Blunt, brutal, but infused with a deep sympathy, Knockemstiff is a pitch-dark and hilarious collection of stories set in a tiny town in Southern Ohio.
The youth of Knockemstiff grow up in the malignant shadow of their parents; raised on abuse, alcohol, drugs and cigarettes, they are stunted in every possible way: emotionally, mentally, sometimes physically. They talk a lot about escape but they never so much as cross the county line.
The youth of Knockemstiff grow up in the malignant shadow of their parents; raised on abuse, alcohol, drugs and cigarettes, they are stunted in every possible way: emotionally, mentally, sometimes physically. They talk a lot about escape but they never so much as cross the county line.
Frankfurter Allgemeine ZeitungZweitausend Dollar in der Kaffeedose und kein Fluchtversuch
Hier ist sie, die perfekte amerikanische Kurzgeschichte: Donald Ray Pollocks Erzählzyklus "Knockemstiff" haut einen glatt aus den Schuhen
Einmal ein Buch schreiben, auf dessen amerikanischer Ausgabe als Werbeslogan "A Whiskey-Stained Classic" steht: Das wäre schon was. Donald Ray Pollock ist dies gleich mit seinem Debüt gelungen, bei dem schon der Titel wie ein ziemlich harter Cocktail klingt: "Knockemstiff". Es handelt sich dabei allerdings nicht um ein Getränk, sondern um ein Kaff im Land der unmöglichen Ortsnamen, genauer gesagt im Bundesstaat Ohio. Der Autor stammt selbst aus diesem Kaff - aber die schatzinselhafte Kartenzeichnung, die sein Werk begleitet, hebt den Ort sogleich ins Reich der Fiktion: Zwischen Whitey Fords Hütte und dem Black Run River, zwischen Harry Freys Obstgarten und dem alten Highway 23 entpinnen sich Geschichten aus dem amerikanischen Herzland, die einen schon mit den ersten zwei Sätzen aus den Schuhen hauen und so schnell nicht wieder hochkommen lassen: "Als ich sieben war, zeigte mir mein Vater in einer Augustnacht beim Torch-Drive-in, wie man einem Mann so richtig weh tut. Das war das Einzige, was er wirklich beherrschte."
Damit ist der Ton für das ganze Buch gesetzt, und Pollock hält diesen No-Nonsense-Stil wirklich meisterlich bis zur letzten Seite durch. Jeder Schlag sitzt, und das will schon etwas heißen bei der Vielzahl von Schwingern und Haken, die der Autor seinen Figuren in ihrem jeweiligen hard-knock-life austeilt. Gleich in der ersten Geschichte wird in der Popcornbude des besagten Autokinos ein Mann derart vermöbelt, dass einem Hören und Sehen vergehen kann. Und als traurige Spiegelung dieser Erwachsenengewalt wird der erst siebenjährige Sohn des Schlägers, der die Geschichte später aus der Erinnerung erzählt, bei der Rauferei mit dem Sohn des Gegners seines Vaters in die Kunst des Nasenbeinbruchs eingeführt.
Das Label der Whiskeyliteratur ist für dieses Buch aber sogar noch zu schwach, denn hier geht es auch noch um ganz andere Drogen: vor allem um schlechtes Speed und Crystal Meth, die heute den Lebensrhythmus des depravierten Amerika bestimmen; wenn es der ganz billige Rausch sein soll, auch mal Lösungmittel oder ein Anästhetikum, das aus der Tüte geschnüffelt wird. Diejenigen, die noch "Disziplin" haben (so der Titel einer Erzählung), sind in der Figurenwelt Donald Ray Pollocks allenfalls die Bodybuilder, aber der einzige Unterschied zu all den andern Abhängigen in diesen Storys ist, dass sie sich etwas teureres Zeug leisten können: "Wir fuhren runter nach Parkersburg, um an noch mehr Steroide zu kommen - 50 cc mexikanisches Deca-Durabolin für 425 Dollar -, und ich verpasste meinem Sohn Sammy gleich auf dem Parkplatz vor dem Gold's eine Dosis in die Hüfte."
