fast genauso bedrückend.
Wenn das die Zukunft ist, dann wird es eng. Dann wird es stickig. Und es riecht verdammt nach Kunststoff.
Doch lieber aufhalten?
PETER RICHTER
Friedrich von Borries: "Klimakapseln. Überlebensbedingungen in der Katastrophe". Suhrkamp-Verlag, 14 Euro. Die Ausstellung im Museum für Kunst und Gewerbe Hamburg läuft noch bis zum 8. August.
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Wie wird das Leben aussehen nach dem Klimawandel? Exakt wie im Science-Fiction-Film. Sagen ein neues Buch und eine Ausstellung in Hamburg
Wenn wir Glück haben, werden wir schon bald in klimaneutralen Städten leben, mit weißen Oberflächen und vertikalen Gärten, ohne Autos und Umweltverschmutzungen, die Recyclingquote wird nahezu einhundert Prozent betragen und die Energie aus dem Sonnenlicht gewonnen werden. Es wird ein ökologisches Paradies sein. Wir werden nur zusehen müssen, dass wir diejenigen, die weniger Glück haben, davon abhalten, Löcher in die Wände dieser katastrophensicheren Welt zu schlagen - sei es, weil sie mit hineinwollen, sei es, um sie zu zerstören.
Woher kennt man das Szenario eigentlich - aus aktuellen Sachbüchern und Zeitschriften oder aus älteren Science-Fiction-Filmen? Antwort: Aus beidem. Offenbar sind wir an einem Punkt, wo beides auf das Gleiche hinausläuft.
Wenn der Mensch den Klimawandel nicht aufhält, dann wird er sich anpassen müssen. Das ist eine der Gewissheiten, über die sich nur wenige Leute ernsthaft streiten würden, und zum Glück ist der Mensch ja auch fähig, sich anzupassen. Der Streit wird aber ausbrechen, wenn es darum geht, wer dabei mitmachen darf und wer nicht. "Wenn wir den Klimawandel nicht abwenden, müssen wir uns anpassen", schreibt auch Friedrich von Borries: "Unsere Wohlstandsinseln werden militärisch und atmosphärisch geschützte Klimakapseln." Und was dann folgt, ist ein Ausblick auf eine Welt, die zu gleichen Teilen aus Harald Welzers "Klimakriegen" und Filmen wie "Total Recall" zusammengebaut ist.
Friedrich von Borries, der in Hamburg Architekturtheorie lehrt, hat dort jetzt am Museum für Kunst und Gewerbe eine Ausstellung kuratiert, die in erster Linie eines zeigt: dass Künstler, Architekten und Designer, die heute pragmatische Antworten auf die Zumutungen des Klimawandels suchen, vor allem bei den verspielt-utopischen Projekten fündig werden, die ihre Kollegen vor vierzig Jahren unter dem Eindruck von Raumfahrt und Mondlandung zusammengebastelt haben. "Klimakapseln - Überlebensbedingungen in der Katastrophe" heißt sie, und das Buch gleichen Titels ist nicht so sehr das Buch zur Ausstellung (eher ist es die Ausstellung zum Buch), dieses Buch macht aus diesem Befund gleich ein literarisches Prinzip: die Intertextualität von Science-Fiction, Fachmagazinen und Weltlage "nach Kopenhagen" erweist sich als tragfähiges Gerüst, um darauf einen eigenen Zukunftsentwurf aus den Zitaten zusammenzucollagieren, der von bedrückender Wahrscheinlichkeit ist. Aber auch von beträchtlichem literarischem Reiz. Es liest sich jedenfalls wie der Entwurf zu einem Roman, den Frank Schätzing erst noch schreiben muss.
Da ist der "Architekt" der Kapselstadt, ein ökologischer Demiurg, dem die eisigen Worte des realen Bauingenieurs Werner Sobek aus Stuttgart aus dem Munde fließen: "Ich habe schon als Kind Seifenblasen geliebt, und mein Traum war immer, einmal in einer zu wohnen."
