Produktdetails
- Verlag: Büchergilde Gutenberg
- ISBN-13: 9783763274932
- Artikelnr.: 69180437
- Herstellerkennzeichnung Die Herstellerinformationen sind derzeit nicht verfügbar.
Perlentaucher-Notiz zur NZZ-Rezension
"Heruntergedimmte Eleganz" zeichnet diesen Roman von Theresa Präauer aus, findet Rezensent Paul Jandl. Es geht um eine Abendgesellschaft: die Gastgeberin hat gekocht, im Hintergrund läuft Jazz von der Spotify-Playlist und die Gäste debattieren über Gegenwartsphänomene und fehlende Utopien, während sie Fotos auf Instagram posten. Die Handlung ist überschaubar, so der Kritiker, viel passiert nicht, aber dafür haben die "gruppendynamischen Spannungen" eine Intensität, die den Rezensenten an Filme von Eric Rohmer denken lässt. Er schätzt den Humor und die Selbstironie, mit der Präauer diese Mittvierziger-Runde schildert, ohne dabei in Hohn zu verfallen. Auch freut er sich an den "kleinen Verschiebungen", mit denen der gute Geschmack, den die Gäste durchgehend zu beweisen versuchen, in Frage gestellt wird. Selten hat der Rezensent ein "intellektuell so präzises" Buch über Geschmack gelesen.
© Perlentaucher Medien GmbH
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Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 08.04.2023Am Anfang war die Artischocke
Gastliche Exerzitien: Teresa Präauers Roman "Kochen im falschen Jahrhundert"
Mit diesem Roman darf man Teresa Präauer einmal mehr so etwas wie subversive Mustergültigkeit attestieren: War "Johnny und Jean" (2014) ein Künstlerroman und zugleich dessen Parodie, war "Oh Schimmi" (2016) Außenseiterporträt und anarchischer Affenzirkus, so ist "Kochen im falschen Jahrhundert" ein Stück Popliteratur und dessen satirische Verfremdung; ein Abziehbild der Manufactum-Servus-Welt und deren Karikatur; ein Konversationsstück, in dem die Gedanken der Sprechenden mindestens genauso wichtig sind wie ihre Worte.
Wir befinden uns in einer geräumigen Wohnung in einem bürgerlichen Bezirk einer namenlosen Stadt, die sich leicht als Wien identifizieren lässt. Auch das Personal hat keine Namen: "Seit ein paar Jahren war die Gastgeberin mit ihrem Partner zusammen, der wiederum mit seinem Smartphone zusammen war." Die beiden leben schon eine Weile da, aber noch immer stehen Bananenkisten herum. Sie haben Freunde zum Abendessen geladen, weil man das so macht, wenn man erwachsen ist. Sie sind jenseits der vierzig, also schon ziemlich erwachsen. Erwartet werden ein Ehepaar, das sich für einen Abend Urlaub von seinem Baby nimmt, und "der Schweizer", ein Universitätslehrer, dessen Freundin verhindert ist.
Wer im falschen Jahrhundert kocht, dem mangelt es an der Selbstverständlichkeit der Routine. Dabei ist das Menü nicht überambitioniert: Blattsalat mit Birne, Pekannüssen, Ziegenfrischkäse und Roter Bete ("Man sagte hier übrigens nicht Rote Bete, sondern Rote Rübe"), Quiche Lorraine und Eis am Stil. Aber die Gäste sind unpünktlich, ihre Schuhe hinterlassen Flecken auf dem hellen Vorzimmerboden, und der Partner beseitigt ein Malheur mit dem teuren Geschirrtuch aus Kopenhagen. "Die Gastgeberin übte sich in Gelassenheit", und auf der nächsten Seite: "Die Gastgeberin blieb gelassen, das kam vom vielen Üben."
Dreimal nimmt die Geschichte Anlauf, mit drei verschiedenen Anfängen, jedes Mal dreht sich das Kaleidoskop um eins weiter, jedes Mal steht da eine kleine Zutatenliste als Appetizer. Die Playlist passt perfekt zum jeweiligen Mikroereignis: Beklagt "der Schweizer" die fehlenden Utopien, folgt Miles Davis' "So What", berichtet "der Ehemann" empört über einen Disput, singt Nina Simone "Don't Explain". Ein Episodenroman? Eher eine munter verspielte Erzählung, die mit einem Selbstgespräch voll sinnlicher Reminiszenzen verschränkt wird: "Am Anfang war die Artischocke." - "Blatt für Blatt zupftest du von der großen Knolle ab", bis zum "köstlichen Artischockenherzen", aber das wehrt sich gegen das Verspeistwerden, weil die Anfängerin das Heu nicht entfernt hat: "Diese süße Bitterkeit!"