Blut spuckt man in diesem Buch nicht nur bei Prügeleien, sondern auch wegen aufgerahuter Gaumen und Schleimhäute. Aber in Drastik und Gewaltdarstellung erschöpfen sich die Geschichten dann doch nicht, ihre größte Härte liegt vielmehr in dem verbindenden Motiv, das man mit Bruce Springsteen sehr einfach als "town full of losers" bezeichnen könnte. Sehr selten nur macht jemand einen Ausbruchsversuch aus dieser Stadt, um doch noch zu gewinnen - und wenn es einer probiert, so wie der verpickelte Teenager Daniel, der vor seinem gewalttätigen Vater davonrennt zur Route 50 und dort den Daumen raushält, dann endet es an einem noch mieseren Ort, mit einer Frauenperücke und einem schwitzenden Fernfahrer.
Noch trauriger geht die Erzählung über Todd Russell aus, dem seine Oma einen alten Ford Fairlane und zweitausend Dollar in der Kaffeedose vermacht - eigentlich genug, um abzuhauen und irgendwo ein besseres Leben anzufangen. Doch aus der Wunschvorstellung der alten Dame, dass ihr Enkel "eines Tages im burgunderroten Anzug und mit lederner Aktentasche nach Knockemstiff zurückkehren könnte", wird nichts, denn auch er kommt natürlich gar nicht erst weg, sondern investiert das Geld in Drogen und wird am Ende übel zugerichtet und betrogen.
Amerikanische Rezensenten haben in "Knockemstiff" Anklänge an Sherwood Andersons 1919 veröffentlichten Erzählzyklus "Winesburg, Ohio" ausgemacht, in dem ebenfalls das große Panorama einer Stadt in miteinander verknüpften Episoden erstellt wird. Eine Ähnlichkeit scheint schon durch das Setting in Ohio auf der Hand zu liegen, doch es gibt noch weitere Indizien: Auch bei Anderson stand eine gezeichnete Karte des Ortes am Beginn des Textes, dazu kommen Themen wie die emotionale oder auch physische Verkrüppelung der Figuren und vor allem deren Sprechen in der sogenannten vernacular tongue, also so, wie ihnen der Schnabel gewachsen ist.
Was zu Andersons Zeit als naturalistische Prosa empfunden wurde, steht allerdings in keinem Vergleich mehr zu den Dampfhammersätzen Donald Ray Pollocks, in denen auch die weitere Entwicklung der amerikanischen Literatur bis hin zu den Beatniks und Bukowski aufgehoben scheint - aber selbst diesen stellt Pollock, selbst übrigens Jahrgang 1954, an lakonischer Härte manchmal noch in den Schatten.
Wie viel Humor trotz dieser Härte in Pollocks Stil steckt, erschließt sich insbesondere durch seine Meisterschaft der vielsagenden Andeutung - etwa in einer großartig beiläufigen Formulierung wie "als unsere Familie noch kein Aufenthaltsverbot für die State Parks hatte", deren Hintergrund der Leser natürlich nie erfährt, sich aber im Kontext dieser Storys lebhaft ausmalen kann. Während man bei der fünften oder sechsten Drogenerzählung gelegentlich ermüdet ob so viel Hoffnungslosigkeit und schlechten Trips, bleibt der stärkste Eindruck dieses Buches seine Eintrittskarte: "Das wahre Leben" könnte wohl die perfekte amerikanische Kurzgeschichte sein.
JAN WIELE
Donald Ray
Pollock: "Knockemstiff".
Aus dem Englischen von Peter Torberg. Verlagsbuchhandlung Liebeskind, München 2013. 256 S., geb., 18,90 [Euro].
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Hier ist sie, die perfekte amerikanische Kurzgeschichte: Donald Ray Pollocks Erzählzyklus "Knockemstiff" haut einen glatt aus den Schuhen
Einmal ein Buch schreiben, auf dessen amerikanischer Ausgabe als Werbeslogan "A Whiskey-Stained Classic" steht: Das wäre schon was. Donald Ray Pollock ist dies gleich mit seinem Debüt gelungen, bei dem schon der Titel wie ein ziemlich harter Cocktail klingt: "Knockemstiff". Es handelt sich dabei allerdings nicht um ein Getränk, sondern um ein Kaff im Land der unmöglichen Ortsnamen, genauer gesagt im Bundesstaat Ohio. Der Autor stammt selbst aus diesem Kaff - aber die schatzinselhafte Kartenzeichnung, die sein Werk begleitet, hebt den Ort sogleich ins Reich der Fiktion: Zwischen Whitey Fords Hütte und dem Black Run River, zwischen Harry Freys Obstgarten und dem alten Highway 23 entpinnen sich Geschichten aus dem amerikanischen Herzland, die einen schon mit den ersten zwei Sätzen aus den Schuhen hauen und so schnell nicht wieder hochkommen lassen: "Als ich sieben war, zeigte mir mein Vater in einer Augustnacht beim Torch-Drive-in, wie man einem Mann so richtig weh tut. Das war das Einzige, was er wirklich beherrschte."
