**Longlisted for the Baillie Gifford Prize 2024** A gripping account of survival and recovery from internationally renowned writer and Booker Prize-winner Salman Rushdie On the morning of 12 August 2022, Salman Rushdie was standing onstage at the Chautauqua Institution in upstate New York, preparing to give a lecture on the importance of keeping writers safe from harm, when a man in black - black clothes, black mask - rushed down the aisle towards him, wielding a knife. His first thought: So it's you. Here you are. What followed was a horrific act of violence that shook the literary world and beyond. Now, for the first time, Rushdie relives the traumatic events of that day and its aftermath, as well as his journey towards physical recovery and the healing that was made possible by the love and support of his wife, Eliza, his family, his army of doctors and physical therapists, and his community of readers worldwide. Knife is Rushdie writing with urgency, gravity, and unflinching honesty. It is also a deeply moving reminder of literature's capacity to make sense of the unthinkable. This an intimate and life-affirming meditation on life, loss, love, art - and finding the strength to stand up again.
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Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 17.04.2024Selbsttherapie durch freie literarische Assoziation
Salman Rushdies Messerattacken-Memoir "Knife"
Einige Male schon hat Salman Rushdie inzwischen Journalisten von dem Messerattentat auf ihn erzählt, das er 2022 nur knapp überlebte und in dem am gestrigen Dienstag weltweit in verschiedenen Sprachen veröffentlichten Buch "Knife" verarbeitet hat. Das große mediale Interesse an dem Fall ist nur zu verständlich. Etwas misslich wirkt, dass die Interviews und Vorabberichte Aufmerksamkeit vom eigentlichen Gegenstand, dem Buch, abziehen oder gar suggerieren, es ersetzen zu können.
Um gleich jeden Zweifel auszuräumen: Ja, es lohnt sich noch, tatsächlich das Buch zu lesen. Das merkt man gleich an dessen erstem Satz, der sofort in Rushdies typischem Sarkasmus gipfelt, und zwar auf eine Weise, die stark von der Schriftsprache bedingt ist: "Am 12. August 2022, einem sonnigen Freitagmorgen um Viertel vor elf, wurde ich von einem jungen Mann mit einem Messer angegriffen und beinahe getötet, nachdem ich gerade die Bühne des Amphitheaters in Chautauqua betreten hatte, um darüber zu reden, wie wichtig es ist, sich für die Sicherheit von Schriftstellerinnen und Schriftstellern einzusetzen."
Von derartig pointierten Gegensätzen lebt das Buch bis zur letzten Seite. Die amerikanische Institution Chautauqua, die er schon von früher kannte, ein gemeinnütziges Bildungszentrum am Eriesee, beschreibt Rushdie zunächst als wunderbaren Ort, an dem sich "silberhaarige, weltoffene Menschen zu einer idyllischen Gemeinschaft" zusammentaten, in "komfortablen Holzhäusern" lebten und es unnötig fanden, "abends die Türen zu verschließen". Leider fand man es dort wohl auch unnötig, den seit 1989 von Fanatikern mit dem Tode bedrohten Rushdie besonders zu schützen, sodass ein Mann auf die Bühne stürmen und ihm zahlreiche Messerstiche versetzen konnte. An diesem Tag sei Chautauqua "kein sicherer Ort" für ihn gewesen, bemerkt Rushdie lakonisch.
Fast 35 Jahre nach Khomeinis Mordaufruf aufgrund des vermeintlich blasphemischen Romans "Die satanischen Verse" mutet es dessen Verfasser Rushdie kurios an, dass der Attentäter, wie später bekannt wurde, "kaum zwei Seiten" seines Werks gelesen hatte und wohl nur aufgrund einiger Youtube-Videos seinen Mordplan fasste. Das vorliegende Buch, so Rushdie, diene ihm dazu, herauszufinden, worum es dem Attentäter wirklich ging.
Bevor es dazu kommt, muss der Autor sich in diesem offensichtlich selbsttherapeutischen Werk aber erst noch über ganz andere Dinge klar werden, die ihn betreffen. Ein Schlüsselsatz lautet: "Da ich nun noch lebe (. . .), gebe ich gern der Vorliebe meines Verstandes zur freien Assoziation nach."
Von dieser freudschen Technik, das Vorbewusste sichtbar zu machen, ist Rushdies zwischen Memoir und Essay changierender Überlebenstext tief geprägt - von der Ausmalung der letzten Stunden vor dem Attentat über das literarisch gedehnte Erleben desselben bis hin zur Zeit der mühsamen Rekonvaleszenz. Die Anwendung der Mittel des Traumes rechtfertigt Rushdie wie folgt: "Ich halte Kunst für einen Wachtraum." Und dieser habe ihm vielleicht das Leben gerettet.
Die Beschreibung des Tathergangs aus Sicht des Opfers ist so drastisch, dass wir hier lieber nicht daraus zitieren. Sie ist drastisch in der genauen Beschreibung der Bluttat, aber auch in den Sprachbildern und den Assoziationen, die sie auslöst. Das zu lesen hat bleibende Wirkung.
