Kinderschänder und Vergewaltiger prägen die Vorstellung vom Verbrecher. Manche werden zu Medienstars, doch nach der Verurteilung verschwinden auch sie hinter den Mauern. Gefängnisse zählen zu den schattigsten Regionen der Gesellschaft. Wo keine Öffentlichkeit ist, herrscht auch im Rechtsstaat Willkür. Kai Schlieter sprach mit Mördern, Räubern und anderen Verbrechern, besuchte prominente Gerichtspsychiater, Forensiker und Kriminologen. Er zeigt, was sich in der Welt hinter Gittern wirklich abspielt, und kommt letztlich zu dem Schluss: Der jetzige Vollzug schadet unserer Gesellschaft mehr, als dass er ihr nutzt.
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 08.08.2011Weggesperrt
Wenn Soziologen ins Feld gehen, gehört das Verbot von Schreibzeug und Leibesvisitationen nicht zum Normalprogramm. Kai Schlieter hat dies auf sich genommen und deutsche Gefangene besucht. Herausgekommen ist eine nicht nur kritische, sondern anklagende, aber auch hochinteressante Studie über den Zustand des deutschen Strafvollzugs und seine Protagonisten: Richter, Anwälte, Wärter, Gefangene, Politiker. Ist der Freiheitsentzug Resultat einer sachlichen Logik oder einer historischen Evolution? Ist der Schutz der Allgemeinheit für verhängten Freiheitsentzug eine hinreichende Erklärung? Kann Resozialisierung durch bloße Verwahrung gelingen? Oder gilt eher, dass Gefängnisse die schlechtesten Chancen für Wiedereingliederung bieten? Sorgen Gefängnisse für eine gesellschaftliche Illusion von Sicherheit, deren substantielle Entsprechung fehlt? Sollten Gefängnisse gar abgeschafft werden? Der Autor hat viele Fragen und Thesen, deren Relevanz er mit seinen Beobachtungen untermauert. Doch diese Reihenfolge verstellt auch den Blick. Das Buch beginnt mit Werturteilen, nicht mit Beobachtungen. Und diese sind obendrein hoch selektiv. Schreckliche Einzelfälle - fünfzehn jährige Isolationshaft, monatelange Untersuchungshaft, Rechtsbrüche gegenüber Gefangenen, Sicherungsverwahrung auf Grund von Prognosen - werden dargestellt, aber nicht an alltäglichen Fällen konturiert, sondern an der Haltung des Autors. Die Kraft der Argumente bleibt damit schwach. Die sich aufdrängenden Diskussionen über Alternativen zum Freiheitsentzug und die sozialen Funktionen sinnvoller, gar konstruktiver Strafen, bleiben aus. (Kai Schlieter: "Knast-Report". Das Leben der Weggesperrten. Westend Verlag, Frankfurt 2011. 253 S., br., 17,95 [Euro].) stsch
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Wenn Soziologen ins Feld gehen, gehört das Verbot von Schreibzeug und Leibesvisitationen nicht zum Normalprogramm. Kai Schlieter hat dies auf sich genommen und deutsche Gefangene besucht. Herausgekommen ist eine nicht nur kritische, sondern anklagende, aber auch hochinteressante Studie über den Zustand des deutschen Strafvollzugs und seine Protagonisten: Richter, Anwälte, Wärter, Gefangene, Politiker. Ist der Freiheitsentzug Resultat einer sachlichen Logik oder einer historischen Evolution? Ist der Schutz der Allgemeinheit für verhängten Freiheitsentzug eine hinreichende Erklärung? Kann Resozialisierung durch bloße Verwahrung gelingen? Oder gilt eher, dass Gefängnisse die schlechtesten Chancen für Wiedereingliederung bieten? Sorgen Gefängnisse für eine gesellschaftliche Illusion von Sicherheit, deren substantielle Entsprechung fehlt? Sollten Gefängnisse gar abgeschafft werden? Der Autor hat viele Fragen und Thesen, deren Relevanz er mit seinen Beobachtungen untermauert. Doch diese Reihenfolge verstellt auch den Blick. Das Buch beginnt mit Werturteilen, nicht mit Beobachtungen. Und diese sind obendrein hoch selektiv. Schreckliche Einzelfälle - fünfzehn jährige Isolationshaft, monatelange Untersuchungshaft, Rechtsbrüche gegenüber Gefangenen, Sicherungsverwahrung auf Grund von Prognosen - werden dargestellt, aber nicht an alltäglichen Fällen konturiert, sondern an der Haltung des Autors. Die Kraft der Argumente bleibt damit schwach. Die sich aufdrängenden Diskussionen über Alternativen zum Freiheitsentzug und die sozialen Funktionen sinnvoller, gar konstruktiver Strafen, bleiben aus. (Kai Schlieter: "Knast-Report". Das Leben der Weggesperrten. Westend Verlag, Frankfurt 2011. 253 S., br., 17,95 [Euro].) stsch
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Perlentaucher-Notiz zur Süddeutsche Zeitung-Rezension
Chance vertan, meint die Rezensentin Nikola Framme, Vollzugsabteilungsleiterin im Männergefängnis von Oldenburg, enttäuscht fest. In ihren Augen vermag der Soziologe und Journalist Kai Schlieter nicht, seinen Stoff auf wirklich differenzierte, erkenntnisbringende Weise darzustellen. Über die an sich spannenden Themen Jugendkriminalität, Frauenvollzug, Langzeitgefangene und die Zusammenhänge von Neurophysiologie und Straffälligkeit erfährt Framme leider nichts Neues. Oberflächlich und lückenhaft findet sie Schlieters Vor-Ort-Recherchen und Auseinandersetzungen. Und beim Thema Sicherheitsverwahrung kann der Autor sich ihrer Meinung nach nicht von eigenen Vorurteilen lösen.
© Perlentaucher Medien GmbH
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