Damit ist der Ton für das ganze Buch gesetzt, und Pollock hält diesen No-Nonsense-Stil wirklich meisterlich bis zur letzten Seite durch. Jeder Schlag sitzt, und das will schon etwas heißen bei der Vielzahl von Schwingern und Haken, die der Autor seinen Figuren in ihrem jeweiligen hard-knock-life austeilt. Gleich in der ersten Geschichte wird in der Popcornbude des besagten Autokinos ein Mann derart vermöbelt, dass einem Hören und Sehen vergehen kann. Und als traurige Spiegelung dieser Erwachsenengewalt wird der erst siebenjährige Sohn des Schlägers, der die Geschichte später aus der Erinnerung erzählt, bei der Rauferei mit dem Sohn des Gegners seines Vaters in die Kunst des Nasenbeinbruchs eingeführt.
Das Label der Whiskeyliteratur ist für dieses Buch aber sogar noch zu schwach, denn hier geht es auch noch um ganz andere Drogen: vor allem um schlechtes Speed und Crystal Meth, die heute den Lebensrhythmus des depravierten Amerika bestimmen; wenn es der ganz billige Rausch sein soll, auch mal Lösungmittel oder ein Anästhetikum, das aus der Tüte geschnüffelt wird. Diejenigen, die noch "Disziplin" haben (so der Titel einer Erzählung), sind in der Figurenwelt Donald Ray Pollocks allenfalls die Bodybuilder, aber der einzige Unterschied zu all den andern Abhängigen in diesen Storys ist, dass sie sich etwas teureres Zeug leisten können: "Wir fuhren runter nach Parkersburg, um an noch mehr Steroide zu kommen - 50 cc mexikanisches Deca-Durabolin für 425 Dollar -, und ich verpasste meinem Sohn Sammy gleich auf dem Parkplatz vor dem Gold's eine Dosis in die Hüfte."
Blut spuckt man in diesem Buch nicht nur bei Prügeleien, sondern auch wegen aufgerahuter Gaumen und Schleimhäute. Aber in Drastik und Gewaltdarstellung erschöpfen sich die Geschichten dann doch nicht, ihre größte Härte liegt vielmehr in dem verbindenden Motiv, das man mit Bruce Springsteen sehr einfach als "town full of losers" bezeichnen könnte. Sehr selten nur macht jemand einen Ausbruchsversuch aus dieser Stadt, um doch noch zu gewinnen - und wenn es einer probiert, so wie der verpickelte Teenager Daniel, der vor seinem gewalttätigen Vater davonrennt zur Route 50 und dort den Daumen raushält, dann endet es an einem noch mieseren Ort, mit einer Frauenperücke und einem schwitzenden Fernfahrer.
Noch trauriger geht die Erzählung über Todd Russell aus, dem seine Oma einen alten Ford Fairlane und zweitausend Dollar in der Kaffeedose vermacht - eigentlich genug, um abzuhauen und irgendwo ein besseres Leben anzufangen. Doch aus der Wunschvorstellung der alten Dame, dass ihr Enkel "eines Tages im burgunderroten Anzug und mit lederner Aktentasche nach Knockemstiff zurückkehren könnte", wird nichts, denn auch er kommt natürlich gar nicht erst weg, sondern investiert das Geld in Drogen und wird am Ende übel zugerichtet und betrogen.
