Am 26. Juni 1943 empfing Adolf Hitler den norwegischen Literaturnobelpreisträger Knut Hamsun auf dem Berghof am Obersalzberg. Hamsun hatte sich in der Öffentlichkeit seit Jahren positiv über den Nationalsozialismus geäußert. Die Nationalsozialisten ihrerseits verehrten Hamsun und verstanden es, seine Person und sein Werk für ihre Zwecke einzusetzen. Doch das Treffen endete abrupt, als Hamsun Hitler widersprach. Was trieb Hamsun, einst von Geistesgrößen wie Kurt Tucholsky und Thomas Mann verehrt, zu seinen Überzeugungen, die er auch nach 1945 verteidigte? Tore Rem ordnet das Geschehen historisch und biografisch ein und fragt, ob ein Künstler wirklich unabhängig von seinem politischen Handeln anerkannt werden kann. Eine brennende Frage für Zeitgeschichte und Gegenwart.
Perlentaucher-Notiz zur F.A.Z.-Rezension
Im Juni 1943 reiste der 83-jährige Knut Hamsum auf den Obersalzberg, wo Adolf Hitler ihm eine dreiviertelstündige Audienz gewährte, die Rezensent Rainer Blasius als bizarr komische Szene vor düsterem Hintergrund schildert. Am Ende lief die Begegnung aus dem Ruder, weil Hamsun sich über das Regime des Reichskommissars Josef Terboven beschwerte - bis es Hitler zuviel wurde und er seine Gäste mit einem geschnarrten "Ja, dann meine Herren" auf die Terrasse geleitete. Harmonischer sei Hamsuns Begegnung mit Goebbels verlaufen, notiert Blasius, der seine Kritik vor allem für die Nacherzählung der Ereignisse nutzt, das Buch aber angeregt gelesen zu haben scheint.
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Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 15.03.2016Hamsun auf dem Obersalzberg
Der norwegische Dichter besuchte den deutschen Diktator
Es sollte die größte Stunde seines Lebens werden - und erwies sich als seine bitterste. Der 83 Jahre alte Knut Hamsun besuchte am 26. Juni 1943 Adolf Hitler in Berchtesgaden. Beide litten unter Höhenangst, wie der Osloer Literaturprofessor Tore Rem in seiner reichbebilderten und einfühlsam verfassten Rekonstruktion der Begegnung samt Vorgeschichte feststellt: Der norwegische Dichter und der deutsche Diktator begriffen sich als "Ausnahmemenschen" und "Künstler mit der Fähigkeit, sich alternative Wirklichkeiten vorzustellen, vorläufige Nicht-Orte: der ,Großmagier' Hitler wie der ,Zauberkünstler' Hamsun. Hitler selbst meinte vor allem, dass sie beide eine poetische Sicht auf das Dasein teilten, eine dichterische Herangehensweise."
Der Nobelpreisträger des Jahres 1920 wollte die "Verhältnisse" im besetzten Norwegen anprangern, sich über Reichskommissar Josef Terboven beschweren. Der Auftakt der etwa 45 Minuten dauernden Unterredung war herzlich, es gab überschwängliche Respektbezeugungen - bis eben die Rede auf die "Festung Norwegen" kam. Als Hamsun plötzlich unkonzentriert wirkte, riss sein Reisebegleiter und Dolmetscher Egil Holmboe die Gesprächsführung an sich. "Er setzt zu einer längeren Ausführung an, die den Hintergrund der starken Meinungsäußerung des Schriftstellers erklären soll. Die meisten Norweger betrachten die Mitglieder der Nasjonal Samling als Landesverräter, müsse Hitler verstehen, und das mache die Arbeit äußerst schwierig." Das norwegische Volk sei besonders königstreu und müsse davon überzeugt werden, dass das Land während der deutsche Besetzung 1940 von seinem Monarchen, der seither im Exil in Großbritannien lebte, "betrogen" worden sei; so ließe sich dessen Popularität brechen: "Verhielt sich die norwegische Regierung neutral, oder nahm sie, praktisch im Verborgenen, Englands Seite ein? Würden Tatsachen ans Licht kommen, müsste sich nämlich die Stimmung in der Bevölkerung zu deutschen Gunsten ändern."
Hitler war laut Rem "merklich unzufrieden" damit, dass Holmboe - ein "norwegischer Nazibürokrat von niedrigem Rang" - das große Wort führte. Jedenfalls empfahl der Diktator den Norwegern eine Untersuchungskommission für die Ereignisse des Jahres 1940: "Aber anders, als er es gewohnt ist, wird der ,Führer' unterbrochen. ,Die Art des Reichskommissariats passt nicht zu uns', ruft Hamsun deutlich bewegt aus. ,Seine Preußerei ist für uns unerträglich, und dann die Erschießungen!' In seiner Frustration fügt er ein völlig entmutigendes ,Wir wollen nicht mehr' hinzu", berichtet Rem und weist darauf hin, dass wegen der unterschiedlichen Überlieferungen gar nicht sicher sei, ob Holmboe dies alles auch ins Deutsche übersetzt habe.
