Frisch und mit sicherer Hand zeichnet Kai Kauffmann Leben und Werk des Meisters des Sprachexperiments in dieser lang erwarteten Biographie nachFriedrich Gottlieb Klopstock war der berühmteste deutsche Dichter des 18. Jahrhunderts vor Goethe. Zu seinem 300. Geburtstag erscheint nun eine neue Biographie, die zum ersten Mal auch das gesamte Werk von den ersten Gesängen des »Messias« bis hin zu den späten Oden über die Französische Revolution würdigt. Sie beschreibt die Stationen seiner Lebensreise als Orte der Sozial- und Kulturgeschichte: Quedlinburg, Schulpforta, Jena, Leipzig, Zürich, Kopenhagen und Hamburg. Die unglückliche Liebe zu einer Kusine, der »Fanny« der frühen Oden, und die glückliche Ehe mit Meta Klopstock werden ebenso geschildert wie die Freundschaften mit zahlreichen Dichtern und Künstlern der Zeit, darunter J. J. Bodmer, G. A. Bürger, Ch. F. Gellert, J. W. L. Gleim, J. W. von Goethe, F. von Hagedorn, J. G. von Herder, A. L. Karsch, A. Kauffmann, J. C. Lavater, G. E. Lessing, M. Mendelssohn, J. H. Voß und Ch. M. Wieland. In den Kapiteln zu seinen Schriften werden auch die kulturpolitischen Projekte, etwa eine tiefgreifende Reform der deutschen Rechtschreibung, im geschichtlichen Kontext dargestellt und verständlich erklärt. So entsteht das Bild eines faszinierenden Menschen und radikalen Dichters, der bis zu seinem Lebensende mit neuen Themen und Formen experimentierte. Kai Kauffmann führt mit Leichtigkeit durch das lange und abwechslungsreiche Dichterleben.
Perlentaucher-Notiz zur F.A.Z.-Rezension
Rezensent Tilman Spreckelsen empfiehlt Kai Kauffmanns Klopstock-Biografie zum 300. Geburtstag des Dichters. Spreckelsen lobt die "breite" Perspektive und die Chronologie der Darstellung eingeteilt in Kindheit und Studium, Dänischer Hof und letzte Jahre in Hamburg. Dass der Autor Werk-Exkurse und Literaturgeschichtliches einflicht, gefällt dem Rezensenten ebenso wie die Souveränität, mit der Kauffmann das durchaus anspruchsvolle Material bändigt und für den Leser verständlich macht. Einiges läse Spreckelsen gern noch ausführlicher, aber zufrieden ist er dennoch mit dem Buch.
© Perlentaucher Medien GmbH
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Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 02.07.2024Der empfindsame Schrittschuhläufer
Kai Kauffmann widmet Friedrich Gottlieb Klopstock zum dreihundertsten Geburtstag eine Biographie
Nach der Apokalypse, die in Arno Schmidts Roman "Schwarze Spiegel" von 1951 den größten Teil Europas atomar verheerte, kommt der unerklärlicherweise überlebende Erzähler in ein verlassenes Postamt. Für den Fall, dass vielleicht irgendwo doch noch ein anderer Mensch lebendig ist und irgendwann ebenfalls hierher kommen wird, nimmt er sich eine frankierte Postkarte und schreibt: "An Herrn Klopstock", die Adresse ist "Schulpforta bei Naumburg", die Postleitzahl jenseits des Eisernen Vorhangs weiß er nicht. Und die eigentliche Nachricht ist kurz: "Anbei den Messias zurück."
Was Schmidts autobiographisch grundierter Erzähler da unternimmt, soll einem Übel abhelfen, das ihn offenbar derart quält, dass er dafür gut zweihundert Jahre überbrückt, um den Lauf der Literaturgeschichte zu ändern. Er schlüpft in die Rolle eines Verlegers, der den Druck von Friedrich Gottlieb Klopstocks bekanntestem Werk ablehnt, und zwar zu einem Zeitpunkt, als der Dichter noch in Schulpforta ist, seine berühmte Abschiedsrede dort noch nicht gehalten und also auch seinen daraus ablesbaren Anspruch noch nicht formuliert hat, den Deutschen das Heldengedicht zu schenken, das ihnen noch fehlt, eben den "Messias". Wie weit der bei seinem Abschied Einundzwanzigjährige in Schulpforta mit der Konzeption dieses Werks gekommen war, ist unklar, einen Text zum Zurückschicken wird es damals nicht gegeben haben. Aus der Rückschau aber ist die 1745 gehaltene und erst 1780 publizierte Rede häufig im Zusammenhang mit dem "Messias" gesehen worden. Als sie im Druck erschien, sieben Jahre nach dem letzten Teil des Versepos, "konnten und sollten die Leser sehen: Klopstock hatte seine jugendliche Prophezeiung wahrgemacht, seine erhabene Mission triumphal erfüllt".