Durch Präauers Guckloch sehen wir in ein trautes Heim von heute, in dem das angeblich einfache Leben das gute ist, ein Marktplatz der alten Möbel und Werte mit Sinn für neues Design und moralisches Refurbishment. In der Inventur kulinarischer Wegmarken wird die Kluft zwischen dem studentischen Leben in der "Substandardwohnung" und der sympathisch versnobten Lifestyle-Existenz ausgemessen, in der die Alvar-Aalto-Vase und das Iittala-Glas mit dem Flohmarktfund friedlich koexistieren. Die Autorin würzt mit Witz und fein dosierter Ironie, doch anders als im klassischen Pop-Roman fehlt der Zynismus. Kein Artischockenherz der Finsternis wird gesucht, sondern die verlorene Zeit der jungfräulichen Geschmackssensationen. Der ungeniert nostalgische Grundton klingt auch im alltagsgeschichtlichen Blick auf die Generationen der Mütter und Großmütter an, die in vielem ärmer dran waren, aber manches konnten und wussten, das die Enkelin nur noch als sinnliche Erinnerung parat hat. Die handelnden Personen, die ihre reale Gegenwart beinah in Echtzeit durch werbewirksam verlinkte Videos im Netz vervielfältigen, sind trotz allem Menschen aus Fleisch und Blut, und die Erzählerin ist eine von ihnen, ausgezeichnet nur durch ihr Bewusstsein um den Stand der Dinge - und um die dazugehörige Sprache: "Wieso sagten die Menschen in letzter Zeit so gern alles gut? Wieso fragten sie: Alles gut? (. . .) Wo doch eigentlich sehr wenig einfach gut war, fast gar nichts." Weil sie Bourdieu gelesen hat und die Distinktion zwischen diesem und jenem Deutsch in der gastronomischen Warenkunde besonders ausgeprägt ist, fragt sich die Gastgeberin auch, wozu es "diese vielen feinen Unterschiede" gibt, "selbst innerhalb einer Sprache".
Vielleicht steigern sie ja den Genuss, wie Präauers planvolle Rhythmisierung und kluger Einsatz von direkter und indirekter Rede, von Wiederholungen, Variationen und Zitaten die Lust am Text mehren, bis uns ein Da capo al fine in die Endlosschleife gastlicher Exerzitien führt. Denn einerseits bereitet die orale Befriedigung beim Essen und Trinken (Crémant!) und Sprechen den Boden für erotische Themenwechsel, ist doch Sex "eine Form des Gesprächs mit anderen Mitteln". Andererseits wird die Frage nach dem guten Leben hier keineswegs hedonistisch beschränkt gestellt. Ob Small Talk oder "Deep Talk", "Kochen im falschen Jahrhundert" erzählt auch von einer Midlife-Crisis: Es fällt nicht leicht, die Bananenkisten auszupacken, wenn man nicht weiß, was man vom eigenen Aufstieg halten soll und ob die errungene Freiheit nicht vom Gedächtnis der mitgeschleppten Dinge und Gewohnheiten widerlegt wird. Blatt für Blatt, wie beim Verschmausen der Artischocke, nähert sich die Erzählerin dem Kern der Sache, bis ein Überraschungsgast von Übersee ihn der Gastgeberin enthüllt. Die "süße Bitterkeit" ist auch die Geschmacksnote dieses Buches. DANIELA STRIGL
Teresa Präauer: "Kochen im falschen Jahrhundert". Roman.
Wallstein Verlag,
Göttingen 2023. 198 S., geb., 22,- Euro.
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Gastliche Exerzitien: Teresa Präauers Roman "Kochen im falschen Jahrhundert"
Mit diesem Roman darf man Teresa Präauer einmal mehr so etwas wie subversive Mustergültigkeit attestieren: War "Johnny und Jean" (2014) ein Künstlerroman und zugleich dessen Parodie, war "Oh Schimmi" (2016) Außenseiterporträt und anarchischer Affenzirkus, so ist "Kochen im falschen Jahrhundert" ein Stück Popliteratur und dessen satirische Verfremdung; ein Abziehbild der Manufactum-Servus-Welt und deren Karikatur; ein Konversationsstück, in dem die Gedanken der Sprechenden mindestens genauso wichtig sind wie ihre Worte.
