Ein poetischer, schwebender, humorvoller Roman
Es war ein Wunder, daß Eli die Dresdener Bombennacht überlebte. Seitdem fühlt sie sich sicher, nicht wahrnehmbar, nicht faßbar. Wie ein perfekter Schatten, unerkannt und unbeachtet, zieht die gestiefelte Gärtnerin ihren Karren durch die Stadt: mit festem Schritt und brennender Seele, im Herzen die große Sehnsucht, nach einem Menschen, für den sie wichtig ist. Eli übt das Unsichtbarsein, denn sie will retten, helfen. Besonders den beiden Männern, die sie auf ihre Weise liebt, heimlich und ungeschickt.
Eli ist ein Waisenkind und ein Überlebenswunder der Bombennacht in Dresden am 13. Februar 1945. Der Vater ist in Stalingrad verschollen, die Mutter nie wieder in Dresden angekommen, als sie die warmen Federbetten aus Schlesien holen wollte. Das Haus, in dem Eli auf die Mutter wartete, wurde getroffen. Der Großvater fand am nächsten Tag auf einem Mauerrest des brennenden Trümmerhaufens die Todesmeldung: 9 Frauen, 3 Männer, 11 Kinder. Als eines der elf Kinder wurde Eli gezählt. Später konnte er sie in einem Kinderheim abholen: ohne Haare, mit verquollenen Augen und Brandwunden, die Luftschutztasche um den Bauch. Nun wächst Eli bei ihrem Großvater Anton auf, und ein bißchen fühlt sie sich allen überlegen, weil es sie eigentlich gar nicht gibt. Das will sie nutzen, um zu retten, zu helfen. Wie ein perfekter Schatten bewegt sich Eli durch die Stadt. Sie übt das Unsichtbarsein. Dazu muß man auf eine bestimmte Art auf der Welt sein: immer korrekt, immer pünktlich und keinen Anlaß zu Nachfragen geben. Und Eli ist pünktlich und korrekt. Sie bekommt die ehrenvollsten Aufgaben ihrer Lehrgärtnerei, und so zieht sie, die gestiefelte Gärtnerin, mit ihrem Karren durch die Stadt, unerkannt und unbeachtet, im Herzen die große Sehnsucht nach einem Menschen, für den sie wichtig ist.
Es war ein Wunder, daß Eli die Dresdener Bombennacht überlebte. Seitdem fühlt sie sich sicher, nicht wahrnehmbar, nicht faßbar. Wie ein perfekter Schatten, unerkannt und unbeachtet, zieht die gestiefelte Gärtnerin ihren Karren durch die Stadt: mit festem Schritt und brennender Seele, im Herzen die große Sehnsucht, nach einem Menschen, für den sie wichtig ist. Eli übt das Unsichtbarsein, denn sie will retten, helfen. Besonders den beiden Männern, die sie auf ihre Weise liebt, heimlich und ungeschickt.
Eli ist ein Waisenkind und ein Überlebenswunder der Bombennacht in Dresden am 13. Februar 1945. Der Vater ist in Stalingrad verschollen, die Mutter nie wieder in Dresden angekommen, als sie die warmen Federbetten aus Schlesien holen wollte. Das Haus, in dem Eli auf die Mutter wartete, wurde getroffen. Der Großvater fand am nächsten Tag auf einem Mauerrest des brennenden Trümmerhaufens die Todesmeldung: 9 Frauen, 3 Männer, 11 Kinder. Als eines der elf Kinder wurde Eli gezählt. Später konnte er sie in einem Kinderheim abholen: ohne Haare, mit verquollenen Augen und Brandwunden, die Luftschutztasche um den Bauch. Nun wächst Eli bei ihrem Großvater Anton auf, und ein bißchen fühlt sie sich allen überlegen, weil es sie eigentlich gar nicht gibt. Das will sie nutzen, um zu retten, zu helfen. Wie ein perfekter Schatten bewegt sich Eli durch die Stadt. Sie übt das Unsichtbarsein. Dazu muß man auf eine bestimmte Art auf der Welt sein: immer korrekt, immer pünktlich und keinen Anlaß zu Nachfragen geben. Und Eli ist pünktlich und korrekt. Sie bekommt die ehrenvollsten Aufgaben ihrer Lehrgärtnerei, und so zieht sie, die gestiefelte Gärtnerin, mit ihrem Karren durch die Stadt, unerkannt und unbeachtet, im Herzen die große Sehnsucht nach einem Menschen, für den sie wichtig ist.
