Den Namen "Knigge" kennt jeder. Er ist ein Synonym für Benimm- und Verhaltensbücher aller Art - vom Flirt- über den Bekleidungs- bis zum Öko- Knigge. Kaum einer kennt jedoch den Menschen Knigge, den großen Aufklärer und Publizisten des ausgehenden 18. Jahrhunderts, der neben seinem - von Anfang an verkannten - Bestseller "Über den Umgang mit Menschen" ein umfangreiches Lebenswerk hinterlassen hat.
In dieser ersten großen Biografie stellt uns Ingo Hermann den Freiherrn Adolph Knigge (1752 -1796) vor, wobei er sich die in den letzten Jahren wiederbelebte Knigge-Forschung zunutze macht. Er zeichnet das Porträt eines bedeutenden Gesellschaftsphilosophen, der die Impulse der Französischen Revolution aufgreift, gegen den Despotismus des Hofadels ankämpft und die Ideen der europäischen Aufklärung als politischer Journalist verbreitet. Ausführlich würdigt er Knigges so gründlich missverstandenes Hauptwerk, ein hellsichtiges Buch über den Anstand in der bürgerlichen Gesellschaft, über einneues Verständnis von Staat, Religion, Erziehung und Öffentlichkeit. Bravourös gelingt es Hermann, diesen hochgebildeten Vorkämpfer für Demokratie und Aufklärung in Deutschland dem Vergessen zu entreißen. In einer Zeit, in der das "Prinzip Anstand" aus Politik, Wirtschaft und Medienkultur zu verschwinden droht, ist diese Rückbesinnung auf den wahren Knigge von höchster Aktualität.
In dieser ersten großen Biografie stellt uns Ingo Hermann den Freiherrn Adolph Knigge (1752 -1796) vor, wobei er sich die in den letzten Jahren wiederbelebte Knigge-Forschung zunutze macht. Er zeichnet das Porträt eines bedeutenden Gesellschaftsphilosophen, der die Impulse der Französischen Revolution aufgreift, gegen den Despotismus des Hofadels ankämpft und die Ideen der europäischen Aufklärung als politischer Journalist verbreitet. Ausführlich würdigt er Knigges so gründlich missverstandenes Hauptwerk, ein hellsichtiges Buch über den Anstand in der bürgerlichen Gesellschaft, über einneues Verständnis von Staat, Religion, Erziehung und Öffentlichkeit. Bravourös gelingt es Hermann, diesen hochgebildeten Vorkämpfer für Demokratie und Aufklärung in Deutschland dem Vergessen zu entreißen. In einer Zeit, in der das "Prinzip Anstand" aus Politik, Wirtschaft und Medienkultur zu verschwinden droht, ist diese Rückbesinnung auf den wahren Knigge von höchster Aktualität.
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 07.03.2007Hand vor den Mund
Ingo Herrmann setzt sich mit Adolph von Knigge ins Benehmen
Als praktischer Lebensphilosoph versuchte Adolph von Knigge 1788 mit seinem Buch "Über den Umgang mit Menschen" vor philosophisch begründeten Überspannungen zu warnen, um sich in dieser unvollkommenen Welt zurechtzufinden. Sein Name ist immer noch bekannt und dient weiterhin als Synonym für den "Benimm", obschon "der Knigge" kaum noch gelesen wird und sein Urheber mittlerweile so vergessen ist wie die übrigen Werke dieses Sprachvirtuosen, der schneller schrieb, als andere redeten. Ingo Herrmann will mit seiner Biographie über den Freiherrn dem bloßen Namen wieder zu einiger Substanz verhelfen.
Adolph von Knigge (1752 bis 1796) stammt aus einer alten, zur Reichsritterschaft gehörenden Familie aus dem Hannoverschen. Sein hochverschuldeter Vater machte trotzdem standesgemäßen und aufwendigen Lärm in der großen Welt. Der glänzende Kavalier und Hofmann war zugleich ein promovierter Jurist, ein Intellektueller. In seinem Vater begegnete Adolph einem neuen Typus des vornehmen Menschen, der die ästhetischen Sitten des Adels mit dem Ernst bürgerlicher Wissenschaftlichkeit verband. Zeit seines Lebens wird Adolph Knigge für die formale Aristokratisierung des Bürgers und die Verbürgerlichung des Adels über Bildung durch Wissenschaft und Kunst werben. Sind die Standesschranken überwunden, dann vermag die befreiende Humanität alle Menschen zu Brüdern zu machen, sofern sie über Besitz und Bildung verfügen.
