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Was sagt es über Kloster Eberbach aus, wenn über einem Abt aus dem endenden 16. Jahrhundert mehr bekannt ist als über die Geschichte Eberbachs und seiner zentralen Personen in den Jahren des Nationalsozialismus? Sind die Jahre zwischen 1933 und 1945 eine Zeit zum Vergessen? In dem Sinne, dass in Kloster Eberbach in dieser Zeit nichts geschehen wäre, das erforscht und festgehalten werden müsste? Oder wollte man es nach 1945 nicht mehr so genau wissen, wie sich Eberbach dem Nationalsozialismus gestellt hatte?Kloster Eberbach, heute von der gemeinnützigen Stiftung Kloster Eberbach unterhalten,…mehr

Produktbeschreibung
Was sagt es über Kloster Eberbach aus, wenn über einem Abt aus dem endenden 16. Jahrhundert mehr bekannt ist als über die Geschichte Eberbachs und seiner zentralen Personen in den Jahren des Nationalsozialismus? Sind die Jahre zwischen 1933 und 1945 eine Zeit zum Vergessen? In dem Sinne, dass in Kloster Eberbach in dieser Zeit nichts geschehen wäre, das erforscht und festgehalten werden müsste? Oder wollte man es nach 1945 nicht mehr so genau wissen, wie sich Eberbach dem Nationalsozialismus gestellt hatte?Kloster Eberbach, heute von der gemeinnützigen Stiftung Kloster Eberbach unterhalten, hat nun die Auseinandersetzung auch mit diesem Teil seiner Geschichte gesucht. Ergebnis ist das vorliegende Buch. Es fragt nach der Rolle Eberbachs u. a. bei der Arisierung des Weinhandels, dem Einsatz von Kriegsgefangenen in den Weinbergen und den Aktivitäten des Widerstandes. Nicht jede Erkenntnis fügt sich dabei reibungslos in unser geläufiges Bild von der NS-Zeit.
Autorenporträt
Koch, SebastianSebastian Koch, Dr., stammt aus Paderborn und lebt in Fulda. Studium der Geschichtswissenschaft, Romanistik und Pädagogik in Paderborn, Salamanca und Köln. Studien- und Forschungsaufenthalte in Buenos Aires, Dresden und Berlin. Promotion zur Geschichte der chilenischen Flüchtlinge in der DDR.
Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 14.09.2019

Eine Kiste Traubensaft zum Geburtstag des "Führers"

Kloster Eberbach im Nationalsozialismus: Eine Studie erforscht eine dunkle Zeit. Die Nazibonzen kamen gern, bekamen aber nur einfachen Wein kredenzt.

Von Oliver Bock

Eine Zeitspanne von zwölf Jahren ist in der fast neun Jahrhunderte währenden Geschichte eines Klosters nicht mehr als ein Wimpernschlag. Wenn es aber um die Jahre zwischen 1933 und 1945 geht, dann kommt ihr eine besondere Bedeutung zu. Für Kloster Eberbach im Rheingau gilt das umso mehr, als die Zeit zwischen der Gründung des Zisterzienserklosters im Jahr 1136 bis in die Zeit unmittelbar vor und nach der Säkularisierung und Aufhebung des Klosters schon recht gut erforscht ist.

Erst jetzt allerdings hat der Blick eines Historikers die Zeit des Nationalsozialismus in allen Facetten ausgeleuchtet. Mehr als 300 Seiten stark ist die Studie, die unter anderem der Rolle Eberbachs bei der Arisierung des Weinhandels, den Vorgängen auf dem benachbarten Eichberg und dem Einsatz von Kriegsgefangenen in den Weinbergen nachgeht. Eine Untersuchung, die "unerlässlich" ist, wie Ministerpräsident Volker Bouffier (CDU) in seinem Geleitwort schreibt.

Ausgangspunkt des Forschungsprojektes war die "Wiederentdeckung" eines Gästebuchs. Im "Goldenen Buch von Eberbach" finden sich die Namen von hohen und höchsten Vertretern der NSDAP, ihrer Gliederungen wie SS und SA und des Staatsapparates. Aber auch die Namen von Opfern, deutschen Widerständlern und alliierten Befreiern.