Teils noch größere Wirkung aber erzielt Rushdie durch seinen unbedingten Willen, seine Leidensgeschichte - also die von Stichen, Schnitten, durchtrennten Sehnen und Nerven, auch eines Sehnervs, irreparabel - mit Humor und Ironie zu erzählen. "Schade um meinen Ralph-Lauren-Anzug", stellt er etwa fest angesichts des Kleidungsstücks, das die Ersthelfer zerschnitten, um seine zahlreichen Wunden zu lokalisieren und zu versorgen. Als ein Arzt ihm später in der Klinik versichert, er sei "Meister im Flüssigkeitsabsaugen", kommentiert der Patient: "Ich wusste gar nicht, dass es in dieser Disziplin Meisterschaften gibt. Ein Super Bowl im Absaugen von Flüssigkeiten? Wer trat bei der Halbzeitshow auf? Muddy Waters? Aqua? Halt die Klappe, Salman."
Sogar noch der Erkenntnis, dass sein rechtes Auge nicht zu retten ist und das Lid zugenäht werden muss, versucht Rushdie eine Art Witz abzugewinnen. Er rät seinen Lesern: "Falls Sie es vermeiden können, dass man Ihnen die Lider zusammennäht . . . vermeiden Sie es. Es tut wirklich, wirklich weh."
Geradezu verspielt wirken die Buchpassagen über die schmerzhafte und langwierige Reha-Phase, in die Rushdie lauter literarische Assoziationen einbaut, besonders solche über Augenverletzungen und Einäugigkeit, vom Zyklopen Polyphem bis zu Buñuels "Andalusischem Hund". Die Dauer des Attentats bemisst Rushdie mit der, ein Shakespeare-Sonett aufzusagen. Und bei der Lektüre eines Zeitungsinterviews mit dem Täter hat er "stark den Eindruck, dass seine Entscheidung, mich zu ermorden, untermotiviert blieb". Den Mann, der ihn ermorden wollte, nennt er bewusst nicht beim Namen, sondern kürzt diesen mit "A." ab - und bietet gleich mehrere Bedeutungen dafür an, darunter "Affenmann" und schlicht "Arschloch".
Aber so verständlich diese Distanzierung wäre, bleibt es dabei nicht. Im zweiten Teil des Buches sprengt Rushdie dessen Form ein weiteres Mal und ersinnt nun ein langes vierteiliges Gespräch mit dem Attentäter, den er nie in Wirklichkeit getroffen hat, um ihn ganz nah heranzuholen. In der Fiktion versucht er dem Fundamentalisten ohne wirkliches Fundament ein solches zu geben - allerdings nicht in einer Religion, sondern in der freien Kunst. Diese überdauere am Ende jene, die sie - und sei es mit Gewalt - unterdrücken wollen.
Umso deutlicher wird nun, warum Rushdie zuvor teils fast verzweifelt versucht hat, am Humor festzuhalten: weil er dem Attentäter hier schließlich die Lektion erteilen will, dass die Frage der Blasphemie letztlich eine Auseinandersetzung "zwischen Menschen mit Humor und Menschen ohne Humor" sei. Seinem "scheinheiligen Attentäter" ruft er zu: "Sie konnten es mit dem Morden versuchen, weil Sie nicht zu lachen wussten." Zu einer Einsicht, zum Lachen kommt der Mann freilich nicht, auch nicht in Rushdies Phantasie. "Unser erdachtes Gespräch ist vorbei. Ich habe nicht länger die Energie, ihn mir vorzustellen, so wie er nie in der Lage war, sich mich vorzustellen."
Rushdie, der seit 1989 auch einigen Mangel an Solidarität erlebt hat, wie man bereits aus seiner Autobiographie "Joseph Anton" wusste, hätte jedes Recht, nun, da der Ernstfall eines Attentats wirklich eingetreten ist, nur über sich zu sprechen. Aber sein Buch über Leben und Tod gewinnt besonders auch, wenn er von sich selbst absieht. Er tut das einerseits in Bezug auf alle, die ihm nahestehen - das ist in erster Linie seine Frau Rachel Eliza Griffiths, der er ein eigenes Kapitel widmet und die symbiotische Beziehung mit der 1978 geborenen Dichterin als lebensrettend beschreibt. Zum anderen würdigt Rushdie Familie und Freunde, die ihm beistanden, etwa den 2023 verstorbenen Martin Amis. Dies lässt sein Buch bisweilen wie eine sehr lange, sehr amerikanische Dankesrede wirken - aber auch das tut ihm keinen großen Tort an.
Trotz allem Persönlichen liegt dem Überlebenden aber, das wird deutlich, an einer universellen Botschaft, ja, einem Vermächtnis, das im Einklang mit seiner Friedenspreisrede in der Paulskirche vom vergangenen Oktober steht: "Für die Opfer von Gewalt gerät das Verständnis von Realität ins Wanken. Kinder gehen zur Schule, Gläubige in eine Synagoge, Käufer in einen Supermarkt, ein Mann betritt die Bühne eines Amphitheaters; sie alle bewegen sich gewissermaßen in einem stabilen Weltbild. Eine Schule ist ein Ort der Bildung, eine Synagoge ein Ort der Andacht, ein Supermarkt ein Ort zum Einkaufen, eine Bühne ein Ort zum Auftreten." An einem solchen Weltbild, so sehr es auch von der Realität immer wieder erschüttert werden mag, hält Salman Rushdie unerschütterlich fest. Jan Wiele
Salman Rushdie:
"Knife". Gedanken nach einem Mordversuch.
Aus dem Englischen von Bernhard Robben. Penguin Verlag, München 2024. 256 S., geb., 25,- Euro.