So steht es in Kai Kauffmanns zum heutigen dreihundertsten Geburtstag des Dichters erschienen Klopstock-Biographie. Anders aber als Schmidt, der Klopstock 1958 einen seiner berühmten Radio-Essays widmete und in der Rede des Schülers und der folgenden innerlichen Festlegung Klopstocks auf die selbstgewählte "Messias"-Aufgabe ein großes Verhängnis sieht, das den Dichter jahrzehntelang von demjenigen abzog, was er nach Schmidts doch auch hätte leisten können und sollen, nimmt Kauffmann, Germanist in Bielefeld, eine sehr viel breitere Perspektive ein.
Seine im Wesentlichen chronologisch gehaltene Biographie ist in drei Teile gegliedert: Der erste schildert Klopstocks Kindheit, Jugend, Studium und die Anstellung als Hauslehrer, der zweite seine Zeit am dänischen Hof in Kopenhagen, der dritte das Alter in Hamburg. Innerhalb dieser Großkapitel sind Exkurse der Genese und Einordnung einzelner Werke oder Werkgruppen vorbehalten. Kauffmann verfügt souverän über sein Material, er unterfordert seine Leser nicht, geht aber mit großem Geschick vom leicht zu Erfassenden zum Komplizierteren, und weil dabei naturgemäß die großen Epochenfragen angeschnitten werden, erweist sich das Buch auch als hervorragende Einführung in die deutsche Literaturgeschichte des achtzehnten Jahrhunderts, eben weil sich in der Person Klopstocks eine Brücke schlagen lässt von Opitz und Gottsched bis zu Sturm und Drang, dem Hainbund und, wie es Kauffmann in einem erhellenden essayistischen Exkurs unternimmt, zum "Faust".
Zugleich beweist Kauffmann ein gutes Gespür für das Publikum, das er mit seiner biographischen Darstellung erreichen will: Er hält sich mit der Darstellung heutiger wissenschaftlicher Diskurse sichtlich zurück, weist aber hier und da auf Ansichten hin, die seiner entgegenstehen. Mitunter bittet er seine Leser unnötigerweise um Nachsicht, etwa wenn er das hochinteressante Verhältnis nachzeichnet, das Klopstock auf dem Weg zum vermeintlichen Erneuerer des "Bardengesangs" zu den altnordischen Texten der "Edda" einnimmt - und natürlich zu den pseudokeltischen Liedern des "Ossian". Dass und wie sich der "Messias"-Dichter dem altsächsischen "Heliand" zuwendet, einem Werk also im inhaltlichen und formalen Spannungsverhältnis zu seinem eigenen Projekt, läse man gern ausführlicher.
Was Klopstocks Biographie angeht, legt Kauffmann einen Schwerpunkt auf Klopstocks Liebesgeschichten zu der erfolglos verehrten Cousine Maria Sophia Schmidt und der lange, aber am Ende glücklich umworbenen Meta Moller, die beide auf unterschiedliche Weise zum Gegenstand von Klopstocks Dichtungen wurden, Moller allerdings darüber hinaus zur literarischen Partnerin ihres Mannes, der nach der kurzen Ehe ihre Texte herausgab.
Kauffmann, der Arno Schmidts Klopstock-Texte sicher kennt und in seinem abschließenden Kapitel zur Rezeption nicht explizit erwähnt, gibt mit seinem Buch eine ausgeruhte Antwort auf Schmidts Klage. Zum einen, indem er den "Messias" zwar als fraglos bekanntestes Werk Klopstocks behandelt, die Arbeit daran aber als höchst lückenhaft ansieht und kaum hinderlich für den Autor, wenn er sich anderen Themen zuwandte. Schwerer aber wiegt, wie Kauffmann Klopstocks Beschäftigung mit dem Stoff gerade als dynamischen Prozess analysiert, in dessen Verlauf immer neue Einflüsse und Überlegungen eingingen, abzulesen etwa an der metrischen Gestalt.
Der Biograph betont, wie unermüdlich Klopstock überall und in jeder Lebensphase nach körperlicher Bewegung suchte, wie er als Kind die Freiheit einiger kurzer Jahre auf dem Dorf nutzte oder als begeisterter "Schrittschuhläufer", wie Klopstock den Sport nannte, trotz eines beinahe tödlichen Unfalls immer wieder aufs Eis ging. Den Schluss, dass man auch seelische Empfindung, für die Klopstocks Texte rasch gefeiert wurden, als "Bewegung" bezeichnen kann, überlässt er seinen Lesern. TILMAN SPRECKELSEN
Kai Kauffmann:
"Klopstock!".