Aus Sicht der Stiftung versinnbildlicht das Gästebuch den bisweilen konfliktscheuen Umgang mit der deutschen Geschichte: Das Hakenkreuz und die Nazisymbole, die ursprünglich auf dem Buchdeckel prangten, wurden nach dem Krieg bis zur Unkenntlichkeit übermalt. Erst ultraviolettes Licht macht sie wieder sichtbar. "Ein Umgang mit der Vergangenheit, die unserem Anspruch an historische Aufarbeitung nicht entspricht", heißt es von Seiten der Stiftung, die aus eigener Initiative und dank Spenden die Aufarbeitung dieses Kapitels der Vergangenheit in Auftrag gegeben hatte.

Hauptquelle für den promovierten Historiker Sebastian Koch waren die überlieferten Verwaltungsakten der Staatsweingüterverwaltung. Er hat überdies Zeitzeugen und Lokalhistoriker befragt, das Gästebuch und die Erinnerungsliteratur Eberbacher Gäste ausgewertet und Bildmaterial zusammengetragen. Archäologische Grabungen wurden genutzt, um nach möglichen Überresten ehemaliger Zwangsarbeiter-Baracken zu suchen. Spruchkammerakten aus der Zeit der Entnazifizierung wurden ebenfalls zu Rate gezogen.

Der katholische und selbstbewusste Rheingau war kein einfaches Pflaster für die Nazis. Koch schreibt, dass es der nationalsozialistischen Bewegung erst sehr spät gelang, eine wirkliche Basis im Rheingau aufzubauen. Eine erste Ortsgruppe war erst im November 1928 gegründet worden. Noch im Dezember 1931 ging es in einem Rundschreiben der NSDAP darum, wie man in zehn Orten des Rheingaus endlich "Fuß fassen" könne, um "mit der Zeit mit der Aufstellung eines Stützpunktes" beginnen zu können. Eine Nazibastion sieht anders aus.

Für den Rheingau konstatiert Koch für lange Zeit eine "kraftlose" nationalsozialistische Bewegung. Die Kundgebungen waren mäßig besucht, die Wahlergebnisse fielen verglichen mit den gesamtdeutschen Werten schlecht aus. Bei der preußischen Landtagswahl vom 24. April 1932 schnitt die NSDAP in keinem anderen Kreis der Provinz Hessen-Nassau schlechter ab als im Rheingau. Von den 13 100 Bewohnern der Städte Eltville, Geisenheim und Rüdesheim bezogen im November 1931 gerade einmal 39 den "Völkischen Beobachter" und 35 das "Nassauische Volksblatt".

Nach der Machtergreifung änderte sich das Bild. Der Weinbauverband wurde aufgelöst und in den Reichsnährstand gleichgeschaltet. An der Spitze der im Kloster ansässigen Weinbaudomäne stand vor, während und nach der Nazizeit Weinbaudirektor Rudolf Gareis, dessen widersprüchlichen Charakter der Autor ausführlich nachzeichnet. Den meisten Nazibonzen kredenzte Gareis nur einfache Weine aus dem Keller. Gareis wehrte Versuche ab, das Kloster zu einer "Weihestätte des deutschen Volkes" oder gar einer SS-Ordensburg zu machen. Dokumentiert ist aber auch sein Glückwunschschreiben anlässlich des Geburtstages von Adolf Hitler, dem er "in Dankbarkeit und Treue" zwölf Flaschen alkoholfreien Traubensaft des Jahrgangs 1935 aus dem Steinberg beifügt. Später wurde der politisch als unzuverlässig eingestufte Gareis doch noch Parteimitglied.

