Die Infektionskrankheiten haben im Leben der Völker von jeher große Bedeutung, vor allem, wenn sie in Form einer um sich greifenden Seuche auftreten und von der betroffenen Bevölkerung erlebt werden. Sie können aus der Geschichte des Menschengeschlechtes in prähistorischer und histo rischer Zeit nicht weggedacht werden, ohne einen der wichtigsten geschichts bildenden Faktoren zu vernachlässigen; Seuchen in Kriegs- und Friedens zeiten, der plötzliche Tod einzelner für ihre Zeit wichtiger Persönlich keiten oder auch eine in Heilung ausgehende Erkrankung mit ihrem Ein fluß auf die Persönlichkeit haben oft in den Gang der Geschichte ein gegriffen. Das Individuum erlebt die Infektionskrankheiten als Erkrankung mit Genesung oder Tod an sich selbst oder bei ihm nahe stehenden Per sonen und im Leben jedes einzelnen Menschen sind Art, Schwere und Zeit punkt der Infektionskrankheiten, die er überstand, wichtige Faktoren für seine geistige und körperliche Entwicklung sowie seine Einpassung in die Gesellschaft, also seine soziale Tauglichkeit. Jede Kulturstufe hat sich nun mit dem Erlebnis der Infektionskrank heiten verschieden auseinandergesetzt. Der primitiven Stufe entsprach der Dämonenglauben: ein fremder böser Dämon hat ein Volk oder einen Kranken befallen und muß wieder ausgetrieben werden; der gläubige und der fatalistische Mensch erkannte in der akuten Erkrankung den unmittel baren Eingriff einer höheren Macht und sah darin eine von Gott gesandte Strafe, seine lohnende oder rächende Hand.