Eine Biographie.
Wallstein Verlag,
Göttingen 2024.
420 S., Abb.,
geb., 36,- Euro.
Alle Rechte vorbehalten. © Frankfurter Allgemeine Zeitung GmbH, Frankfurt am Main.
Kai Kauffmann widmet Friedrich Gottlieb Klopstock zum dreihundertsten Geburtstag eine Biographie
Nach der Apokalypse, die in Arno Schmidts Roman "Schwarze Spiegel" von 1951 den größten Teil Europas atomar verheerte, kommt der unerklärlicherweise überlebende Erzähler in ein verlassenes Postamt. Für den Fall, dass vielleicht irgendwo doch noch ein anderer Mensch lebendig ist und irgendwann ebenfalls hierher kommen wird, nimmt er sich eine frankierte Postkarte und schreibt: "An Herrn Klopstock", die Adresse ist "Schulpforta bei Naumburg", die Postleitzahl jenseits des Eisernen Vorhangs weiß er nicht. Und die eigentliche Nachricht ist kurz: "Anbei den Messias zurück."
Was Schmidts autobiographisch grundierter Erzähler da unternimmt, soll einem Übel abhelfen, das ihn offenbar derart quält, dass er dafür gut zweihundert Jahre überbrückt, um den Lauf der Literaturgeschichte zu ändern. Er schlüpft in die Rolle eines Verlegers, der den Druck von Friedrich Gottlieb Klopstocks bekanntestem Werk ablehnt, und zwar zu einem Zeitpunkt, als der Dichter noch in Schulpforta ist, seine berühmte Abschiedsrede dort noch nicht gehalten und also auch seinen daraus ablesbaren Anspruch noch nicht formuliert hat, den Deutschen das Heldengedicht zu schenken, das ihnen noch fehlt, eben den "Messias". Wie weit der bei seinem Abschied Einundzwanzigjährige in Schulpforta mit der Konzeption dieses Werks gekommen war, ist unklar, einen Text zum Zurückschicken wird es damals nicht gegeben haben. Aus der Rückschau aber ist die 1745 gehaltene und erst 1780 publizierte Rede häufig im Zusammenhang mit dem "Messias" gesehen worden. Als sie im Druck erschien, sieben Jahre nach dem letzten Teil des Versepos, "konnten und sollten die Leser sehen: Klopstock hatte seine jugendliche Prophezeiung wahrgemacht, seine erhabene Mission triumphal erfüllt".
So steht es in Kai Kauffmanns zum heutigen dreihundertsten Geburtstag des Dichters erschienen Klopstock-Biographie. Anders aber als Schmidt, der Klopstock 1958 einen seiner berühmten Radio-Essays widmete und in der Rede des Schülers und der folgenden innerlichen Festlegung Klopstocks auf die selbstgewählte "Messias"-Aufgabe ein großes Verhängnis sieht, das den Dichter jahrzehntelang von demjenigen abzog, was er nach Schmidts doch auch hätte leisten können und sollen, nimmt Kauffmann, Germanist in Bielefeld, eine sehr viel breitere Perspektive ein.
Seine im Wesentlichen chronologisch gehaltene Biographie ist in drei Teile gegliedert: Der erste schildert Klopstocks Kindheit, Jugend, Studium und die Anstellung als Hauslehrer, der zweite seine Zeit am dänischen Hof in Kopenhagen, der dritte das Alter in Hamburg. Innerhalb dieser Großkapitel sind Exkurse der Genese und Einordnung einzelner Werke oder Werkgruppen vorbehalten. Kauffmann verfügt souverän über sein Material, er unterfordert seine Leser nicht, geht aber mit großem Geschick vom leicht zu Erfassenden zum Komplizierteren, und weil dabei naturgemäß die großen Epochenfragen angeschnitten werden, erweist sich das Buch auch als hervorragende Einführung in die deutsche Literaturgeschichte des achtzehnten Jahrhunderts, eben weil sich in der Person Klopstocks eine Brücke schlagen lässt von Opitz und Gottsched bis zu Sturm und Drang, dem Hainbund und, wie es Kauffmann in einem erhellenden essayistischen Exkurs unternimmt, zum "Faust".