Jedenfalls lief das Gespräch aus dem Ruder, Hamsun attackierte Terbovens Regime und die Juden, Hitler hingegen erwartete Dankbarkeit dafür, dass er als Beweis des guten Willens eine norwegische Regierung unter Vidkun Quisling eingesetzt habe. Schließlich brach er die Unterredung einfach ab: "Er erhebt sich, zieht die Schultern nach oben und äußert ein ,Ja, dann, meine Herren'. Sie erheben sich und gehen hinaus auf die Terrasse."
Deutlich harmonischer war zuvor ein Treffen zwischen Hamsun und Reichspropagandaminister Joseph Goebbels am 18. Mai 1943 in Berlin verlaufen. Der studierte Kleingermanist aus Rheydt gab sich hingerissen vom Werk und der Person des norwegischen Großschriftstellers, der wiederum den wortgewaltigen Demagogen und brutalen Antisemiten nahezu anbetete. Daher ließ sich Hamsun sogar für einen Auftritt auf der "Tagung der Union nationaler Journalisten-Verbände" in Wien einspannen, wo die 1,90 Meter lange "Wikingergestalt" am 23. Juni 1943 eine antienglische Festansprache hielt. An diesem Tag notierte Goebbels, der im fernen Berlin weilte, stolz in sein Tagebuch, dass Hamsun ihm gerade die "Medaille und die Urkunde zum Nobelpreis" geschickt habe - was Goebbels im Dankesbrief an Hamsun als Ausdruck der "Verbundenheit mit unserem Kampf um ein neues Europa und eine glücklichere Menschheit" würdigte. Auf Hamsuns Instrumentalisierung in Wien folgte die Obersalzberg-Visite, die Goebbels als "etwas verunglückt" ansah.
Hamsun veröffentlichte noch am 7. Mai 1945 einen Nachruf auf Hitler: Der Diktator sei "ein Verkünder des Evangeliums vom Recht aller Nationen" gewesen: "Wir, seine treuen Anhänger, verneigen uns nun angesichts seines Todes." Zu dieser "Geste" meint Rem: "Als Ausdruck seiner allmählich größenwahnsinnigen Eigensinnigkeit kann man sie nur mit seinem Nobel-Geschenk an Goebbels im Juni 1943 vergleichen." Durch 119 Tage in der Psychiatrie und nachsichtige norwegische Richter kam Hamsun später relativ glimpflich davon: Mit einer hohen Geldstrafe wurde seine Kollaboration geahndet, die Tore Rem nicht zuletzt auf den Einfluss von Hamsuns Frau Marie und die stark nazifizierte gemeinsame Familie zurückführt.
RAINER BLASIUS
Tore Rem: Knut Hamsun. Die Reise zu Hitler. Aus dem Norwegischen von Daniela Stilzebach. Verlag Das Neue Berlin, Berlin 2016. 400 S., 29,99 [Euro].
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Der norwegische Dichter besuchte den deutschen Diktator
Es sollte die größte Stunde seines Lebens werden - und erwies sich als seine bitterste. Der 83 Jahre alte Knut Hamsun besuchte am 26. Juni 1943 Adolf Hitler in Berchtesgaden. Beide litten unter Höhenangst, wie der Osloer Literaturprofessor Tore Rem in seiner reichbebilderten und einfühlsam verfassten Rekonstruktion der Begegnung samt Vorgeschichte feststellt: Der norwegische Dichter und der deutsche Diktator begriffen sich als "Ausnahmemenschen" und "Künstler mit der Fähigkeit, sich alternative Wirklichkeiten vorzustellen, vorläufige Nicht-Orte: der ,Großmagier' Hitler wie der ,Zauberkünstler' Hamsun. Hitler selbst meinte vor allem, dass sie beide eine poetische Sicht auf das Dasein teilten, eine dichterische Herangehensweise."