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 16.08.2005Botanik an der Zonengrenze
Helga Schütz erzählt von einer Kindheit in Krieg und Nachkrieg
Der Titel des Romans ist ganz offensichtlich satirisch gemeint, denn das "Paradies", von dem er kündet, zeigt sich eher als Jammerszenerie der deutschen Geschichte: die letzten Kriegsmonate 1945, Dresden im Feuersturm des 13. Februar, die Hungerzeit der frühen Nachkriegsjahre, die Plagen der Ost-West-Trennung. Freilich bildet das alles nur den Hintergrund, ganz vorne steht die Heldin Raphaela, genannt Eli, zur Zeit der Handlung etwa vierzehn Jahre alt, eine muntere Göre, die uns an ihren Erlebnissen, Unternehmungen, krausen Einfällen teilhaben läßt.
Ein Roman im Ich-Ton also, ein Unterfangen nicht ohne Risiko, wie immer, wenn man einer Halbwüchsigen das Wort erteilt. Denn die Unreife, die die Autorin stets berücksichtigen muß, erlaubt zwar eine Menge unbekümmerter Zickleinsprünge und damit Aussagen, wie sie von Erwachsenen nicht erwartet werden können. Aber sie engt auch die Weltsicht ein, macht es uns schwer, über das hinauszudenken, was die Kleine ausbrütet. Wir müssen uns ihr fügen oder gar nicht erst lesen.
Das wiederum wäre schade, denn Elis Geschichte ist schon interessant, in manchen Partien auch ergreifend. Zum Beispiel konnte sie im Alter von sechs dem Dresdner Kellertod nur deshalb entrinnen, weil sie die von den Bombern abgeworfenen Lamettastreifen so wunderschön fand und hinauslief, um sie aufzusammeln. Ihr Vater verschwand in Stalingrad, die Mutter auf dem Weg in die Heimat Schlesien, von wo sie warme Federbetten holen wollte. Eli bleiben zwei Großväter, Opa Heinrich westlich der bald gezogenen Zonengrenze, Opa Anton in Dresden. Beim Dresdner Anton wächst das Kind auf.
In welchem Maße die Autorin aus der eigenen Vita schöpfte, ist nicht genau auszumachen. Fest steht, daß sie ebenfalls schlesischen Ursprungs ist, als etwa Sechsjährige 1944 nach Dresden kam und dort zumindest das Wesentliche dessen erlebte, was sie nun Eli berichten läßt. Auch die Gärtnerlehre, im Roman Hauptbeschäftigung und Gedankenreservoir der Heldin, hat sie absolviert. So müssen wir uns nicht wundern, wenn die kleine Rotznase Eli uns seitenlang mit Weisheiten aus der Botanik traktiert und derart geläufig mit lateinischen wie griechischen Pflanzennamen umgeht, daß dem Leser die Luft wegbleibt. Ob die schlaue Kleine auch den weiteren Bildungsweg ihrer Erfinderin gehen wird - Abitur an der Arbeiter- und Bauern-Fakultät, Studium an der Potsdamer Hochschule für Filmkunst, Verfassen von Drehbüchern und schließlich von literarischen Werken -, steht dahin. Im Roman bleibt sie halbwüchsig.
Es läßt sich nicht leugnen, daß Elis Versenkungen ins Fachwissen allzu häufig und allzu intensiv daherkommen. Auf die Dauer nervt das ein wenig. Dennoch ist man bereit, sie auf ihren Wegen zu begleiten, sie ist so lieb, so gescheit und in ihrer Verlassenheit so tapfer, man möchte gern erfahren, daß sie irgendein lohnendes Ziel erreicht. So weit freilich geht ihre Geschichte nicht, sie dient nur dazu, eine gewisse Zeit und deren politische Hintergründe auszuleuchten, alles gesammelt im Persönlichkeitsbild eines Backfisches (Teenies gab es ja damals noch nicht).