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Salman Rushdies Messerattacken-Memoir "Knife"
Einige Male schon hat Salman Rushdie inzwischen Journalisten von dem Messerattentat auf ihn erzählt, das er 2022 nur knapp überlebte und in dem am gestrigen Dienstag weltweit in verschiedenen Sprachen veröffentlichten Buch "Knife" verarbeitet hat. Das große mediale Interesse an dem Fall ist nur zu verständlich. Etwas misslich wirkt, dass die Interviews und Vorabberichte Aufmerksamkeit vom eigentlichen Gegenstand, dem Buch, abziehen oder gar suggerieren, es ersetzen zu können.
Um gleich jeden Zweifel auszuräumen: Ja, es lohnt sich noch, tatsächlich das Buch zu lesen. Das merkt man gleich an dessen erstem Satz, der sofort in Rushdies typischem Sarkasmus gipfelt, und zwar auf eine Weise, die stark von der Schriftsprache bedingt ist: "Am 12. August 2022, einem sonnigen Freitagmorgen um Viertel vor elf, wurde ich von einem jungen Mann mit einem Messer angegriffen und beinahe getötet, nachdem ich gerade die Bühne des Amphitheaters in Chautauqua betreten hatte, um darüber zu reden, wie wichtig es ist, sich für die Sicherheit von Schriftstellerinnen und Schriftstellern einzusetzen."
Von derartig pointierten Gegensätzen lebt das Buch bis zur letzten Seite. Die amerikanische Institution Chautauqua, die er schon von früher kannte, ein gemeinnütziges Bildungszentrum am Eriesee, beschreibt Rushdie zunächst als wunderbaren Ort, an dem sich "silberhaarige, weltoffene Menschen zu einer idyllischen Gemeinschaft" zusammentaten, in "komfortablen Holzhäusern" lebten und es unnötig fanden, "abends die Türen zu verschließen". Leider fand man es dort wohl auch unnötig, den seit 1989 von Fanatikern mit dem Tode bedrohten Rushdie besonders zu schützen, sodass ein Mann auf die Bühne stürmen und ihm zahlreiche Messerstiche versetzen konnte. An diesem Tag sei Chautauqua "kein sicherer Ort" für ihn gewesen, bemerkt Rushdie lakonisch.
Fast 35 Jahre nach Khomeinis Mordaufruf aufgrund des vermeintlich blasphemischen Romans "Die satanischen Verse" mutet es dessen Verfasser Rushdie kurios an, dass der Attentäter, wie später bekannt wurde, "kaum zwei Seiten" seines Werks gelesen hatte und wohl nur aufgrund einiger Youtube-Videos seinen Mordplan fasste. Das vorliegende Buch, so Rushdie, diene ihm dazu, herauszufinden, worum es dem Attentäter wirklich ging.
Bevor es dazu kommt, muss der Autor sich in diesem offensichtlich selbsttherapeutischen Werk aber erst noch über ganz andere Dinge klar werden, die ihn betreffen. Ein Schlüsselsatz lautet: "Da ich nun noch lebe (. . .), gebe ich gern der Vorliebe meines Verstandes zur freien Assoziation nach."
Von dieser freudschen Technik, das Vorbewusste sichtbar zu machen, ist Rushdies zwischen Memoir und Essay changierender Überlebenstext tief geprägt - von der Ausmalung der letzten Stunden vor dem Attentat über das literarisch gedehnte Erleben desselben bis hin zur Zeit der mühsamen Rekonvaleszenz. Die Anwendung der Mittel des Traumes rechtfertigt Rushdie wie folgt: "Ich halte Kunst für einen Wachtraum." Und dieser habe ihm vielleicht das Leben gerettet.
Die Beschreibung des Tathergangs aus Sicht des Opfers ist so drastisch, dass wir hier lieber nicht daraus zitieren. Sie ist drastisch in der genauen Beschreibung der Bluttat, aber auch in den Sprachbildern und den Assoziationen, die sie auslöst. Das zu lesen hat bleibende Wirkung.
Teils noch größere Wirkung aber erzielt Rushdie durch seinen unbedingten Willen, seine Leidensgeschichte - also die von Stichen, Schnitten, durchtrennten Sehnen und Nerven, auch eines Sehnervs, irreparabel - mit Humor und Ironie zu erzählen. "Schade um meinen Ralph-Lauren-Anzug", stellt er etwa fest angesichts des Kleidungsstücks, das die Ersthelfer zerschnitten, um seine zahlreichen Wunden zu lokalisieren und zu versorgen. Als ein Arzt ihm später in der Klinik versichert, er sei "Meister im Flüssigkeitsabsaugen", kommentiert der Patient: "Ich wusste gar nicht, dass es in dieser Disziplin Meisterschaften gibt. Ein Super Bowl im Absaugen von Flüssigkeiten? Wer trat bei der Halbzeitshow auf? Muddy Waters? Aqua? Halt die Klappe, Salman."
Sogar noch der Erkenntnis, dass sein rechtes Auge nicht zu retten ist und das Lid zugenäht werden muss, versucht Rushdie eine Art Witz abzugewinnen. Er rät seinen Lesern: "Falls Sie es vermeiden können, dass man Ihnen die Lider zusammennäht . . . vermeiden Sie es. Es tut wirklich, wirklich weh."