Beides sind die Merkmale der aufgeklärten, vorurteilsfreien Klasse, zu der sich die Menschenfreunde zusammenschließen. Sie sind zur Führung in Staat und Gesellschaft bestimmt. Das Drama Adolph von Knigges entwickelte sich aus dem misslichen Umstand, allseitig gebildet zu sein, aber nichts zu besitzen. Die väterlichen Güter muss er zur Tilgung der ererbten Schulden Vermögensverwaltern überlassen, die ihn ununterbrochen betrogen. Der Aristokrat, dazu erzogen, sich am Hofe als dem ihm angemessenen Lebensraum anmutig zu bewegen, sah sich früh gezwungen, Geld zu verdienen. Er musste sich eine bürgerliche Existenz aufbauen, nachdem er sich am Hof zu Kassel und in Hanau durch eigene Unvorsichtigkeiten eine Karriere verbaut hatte und an anderen Höfen seine Bewerbungen ohne Aufmerksamkeit behandelt worden waren.
Adolph von Knigge suchte in den Gemeinschaften der Freimaurer oder Geheimgesellschaften wie den Illuminaten nach Verbindungen, die ihm gesellschaftlichen Einfluss und eine wichtige Stellung ermöglichen könnten. Doch er musste bald feststellen, dass auf brüderliche Förderung nur der vertrauen konnte, wer schon vermögend und einflussreich war. Der studierte, philosophische Kopf mit flinker Auffassungsgabe und ungebrochenem Ehrgeiz, öffentlich zu wirken, verließ sich endlich ganz auf sich selber und wagte es, als freier Schriftsteller und Journalist zu leben. Damit überforderte er auf jeden Fall seine Frau, die als Adelige sich um ihre Hoffnungen in dieser Welt betrogen sah.
Knigge beobachtete gut und kannte durch Reisen das deutsche Kleinleben. Als Aufklärer wollte er raisonieren, also mitreden, und zumindest die Gebildeten in ein öffentliches Gespräch ziehen. Das ist ihm gelungen, denn er wurde rasch zu einem zwischen Berlin und Wien bekannten Manne, der sich trotz modischer Aufklärungsnebel, in denen er sich bewegte, um eine eigene Meinung bemühte. Wie alle Aufklärer wollte er erziehen.
Auch seine Romane, kritisch-unterhaltende Sittenbilder, sind pädagogisch-aufmunternde Schriften ohne jeden poetischen Wert, aber wegen ihres sozialen Realismus immer noch lesenswerte Dokumente vergangener gesellschaftlicher Verhältnisse. Knigge enthielt sich allerdings des dogmatisch-eifernden Tons, der den Vortrag der meisten Aufklärer so wenig liebenswürdig macht. Er mahnte seine Gesinnungsgenossen, nie zu vergessen, dass viele für Verfinsterung halten, was ihnen als Aufklärung gilt. Ja, er erinnerte die von ewigen Gesetzen, Werten und Normen Schwärmenden daran, dass die Vorstellungen von Vernunft und Natur sich in dieser Welt unweigerlich dauernd verändern. Das bewahrte ihn vor Ungeduld gegenüber Vorurteilen oder religiösen Bekenntnissen. Selbst Vorurteile bedürfen einer schonenden Behandlung, um nicht leichtsinnig den geselligen Frieden zu zerstören.
Über Religionen mag jeder denken, was er will. Aber deswegen soll er laut Knigge das nicht aussprechen, was ihn als Protestanten etwa bei Muslimen, Katholiken oder Juden verwundert oder ärgert. Es gibt viele Möglichkeiten, sich diese Welt zu erklären und sich in ihr zurechtzufinden. Denn Leben entwickelt sich dramatisch im Zusammenleben des unerschöpflichen Ich mit ebenso unerschöpflichen Anderen. Knigges Buch "Über den Umgang mit Menschen" ist deswegen keine Anleitung, die Regeln der Etikette elegant zu meistern. Knigge ist kein Etikettenonkel. Er ist ein philosophischer Anwalt der Sitte. Wenn er für Benimm plädiert, dann ist das für ihn ein Akt der Erkenntnis in den sittlichen Grund des Zusammenlebens.
