Eine ernsthafte Diskussion über die Problematik des Klimawandels ist schwierig - vor allem wegen der wissenschaftlichen Unsicherheit über Ausmaß und Geschwindigkeit, aber ebenso wegen der Komplexität der Materie, die nur disziplinübergreifend erfolgversprechend bearbeitet werden kann. Dabei ist insbesondere der Küstenbereich von einem Klimawandel und seinen Folgen wie dem Meeresspiegelanstieg unmittelbar betroffen, während gleichzeitig die notwendigen Küstenschutzmaßnahmen lange Vorlaufzeiten erfordern. Das vorliegende Buch soll dazu beitragen, dass Öffentlichkeit und Gesellschaft in wichtigen Teilbereichen zu gesicherten Erkenntnissen über das tatsächliche Gefährdungspotenzial des Klimawandels kommen. Die interdisziplinäre Analyse von Gefährdung und Reaktionsmöglichkeiten ermöglicht diskussionsfähige Aussagen für die Zukunft.
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Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 18.11.2004Erosion des Schutzniveaus
Der anthropogene Klimawandel drückt auf die Nordseeküste und auf die Föderalismuskommission
Bastian Schuchardt/Michael Schirmer (Herausgeber): Klimawandel und Küste. Die Zukunft der Unterweserregion (Umweltnatur- und Umweltsozialwissenschaften). Springer Verlag, Heidelberg 2005. 341 Seiten, 79,95 [Euro].
Hinter Deichen liegen "immobile" Vermögenswerte - die können definitionsgemäß nicht fortlaufen, wenn sie sich bedroht sehen. Doch wird ihre zukünftige Bedrohung heute offenbart, so sinkt ihr Wert unverzüglich. So delikat ist es, die Frage nach der Bedeutung des kommenden Klimawandels für exponierte Küstenlagen in Deutschland zu stellen. Dennoch hat das Forschungsministerium des Bundes im Jahre 1994 den Leitplan "Klimaänderung und Küste" beschlossen. Die erste Fallstudie, zu Sylt, widmete sich nur einer Insel. Nun liegt die zweite Studie der Reihe vor, jetzt zu einer ganzen Region - überschwemmungsgefährdet, deshalb hinter Deichen geschützt. Den Schutz-Zustand haben die Forscher erstmals auf eine vergleichbare Basis gestellt. Bislang wird in Bremen, Niedersachsen und Schleswig-Holstein die Höhe der Deiche nach unterschiedlichen Kriterien bemessen, in keinem Falle aber anhand des Kriteriums, welches in anderen Schutzsektoren üblich ist, nämlich dem der Wiederkehrhäufigkeit extremer Zustände.
Rechts der Weser liegt das Schutzniveau bei rund 3000 Jahren, links der Weser immerhin noch bei einmal in 1000 Jahren. Zum Vergleich: Von Dänemark wird an der gering besiedelten Nordseeküste ein Schutzniveau von 200 Jahren berichtet, von den Niederlanden dagegen ein Niveau von 4000 bis 10 000 Jahren. Der kommende Klimawandel nun drückt das Schutzniveau um den Faktor 5 bis 10, und das nur bis zum Jahr 2050 gerechnet. Immobilienbesitzer können nun wissen: Es sinkt hinter den Deichen links der Weser auf die Größenordnung von nur noch einmal in 130 Jahren. Der Hintergrund: Die Forscher geben einen Anstieg des Bemessungshochwasserstandes um 70 cm zu erwarten. Die Aufteilung der 70 cm: Ausdehnung wegen höherer Meerestemperatur und Gletscherschmelze: 40 cm; dadurch verminderter Reibungsverlust beim Anrollen der Wellen: 15 cm; säkulare Senkung des Bodens der Wesermündung; 15 cm.
Die Erosion des Schutzniveaus zu kompensieren wird teuer werden. 500 Millionen Euro weist allein die Bezirksregierung Weser-Ems als heutigen Nachholbedarf aus, bei statisch gedachtem Küstenschutz. Das Ergebnis der Klimaforscher: Der Finanzbedarf wird verdoppelt, wenn man die Adaptationsnotwendigkeit berücksichtigt. Finanziert wird der Küstenschutz heute zu 70 Prozent von der sogenannten "Gemeinschaftsaufgabe" (GAK) von Bund und Ländern - allerdings nur, sofern die Maßnahmen einer "Verbesserung" des Küstenschutzes dienen. Ist aber ein Ausgleich für die klimawandelbedingte Erosion des Schutzes eine "Verbesserung"? Die GAK steht jedenfalls gegenwärtig auf dem Prüfstand der Föderalismuskommission. Ergebnis könnte sein, daß der Solidarausgleich zum Küstenschutz in dem Augenblick gestrichen wird, wo erkannt wird, daß zum Klimaschutz auch Anpassung gehört und dies solidarisches Handeln bedeutet. Daß es um Aufgaben mit großer Kapazitätswirkung für die Bauwirtschaft geht, die die aus dem Straßenbau abzuziehenden Kapazitäten ersetzen könnten, ist offensichtlich.
