Es sind knisternde, kristalline Momente, denen Uljana Wolf in ihrem Debüt "kochanie ich habe brot gekauft" nachspürt, Momente der Überschreitung, in denen die Intimität des Vertrauten blitzartig umschlägt in die Erotik des Fremden. Als "reisende" bewegen sich ihre Gedichte mit spielerischer Leichtigkeit von Land zu Land, von Frau zu Mann, von Zunge zu Zunge. Alles scheint hier übersetzbar. Feinfühlig und mit bisweilen verschmitzter Verve gelingt es Uljana Wolf, Begegnungen mit Geliebten und Vätern, Holzfällern und bissigen schlesischen Dorfhunden im "aufwachraum" der Sprache poetisches Leben einzuhauchen. In einer Welt, in der die Sprache unterwegs und das Unterwegs in der Sprache ist, entstehen Gedichte als Miniaturunterkünfte, die den Leser verführen - zum Verweilen, zum immer Wiederlesen.
Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 12.06.2006Die Aufkündigung der väterlichen Sprache
Ein Debüt und gleich der Peter Huchel-Preis: Uljana Wolfs Gedichtband „kochanie ich habe brot gekauft”
Der Vers ist kunstlos, das Gedicht ohne Lebensgeräusche, wenn die Autorin Uljana Wolf ihr Steckenpferd reitet, wenn sie den nachgestellten Kinderton als Tarnkappe für ihr feministisches Einmaleins nutzt. Die Variationen des Zyklus „mein flurbuch” gelten der unbegraben verwesten Liebe der Töchter zu den (begrabenen) Vätern und der Väter zu den Töchtern, über die ihr Wort Gewalt hat, weil sie Männer sind. Wenn wenigstens die Zersetzungsprodukte der Gefühle ordentlich zum Himmel stänken und die Verse belebten. Es reicht aber bloß zum blauen Dunst: „die liebe raucht um die wette/mit einer filterzigarette”.
Aber die figurative Rede verrät konzeptionelle Kraft. Der Sprung ins Bild der Schlafenden und die augenblickliche Überblendung und Verwilderung des Körpers in der Manier Arcimboldos führt in die zukunftschwangere Gegenwart eines Vorzimmers des Lebens. Im Motiv des „Aufwachraums”, in den Operierte zur Beobachtung gebracht werden, verhandelt die junge Autorin ihre Lage, den Zustand des Bewusstseins auf der Schwelle zum poetischen Ausdruck: den ersten Schöpfungstag. Es bedarf keiner großen Mühe, sich vorzustellen, wie dichterische Einbildungskraft sich der Ausdrucksmöglichkeiten des gewaltigen Stoffs bemächtigen könnte, des himmelblauen Nichts des keimenden Beginns, des Schwellenzaubers, der Ungeheuerlichkeit der Schwellenerfahrung, der phantastischen Vorgänge des Übergangs und Gestaltwandels.
Die Antwort der Autorin auf die Reizmittel ihres Materials zeugt eher von Geistesgegenwart und Sitzfleisch denn von überschwänglichem Fluggeist. Sie hält sich an die Tatsachenlage im Aufwachraum. Der Dunst und die Scherben postnarkotischer Zustände geraten zu einem realistischen Streifen über weidende Schafe und Hirten in Gestalt großer „schwesterntiere”, dazwischen das Bett als schwankende Barke. Der Weckruf der Schwester leitet direkt zur Anrufung Ingeborg Bachmanns über, der Schutzheiligen der nachfolgenden Patriarchatskritik.
Von der Bühne ins Leben
Auf eine eigene Spur schwenkt die 27-jährige Berlinerin erst in der zweiten Hälfte ihres Debüt-Bandes ein. Leben, Witz, Vitalität, artistische Verve kommt in die laufende Vorführung des künstlerischen Beginns und der Lehr- und Wanderjahre, als die Kapitel über den kindheitlichen Schlaf der Vernunft der erwachsenen Geschichte des Ichs Platz machen und das Bewusstsein in Zeit und Geschichte eintritt. Noch ist es die vermittelte Welt des Theaters auf dem Bildschirm, die ihr im Stoff von Shakespeares „Titus Andronicus” das menschliche Drama der Freiheit vor Augen führt. Freiheit ist in der „verschwisterten” Welt des Theaterstücks die Freiheit zum Bösen und der Wille zur Unterscheidung von Ich und Nicht-Ich. Die bedrängende Gegenwart des Anderen, des Barbaren an den Grenzen des Römischem Reichs setzt die blutige Dynamik der Geschichte in Gang, das Machtspiel der Brüder Chiron und Demetrius und das elende Schicksal der verstümmelten Lavinia.
Merklich sorgt die Aufrichtung einer Sprechbühne, die verdoppelte Fiktion und die Aufspaltung der Sprache in Schrift und Rede für Zufuhr an Spannung und Dramatik. Im lebendigen Gegenverkehr von zeichenhafter Konvention in der „väterlichen” Sprache und dem sich Bahn brechenden eruptiven „livestream” der Tochter kommt es zur wechselseitigen Konturierung gegensätzlicher Ausdrucksarten. Tonfälle, Sprechgebärden stellen sich ein, eine assoziative Dichte und affektive Aura.
