KölnGold - das sind Ideen und Schätze aus Kunst, Kultur und Alltag aus 2000 Jahren Geschichte und Sammelleidenschaft. Zusammengetragen in dem größten und aufwändigsten Kölnbuch, das es je gab. Hierzu hat der Kölner Autor und renommierte Kunsthistoriker Matthias Hamann 250 Gemälde, Skulpturen, Bauwerke, Handschriften und Alltagsgegenstände ausgewählt. Die vorgestellten Werke stehen unter Begriffen wie Offenheit, Stolz, Lebensfreude und Gelassenheit und formen ein Nebeneinander von Themen, das typisch ist für Köln - kommentiert von 18 Persönlichkeiten der heutigen Stadtgesellschaft. Im zweiten Teil des Buchs legt Matthias Hamann die Geschichten zu den Kulturschätzen dar. So entsteht ein außergewöhnliches Kompendium der Rheinmetropole in aufwändiger, zweisprachiger Ausführung.
Perlentaucher-Notiz zur Süddeutsche Zeitung-Rezension
Rezensent Alexander Menden freut sich sichtlich über den von Matthias Hamann, Michael Wienand und 18 weiteren Autoren besorgten Band, der nicht nur Kölns Kunstschätze wie die Parler-Büste oder eine Gemälde von Max Ernst in laut Menden vorzüglicher Qualität abbildet und beschreibt, sondern sich auch für das Millowitsch-Denkmal, Karnevalsorden oder die Maus aus der TV-Sendung nicht zu schade ist. Kölns Stadtgeschichte, Archäologie, Architektur, Museen und Kirchen zeigen sich hier laut Rezensent als Teil der europäischen Kulturgeschichte, vor allem, da der Band auf Chronologie pfeift und das Nebeneinander zeigt, das für die Stadt typisch ist.
© Perlentaucher Medien GmbH
© Perlentaucher Medien GmbH
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 24.09.2021Der güldene Erbfall
Zu Spendierhosen empfehlen sich gläserne Schuhe: Ein Prachtband wirbt um Zuwendungen an die Kölner Museen. Kann eine Stadt zu reich sein?
Unter dem Motto "Utopolis Köln" lädt das Schauspiel Köln in diesen Tagen zu abendlichen Stadtspaziergängen ein, die von der Gruppe Rimini Protokoll kuratiert werden. In kleinen Gruppen werden die Teilnehmer von tragbaren Lautsprechern zu markanten Gebäuden der geistigen und wirtschaftlichen Infrastruktur gelotst, von der Stadtsparkasse über die Kunstkirche St. Peter bis zur Handwerkskammer. Dort sollen sie ihre urbanistische Fantasie spielen lassen und die Ergebnisse per SMS in den Rachen einer künstlichen Intelligenzbestie befördern: Wie stellen sie sich die ideale Stadt der Zukunft vor, wenn sie Köln hieße? Streckenposten verteilen Teilstadtpläne, auf denen die Route zur nächsten Station eingezeichnet ist. Vorgegeben wird fast immer der kürzeste Weg. Eine Ausnahme ist die Strecke zwischen Sparkasse und St. Peter. Man wird angewiesen, den Neumarkttunnel zu benutzen, den Neumarkt also nicht ebenerdig zu überqueren.
Das ist für Fußgänger und Fahrradfahrer ohnehin nicht leicht. Autofahrbahnen und Straßenbahnschienen schnüren den Platz ein. Der Untertunnelung zum Trotz dient auch die große Freifläche wenigstens symbolisch der Umverteilung der mobilen Bevölkerung. Ist der Neumarkt als Inbegriff von Platzverschwendung mitten im zugebauten Köln also der Utopos einer realistischen Stadtsoziologie, der Nicht-Ort, vor dessen Tristesse auch die listigen Denkanstoßgeber von Rimini Protokoll verzweifeln? Es gibt den großen Plan, die Ost-West-Linie der Straßenbahn unterirdisch zu legen und dadurch den Platz zu befreien, aber die politische Mehrheit dafür müsste sich erst finden.