Zugleich beweist Kauffmann ein gutes Gespür für das Publikum, das er mit seiner biographischen Darstellung erreichen will: Er hält sich mit der Darstellung heutiger wissenschaftlicher Diskurse sichtlich zurück, weist aber hier und da auf Ansichten hin, die seiner entgegenstehen. Mitunter bittet er seine Leser unnötigerweise um Nachsicht, etwa wenn er das hochinteressante Verhältnis nachzeichnet, das Klopstock auf dem Weg zum vermeintlichen Erneuerer des "Bardengesangs" zu den altnordischen Texten der "Edda" einnimmt - und natürlich zu den pseudokeltischen Liedern des "Ossian". Dass und wie sich der "Messias"-Dichter dem altsächsischen "Heliand" zuwendet, einem Werk also im inhaltlichen und formalen Spannungsverhältnis zu seinem eigenen Projekt, läse man gern ausführlicher.
Was Klopstocks Biographie angeht, legt Kauffmann einen Schwerpunkt auf Klopstocks Liebesgeschichten zu der erfolglos verehrten Cousine Maria Sophia Schmidt und der lange, aber am Ende glücklich umworbenen Meta Moller, die beide auf unterschiedliche Weise zum Gegenstand von Klopstocks Dichtungen wurden, Moller allerdings darüber hinaus zur literarischen Partnerin ihres Mannes, der nach der kurzen Ehe ihre Texte herausgab.
Kauffmann, der Arno Schmidts Klopstock-Texte sicher kennt und in seinem abschließenden Kapitel zur Rezeption nicht explizit erwähnt, gibt mit seinem Buch eine ausgeruhte Antwort auf Schmidts Klage. Zum einen, indem er den "Messias" zwar als fraglos bekanntestes Werk Klopstocks behandelt, die Arbeit daran aber als höchst lückenhaft ansieht und kaum hinderlich für den Autor, wenn er sich anderen Themen zuwandte. Schwerer aber wiegt, wie Kauffmann Klopstocks Beschäftigung mit dem Stoff gerade als dynamischen Prozess analysiert, in dessen Verlauf immer neue Einflüsse und Überlegungen eingingen, abzulesen etwa an der metrischen Gestalt.
Der Biograph betont, wie unermüdlich Klopstock überall und in jeder Lebensphase nach körperlicher Bewegung suchte, wie er als Kind die Freiheit einiger kurzer Jahre auf dem Dorf nutzte oder als begeisterter "Schrittschuhläufer", wie Klopstock den Sport nannte, trotz eines beinahe tödlichen Unfalls immer wieder aufs Eis ging. Den Schluss, dass man auch seelische Empfindung, für die Klopstocks Texte rasch gefeiert wurden, als "Bewegung" bezeichnen kann, überlässt er seinen Lesern. TILMAN SPRECKELSEN
Kai Kauffmann:
"Klopstock!".
Eine Biographie.
Wallstein Verlag,
Göttingen 2024.
420 S., Abb.,
geb., 36,- Euro.
Alle Rechte vorbehalten. © Frankfurter Allgemeine Zeitung GmbH, Frankfurt am Main.
»(die erste) große( ) Darstellung von Werk und Leben seit 1888« (Volker Weidermann, ZEIT, 27.06.2024) »Kauffmann verfügt souverän über sein Material, er unterfordert seine Leser nicht, geht aber mit großem Geschick vom leicht zu Erfassenden zum Komplizierteren, und weil dabei naturgemäß die großen Epochenfragen angeschnitten werden, erweist sich das Buch auch als hervorragende Einführung in die deutsche Literaturgeschichte des achtzehnten Jahrhunderts (...).« (Tilman Spreckelsen, FAZ, 02.07.2024) »Klopstocks Leben ist kein Ort der Skandale, und wer über den Dichter des 18. Jahrhunderts eine Biografie schreiben will - die erste seit 1888! -, der muss sich an Anekdotisches halten. (...) Kauffmann hat das auf grossartige Weise getan, ohne das poetologisch Verdrehte beim Dichter zu unterschlagen.« (Paul Jandl, NZZ, 02.07.2024) »(eine) kluge Biografie, in der Sache ohnehin solide, in der Darstellung allerbestens lesbar« (Erhard Schütz, der Freitag, 01.08.2024) »(Kauffmann) hat (...) alles dafür getan, uns für Klopstock und dessen Werk einzunehmen.« (Veit-Mario Thiede, Preußische Allgemeine Zeitung, 28.06.2024) »Kauffmanns Buch verknüpft Leben und Werk des Dichters (...). Unbedingt lesen!« (Dieter Kaltwasser, Bonner General-Anzeiger, 05.10.2024) »Dem Buch gelingt es, die Bedeutung Klopstocks herauszuarbeiten, dessen Werk schnell durch die nachfolgende, ihm tief verpflichtete Generation überschattet wurde.« (Martin Knepper, konkret, 11/24) »Eine lesenswerte Biografie (...). Sie ist kenntnisreich und witzig geschrieben, doch ohne jeden fachlichen Dünkel (...).« (Uwe Wolff, Die Tagespost, 05.09.2024)