Das setzt voraus, sich selbst und sein Eigentum stets in seiner prekären Beziehung zu den Nebenmenschen zu sehen, damit ein vernünftiges Wohlwollen die unvermeidlichen Gegensätze mildert und verträglich macht. Knigge erläutert den Rat Christi: Lernt einander zu ertragen, mit gründlicher Kenntnis der wandelbaren menschlichen Oberflächen und diskreter Rücksicht auf die Unwägbarkeiten der leicht verwirrten und wandelbaren Herzen. Dieses berühmteste Buch der deutschen Aufklärung verdient, nicht vergessen zu werden. Sein Verfasser war kein Pedant, wie Ingo Herrmann mit seiner ebenso höflichen wie eindringlichen Aufforderung veranschaulicht, Knigge wieder zu lesen.
EBERHARD STRAUB.
Ingo Herrmann: "Knigge". Die Biographie. Propyläen Verlag, Berlin 2007. 368 S., geb., 24,- [Euro].
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Ingo Herrmann setzt sich mit Adolph von Knigge ins Benehmen
Als praktischer Lebensphilosoph versuchte Adolph von Knigge 1788 mit seinem Buch "Über den Umgang mit Menschen" vor philosophisch begründeten Überspannungen zu warnen, um sich in dieser unvollkommenen Welt zurechtzufinden. Sein Name ist immer noch bekannt und dient weiterhin als Synonym für den "Benimm", obschon "der Knigge" kaum noch gelesen wird und sein Urheber mittlerweile so vergessen ist wie die übrigen Werke dieses Sprachvirtuosen, der schneller schrieb, als andere redeten. Ingo Herrmann will mit seiner Biographie über den Freiherrn dem bloßen Namen wieder zu einiger Substanz verhelfen.
Adolph von Knigge (1752 bis 1796) stammt aus einer alten, zur Reichsritterschaft gehörenden Familie aus dem Hannoverschen. Sein hochverschuldeter Vater machte trotzdem standesgemäßen und aufwendigen Lärm in der großen Welt. Der glänzende Kavalier und Hofmann war zugleich ein promovierter Jurist, ein Intellektueller. In seinem Vater begegnete Adolph einem neuen Typus des vornehmen Menschen, der die ästhetischen Sitten des Adels mit dem Ernst bürgerlicher Wissenschaftlichkeit verband. Zeit seines Lebens wird Adolph Knigge für die formale Aristokratisierung des Bürgers und die Verbürgerlichung des Adels über Bildung durch Wissenschaft und Kunst werben. Sind die Standesschranken überwunden, dann vermag die befreiende Humanität alle Menschen zu Brüdern zu machen, sofern sie über Besitz und Bildung verfügen.
Beides sind die Merkmale der aufgeklärten, vorurteilsfreien Klasse, zu der sich die Menschenfreunde zusammenschließen. Sie sind zur Führung in Staat und Gesellschaft bestimmt. Das Drama Adolph von Knigges entwickelte sich aus dem misslichen Umstand, allseitig gebildet zu sein, aber nichts zu besitzen. Die väterlichen Güter muss er zur Tilgung der ererbten Schulden Vermögensverwaltern überlassen, die ihn ununterbrochen betrogen. Der Aristokrat, dazu erzogen, sich am Hofe als dem ihm angemessenen Lebensraum anmutig zu bewegen, sah sich früh gezwungen, Geld zu verdienen. Er musste sich eine bürgerliche Existenz aufbauen, nachdem er sich am Hof zu Kassel und in Hanau durch eigene Unvorsichtigkeiten eine Karriere verbaut hatte und an anderen Höfen seine Bewerbungen ohne Aufmerksamkeit behandelt worden waren.
Adolph von Knigge suchte in den Gemeinschaften der Freimaurer oder Geheimgesellschaften wie den Illuminaten nach Verbindungen, die ihm gesellschaftlichen Einfluss und eine wichtige Stellung ermöglichen könnten. Doch er musste bald feststellen, dass auf brüderliche Förderung nur der vertrauen konnte, wer schon vermögend und einflussreich war. Der studierte, philosophische Kopf mit flinker Auffassungsgabe und ungebrochenem Ehrgeiz, öffentlich zu wirken, verließ sich endlich ganz auf sich selber und wagte es, als freier Schriftsteller und Journalist zu leben. Damit überforderte er auf jeden Fall seine Frau, die als Adelige sich um ihre Hoffnungen in dieser Welt betrogen sah.