Wir befinden uns in einer geräumigen Wohnung in einem bürgerlichen Bezirk einer namenlosen Stadt, die sich leicht als Wien identifizieren lässt. Auch das Personal hat keine Namen: "Seit ein paar Jahren war die Gastgeberin mit ihrem Partner zusammen, der wiederum mit seinem Smartphone zusammen war." Die beiden leben schon eine Weile da, aber noch immer stehen Bananenkisten herum. Sie haben Freunde zum Abendessen geladen, weil man das so macht, wenn man erwachsen ist. Sie sind jenseits der vierzig, also schon ziemlich erwachsen. Erwartet werden ein Ehepaar, das sich für einen Abend Urlaub von seinem Baby nimmt, und "der Schweizer", ein Universitätslehrer, dessen Freundin verhindert ist.
Wer im falschen Jahrhundert kocht, dem mangelt es an der Selbstverständlichkeit der Routine. Dabei ist das Menü nicht überambitioniert: Blattsalat mit Birne, Pekannüssen, Ziegenfrischkäse und Roter Bete ("Man sagte hier übrigens nicht Rote Bete, sondern Rote Rübe"), Quiche Lorraine und Eis am Stil. Aber die Gäste sind unpünktlich, ihre Schuhe hinterlassen Flecken auf dem hellen Vorzimmerboden, und der Partner beseitigt ein Malheur mit dem teuren Geschirrtuch aus Kopenhagen. "Die Gastgeberin übte sich in Gelassenheit", und auf der nächsten Seite: "Die Gastgeberin blieb gelassen, das kam vom vielen Üben."
Dreimal nimmt die Geschichte Anlauf, mit drei verschiedenen Anfängen, jedes Mal dreht sich das Kaleidoskop um eins weiter, jedes Mal steht da eine kleine Zutatenliste als Appetizer. Die Playlist passt perfekt zum jeweiligen Mikroereignis: Beklagt "der Schweizer" die fehlenden Utopien, folgt Miles Davis' "So What", berichtet "der Ehemann" empört über einen Disput, singt Nina Simone "Don't Explain". Ein Episodenroman? Eher eine munter verspielte Erzählung, die mit einem Selbstgespräch voll sinnlicher Reminiszenzen verschränkt wird: "Am Anfang war die Artischocke." - "Blatt für Blatt zupftest du von der großen Knolle ab", bis zum "köstlichen Artischockenherzen", aber das wehrt sich gegen das Verspeistwerden, weil die Anfängerin das Heu nicht entfernt hat: "Diese süße Bitterkeit!"
Durch Präauers Guckloch sehen wir in ein trautes Heim von heute, in dem das angeblich einfache Leben das gute ist, ein Marktplatz der alten Möbel und Werte mit Sinn für neues Design und moralisches Refurbishment. In der Inventur kulinarischer Wegmarken wird die Kluft zwischen dem studentischen Leben in der "Substandardwohnung" und der sympathisch versnobten Lifestyle-Existenz ausgemessen, in der die Alvar-Aalto-Vase und das Iittala-Glas mit dem Flohmarktfund friedlich koexistieren. Die Autorin würzt mit Witz und fein dosierter Ironie, doch anders als im klassischen Pop-Roman fehlt der Zynismus. Kein Artischockenherz der Finsternis wird gesucht, sondern die verlorene Zeit der jungfräulichen Geschmackssensationen. Der ungeniert nostalgische Grundton klingt auch im alltagsgeschichtlichen Blick auf die Generationen der Mütter und Großmütter an, die in vielem ärmer dran waren, aber manches konnten und wussten, das die Enkelin nur noch als sinnliche Erinnerung parat hat. Die handelnden Personen, die ihre reale Gegenwart beinah in Echtzeit durch werbewirksam verlinkte Videos im Netz vervielfältigen, sind trotz allem Menschen aus Fleisch und Blut, und die Erzählerin ist eine von ihnen, ausgezeichnet nur durch ihr Bewusstsein um den Stand der Dinge - und um die dazugehörige Sprache: "Wieso sagten die Menschen in letzter Zeit so gern alles gut? Wieso fragten sie: Alles gut? (. . .) Wo doch eigentlich sehr wenig einfach gut war, fast gar nichts." Weil sie Bourdieu gelesen hat und die Distinktion zwischen diesem und jenem Deutsch in der gastronomischen Warenkunde besonders ausgeprägt ist, fragt sich die Gastgeberin auch, wozu es "diese vielen feinen Unterschiede" gibt, "selbst innerhalb einer Sprache".