Geradezu verspielt wirken die Buchpassagen über die schmerzhafte und langwierige Reha-Phase, in die Rushdie lauter literarische Assoziationen einbaut, besonders solche über Augenverletzungen und Einäugigkeit, vom Zyklopen Polyphem bis zu Buñuels "Andalusischem Hund". Die Dauer des Attentats bemisst Rushdie mit der, ein Shakespeare-Sonett aufzusagen. Und bei der Lektüre eines Zeitungsinterviews mit dem Täter hat er "stark den Eindruck, dass seine Entscheidung, mich zu ermorden, untermotiviert blieb". Den Mann, der ihn ermorden wollte, nennt er bewusst nicht beim Namen, sondern kürzt diesen mit "A." ab - und bietet gleich mehrere Bedeutungen dafür an, darunter "Affenmann" und schlicht "Arschloch".
Aber so verständlich diese Distanzierung wäre, bleibt es dabei nicht. Im zweiten Teil des Buches sprengt Rushdie dessen Form ein weiteres Mal und ersinnt nun ein langes vierteiliges Gespräch mit dem Attentäter, den er nie in Wirklichkeit getroffen hat, um ihn ganz nah heranzuholen. In der Fiktion versucht er dem Fundamentalisten ohne wirkliches Fundament ein solches zu geben - allerdings nicht in einer Religion, sondern in der freien Kunst. Diese überdauere am Ende jene, die sie - und sei es mit Gewalt - unterdrücken wollen.
Umso deutlicher wird nun, warum Rushdie zuvor teils fast verzweifelt versucht hat, am Humor festzuhalten: weil er dem Attentäter hier schließlich die Lektion erteilen will, dass die Frage der Blasphemie letztlich eine Auseinandersetzung "zwischen Menschen mit Humor und Menschen ohne Humor" sei. Seinem "scheinheiligen Attentäter" ruft er zu: "Sie konnten es mit dem Morden versuchen, weil Sie nicht zu lachen wussten." Zu einer Einsicht, zum Lachen kommt der Mann freilich nicht, auch nicht in Rushdies Phantasie. "Unser erdachtes Gespräch ist vorbei. Ich habe nicht länger die Energie, ihn mir vorzustellen, so wie er nie in der Lage war, sich mich vorzustellen."
Rushdie, der seit 1989 auch einigen Mangel an Solidarität erlebt hat, wie man bereits aus seiner Autobiographie "Joseph Anton" wusste, hätte jedes Recht, nun, da der Ernstfall eines Attentats wirklich eingetreten ist, nur über sich zu sprechen. Aber sein Buch über Leben und Tod gewinnt besonders auch, wenn er von sich selbst absieht. Er tut das einerseits in Bezug auf alle, die ihm nahestehen - das ist in erster Linie seine Frau Rachel Eliza Griffiths, der er ein eigenes Kapitel widmet und die symbiotische Beziehung mit der 1978 geborenen Dichterin als lebensrettend beschreibt. Zum anderen würdigt Rushdie Familie und Freunde, die ihm beistanden, etwa den 2023 verstorbenen Martin Amis. Dies lässt sein Buch bisweilen wie eine sehr lange, sehr amerikanische Dankesrede wirken - aber auch das tut ihm keinen großen Tort an.
Trotz allem Persönlichen liegt dem Überlebenden aber, das wird deutlich, an einer universellen Botschaft, ja, einem Vermächtnis, das im Einklang mit seiner Friedenspreisrede in der Paulskirche vom vergangenen Oktober steht: "Für die Opfer von Gewalt gerät das Verständnis von Realität ins Wanken. Kinder gehen zur Schule, Gläubige in eine Synagoge, Käufer in einen Supermarkt, ein Mann betritt die Bühne eines Amphitheaters; sie alle bewegen sich gewissermaßen in einem stabilen Weltbild. Eine Schule ist ein Ort der Bildung, eine Synagoge ein Ort der Andacht, ein Supermarkt ein Ort zum Einkaufen, eine Bühne ein Ort zum Auftreten." An einem solchen Weltbild, so sehr es auch von der Realität immer wieder erschüttert werden mag, hält Salman Rushdie unerschütterlich fest. Jan Wiele
Salman Rushdie:
"Knife". Gedanken nach einem Mordversuch.
Aus dem Englischen von Bernhard Robben. Penguin Verlag, München 2024. 256 S., geb., 25,- Euro.
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 16.04.2024Das Buch zur Gegenwart
Salman Rushdie schreibt im meisterhaften Roman „Knife“ über die erlebte Gewalttat und
zugleich über das, was in der Ukraine, in Israel und auf der ganzen Welt zu verteidigen ist.
Wenige Tage nach dem zum Glück wirkungslosen Angriff Irans auf Israel erscheint das neue Buch des Mannes, der 1989 vom iranischen Revolutionsführer zum Tode verurteilt wurde. Und der diesem alten Fluch im Sommer 2022 bei einer Lesung in New York beinahe erlegen wäre.
Die Geschichte von Salman Rushdie ist die Geschichte unserer Gegenwart. Von Anfang an war alles da: Als sein Leben durch die Fatwa des Ayatollah Chomeini bedroht wurde, der sich durch Rushdies Roman „Die satanischen Verse“ provoziert fühlte, war die britische, die westliche Öffentlichkeit durchaus gespalten: Im Konflikt zwischen islamistischer Ideologie und Freiheit gab es genug westliche Stimmen, die sich auf die Seite Teherans schlugen.