Das hatte Sobek einmal in einem Gespräch mit Peter Sloterdijk geäußert, dem anderen großen Experten für Blasen und Weltinnenräume. Das Außen der Kapselstadt muss man sich wie in David Lynchs "Wüstenplanet" vorstellen, zu überleben nur in Schutzanzügen, in denen selbst die eigenen Exkremente recycelt werden. Nur dass einem in dieser Wüste die Aufwindkraftwerke des deutschen Ingenieurs Jörg Schlaich begegnen und die Sonnenkollektoren aus dem Projekt "Sahara Sonne", über das die Wissenschaftsteile der Zeitungen letztes Jahr berichteten. In dieser umweltzerstörten Wüstenei irren Klimaflüchtlinge umher und kämpfen um Einlass oder warten auf die schwimmenden Inseln, die man aus Kevin Reynolds' "Waterworld" kennt - nur dass sie hier zu Heterotopen der Hoffnung umgedeutet werden, zu ziellos über die Ozeane treibenden Fluchtburgen der Migranten dieser Erde.
Solche Umdeutungen gehören zum Reiz und Wesen des Genres. Aus Utopien werden üblicherweise Dystopien. Es gibt aber immer auch den umgekehrten Fall. Dass die Bewohner von Borries' Kapselstadt mit vierzig Jahren entsorgt werden, um anderen Platz zu machen, ist nicht nur eine Referenz an Michael Andersons Film "Logan's Run" von 1976 - der Gedanke findet sich auch im radikalökologischen Programm von Michiko Nittas "Green Guerilla" von 2007 wieder. Unter dem Gesichtspunkt von optimalem Recycling könnte am Ende sogar die aus "Soylent Green" geläufige Aufnahme von Menschenfleisch in die Nahrungsmittelproduktion ihren Schrecken verlieren, denn die Formen der Pietät ändern sich, und unter den Bedingungen der Kapselstadt würde es immerhin auf Bioqualität hinauslaufen. Friedrich von Borries behandelt diesen speziellen Rezeptionseffekt von Science-Fiction mit ironischem Selbstbewusstsein: Bei ihm ist Richard Buckminster Fuller ein Ingenieur, der mit einer Zeitmaschine aus der Zukunft in die fünfziger Jahre katapultiert wurde, um die Menschheit vor dem Horror der Kapsel- und Blasenwelten zu warnen. Jedoch: "Kaum in der Vergangenheit angelangt, machte Fuller da weiter, wo er in der Zukunft aufgehört hatte." Und was tun die Leute? Sie begeistern sich für seine Weltüberkuppelungsmodelle. Es bleibt dann wieder am Terminator hängen, in seiner Rolle als kalifornischer Gouverneur, die Zukunft zu korrigieren, beziehungsweise (Stichworte: grünes Engagement und hart bewachte Grenze) ins Kapselstadtartige zu treiben.
Um in den postindustriellen Katastrophengebieten zu überleben, bieten sich dann ausgerechnet ein paar Ideen aus den fortschrittsfreudigen Sechzigern an, wie die "Walking Cities" von Ron Herron: "Ursprünglich als hedonistisch utopisches Modell gedacht, ergeben sich für Walking Cities aus heutiger Sicht verschiedene Einsatzmöglichkeiten. Sie können Wanderarbeiter beherbergen und weiterziehen, sobald die Rohstoffe abgeschöpft sind. Man kann sie als Flüchtlingslager in Kriegssituationen einsetzen. Sie dienen als Auffanglager am Rande von Städten nach Erdbeben, Wirbelstürmen oder Überschwemmungen. Und Abenteuerlustige können auf ihnen Kreuzfahrten durch unwirtliche Regionen wie Wüsten oder Slums machen."
Der pragmatische Zynismus, der da durchschimmert, ist typisch und spiegelt sich auch in der Ausstellung, wo immerhin schon mal ein wanderndes Haus zu besichtigen ist. Was in den Sechzigern frohgemut erdacht wurde und um 1970 herum oft in fortschrittsskeptische Dystopien umschlug, das wird heute von einer Generation, die exakt zu dieser Zeit geboren wurde und sich mit geradezu freudianischem Eifer in die Kapselphantasien ihrer Eltern zurückträumt, als praktische Handreichung für eine kaputte Welt nachgebaut. Damals ging es um Bewusstseinserweiterungen, heute um bewohnbare Obdachlosenkleidung. Die Ausstellung ist nicht weniger aufregend als das Buch. An vielen Stellen ähnlich komisch. Und überall fast genauso bedrückend.
Wenn das die Zukunft ist, dann wird es eng. Dann wird es stickig. Und es riecht verdammt nach Kunststoff.
Doch lieber aufhalten?
PETER RICHTER
Friedrich von Borries: "Klimakapseln. Überlebensbedingungen in der Katastrophe". Suhrkamp-Verlag, 14 Euro. Die Ausstellung im Museum für Kunst und Gewerbe Hamburg läuft noch bis zum 8. August.
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main