Gleichzeitig wird der Tornister gepackt. Der titelgebene Zyklus, mit dem der Band schließt, gilt dem Aufbruch in eine Fremde, die „Gespräche ausbildet” und Grenzen sichtbar macht. Der Aufenthalt in der polnischen Provinz, in Lódz, zuletzt in Kreisau, erscheint als Wechselspiel von Nähe und Distanz. Die Entdeckung, dass die Männer „nicht (mehr) unsere Väter warn”, die Bekanntschaft mit der Leidenschaft, der „Schlaglochliebe” im „kleinen Grenzverkehr” bildet den versachlichten Kontrapunkt zu Grenzzäunen, zum Zoll, zu den Gleisbewachern und den von ihrem eigenen Echo umstellten Kreisauer Hunden. Zu welcher Ausdrucksintensität die Autorin aber bei aller Tendenz zum Sagbaren, Diesseitig-Tatsächlichen, zu Witz und Verstand fähig ist, das führt sie in der kunstvollen Antithetik der Elegie „kreisau, nebelvoliere” vor, einem mit der Sprache musizierenden Liebesgedicht.
Spätestens jetzt wird nachvollziehbar, warum die Juroren des Peter-Huchel-Preises mit ihrer Entdeckung ans Licht wollten und Uljana Wolf den diesjährigen Büchnerpreis der Lyrik zuerkannten. Damit allerdings haben sie des Wohlmeinenden zuviel getan und den Status des Peter-Huchel-Preises als letzter und höchster Instanz in der Reihe bundesrepublikanischer Lyrikpreise gefährdet. Warum nur stehen gewachsene Strukturen, Traditionen, Institutionen hierzulande immer wieder so mir nichts dir nichts zur Disposition? Es fehlt doch weiß Gott an Kandidaten für den Huchel-Preis nicht. Schlange stehen sie.
SIBYLLE CRAMER
ULJANA WOLF: kochanie ich habe brot gekauft. Gedichte und 4 Transparentblätter mit Zeichnungen von Andreas Töpfer. Kookbooks, Idstein 2005. 72 Seiten, 13,80 Euro.
SZdigital: Alle Rechte vorbehalten – Süddeutsche Zeitung GmbH, München
Eine Dienstleistung der DIZ München GmbH
Ein Debüt und gleich der Peter Huchel-Preis: Uljana Wolfs Gedichtband „kochanie ich habe brot gekauft”
Der Vers ist kunstlos, das Gedicht ohne Lebensgeräusche, wenn die Autorin Uljana Wolf ihr Steckenpferd reitet, wenn sie den nachgestellten Kinderton als Tarnkappe für ihr feministisches Einmaleins nutzt. Die Variationen des Zyklus „mein flurbuch” gelten der unbegraben verwesten Liebe der Töchter zu den (begrabenen) Vätern und der Väter zu den Töchtern, über die ihr Wort Gewalt hat, weil sie Männer sind. Wenn wenigstens die Zersetzungsprodukte der Gefühle ordentlich zum Himmel stänken und die Verse belebten. Es reicht aber bloß zum blauen Dunst: „die liebe raucht um die wette/mit einer filterzigarette”.
Aber die figurative Rede verrät konzeptionelle Kraft. Der Sprung ins Bild der Schlafenden und die augenblickliche Überblendung und Verwilderung des Körpers in der Manier Arcimboldos führt in die zukunftschwangere Gegenwart eines Vorzimmers des Lebens. Im Motiv des „Aufwachraums”, in den Operierte zur Beobachtung gebracht werden, verhandelt die junge Autorin ihre Lage, den Zustand des Bewusstseins auf der Schwelle zum poetischen Ausdruck: den ersten Schöpfungstag. Es bedarf keiner großen Mühe, sich vorzustellen, wie dichterische Einbildungskraft sich der Ausdrucksmöglichkeiten des gewaltigen Stoffs bemächtigen könnte, des himmelblauen Nichts des keimenden Beginns, des Schwellenzaubers, der Ungeheuerlichkeit der Schwellenerfahrung, der phantastischen Vorgänge des Übergangs und Gestaltwandels.
Die Antwort der Autorin auf die Reizmittel ihres Materials zeugt eher von Geistesgegenwart und Sitzfleisch denn von überschwänglichem Fluggeist. Sie hält sich an die Tatsachenlage im Aufwachraum. Der Dunst und die Scherben postnarkotischer Zustände geraten zu einem realistischen Streifen über weidende Schafe und Hirten in Gestalt großer „schwesterntiere”, dazwischen das Bett als schwankende Barke. Der Weckruf der Schwester leitet direkt zur Anrufung Ingeborg Bachmanns über, der Schutzheiligen der nachfolgenden Patriarchatskritik.