Der britische Historiker Hugh Trevor-Roper spielte hier eine unrühmliche Rolle. In Deutschland war er als jener Experte bekannt, der die von Konrad Kujau gefälschten Hitler-Tagebücher als „zu 99,5 Prozent echt“ bezeichnete. Aber es gab auch viele andere, die Gründe fanden, die Werte der Freiheit geringer zu schätzen als die Notwendigkeit, Verständnis für die kulturellen Empfindlichkeiten der Aggressoren zu entwickeln. Vieles an dieser Debatte aus dem vorigen Jahrhundert erinnert an die europäische Gegenwart des Jahres 2024.
Warum schlagen sich populistische Parteien und ihre Vordenker auf die Seite der russisch-iranischen Koalition? Was führte dazu, dass ein als Pragmatismus getarntes Zaudern zum Volkssport wurde, ein konsequenter Idealismus der Freiheit sich aber als Extremposition rechtfertigen muss? Warum fällt es Menschen so schwer, ihre Freiheit, Ergebnis der Kämpfe vieler Generationen vor uns, auch zu verteidigen? Oder wenigstens wertzuschätzen?
Von solchen geopolitischen und philosophischen Erörterungen ist der Protagonist des Buches zu Beginn dieser Geschichte weit entfernt. Zum ersten Mal schreibt Salman Rushdie hier in der ersten Person. Er beschäftigt sich viel mit dem Mann, der er am Abend vor dem Messerangriff war. Der sich in der Septembernacht am Mond erfreute und dann an den uralten Film von Georges Méliès dachte, die Reise zum Mond, als das Mondgesicht eine Rakete direkt ins rechte Auge bekommt. Er weiß da noch nicht, dass ihn in wenigen Stunden dasselbe Schicksal ereilen wird, nur eben mittels eines Messers.
Die Leserin und der Leser sehen also Salman Rushdie, einen glücklichen Mann von 75 Jahren, in der schönen Mondnacht auf dem Balkon vor seinem Hotelzimmer stehen und gönnen ihm dieses Glück. Möchten ihn vielleicht warnen, denn der Attentäter ist zu diesem Zeitpunkt schon auf dem Gelände des Festivals und schleicht unerkannt umher. Viele Attentate wurde seit Verkündung der Fatwa gegen Rushdie von den Behörden rechtzeitig aufgedeckt und verhindert. Dieses nicht. Ohne diese kriminelle Tat hätte Rushdie noch sein rechtes Auge und die volle Kontrolle über seine linke Hand. Und ohne diese kriminelle Tat gäbe es dieses Buch nicht.
Hätte er über das stille Glück einer mondbeschienenen Septembernacht geschrieben? Niemals. Salman Rushdie muss zur Glücksbeschreibung etwas ausholen, zu einem anderen Tag und tatsächlich zu einem anderen blutigen Unfall. Er lernte seine jetzige Ehefrau Eliza, eine Autorin und Fotografin, auf einer Party in New York kennen. Als sie gemeinsam zum ruhigeren Plaudern auf die Terrasse gehen wollen, übersieht Rushdie eine verschlossene Schiebetür und wird nun doppelt umgehauen, erst von der Frau, dann von der Tür. Seine Brille bricht, die Nase blutet, und Eliza begleitet ihn im Taxi nach Hause. Seit diesem Tag sind sie zusammen, verloben sich und heiraten.
Rushdie ist in Liebesdingen nicht naiv und hat – die Lektüre seines Memoirenbuchs „Joseph Anton“ stiftet da deutliche Erkenntnisse – ehe- und beziehungstechnisch einiges hinter sich. Er kann es kaum fassen, wie schön das Leben mit seiner Eliza ist. Dieses schöne Leben wäre analog, dreidimensional und sogar privat geblieben, wenn es nicht durch das Attentat und dessen Folgen so dramatisch gefährdet worden wäre. Rushdie zitiert die Weisheit des französischen Schriftstellers Henry de Montherlant: „Das Glück schreibt mit weißer Tinte auf weiße Seiten.“
So gerät dieses Memoir zu einer Meditation über das teuflische Verhältnis von Geschichte und Leben. Was schreibt man auf, was nicht? Braucht das Glück auch das Böse, um zu einer Geschichte zu werden? Im Leben kann gern darauf verzichten, aber in einem Buch? Wie mit der Lupe des Sherlock Holmes, ein Auge zugekniffen leider für immer, begibt sich der Autor dieser Ich-Erzählung auf die Suche nach magischen Pfaden und Brücken aus Luft, die Text und Welt verbinden. Angenehm ist ihm das nicht.
Rushdie ist ein Atheist, ein Mann, der sich dem Studium des irdischen Lebens und der Literatur verschrieben hat. Priester und Propheten sind in seinem Werk, zuletzt in seinem umwerfenden Roman „Victory City“, eine Mixtur aus Scharlatanen und Despoten. Und doch kommt es hier, in seiner Erfahrung wie in seinem Bericht darüber, zu schwer erklärbaren, wundervollen Szenen und Begebenheiten.