HANS-JOCHEN LUHMANN
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Der anthropogene Klimawandel drückt auf die Nordseeküste und auf die Föderalismuskommission
Bastian Schuchardt/Michael Schirmer (Herausgeber): Klimawandel und Küste. Die Zukunft der Unterweserregion (Umweltnatur- und Umweltsozialwissenschaften). Springer Verlag, Heidelberg 2005. 341 Seiten, 79,95 [Euro].
Hinter Deichen liegen "immobile" Vermögenswerte - die können definitionsgemäß nicht fortlaufen, wenn sie sich bedroht sehen. Doch wird ihre zukünftige Bedrohung heute offenbart, so sinkt ihr Wert unverzüglich. So delikat ist es, die Frage nach der Bedeutung des kommenden Klimawandels für exponierte Küstenlagen in Deutschland zu stellen. Dennoch hat das Forschungsministerium des Bundes im Jahre 1994 den Leitplan "Klimaänderung und Küste" beschlossen. Die erste Fallstudie, zu Sylt, widmete sich nur einer Insel. Nun liegt die zweite Studie der Reihe vor, jetzt zu einer ganzen Region - überschwemmungsgefährdet, deshalb hinter Deichen geschützt. Den Schutz-Zustand haben die Forscher erstmals auf eine vergleichbare Basis gestellt. Bislang wird in Bremen, Niedersachsen und Schleswig-Holstein die Höhe der Deiche nach unterschiedlichen Kriterien bemessen, in keinem Falle aber anhand des Kriteriums, welches in anderen Schutzsektoren üblich ist, nämlich dem der Wiederkehrhäufigkeit extremer Zustände.
Rechts der Weser liegt das Schutzniveau bei rund 3000 Jahren, links der Weser immerhin noch bei einmal in 1000 Jahren. Zum Vergleich: Von Dänemark wird an der gering besiedelten Nordseeküste ein Schutzniveau von 200 Jahren berichtet, von den Niederlanden dagegen ein Niveau von 4000 bis 10 000 Jahren. Der kommende Klimawandel nun drückt das Schutzniveau um den Faktor 5 bis 10, und das nur bis zum Jahr 2050 gerechnet. Immobilienbesitzer können nun wissen: Es sinkt hinter den Deichen links der Weser auf die Größenordnung von nur noch einmal in 130 Jahren. Der Hintergrund: Die Forscher geben einen Anstieg des Bemessungshochwasserstandes um 70 cm zu erwarten. Die Aufteilung der 70 cm: Ausdehnung wegen höherer Meerestemperatur und Gletscherschmelze: 40 cm; dadurch verminderter Reibungsverlust beim Anrollen der Wellen: 15 cm; säkulare Senkung des Bodens der Wesermündung; 15 cm.
Die Erosion des Schutzniveaus zu kompensieren wird teuer werden. 500 Millionen Euro weist allein die Bezirksregierung Weser-Ems als heutigen Nachholbedarf aus, bei statisch gedachtem Küstenschutz. Das Ergebnis der Klimaforscher: Der Finanzbedarf wird verdoppelt, wenn man die Adaptationsnotwendigkeit berücksichtigt. Finanziert wird der Küstenschutz heute zu 70 Prozent von der sogenannten "Gemeinschaftsaufgabe" (GAK) von Bund und Ländern - allerdings nur, sofern die Maßnahmen einer "Verbesserung" des Küstenschutzes dienen. Ist aber ein Ausgleich für die klimawandelbedingte Erosion des Schutzes eine "Verbesserung"? Die GAK steht jedenfalls gegenwärtig auf dem Prüfstand der Föderalismuskommission. Ergebnis könnte sein, daß der Solidarausgleich zum Küstenschutz in dem Augenblick gestrichen wird, wo erkannt wird, daß zum Klimaschutz auch Anpassung gehört und dies solidarisches Handeln bedeutet. Daß es um Aufgaben mit großer Kapazitätswirkung für die Bauwirtschaft geht, die die aus dem Straßenbau abzuziehenden Kapazitäten ersetzen könnten, ist offensichtlich.
HANS-JOCHEN LUHMANN
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Perlentaucher-Notiz zur F.A.Z.-Rezension
Für Rezensent Hans-Jochen Luhmann wird durch diese zweite Studie zur Bedeutung des kommenden Klimawandels für exponierte Küstenlagen ersichtlich, dass es bei Deichbau und -sicherung in Zukunft um Aufgaben mit großer Kapazitätswirkung für die Bauwirtschaft gehen wird. Auch konnte er der Studie präzise Angaben zur Entwicklung der Situation in Bremen, Niedersachsen und Schleswig-Holstein entnehmen, deren bisher nach unterschiedlichen Kriterien bemessener Schutzzustand erhier zum ersten Mal auf eine vergleichbare Basis gestellt sah.
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