Amerikanische Rezensenten haben in "Knockemstiff" Anklänge an Sherwood Andersons 1919 veröffentlichten Erzählzyklus "Winesburg, Ohio" ausgemacht, in dem ebenfalls das große Panorama einer Stadt in miteinander verknüpften Episoden erstellt wird. Eine Ähnlichkeit scheint schon durch das Setting in Ohio auf der Hand zu liegen, doch es gibt noch weitere Indizien: Auch bei Anderson stand eine gezeichnete Karte des Ortes am Beginn des Textes, dazu kommen Themen wie die emotionale oder auch physische Verkrüppelung der Figuren und vor allem deren Sprechen in der sogenannten vernacular tongue, also so, wie ihnen der Schnabel gewachsen ist.
Was zu Andersons Zeit als naturalistische Prosa empfunden wurde, steht allerdings in keinem Vergleich mehr zu den Dampfhammersätzen Donald Ray Pollocks, in denen auch die weitere Entwicklung der amerikanischen Literatur bis hin zu den Beatniks und Bukowski aufgehoben scheint - aber selbst diesen stellt Pollock, selbst übrigens Jahrgang 1954, an lakonischer Härte manchmal noch in den Schatten.
Wie viel Humor trotz dieser Härte in Pollocks Stil steckt, erschließt sich insbesondere durch seine Meisterschaft der vielsagenden Andeutung - etwa in einer großartig beiläufigen Formulierung wie "als unsere Familie noch kein Aufenthaltsverbot für die State Parks hatte", deren Hintergrund der Leser natürlich nie erfährt, sich aber im Kontext dieser Storys lebhaft ausmalen kann. Während man bei der fünften oder sechsten Drogenerzählung gelegentlich ermüdet ob so viel Hoffnungslosigkeit und schlechten Trips, bleibt der stärkste Eindruck dieses Buches seine Eintrittskarte: "Das wahre Leben" könnte wohl die perfekte amerikanische Kurzgeschichte sein.
JAN WIELE
Donald Ray
Pollock: "Knockemstiff".
Aus dem Englischen von Peter Torberg. Verlagsbuchhandlung Liebeskind, München 2013. 256 S., geb., 18,90 [Euro].
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Süddeutsche ZeitungFaustrecht
Eine weltliche Hölle voller Dreck, Inzest und Gewalt: Donald Ray Pollocks episodischer Debütroman „Knockemstiff“
ist die drastische Antwort auf Sherwood Andersons Kleinstadt-Klassiker „Winesburg, Ohio“
VON CHRISTOPH SCHRÖDER
Eines Tages hält ein Cadillac mit kalifornischem Kennzeichen in Knockemstiff, Ohio, und es verhält sich damit in etwa so, als sei ein Ufo gelandet. Aus dem Wagen steigen ein Mann in einer sauberen grauen Hose und einem weißen Hemd und eine Frau, die auch ganz anders aussieht als alle sonst hier, geschminkt und manikürt. „Hier ist ja nicht viel los“, sagt der Mann und da hat er Recht. Irgendwann kommt die obligatorische Frage an den Mann von der Tankstelle, der da steht und wenig zu reden weiß, weil es nichts zu sagen gibt: Was es denn mit dem Ortsnamen auf sich habe. Und wieder erzählt der Tankwart die Geschichte, und noch nicht einmal diese Legende hat eine Pointe. Kurze Zeit später ist der Cadillac verschwunden. Knockemstiff ist wieder so, wie es vorher war: grauenhaft.
Es gibt ihn wirklich, diesen Ort in Ohio. Die nächste etwas größere Stadt kennt man selbstverständlich auch nicht, sie heißt Chillicothe. „Alle Amerikaner stammen aus Ohio, wenn auch nur kurz“, hat die 1965 verstorbene Schriftstellerin Dawn Powell einmal geschrieben, und Donald Ray Pollock hat seinem Buch diesen Satz als Motto vorangestellt. Wenn es so wäre, wäre es eine Tragödie. Pollock, geboren 1954, ist in Knockemstiff aufgewachsen. Er hat die Highschool abgebrochen und dann mehr als dreißig Jahre lang in einer Papiermühle gearbeitet. In Abendkursen holte er seinen Schulabschluss nach und begann zu schreiben. Pollock hat es aus Knockemstiff herausgeschafft, er lebt heute in Chillicothe.