Nur wenige Sekunden dauert der Anschlag auf sein Leben. Der junge Mann sticht hierhin und dahin, in den Hals, das Auge, die Hand und noch an andere Stellen. Rushdie sinkt zu Boden, verliert das Bewusstsein, ohne es zu merken. Er denkt dann seltsame Sachen: „Murder rückwärts gelesen ergibt Red Rum – Red Rum hieß das Pferd, das dreimal den Grand-National-Hindernislauf gewann – 1973, 1974 und 1977“. Aber er hört auch etwas, eine innere Stimme, wie sie unserer Schulweisheit nicht ganz entspricht: „Lebe!, flüsterte es in mir. Lebe!“
So entdeckt er eine geheime Energiequelle, die die Lust am Leben und am Schreiben verbindet. Sie lässt ihn nicht los: Rushdie muss mit dem Hubschrauber abtransportiert werden und wird beim Verladen nach seinem Gewicht gefragt. Es ist ihm peinlich, denn er findet, er wiegt zu viel. „In den letzten Jahren war mein Gewicht geradezu explodiert, und ich wusste, ich sollte zwanzig oder dreißig Kilo abnehmen, nur war das eine Menge, und ich hatte mir keine besondere Mühe gegeben. Jetzt also musste ich für jeden in Hörweite die beschämende Zahl bekannt geben.“ Es ist der Beginn einer langen Reise in die Welt der Kliniken und Arztpraxen, in der es keine Scham und keine Intimität gibt. Er sieht fantastische Gebäude in Form von riesigen Buchstaben, Paläste und Kathedralen aus Text, und er kann sie drehen oder in ihnen spazieren gehen. Später erkennt er darin die Wirkung der hochdosierten Schmerzmittel, auf die er zu Beginn angewiesen war, und doch wird jeder, der nur eine Zeile Rushdie gelesen hat, in der Beschreibung dieser Tagträume eine perfekte Illustration von Werk und Autor erkennen. In den Tagen und Wochen danach ist viel von Wundern die Rede: Wenige Millimeter nach links oder rechts, und die Messerstiche hätten zum Tode geführt. Ein eher pragmatischer Unfallarzt bemüht eine andere Erklärung: „Wissen Sie, was Ihr größtes Glück war? Ihr größtes Glück war, dass der Mann, der Sie angriff, keine Ahnung davon hat, wie man einen Menschen mit dem Messer umbringt.“
Glück und Vorahnungen, Zeichen und Wunder – im Nachdenken über die Gewalt, die ihn heimgesucht hat, erforscht Rushdie sein eigenes Werk und seine Weltanschauung: „Vielleicht haben meine Bücher seit Jahrzehnten an jener Brücke gebaut, sodass das Wunderbare sie nun überqueren konnte. Das Magische wurde zum Realismus. Vielleicht haben meine Bücher mir das Leben gerettet.“
„A“ wie abwesend ist der Täter. Salman Rushdie lässt ihn nur mit diesem Initial, dem ersten Buchstaben des Alphabets vorkommen, es auch ist die Abkürzung für das Schimpfwort Nummer eins. Kein Hass, keine Neugier auf seine Motive – der Fanatiker trifft hier auf mattes Desinteresse. Ganz so cool bleibt Rushdie ihm gegenüber aber nicht durchgehend, einmal lässt er sich am Gefängnis vorbeifahren, in dem der Mann mit dem Messer nun sitzt, und kann sich gerade noch einmal bremsen, vor der Mauer ein Freudentänzchen aufzuführen.
Der Täter kommt weiter nicht vor, die titelgebende Tatwaffe auch nicht. Rushdie gibt vor, nicht zu wissen, ob es sich um ein Küchengerät, ein Campingutensil oder ein Militärmesser gehandelt hat. Es liest sich wie ein Trick: Wenn es nicht benannt wird, dann verschwindet es vielleicht im Reich der namenlosen Gewalt.
Die Islamisten aus Iran, die am Ursprung der Gewaltaufrufe gegen Rushdie stehen, sind heute die treuesten Verbündeten des russischen Präsidenten. Beide verüben und feiern Gewalt gegen Zivilisten und Symbole der Meinungsfreiheit wie Anna Politkowskaja oder Salman Rushdie. Was in der Ukraine, in Israel und auf der ganzen Welt zu verteidigen ist, daran erinnert auf meisterliche Weise dieses zärtliche, humorvolle und leider so politische Buch.
NILS MINKMAR
Erstmals schreibt er
hier in der ersten Person,
das ist ihm unangenehm
Beim Attentat hört er eine
innere Stimme: „Lebe!,
flüsterte es in mir. Lebe!“
Im August 2022 wurde Salman Rushdie bei einer Lesung in New York überfallen. Der Angreifer hatte in den sozialen Netzwerken mit dem Schiaextremismus und der iranischen Revolutionsgarde sympathisiert. Regierungsnahe iranische Medien begrüßten die Tat.
Foto: Rachel Eliza Griffiths
12. August 2022, kurz nach der Tat: Salman Rushdie liegt leblos am Boden und wird von Ärzten versorgt.
Foto: Joshua Goodman / dpa
Salman Rushdie:
Knife.
Aus dem Englischen von Bernhard Robben.
Penguin Verlag,
München 2024.
256 Seiten, 25 Euro.
DIZdigital: Alle Rechte vorbehalten – Süddeutsche Zeitung GmbH, München
Jegliche Veröffentlichung und nicht-private Nutzung exklusiv über www.sz-content.de
Salman Rushdie schreibt im meisterhaften Roman „Knife“ über die erlebte Gewalttat und
zugleich über das, was in der Ukraine, in Israel und auf der ganzen Welt zu verteidigen ist.
Wenige Tage nach dem zum Glück wirkungslosen Angriff Irans auf Israel erscheint das neue Buch des Mannes, der 1989 vom iranischen Revolutionsführer zum Tode verurteilt wurde. Und der diesem alten Fluch im Sommer 2022 bei einer Lesung in New York beinahe erlegen wäre.