Elis Backfischphantasien sind kaum Grenzen gesetzt; wer hätte das auch tun sollen? Ihren Chefs gilt sie als Musterlehrling, dem Großvater Anton als brave Enkelin, die ihn nicht bei seiner Amour mit einer Angestellten des Nährmittelamtes stört. Den Großvater Heinrich und damit den weggeschlossenen Westen besucht Eli manchmal, wobei sie verbotene Pfade über die Zonengrenze nimmt. Auch sonst weicht sie zuweilen vom sozialistischen Tugendweg ab, so zum Beispiel in ihrer Neigung zum Vagabunden Maxim, den sie zu nähren und zu kleiden versucht. Desgleichen mag sie Tobias, der jugendlicher Missetaten wegen in einer Zwangserziehung malochen muß, und denkt sich Abwege aus, auf denen der Junge nach Westen flüchten könnte.
Wie das ausgeht, erfahren wir nie. Aber der Roman basiert ja auch nicht auf einer Ost-West-Analyse, sondern auf der Geschichte eines Kindes, das von deutscher Kriegs- und Nachkriegspolitik in unsagbar schmerzliche Einsamkeit gestoßen wurde. Eli ist verheerend allein, und vor allem diesem Gefühl, nicht bloß halbreifem Übermut, entspringt ihre wuchernde Phantasie. Wir können das erkennen, weil immer wieder das Bild der Mutter, auch das des Vaters in ihren Träumen aufscheint. Wenn sie schon nicht wiederherstellen kann, was einmal war, so möchte Eli doch die Welt ein bißchen freundlicher machen. Und sie möchte für irgend jemanden ganz wichtig sein, nicht ihrer Leistungen oder ihrer guten Manieren wegen, sondern einfach, weil sie Eli ist.
SABINE BRANDT
Helga Schütz: "Knietief im Paradies". Roman. Aufbau-Verlag, Berlin 2005, 175 S., geb., 17,90 [Euro].
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Helga Schütz erzählt von einer Kindheit in Krieg und Nachkrieg
Der Titel des Romans ist ganz offensichtlich satirisch gemeint, denn das "Paradies", von dem er kündet, zeigt sich eher als Jammerszenerie der deutschen Geschichte: die letzten Kriegsmonate 1945, Dresden im Feuersturm des 13. Februar, die Hungerzeit der frühen Nachkriegsjahre, die Plagen der Ost-West-Trennung. Freilich bildet das alles nur den Hintergrund, ganz vorne steht die Heldin Raphaela, genannt Eli, zur Zeit der Handlung etwa vierzehn Jahre alt, eine muntere Göre, die uns an ihren Erlebnissen, Unternehmungen, krausen Einfällen teilhaben läßt.
Ein Roman im Ich-Ton also, ein Unterfangen nicht ohne Risiko, wie immer, wenn man einer Halbwüchsigen das Wort erteilt. Denn die Unreife, die die Autorin stets berücksichtigen muß, erlaubt zwar eine Menge unbekümmerter Zickleinsprünge und damit Aussagen, wie sie von Erwachsenen nicht erwartet werden können. Aber sie engt auch die Weltsicht ein, macht es uns schwer, über das hinauszudenken, was die Kleine ausbrütet. Wir müssen uns ihr fügen oder gar nicht erst lesen.
Das wiederum wäre schade, denn Elis Geschichte ist schon interessant, in manchen Partien auch ergreifend. Zum Beispiel konnte sie im Alter von sechs dem Dresdner Kellertod nur deshalb entrinnen, weil sie die von den Bombern abgeworfenen Lamettastreifen so wunderschön fand und hinauslief, um sie aufzusammeln. Ihr Vater verschwand in Stalingrad, die Mutter auf dem Weg in die Heimat Schlesien, von wo sie warme Federbetten holen wollte. Eli bleiben zwei Großväter, Opa Heinrich westlich der bald gezogenen Zonengrenze, Opa Anton in Dresden. Beim Dresdner Anton wächst das Kind auf.