Knigge beobachtete gut und kannte durch Reisen das deutsche Kleinleben. Als Aufklärer wollte er raisonieren, also mitreden, und zumindest die Gebildeten in ein öffentliches Gespräch ziehen. Das ist ihm gelungen, denn er wurde rasch zu einem zwischen Berlin und Wien bekannten Manne, der sich trotz modischer Aufklärungsnebel, in denen er sich bewegte, um eine eigene Meinung bemühte. Wie alle Aufklärer wollte er erziehen.
Auch seine Romane, kritisch-unterhaltende Sittenbilder, sind pädagogisch-aufmunternde Schriften ohne jeden poetischen Wert, aber wegen ihres sozialen Realismus immer noch lesenswerte Dokumente vergangener gesellschaftlicher Verhältnisse. Knigge enthielt sich allerdings des dogmatisch-eifernden Tons, der den Vortrag der meisten Aufklärer so wenig liebenswürdig macht. Er mahnte seine Gesinnungsgenossen, nie zu vergessen, dass viele für Verfinsterung halten, was ihnen als Aufklärung gilt. Ja, er erinnerte die von ewigen Gesetzen, Werten und Normen Schwärmenden daran, dass die Vorstellungen von Vernunft und Natur sich in dieser Welt unweigerlich dauernd verändern. Das bewahrte ihn vor Ungeduld gegenüber Vorurteilen oder religiösen Bekenntnissen. Selbst Vorurteile bedürfen einer schonenden Behandlung, um nicht leichtsinnig den geselligen Frieden zu zerstören.
Über Religionen mag jeder denken, was er will. Aber deswegen soll er laut Knigge das nicht aussprechen, was ihn als Protestanten etwa bei Muslimen, Katholiken oder Juden verwundert oder ärgert. Es gibt viele Möglichkeiten, sich diese Welt zu erklären und sich in ihr zurechtzufinden. Denn Leben entwickelt sich dramatisch im Zusammenleben des unerschöpflichen Ich mit ebenso unerschöpflichen Anderen. Knigges Buch "Über den Umgang mit Menschen" ist deswegen keine Anleitung, die Regeln der Etikette elegant zu meistern. Knigge ist kein Etikettenonkel. Er ist ein philosophischer Anwalt der Sitte. Wenn er für Benimm plädiert, dann ist das für ihn ein Akt der Erkenntnis in den sittlichen Grund des Zusammenlebens.
Das setzt voraus, sich selbst und sein Eigentum stets in seiner prekären Beziehung zu den Nebenmenschen zu sehen, damit ein vernünftiges Wohlwollen die unvermeidlichen Gegensätze mildert und verträglich macht. Knigge erläutert den Rat Christi: Lernt einander zu ertragen, mit gründlicher Kenntnis der wandelbaren menschlichen Oberflächen und diskreter Rücksicht auf die Unwägbarkeiten der leicht verwirrten und wandelbaren Herzen. Dieses berühmteste Buch der deutschen Aufklärung verdient, nicht vergessen zu werden. Sein Verfasser war kein Pedant, wie Ingo Herrmann mit seiner ebenso höflichen wie eindringlichen Aufforderung veranschaulicht, Knigge wieder zu lesen.
EBERHARD STRAUB.
Ingo Herrmann: "Knigge". Die Biographie. Propyläen Verlag, Berlin 2007. 368 S., geb., 24,- [Euro].
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Perlentaucher-Notiz zur ZEIT-Rezension
Überfällig findet Rezensent Harro Zimmermann diese Biografie, die den Freiherrn von Knigge endlich in das rechte Licht rückt. Denn daran, dass wir es bei dem rührigen Landadeligen nicht nur mit einem "skurrilen Moral-Apostel" zu tun haben, sondern mit einem Aufklärer, Bürgerfreund und Parteigänger der Französischen Revolution, steht für den Rezensenten fest. Allerdings weist er darauf hin, dass im 19. Jahrhundert Knigge gern Charakterarmut unterstellt wurde, von den Nazis noch viel Übleres. Doch seit 1945 hat die Forschung einiges geleistet, und Ingo Hermann hat die präzise und anschauliche Biografie eines Mannes geschrieben, dem es schon vor zweihundert Jahren ein Graus war, dass es nicht unbedingt die Geistreichsten seien, die auf die höchsten Posten kommen, sondern die Gelenkigsten.
© Perlentaucher Medien GmbH
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