Die Geschichte von Salman Rushdie ist die Geschichte unserer Gegenwart. Von Anfang an war alles da: Als sein Leben durch die Fatwa des Ayatollah Chomeini bedroht wurde, der sich durch Rushdies Roman „Die satanischen Verse“ provoziert fühlte, war die britische, die westliche Öffentlichkeit durchaus gespalten: Im Konflikt zwischen islamistischer Ideologie und Freiheit gab es genug westliche Stimmen, die sich auf die Seite Teherans schlugen.
Der britische Historiker Hugh Trevor-Roper spielte hier eine unrühmliche Rolle. In Deutschland war er als jener Experte bekannt, der die von Konrad Kujau gefälschten Hitler-Tagebücher als „zu 99,5 Prozent echt“ bezeichnete. Aber es gab auch viele andere, die Gründe fanden, die Werte der Freiheit geringer zu schätzen als die Notwendigkeit, Verständnis für die kulturellen Empfindlichkeiten der Aggressoren zu entwickeln. Vieles an dieser Debatte aus dem vorigen Jahrhundert erinnert an die europäische Gegenwart des Jahres 2024.
Warum schlagen sich populistische Parteien und ihre Vordenker auf die Seite der russisch-iranischen Koalition? Was führte dazu, dass ein als Pragmatismus getarntes Zaudern zum Volkssport wurde, ein konsequenter Idealismus der Freiheit sich aber als Extremposition rechtfertigen muss? Warum fällt es Menschen so schwer, ihre Freiheit, Ergebnis der Kämpfe vieler Generationen vor uns, auch zu verteidigen? Oder wenigstens wertzuschätzen?
Von solchen geopolitischen und philosophischen Erörterungen ist der Protagonist des Buches zu Beginn dieser Geschichte weit entfernt. Zum ersten Mal schreibt Salman Rushdie hier in der ersten Person. Er beschäftigt sich viel mit dem Mann, der er am Abend vor dem Messerangriff war. Der sich in der Septembernacht am Mond erfreute und dann an den uralten Film von Georges Méliès dachte, die Reise zum Mond, als das Mondgesicht eine Rakete direkt ins rechte Auge bekommt. Er weiß da noch nicht, dass ihn in wenigen Stunden dasselbe Schicksal ereilen wird, nur eben mittels eines Messers.
Die Leserin und der Leser sehen also Salman Rushdie, einen glücklichen Mann von 75 Jahren, in der schönen Mondnacht auf dem Balkon vor seinem Hotelzimmer stehen und gönnen ihm dieses Glück. Möchten ihn vielleicht warnen, denn der Attentäter ist zu diesem Zeitpunkt schon auf dem Gelände des Festivals und schleicht unerkannt umher. Viele Attentate wurde seit Verkündung der Fatwa gegen Rushdie von den Behörden rechtzeitig aufgedeckt und verhindert. Dieses nicht. Ohne diese kriminelle Tat hätte Rushdie noch sein rechtes Auge und die volle Kontrolle über seine linke Hand. Und ohne diese kriminelle Tat gäbe es dieses Buch nicht.
Hätte er über das stille Glück einer mondbeschienenen Septembernacht geschrieben? Niemals. Salman Rushdie muss zur Glücksbeschreibung etwas ausholen, zu einem anderen Tag und tatsächlich zu einem anderen blutigen Unfall. Er lernte seine jetzige Ehefrau Eliza, eine Autorin und Fotografin, auf einer Party in New York kennen. Als sie gemeinsam zum ruhigeren Plaudern auf die Terrasse gehen wollen, übersieht Rushdie eine verschlossene Schiebetür und wird nun doppelt umgehauen, erst von der Frau, dann von der Tür. Seine Brille bricht, die Nase blutet, und Eliza begleitet ihn im Taxi nach Hause. Seit diesem Tag sind sie zusammen, verloben sich und heiraten.
Rushdie ist in Liebesdingen nicht naiv und hat – die Lektüre seines Memoirenbuchs „Joseph Anton“ stiftet da deutliche Erkenntnisse – ehe- und beziehungstechnisch einiges hinter sich. Er kann es kaum fassen, wie schön das Leben mit seiner Eliza ist. Dieses schöne Leben wäre analog, dreidimensional und sogar privat geblieben, wenn es nicht durch das Attentat und dessen Folgen so dramatisch gefährdet worden wäre. Rushdie zitiert die Weisheit des französischen Schriftstellers Henry de Montherlant: „Das Glück schreibt mit weißer Tinte auf weiße Seiten.“
So gerät dieses Memoir zu einer Meditation über das teuflische Verhältnis von Geschichte und Leben. Was schreibt man auf, was nicht? Braucht das Glück auch das Böse, um zu einer Geschichte zu werden? Im Leben kann gern darauf verzichten, aber in einem Buch? Wie mit der Lupe des Sherlock Holmes, ein Auge zugekniffen leider für immer, begibt sich der Autor dieser Ich-Erzählung auf die Suche nach magischen Pfaden und Brücken aus Luft, die Text und Welt verbinden. Angenehm ist ihm das nicht.
Rushdie ist ein Atheist, ein Mann, der sich dem Studium des irdischen Lebens und der Literatur verschrieben hat. Priester und Propheten sind in seinem Werk, zuletzt in seinem umwerfenden Roman „Victory City“, eine Mixtur aus Scharlatanen und Despoten. Und doch kommt es hier, in seiner Erfahrung wie in seinem Bericht darüber, zu schwer erklärbaren, wundervollen Szenen und Begebenheiten.