Der Nobelpreisträger des Jahres 1920 wollte die "Verhältnisse" im besetzten Norwegen anprangern, sich über Reichskommissar Josef Terboven beschweren. Der Auftakt der etwa 45 Minuten dauernden Unterredung war herzlich, es gab überschwängliche Respektbezeugungen - bis eben die Rede auf die "Festung Norwegen" kam. Als Hamsun plötzlich unkonzentriert wirkte, riss sein Reisebegleiter und Dolmetscher Egil Holmboe die Gesprächsführung an sich. "Er setzt zu einer längeren Ausführung an, die den Hintergrund der starken Meinungsäußerung des Schriftstellers erklären soll. Die meisten Norweger betrachten die Mitglieder der Nasjonal Samling als Landesverräter, müsse Hitler verstehen, und das mache die Arbeit äußerst schwierig." Das norwegische Volk sei besonders königstreu und müsse davon überzeugt werden, dass das Land während der deutsche Besetzung 1940 von seinem Monarchen, der seither im Exil in Großbritannien lebte, "betrogen" worden sei; so ließe sich dessen Popularität brechen: "Verhielt sich die norwegische Regierung neutral, oder nahm sie, praktisch im Verborgenen, Englands Seite ein? Würden Tatsachen ans Licht kommen, müsste sich nämlich die Stimmung in der Bevölkerung zu deutschen Gunsten ändern."
Hitler war laut Rem "merklich unzufrieden" damit, dass Holmboe - ein "norwegischer Nazibürokrat von niedrigem Rang" - das große Wort führte. Jedenfalls empfahl der Diktator den Norwegern eine Untersuchungskommission für die Ereignisse des Jahres 1940: "Aber anders, als er es gewohnt ist, wird der ,Führer' unterbrochen. ,Die Art des Reichskommissariats passt nicht zu uns', ruft Hamsun deutlich bewegt aus. ,Seine Preußerei ist für uns unerträglich, und dann die Erschießungen!' In seiner Frustration fügt er ein völlig entmutigendes ,Wir wollen nicht mehr' hinzu", berichtet Rem und weist darauf hin, dass wegen der unterschiedlichen Überlieferungen gar nicht sicher sei, ob Holmboe dies alles auch ins Deutsche übersetzt habe.
Jedenfalls lief das Gespräch aus dem Ruder, Hamsun attackierte Terbovens Regime und die Juden, Hitler hingegen erwartete Dankbarkeit dafür, dass er als Beweis des guten Willens eine norwegische Regierung unter Vidkun Quisling eingesetzt habe. Schließlich brach er die Unterredung einfach ab: "Er erhebt sich, zieht die Schultern nach oben und äußert ein ,Ja, dann, meine Herren'. Sie erheben sich und gehen hinaus auf die Terrasse."
Deutlich harmonischer war zuvor ein Treffen zwischen Hamsun und Reichspropagandaminister Joseph Goebbels am 18. Mai 1943 in Berlin verlaufen. Der studierte Kleingermanist aus Rheydt gab sich hingerissen vom Werk und der Person des norwegischen Großschriftstellers, der wiederum den wortgewaltigen Demagogen und brutalen Antisemiten nahezu anbetete. Daher ließ sich Hamsun sogar für einen Auftritt auf der "Tagung der Union nationaler Journalisten-Verbände" in Wien einspannen, wo die 1,90 Meter lange "Wikingergestalt" am 23. Juni 1943 eine antienglische Festansprache hielt. An diesem Tag notierte Goebbels, der im fernen Berlin weilte, stolz in sein Tagebuch, dass Hamsun ihm gerade die "Medaille und die Urkunde zum Nobelpreis" geschickt habe - was Goebbels im Dankesbrief an Hamsun als Ausdruck der "Verbundenheit mit unserem Kampf um ein neues Europa und eine glücklichere Menschheit" würdigte. Auf Hamsuns Instrumentalisierung in Wien folgte die Obersalzberg-Visite, die Goebbels als "etwas verunglückt" ansah.
Hamsun veröffentlichte noch am 7. Mai 1945 einen Nachruf auf Hitler: Der Diktator sei "ein Verkünder des Evangeliums vom Recht aller Nationen" gewesen: "Wir, seine treuen Anhänger, verneigen uns nun angesichts seines Todes." Zu dieser "Geste" meint Rem: "Als Ausdruck seiner allmählich größenwahnsinnigen Eigensinnigkeit kann man sie nur mit seinem Nobel-Geschenk an Goebbels im Juni 1943 vergleichen." Durch 119 Tage in der Psychiatrie und nachsichtige norwegische Richter kam Hamsun später relativ glimpflich davon: Mit einer hohen Geldstrafe wurde seine Kollaboration geahndet, die Tore Rem nicht zuletzt auf den Einfluss von Hamsuns Frau Marie und die stark nazifizierte gemeinsame Familie zurückführt.
RAINER BLASIUS
Tore Rem: Knut Hamsun. Die Reise zu Hitler. Aus dem Norwegischen von Daniela Stilzebach. Verlag Das Neue Berlin, Berlin 2016. 400 S., 29,99 [Euro].
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