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Nichts vereint die Kölnerinnen und Kölner so wie der Karneval, die fünfte Jahreszeit, in der alles geht und zu der jede und jeder eingeladen ist. Anlässlich des 200. Geburtstags des Kölner Karnevals im Jahr 2023 hat Monika Salchert einen aufwändig recherchierten Band über dieses Phänomen verfasst und zeigt auf, was den Kölner Karneval so einzigartig macht, was er für die Menschen bedeutet, wo er stark ist und wo er noch besser werden kann. Der Inhalt ist bewusst thematisch und nicht historisch gegliedert, denn das Buch ist eine Einladung, ausgewählte Ereignisse und Entwicklungen aus den…mehr

Produktbeschreibung
Nichts vereint die Kölnerinnen und Kölner so wie der Karneval, die fünfte Jahreszeit, in der alles geht und zu der jede und jeder eingeladen ist. Anlässlich des 200. Geburtstags des Kölner Karnevals im Jahr 2023 hat Monika Salchert einen aufwändig recherchierten Band über dieses Phänomen verfasst und zeigt auf, was den Kölner Karneval so einzigartig macht, was er für die Menschen bedeutet, wo er stark ist und wo er noch besser werden kann. Der Inhalt ist bewusst thematisch und nicht historisch gegliedert, denn das Buch ist eine Einladung, ausgewählte Ereignisse und Entwicklungen aus den zurückliegenden 200 Jahren im jeweiligen historischen Kontext neu zu betrachten und einzuordnen. Von einer grundlegenden Definition arbeitet sich die Autorin über Rede, Tanz, Musik hin zum Verhältnis des Karnevals zu Politik, Kirche und Wirtschaft. Auch kritische Aspekte lässt sie nicht aus. Eine Sammlung großformatiger und abwechslungsreicher Fotografien rundet den Band ab und macht ihn schon jetzt zu einem Standardwerk.
Autorenporträt
Monika Salchert (geb. 1956 in Köln) ist Journalistin, Autorin und Moderatorin. Sie arbeitet als freie Journalistin in Köln und ist für verschiedene Tages und Wochenzeitungen tätig. Für das WDR Fernsehen kommentiert sie gemeinsam mit einem Kollegen seit vielen Jahren die Schull- und Veedelszöch und für die ARD den Kölner Rosenmontagszug. Außerdem moderiert sie seit mehr als zwei Jahrzehnten auf WDR 4 diverse Karnevalsformate.
Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 16.02.2023

Südstadt-Köppe auf dem Prüfstand

Vor zweihundert Jahren wurde der Kölner Karneval in Bahnen gelenkt, denen er bis heute folgt. Jetzt könnte es Zeit für eine Neuausrichtung sein, sagt Monika Salchert in einem Buch - und blickt zugleich zurück.

Von Klaus Simon

Denn nur einmal im Jahr ist Karneval, ist Karneval in Köln." So viel Willi Ostermann kann jedes Kind in der Stadt mitsingen. Und weiß auch, dass Aschermittwoch alles vorbei ist. Zumindest bis zum 11. November. Wobei es in der Geschichte des Kölner Karnevals mehr als einmal ganz vorbei hätte sein können. So vor zweihundert Jahren, als das Fest zum Saufgelage mit Schlägereieinlagen verkommen war.

Ende 1822 versammelten sich in einer Weinschenke neben der romanischen Kirche St. Ursula deshalb einige vom romantischen Zeitgeist und der Sorge um das Brauchtum beseelte Vertreter der besten, sprich einflussreichen Kölner Familien. Sie wollten das als vulgär und laut verschriene Treiben in gesittete Bahnen lenken. Daraus erwuchs im folgenden Jahr das Festordnende Comité. Es war die Geburtsstunde des Kölner Karnevals in seiner bis heute gültigen Form, samt Sitzungen, Karnevalsgesellschaften und Rosenmontagszug.

Der Weg dorthin war lang. Schriftlich belegt ist das närrische Treiben erstmals im Eidbuch der Stadt Köln im Jahr 1341. Die Ratsherren wurden darin angehalten, die Stadtkasse nicht mehr für Fastnacht zu plündern. Für Jahrhunderte blieb der Karneval in der Stadt ein unorganisiertes Treiben. Schenkstätten schlossen nicht mehr. Rausch, Exzesse und Gewalt waren die Kehrseite von Bällen, Umzügen, Maskeraden. Sogar den freiheitsbringenden Franzosen war der aus dem Ruder laufende Mummenschanz des Subversiven zu viel. Nur wenige Monate nach Einmarsch der Revolutionstruppen im Oktober 1794 verboten sie den Straßenkarneval. Nach ihrem Abzug war alles wie gehabt. Bis zu jenem Treffen in der Weinstube.

Zum zweihundertjährigen Jubiläum der närrischen Neuausrichtung blickt Monika Salchert, Kölnerin, WDR-Kommentatorin der Schull- und Veedelszöch und ARD-Kommentatorin des Rosenmontagszugs, nun beherzt zurück. Nichts wird verschwiegen. Weder die unselige Verstrickung der Karnevalsoffiziellen nach 1933 mit Gauleitern und anderen NSDAP-Vertretern noch die antisemitischen Wagen der Rosenmontagszüge von 1936 oder 1938. Nicht die Empörung über den 1993 von Fluxus-Künstler Wolf Vostell mit Frauentorso, Knoblauch und Pflock entworfenen Wagen noch die bis in die späten Siebzigerjahre durchgehaltene Verteidigung der männlichen Karnevalsfunktionäre gegen die Teilnahme von Frauen im offiziellen Rosenmontagszug. Und auch nicht die unschönen Auswüchse in jüngster Zeit. So sahen sich die Roten Funken zu Weiberfastnacht 2016 genötigt, mit ihren Mitgliedern eine Kette am Dom zu bilden, um ihn vor Wildpinklern zu schützen.