Nur wenige Sekunden dauert der Anschlag auf sein Leben. Der junge Mann sticht hierhin und dahin, in den Hals, das Auge, die Hand und noch an andere Stellen. Rushdie sinkt zu Boden, verliert das Bewusstsein, ohne es zu merken. Er denkt dann seltsame Sachen: „Murder rückwärts gelesen ergibt Red Rum – Red Rum hieß das Pferd, das dreimal den Grand-National-Hindernislauf gewann – 1973, 1974 und 1977“. Aber er hört auch etwas, eine innere Stimme, wie sie unserer Schulweisheit nicht ganz entspricht: „Lebe!, flüsterte es in mir. Lebe!“
So entdeckt er eine geheime Energiequelle, die die Lust am Leben und am Schreiben verbindet. Sie lässt ihn nicht los: Rushdie muss mit dem Hubschrauber abtransportiert werden und wird beim Verladen nach seinem Gewicht gefragt. Es ist ihm peinlich, denn er findet, er wiegt zu viel. „In den letzten Jahren war mein Gewicht geradezu explodiert, und ich wusste, ich sollte zwanzig oder dreißig Kilo abnehmen, nur war das eine Menge, und ich hatte mir keine besondere Mühe gegeben. Jetzt also musste ich für jeden in Hörweite die beschämende Zahl bekannt geben.“ Es ist der Beginn einer langen Reise in die Welt der Kliniken und Arztpraxen, in der es keine Scham und keine Intimität gibt. Er sieht fantastische Gebäude in Form von riesigen Buchstaben, Paläste und Kathedralen aus Text, und er kann sie drehen oder in ihnen spazieren gehen. Später erkennt er darin die Wirkung der hochdosierten Schmerzmittel, auf die er zu Beginn angewiesen war, und doch wird jeder, der nur eine Zeile Rushdie gelesen hat, in der Beschreibung dieser Tagträume eine perfekte Illustration von Werk und Autor erkennen. In den Tagen und Wochen danach ist viel von Wundern die Rede: Wenige Millimeter nach links oder rechts, und die Messerstiche hätten zum Tode geführt. Ein eher pragmatischer Unfallarzt bemüht eine andere Erklärung: „Wissen Sie, was Ihr größtes Glück war? Ihr größtes Glück war, dass der Mann, der Sie angriff, keine Ahnung davon hat, wie man einen Menschen mit dem Messer umbringt.“
Glück und Vorahnungen, Zeichen und Wunder – im Nachdenken über die Gewalt, die ihn heimgesucht hat, erforscht Rushdie sein eigenes Werk und seine Weltanschauung: „Vielleicht haben meine Bücher seit Jahrzehnten an jener Brücke gebaut, sodass das Wunderbare sie nun überqueren konnte. Das Magische wurde zum Realismus. Vielleicht haben meine Bücher mir das Leben gerettet.“
„A“ wie abwesend ist der Täter. Salman Rushdie lässt ihn nur mit diesem Initial, dem ersten Buchstaben des Alphabets vorkommen, es auch ist die Abkürzung für das Schimpfwort Nummer eins. Kein Hass, keine Neugier auf seine Motive – der Fanatiker trifft hier auf mattes Desinteresse. Ganz so cool bleibt Rushdie ihm gegenüber aber nicht durchgehend, einmal lässt er sich am Gefängnis vorbeifahren, in dem der Mann mit dem Messer nun sitzt, und kann sich gerade noch einmal bremsen, vor der Mauer ein Freudentänzchen aufzuführen.
Der Täter kommt weiter nicht vor, die titelgebende Tatwaffe auch nicht. Rushdie gibt vor, nicht zu wissen, ob es sich um ein Küchengerät, ein Campingutensil oder ein Militärmesser gehandelt hat. Es liest sich wie ein Trick: Wenn es nicht benannt wird, dann verschwindet es vielleicht im Reich der namenlosen Gewalt.
Die Islamisten aus Iran, die am Ursprung der Gewaltaufrufe gegen Rushdie stehen, sind heute die treuesten Verbündeten des russischen Präsidenten. Beide verüben und feiern Gewalt gegen Zivilisten und Symbole der Meinungsfreiheit wie Anna Politkowskaja oder Salman Rushdie. Was in der Ukraine, in Israel und auf der ganzen Welt zu verteidigen ist, daran erinnert auf meisterliche Weise dieses zärtliche, humorvolle und leider so politische Buch.
NILS MINKMAR
Erstmals schreibt er
hier in der ersten Person,
das ist ihm unangenehm
Beim Attentat hört er eine
innere Stimme: „Lebe!,
flüsterte es in mir. Lebe!“
Im August 2022 wurde Salman Rushdie bei einer Lesung in New York überfallen. Der Angreifer hatte in den sozialen Netzwerken mit dem Schiaextremismus und der iranischen Revolutionsgarde sympathisiert. Regierungsnahe iranische Medien begrüßten die Tat.
Foto: Rachel Eliza Griffiths
12. August 2022, kurz nach der Tat: Salman Rushdie liegt leblos am Boden und wird von Ärzten versorgt.
Foto: Joshua Goodman / dpa
Salman Rushdie:
Knife.
Aus dem Englischen von Bernhard Robben.
Penguin Verlag,
München 2024.
256 Seiten, 25 Euro.
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