In welchem Maße die Autorin aus der eigenen Vita schöpfte, ist nicht genau auszumachen. Fest steht, daß sie ebenfalls schlesischen Ursprungs ist, als etwa Sechsjährige 1944 nach Dresden kam und dort zumindest das Wesentliche dessen erlebte, was sie nun Eli berichten läßt. Auch die Gärtnerlehre, im Roman Hauptbeschäftigung und Gedankenreservoir der Heldin, hat sie absolviert. So müssen wir uns nicht wundern, wenn die kleine Rotznase Eli uns seitenlang mit Weisheiten aus der Botanik traktiert und derart geläufig mit lateinischen wie griechischen Pflanzennamen umgeht, daß dem Leser die Luft wegbleibt. Ob die schlaue Kleine auch den weiteren Bildungsweg ihrer Erfinderin gehen wird - Abitur an der Arbeiter- und Bauern-Fakultät, Studium an der Potsdamer Hochschule für Filmkunst, Verfassen von Drehbüchern und schließlich von literarischen Werken -, steht dahin. Im Roman bleibt sie halbwüchsig.
Es läßt sich nicht leugnen, daß Elis Versenkungen ins Fachwissen allzu häufig und allzu intensiv daherkommen. Auf die Dauer nervt das ein wenig. Dennoch ist man bereit, sie auf ihren Wegen zu begleiten, sie ist so lieb, so gescheit und in ihrer Verlassenheit so tapfer, man möchte gern erfahren, daß sie irgendein lohnendes Ziel erreicht. So weit freilich geht ihre Geschichte nicht, sie dient nur dazu, eine gewisse Zeit und deren politische Hintergründe auszuleuchten, alles gesammelt im Persönlichkeitsbild eines Backfisches (Teenies gab es ja damals noch nicht).
Elis Backfischphantasien sind kaum Grenzen gesetzt; wer hätte das auch tun sollen? Ihren Chefs gilt sie als Musterlehrling, dem Großvater Anton als brave Enkelin, die ihn nicht bei seiner Amour mit einer Angestellten des Nährmittelamtes stört. Den Großvater Heinrich und damit den weggeschlossenen Westen besucht Eli manchmal, wobei sie verbotene Pfade über die Zonengrenze nimmt. Auch sonst weicht sie zuweilen vom sozialistischen Tugendweg ab, so zum Beispiel in ihrer Neigung zum Vagabunden Maxim, den sie zu nähren und zu kleiden versucht. Desgleichen mag sie Tobias, der jugendlicher Missetaten wegen in einer Zwangserziehung malochen muß, und denkt sich Abwege aus, auf denen der Junge nach Westen flüchten könnte.
Wie das ausgeht, erfahren wir nie. Aber der Roman basiert ja auch nicht auf einer Ost-West-Analyse, sondern auf der Geschichte eines Kindes, das von deutscher Kriegs- und Nachkriegspolitik in unsagbar schmerzliche Einsamkeit gestoßen wurde. Eli ist verheerend allein, und vor allem diesem Gefühl, nicht bloß halbreifem Übermut, entspringt ihre wuchernde Phantasie. Wir können das erkennen, weil immer wieder das Bild der Mutter, auch das des Vaters in ihren Träumen aufscheint. Wenn sie schon nicht wiederherstellen kann, was einmal war, so möchte Eli doch die Welt ein bißchen freundlicher machen. Und sie möchte für irgend jemanden ganz wichtig sein, nicht ihrer Leistungen oder ihrer guten Manieren wegen, sondern einfach, weil sie Eli ist.
SABINE BRANDT
Helga Schütz: "Knietief im Paradies". Roman. Aufbau-Verlag, Berlin 2005, 175 S., geb., 17,90 [Euro].
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Perlentaucher-Notiz zur TAZ-Rezension
Es sei eine Kunst, wie es Helga Schütz schaffe, einen Roman um die Bombardierung Dresdens herum anzulegen und dabei stets leise und dezent zu bleiben, meint Jörg Magenau. Die autobiografhisch gefärbte Geschichte drehe sich um das Leben eines Mädchens, das durch dieses Ereignis in ein Vorher und ein Nachher zerschnitten werde. Die Geschichte, ob in den Kriegsjahren oder in den Anfängen der DDR, sei dabei immer sichtbar, werde aber nie explizit in den Vordergrund gerückt, sondern quasi en passant als Hintergrund des Lebens der Protagonistin erzählt. Die Autorin enthalte sich dabei dankenswerterweise aller "ideologischen Verklemmtheiten", verfalle nie in Ost-West-Gejammer oder Opfer-Selbstmitleid, was ihren Roman zu einem "leisen, poetischen Auftakt zum Gedenkmarathon des Jahres 2005" mache.
© Perlentaucher Medien GmbH
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