Auch wenn im Rheingau die Begeisterung für den Nationalsozialismus nicht sonderlich ausgeprägt war, kamen die führenden Persönlichkeiten des Reiches und der Länder, der Wehrmacht und der Partei gerne nach Kloster Eberbach, wie der Blick ins Gästebuch zeigt: Prominentester Gast war der "Reichsführer SS", Heinrich Himmler. Aber auch der Chef der Ordnungspolizei Kurt Daluege, SS-Obergruppenführer Wilhelm Stuckart, Reichssportführer Hans von Tschammer und Osten, Reichsärzteführer Gerhard Wagner, Reichsjustizminister Franz Gürtner, General der Infanterie Carl-Heinrich von Stülpnagel und viele mehr besuchten das Kloster.

Gareis stand der politisch-ideologischen Vereinnahmung Eberbachs reserviert und der tatsächlichen Usurpation durch NS-Kräfte wehrhaft gegenüber", schreibt Koch. Und hätte Himmler bei seinem Besuch am 12. Dezember 1936 im Gästebuch geblättert, wäre er auf einen Namen gestoßen, der ihm laut Koch wohl kaum gefallen hätte: Abraham Izak Perold, südafrikanischer Weinbaupionier, ehemaliger Student in Geisenheim und Jude. Nach 1945 wird das Gästebuch nahtlos weitergeführt. Einer der ersten Namen ist der des Chefs der zuständigen Militärregierung, James Newman.

Für Eberbach und den Rheingau war der Krieg vorbei, als am 30. März 1945 die ersten amerikanischen Soldaten mit ihren Jeeps durch die Basilika fuhren und laut Koch "wild durch die Kirche schossen". Während des Krieges litt die Arbeit im Weinberg und Keller unter dem Mangel an Arbeitskräften und Material. Bei der Lese halfen nach den Erkenntnissen von Koch vor allem Fronturlauber, Genesende aus den Heereslazaretten der Umgebung, Patienten vom Eichberg, Leserinnen aus Pressburg, Landjahrmädel und zuletzt Schulkinder aus Wiesbaden - mit der kuriosen Folge, dass der Verzehr von Weintrauben ein nie gekanntes Ausmaß angenommen habe. Auch Zwangsarbeiter und Kriegsgefangene wurden eingesetzt. Koch hat Hinweise, dass sie im Rheingau aber vergleichsweise gut behandelt wurden. Wirtschaftlich gesehen, habe Gareis die Weinbaudomäne mit gutem Erfolg durch die Kriegsjahre gebracht, konstatiert die Studie. Und das, obwohl in Weinbergen zwischenzeitlich auch Gemüse angebaut wurde, um die Ernährung der Bürger zu sichern. Im August 1942 wurde Kloster Eberbach zum Schutz vor Bombenangriffen mit einem grünen Tarnanstrich versehen. Bis auf einige Artillerietreffer überstanden die historischen Bauwerke die Kriegszeit unversehrt.

Selbst das Jahr 1945 brachte der Weinbaudomäne noch einen Gewinn. Die amerikanische Militärverwaltung schätzte im Juni 1945 den Wert des Besitzes der Domänenverwaltung auf immerhin fast 2,3 Millionen Reichsmark. Allein die Weinvorräte wurden auf eine Million Reichsmark taxiert. Kein Wunder, dass Gareis zum Jahresende 1944 um die Erlaubnis gebeten hatte, den kostbaren Wein ins Innere des Reiches bringen zu dürfen. Ein Vorschlag, der als Defätismus abgelehnt wurde. Auch ohne schwere Kriegsschäden waren die Gebäude in Eberbach nach dem Krieg stark renovierungsbedürftig. Besucher beklagten unhaltbare und unwürdige Zustände, heißt es in der Studie. Ein Werk, das "20 bis 30 Jahre zu spät kommt", gibt Stiftungsvorstand Martin Blach zu. Historiker Koch dagegen sieht sein Werk mehr vor dem Hintergrund aktueller politischer Entwicklungen und der jüngsten Wahlen in Deutschland: "Es kommt genau zur richtigen Zeit."

Die Studie "Kloster Eberbach im Nationalsozialismus" ist im Verlag Brandes & Apsel erschienen und für 29,90 Euro auch an der Klosterkasse erhältlich. Am Montag beginnt um 19.30 Uhr zum Thema eine Podiumsdiskussion im Dormitorium. Der Eintritt ist frei.

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