Vielleicht steigern sie ja den Genuss, wie Präauers planvolle Rhythmisierung und kluger Einsatz von direkter und indirekter Rede, von Wiederholungen, Variationen und Zitaten die Lust am Text mehren, bis uns ein Da capo al fine in die Endlosschleife gastlicher Exerzitien führt. Denn einerseits bereitet die orale Befriedigung beim Essen und Trinken (Crémant!) und Sprechen den Boden für erotische Themenwechsel, ist doch Sex "eine Form des Gesprächs mit anderen Mitteln". Andererseits wird die Frage nach dem guten Leben hier keineswegs hedonistisch beschränkt gestellt. Ob Small Talk oder "Deep Talk", "Kochen im falschen Jahrhundert" erzählt auch von einer Midlife-Crisis: Es fällt nicht leicht, die Bananenkisten auszupacken, wenn man nicht weiß, was man vom eigenen Aufstieg halten soll und ob die errungene Freiheit nicht vom Gedächtnis der mitgeschleppten Dinge und Gewohnheiten widerlegt wird. Blatt für Blatt, wie beim Verschmausen der Artischocke, nähert sich die Erzählerin dem Kern der Sache, bis ein Überraschungsgast von Übersee ihn der Gastgeberin enthüllt. Die "süße Bitterkeit" ist auch die Geschmacksnote dieses Buches. DANIELA STRIGL
Teresa Präauer: "Kochen im falschen Jahrhundert". Roman.
Wallstein Verlag,
Göttingen 2023. 198 S., geb., 22,- Euro.
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
»Ein zeitloses Kunstwerk, das in 100 Jahren sowohl von Soziolog:innen als auch von Literaturwissenschaftler:innen herangezogen werden wird, um Kunst und Leben in den 2020er-Jahren zu verstehen. Zweifellos der beste Roman des Frühjahrs!« (Philipp Schneider, Kapitel Zwei, Recklinghausen) »Der neue Roman von Teresa Präauer ist voller Witz und Satire. Die namenlosen und überzeichneten Figuren hangeln sich von belanglosen zu heiklen Diskussionen (...). Kochen im falschen Jahrhundert" ist eine bunte, scharf beobachtete und im wahrsten Sinne des Wortes geschmacksvolle Gesellschaftssatire - kurz gesagt: Knapp 200 Seiten pures Lesevergnügen!« (Alina Schneider, NetGalley) »Dieses Buch ist eine wunderbare Satire auf unsere Gesellschaft, die "Dos" und "Don'ts", mit denen wir uns täglich beschäftigen. (...) Ich habe oft geschmunzelt und noch öfter gelacht über richtig gute, gelungene Charakterisierungen von Menschen und unglaublich geistreiche, witzige Dialoge.« (Bettina Fleth, NetGalley) »Eine sehr bunt und sehr geschmackvolle Satire, passend zu der heutigen Zeit.« (Heike Theis, NetGalley) »Ein malerisches Kammerspiel, das so entlarvend, wie unterhaltsam auf die Manierismen unserer Gesellschaft blickt. Wahrscheinlich mein Pageturner des Jahres.« (Rafael Wallner, NetGalley) »Das köstliche, spitzzüngige Kammerspiel um einige arrivierte, gesettelte Mittvierziger erinnert an Yasmina Rezas Theaterstücke und wartet nur darauf, verfilmt zu werden. Derweil kann man sich wahlweise mit einem Eis am Stiel oder einem Crémant an der Lektüre erfreuen.« (Ingeborg Jaiser, NetGalley) »Habe sehr gelacht und hat mich auch zum Nachdenken gebracht. Gut gemacht, Empfehlung!« (Mirjam Huy, NetGalley) »Dieses kleine Buch ist dreierlei: Ein Kunstwerk, denn das Titelbild hat die Autorin gemalt. Eine Playlist, denn wie ein roter Faden ziehen sich Musikvorschläge durch den Roman. Ein Appetitanreger, denn ständig wird über köstliches Essen geredet. Gleichzeitig ist es eine Abrechnung mit den sozialen Medien:« (Mariele Fentker, NetGalley)