Schon auf den ersten Seiten von Pollocksliterarischem Debüt, das in den USA hochgelobt wurde, wird deutlich, dass wir uns in einer dunklen, archaischen Welt bewegen, in der die Menschen in die Selbstverständlichkeit des Faustrechts hineingeboren werden. Die dumpfe Gewalt, die hier regiert, erinnert an die frühen Romane eines Cormac McCarthy; die Folie, vor der Pollock erzählt, dürfte Sherwood Andersons Episodenroman „Winesburg, Ohio“ sein, in dem die Lebensläufe der Bewohner einer Kleinstadt in verschiedenen, sich überkreuzenden Strängen erzählt werden. Andersons Buch allerdings erschien 1919, seitdem ist die Welt eine andere geworden, und Pollock hält sich nicht lange mit subtilen Schilderungen von Seelennöten und Gewissenskonflikten auf.
Wie die Bewusstseinslage der Menschen strukturiert ist, zeigt sich gleich in der ersten der insgesamt 18 Geschichten: Da fährt ein Familienvater mit seinem Sohn Bobby und seiner Frau ins Autokino. An der Pissrinne schlägt er nach einem Wortgefecht einen anderen Mann brutal zusammen, zwingt seinen Sohn, den Sohn seines Gegners ebenso zu behandeln, packt die Familie ins Auto, fährt nach Hause und hat dort noch halb einvernehmlichen Sex mit seiner Frau. Ein Tag im Leben des durchschnittlichen Knockemstiffers. So ist alles hier. Sex, Gewalt und Menschenverachtung bilden eine untrennbare Gemeinschaft. Inzest, Drogen aller Art und selbstverständlich Alkohol sind die Regel.
Das Problem einer solchen Art von Prosa liegt auf der Hand: Wo die Kontraste fehlen, verliert der Schrecken seine Wucht. Dieser Gefahr begegnet Pollock, indem er wenigen Figuren, beinahe unmerklich, kurze Momente emotionaler Regungen gestattet. Wer die verpasst, wird „Knockemstiff“ als einen einzigen, sich über Jahrzehnte hinziehenden Brutalitätsexzess lesen. Ganz am Ende gestattet uns Pollock einen Blick von außen: Jener Bobby aus der ersten Geschichte, mittlerweile trockener Alkoholiker, kommt zu Besuch zu seinen Eltern und seinem jüngeren Bruder. „Ich war“, stellt er fest, „hier aufgewachsen, aber es hatte sich nie wie zu Hause angefühlt.“ Das ist in diesem Fall ein großes Glück.
Wo jedoch Kontraste fehlen,
verliert der Schrecken an Wucht
Einmal hält kurz ein Cadillac an der Tankstelle, danach ist das Kaff Knockemstiff wieder so, wie es immer war: grauenhaft.
FOTO: MICHAEL REYNOLDS/DPA
Donald Ray Pollock:
Knockemstiff. Roman.
Aus dem Englischen
von Peter Torberg.
Verlagsbuchhandlung
Liebeskind, München 2013. 256 Seiten, 18,90 Euro.
DIZdigital: Alle Rechte vorbehalten – Süddeutsche Zeitung GmbH, München
Jegliche Veröffentlichung und nicht-private Nutzung exklusiv über www.sz-content.de
Eine weltliche Hölle voller Dreck, Inzest und Gewalt: Donald Ray Pollocks episodischer Debütroman „Knockemstiff“
ist die drastische Antwort auf Sherwood Andersons Kleinstadt-Klassiker „Winesburg, Ohio“
VON CHRISTOPH SCHRÖDER
Eines Tages hält ein Cadillac mit kalifornischem Kennzeichen in Knockemstiff, Ohio, und es verhält sich damit in etwa so, als sei ein Ufo gelandet. Aus dem Wagen steigen ein Mann in einer sauberen grauen Hose und einem weißen Hemd und eine Frau, die auch ganz anders aussieht als alle sonst hier, geschminkt und manikürt. „Hier ist ja nicht viel los“, sagt der Mann und da hat er Recht. Irgendwann kommt die obligatorische Frage an den Mann von der Tankstelle, der da steht und wenig zu reden weiß, weil es nichts zu sagen gibt: Was es denn mit dem Ortsnamen auf sich habe. Und wieder erzählt der Tankwart die Geschichte, und noch nicht einmal diese Legende hat eine Pointe. Kurze Zeit später ist der Cadillac verschwunden. Knockemstiff ist wieder so, wie es vorher war: grauenhaft.