Von der Bühne ins Leben
Auf eine eigene Spur schwenkt die 27-jährige Berlinerin erst in der zweiten Hälfte ihres Debüt-Bandes ein. Leben, Witz, Vitalität, artistische Verve kommt in die laufende Vorführung des künstlerischen Beginns und der Lehr- und Wanderjahre, als die Kapitel über den kindheitlichen Schlaf der Vernunft der erwachsenen Geschichte des Ichs Platz machen und das Bewusstsein in Zeit und Geschichte eintritt. Noch ist es die vermittelte Welt des Theaters auf dem Bildschirm, die ihr im Stoff von Shakespeares „Titus Andronicus” das menschliche Drama der Freiheit vor Augen führt. Freiheit ist in der „verschwisterten” Welt des Theaterstücks die Freiheit zum Bösen und der Wille zur Unterscheidung von Ich und Nicht-Ich. Die bedrängende Gegenwart des Anderen, des Barbaren an den Grenzen des Römischem Reichs setzt die blutige Dynamik der Geschichte in Gang, das Machtspiel der Brüder Chiron und Demetrius und das elende Schicksal der verstümmelten Lavinia.
Merklich sorgt die Aufrichtung einer Sprechbühne, die verdoppelte Fiktion und die Aufspaltung der Sprache in Schrift und Rede für Zufuhr an Spannung und Dramatik. Im lebendigen Gegenverkehr von zeichenhafter Konvention in der „väterlichen” Sprache und dem sich Bahn brechenden eruptiven „livestream” der Tochter kommt es zur wechselseitigen Konturierung gegensätzlicher Ausdrucksarten. Tonfälle, Sprechgebärden stellen sich ein, eine assoziative Dichte und affektive Aura.
Gleichzeitig wird der Tornister gepackt. Der titelgebene Zyklus, mit dem der Band schließt, gilt dem Aufbruch in eine Fremde, die „Gespräche ausbildet” und Grenzen sichtbar macht. Der Aufenthalt in der polnischen Provinz, in Lódz, zuletzt in Kreisau, erscheint als Wechselspiel von Nähe und Distanz. Die Entdeckung, dass die Männer „nicht (mehr) unsere Väter warn”, die Bekanntschaft mit der Leidenschaft, der „Schlaglochliebe” im „kleinen Grenzverkehr” bildet den versachlichten Kontrapunkt zu Grenzzäunen, zum Zoll, zu den Gleisbewachern und den von ihrem eigenen Echo umstellten Kreisauer Hunden. Zu welcher Ausdrucksintensität die Autorin aber bei aller Tendenz zum Sagbaren, Diesseitig-Tatsächlichen, zu Witz und Verstand fähig ist, das führt sie in der kunstvollen Antithetik der Elegie „kreisau, nebelvoliere” vor, einem mit der Sprache musizierenden Liebesgedicht.
Spätestens jetzt wird nachvollziehbar, warum die Juroren des Peter-Huchel-Preises mit ihrer Entdeckung ans Licht wollten und Uljana Wolf den diesjährigen Büchnerpreis der Lyrik zuerkannten. Damit allerdings haben sie des Wohlmeinenden zuviel getan und den Status des Peter-Huchel-Preises als letzter und höchster Instanz in der Reihe bundesrepublikanischer Lyrikpreise gefährdet. Warum nur stehen gewachsene Strukturen, Traditionen, Institutionen hierzulande immer wieder so mir nichts dir nichts zur Disposition? Es fehlt doch weiß Gott an Kandidaten für den Huchel-Preis nicht. Schlange stehen sie.
SIBYLLE CRAMER
ULJANA WOLF: kochanie ich habe brot gekauft. Gedichte und 4 Transparentblätter mit Zeichnungen von Andreas Töpfer. Kookbooks, Idstein 2005. 72 Seiten, 13,80 Euro.
SZdigital: Alle Rechte vorbehalten – Süddeutsche Zeitung GmbH, München
Eine Dienstleistung der DIZ München GmbH
Perlentaucher-Notiz zur Süddeutsche Zeitung-Rezension
Sibylle Cramer erkennt durchaus die Vorzüge dieses Debütbandes mit Gedichten von Uljana Wolf an, dass der Lyrikerin dafür aber sofort der Peter Huchel-Preis verliehen wurde, findet sie etwas vorschnell und übertrieben. Erscheinen der Rezensentin die ersten Gedichte, in der Wolf entweder in "nachgestelltem Kinderton" über Väter räsoniert oder in "Aufwachraum" den Zustand zwischen Bewusstlosigkeit und Wachsein erkundet, auffällig unsinnlich und vom Intellekt geprägt, so freut sie sich später über die stärker werdende Lebendigkeit und den Humor der Gedichte in der zweiten Hälfte des Bandes. Wenn Wolf schließlich mit "kreisau, nebelvoliere" ein Liebesgedicht vorlegt, demonstriert sie, zu welch intensivem Ausdruck sie imstande ist, lobt die Rezensentin, die spätestens hier Verständnis dafür entwickelt, was die Preisverleiher denn so begeistert hat, dass sie der Autorin den renommierten Büchnerpreis der Lyrik zuerkannt haben, auch wenn der Rezensentin nach wie vor verdientere Autoren eingefallen wären.
© Perlentaucher Medien GmbH
© Perlentaucher Medien GmbH