Salchert stellt Forderungen, die wie ein Thesenpapier ans Domportal genagelt werden könnten. Verlangt mehr Mut zur Einmischung in gesellschaftliche Debatten, mehr Wertschätzung für den rheinischen Karneval, der seit 2014 im bundesweiten Verzeichnis des immateriellen Kulturerbes steht und sich mit der alemannischen Fasnacht bei der UNESCO als immaterielles Weltkulturerbe bewirbt. Zugleich wünscht sie weniger Kommerz und Verwässerung in Form von Alaaf-Partys etwa in Essens Gruga-Halle. Und auch dies verlangt nach Erneuerung: In Zeiten von Anti-Blackfacing-Kampagnen, Rassismus-Debatte und der Aufarbeitung kolonialer Vergangenheiten stoßen Vereinsnamen wie Poller Böschräuber, Ihrefelder Chinesen oder Südstädter Negerköpp auf. Mehr Diversität täte dem Karneval gut. Immerhin, mit Marcus II. führte 2012 erstmals ein offen schwuler Prinz das Dreigestirn an. Doch erst seit 2021 können auch Frauen in der Grossen KG, die aus der 1823 gegründeten Grossen Carnevals-Gesellschaft hervorgegangen ist, gleichberechtigt Mitglieder werden. Mehr Umweltbewusstsein täte zudem not. Vierhundertzwanzig Kubikmeter Müll, die der Rosenmontagszug zurücklässt, und dreihundertdreißig Tonnen in die Menge geworfene Süßigkeiten zwingen zum Nachdenken etwa über Strüßjer ohne Cellophanfolie oder Jute als Verpackungsmaterial des Fruchtgummis. Gegen Dieselwolken helfen könnten Partikelfilter bei allen Zugmaschinen, wie sie bei den Festwagen des Zugleiters, des Kinderdreigestirns oder von Prinz, Bauer, Jungfrau längst üblich sind.

Die Suche nach neuen Wegen, um die bereits vor dreißig Jahren von McKinsey attestierte Erstarrung des Kölner Karnevals aufzubrechen, betrifft auch die traditionelle Route des Rosenmontagszug. Erstmals 2023 wird d'r Zoch - Motto: Ov krüzz oder quer - eine Brücke zwischen altstädtischem linksrheinischem und industriell geprägtem rechtsrheinischem Köln schlagen. Startpunkt ist am Deutzer Bahnhof, mithin auf der Schäl Sick, und damit in Sibirien, wie Konrad Adenauer das ungeliebte rechte Rheinufer als Oberbürgermeister einmal genannt haben soll.

Wie jedes Jahr werden die Bilder des Zugs durch die Medien und um die Welt gehen. Das ist schon lange so. So konnte dem Buch "Kölner Karneval seit 1823" eine Auswahl von Bildern zehn bekannter Fotografen hinzugefügt werden, die ein Jahrhundert Kölner Karneval Revue passieren lassen. Wie aufsässig und ausgelassen die tollen Tage zwischen den beiden Weltkriegen waren, zeigen Aufnahmen von August Sander, die auf den legendären Lumpenbällen von 1926 bis 1933 entstanden sind. Veranstalter war die Künstlergruppe Die Kölner Progressiven. Eine in glänzendes Silber gekleidete Dame scheint direkt Fritz Langs Science-Fiction-Klassiker "Metropolis" entstiegen zu sein. Kluge Köpfe schauen in Sanders Kamera. Eine Ahnung von der bevorstehenden Katastrophe hat in der fidelen Runde gleichwohl niemand.

Fünfzig Jahre später schickte der "Stern" Robert Lebeck auf Deutschlandreise. Bei der Zwischenstation in Köln tobte der Karneval. Lebeck lässt auf seinen Bildern einen als 1.-FC-Geißbock Hennes verkleideten Narren an einer Straßensperre vereinsamen und führt den Karneval als in den Fenstern des Grandhotels Excelsior Ernst in Dauerwellen und Pelzmänteln erstarrte Veranstaltung vor. So wenig Stimmung war selten. Heinz Held, der 1960 die erste Fotogalerie in Köln eröffnet hat, zeigt den Karneval der Nachkriegsjahre. Die mit drei armseligen Papierlampions dekorierte Imbissbude am Dom steht im Dreck einer Altstadtbrache. Alte Männer tragen die Furchen und Furcht des Zweiten Weltkriegs im Gesicht. Junge Männer haben sich bis zum Umfallen betrunken. Den Wandel zu mehr gesellschaftspolitischer Relevanz dokumentiert Nina Gschlößl 2022. Die ukrainischen Farben sind am Rosenmontag überall zu sehen. Luftballons sind gelb und blau, gelbe Perücken werden zu blauen Kostümen getragen. Wenige Tage nach Russlands Überfall der Ukraine wurde der Zug zur Friedensdemonstration mit einer Viertelmillion Menschen.

Keiner aber hat die Comédie rhénane besser ins Bild gesetzt als Chargesheimer. Bereits in jungen Jahren durfte er als Fahrer von Trude Herr tief ins Geschehen eintauchen. Jahre später macht er die festliche Heiterkeit der rheinischen Wiederaufbaumoderne zur Bühne verliebter Blicke und inniger Umarmungen. Der Feierlaune tun Kälte und Kriegsverwüstung keinen Abbruch. "Dat mit der Heiterkeit nehmen wir ernst", sagte Trude Herr. Monika Salchert hält es mit ihrem Buch ebenso.

"Kölner Karneval seit 1823" von Monika

Salchert. Greven Verlag, Köln 2022. 248 Seiten, mehr als 100 Fotos. Gebunden, 36 Euro.

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