Es gibt ihn wirklich, diesen Ort in Ohio. Die nächste etwas größere Stadt kennt man selbstverständlich auch nicht, sie heißt Chillicothe. „Alle Amerikaner stammen aus Ohio, wenn auch nur kurz“, hat die 1965 verstorbene Schriftstellerin Dawn Powell einmal geschrieben, und Donald Ray Pollock hat seinem Buch diesen Satz als Motto vorangestellt. Wenn es so wäre, wäre es eine Tragödie. Pollock, geboren 1954, ist in Knockemstiff aufgewachsen. Er hat die Highschool abgebrochen und dann mehr als dreißig Jahre lang in einer Papiermühle gearbeitet. In Abendkursen holte er seinen Schulabschluss nach und begann zu schreiben. Pollock hat es aus Knockemstiff herausgeschafft, er lebt heute in Chillicothe.
Schon auf den ersten Seiten von Pollocksliterarischem Debüt, das in den USA hochgelobt wurde, wird deutlich, dass wir uns in einer dunklen, archaischen Welt bewegen, in der die Menschen in die Selbstverständlichkeit des Faustrechts hineingeboren werden. Die dumpfe Gewalt, die hier regiert, erinnert an die frühen Romane eines Cormac McCarthy; die Folie, vor der Pollock erzählt, dürfte Sherwood Andersons Episodenroman „Winesburg, Ohio“ sein, in dem die Lebensläufe der Bewohner einer Kleinstadt in verschiedenen, sich überkreuzenden Strängen erzählt werden. Andersons Buch allerdings erschien 1919, seitdem ist die Welt eine andere geworden, und Pollock hält sich nicht lange mit subtilen Schilderungen von Seelennöten und Gewissenskonflikten auf.
Wie die Bewusstseinslage der Menschen strukturiert ist, zeigt sich gleich in der ersten der insgesamt 18 Geschichten: Da fährt ein Familienvater mit seinem Sohn Bobby und seiner Frau ins Autokino. An der Pissrinne schlägt er nach einem Wortgefecht einen anderen Mann brutal zusammen, zwingt seinen Sohn, den Sohn seines Gegners ebenso zu behandeln, packt die Familie ins Auto, fährt nach Hause und hat dort noch halb einvernehmlichen Sex mit seiner Frau. Ein Tag im Leben des durchschnittlichen Knockemstiffers. So ist alles hier. Sex, Gewalt und Menschenverachtung bilden eine untrennbare Gemeinschaft. Inzest, Drogen aller Art und selbstverständlich Alkohol sind die Regel.
Das Problem einer solchen Art von Prosa liegt auf der Hand: Wo die Kontraste fehlen, verliert der Schrecken seine Wucht. Dieser Gefahr begegnet Pollock, indem er wenigen Figuren, beinahe unmerklich, kurze Momente emotionaler Regungen gestattet. Wer die verpasst, wird „Knockemstiff“ als einen einzigen, sich über Jahrzehnte hinziehenden Brutalitätsexzess lesen. Ganz am Ende gestattet uns Pollock einen Blick von außen: Jener Bobby aus der ersten Geschichte, mittlerweile trockener Alkoholiker, kommt zu Besuch zu seinen Eltern und seinem jüngeren Bruder. „Ich war“, stellt er fest, „hier aufgewachsen, aber es hatte sich nie wie zu Hause angefühlt.“ Das ist in diesem Fall ein großes Glück.
Wo jedoch Kontraste fehlen,
verliert der Schrecken an Wucht
Einmal hält kurz ein Cadillac an der Tankstelle, danach ist das Kaff Knockemstiff wieder so, wie es immer war: grauenhaft.
FOTO: MICHAEL REYNOLDS/DPA
Donald Ray Pollock:
Knockemstiff. Roman.
Aus dem Englischen
von Peter Torberg.
Verlagsbuchhandlung
Liebeskind, München 2013. 256 Seiten, 18,90 Euro.
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To get an idea of Donald Ray Pollock's astonishing new book, one could try to imagine a drunken punch-up between a redneck Hemingway and an amphetamine-fuelled Raymond Carver... A fiendishly enjoyable collection Daily Telegraph