Vor zweihundert Jahren war der Neumarkt schon einmal eine riesige Spielfläche. So erscheint er auf einem Gemälde von Simon Meister im Kölnischen Stadtmuseum, auf dem der gesamte Rosenmontagszug des Jahres 1836 östlich von St. Aposteln Platz findet. Das Bild ist abgebildet in "KölnGold", einem dicken Buch über die Kunstschätze von Köln, das der Verleger Michael Wienand erdacht und Matthias Hamann, der Leiter des Museumsdienstes der Stadt, mit je zwei Beschreibungen der gezeigten Objekte versehen hat. Unter der Abbildung steht nur eine sehr kurze, pointierte Legende, die thematische Zusammenhänge herstellt. Historische und kunsthistorische Informationen werden im Anhang nachgeliefert.
Zu Meisters Gemälde teilt Hamann mit, dass das Motto des Umzugs von 1836 "Stein der Weisen" gewesen sei. Das beziehe sich "auf den qualmenden Dampfwagen an der Spitze des Zuges, eine neue Erfindung aus England". Das ist reichlich kryptisch formuliert, auf Anhieb erschließt sich der Bildwitz nicht. Soll die verfeuerte Kohle der gemeinte Stein sein, soll die schienenlose Lokomotive auf den Glauben der englischen Ingenieure anspielen, eine Maschine zur Produktion von Reichtum erfunden zu haben? Vom Stein der Weisen sagt schließlich die Legende, dass er durch Mischen chemischer Stoffe zu finden sei und man mit ihm unedle Metalle in Gold verwandeln könne. Diese Definition wird von Hamann nicht gegeben, obwohl er in einem Interview gesagt hat, dass man das Buch auch ohne Studium verstehen solle.
Vielleicht setzt er einfach als bekannt voraus, dass der Stein der Weisen das Traumobjekt der Goldmacher ist. Aber kurios ist diese Auslassung schon in einem Buch, das "KölnGold" heißt und in goldfarbenem Umschlag daherkommt, als Imitat eines Goldbarrens. Doch just diese Unachtsamkeit passt zum Thema und auch zum Anliegen der Goldbuchmacher.
Bei Rimini Protokoll kommt in der Sparkasse aus den Lautsprechern die an Thomas Morus anknüpfende Frage, ob man in einer Stadt leben wollte, in der die Straßen mit Gold gepflastert wären? In Köln, möchte man nach Durchblättern dieses Buches meinen, würde es am Material jedenfalls nicht mangeln. Der Goldgrund, vor dem sich in Stefan Lochners Triptychon für die Ratskapelle die Stadtpatrone scharen, war realistisch gedacht. In der Stadt des Dreikönigschreins, könnte man sagen, war immer schon so viel Gold verarbeitet und verbaut, dass es nie besonders dringlich erscheinen mochte, sich auf die forschende Suche nach dem Midas-Effekt zu begeben, dem Geheimnis der künstlichen Vermehrung der Goldmenge.
So weist Annette Imhoff darauf hin, dass im Rückblick auf 2000 Jahre städtischer Wirtschaftsgeschichte "Kölns Geschäftswelt nur selten von Tüftlertum und Wissenschaft geprägt war", sondern vom Handel dominiert wurde. Die Tochter des Schokoladenfabrikanten und Museumsgründers Hans Imhoff steuert den Beitrag über den "Geschäftssinn" zu einer Serie von siebzehn kurzen Essays über die städtischen Tugenden bei, die von Honoratioren verfasst wurden. Nicht in goldenen, aber in großen Buchstaben wurden diese Texte gedruckt, denen Abbildungen in origineller Mischung zugeordnet sind. So beginnt das von Imhoff eingeleitete Kapitel mit einem um das Jahr 1200 datierten Bergkristallreliquiar aus dem Museum Schnütgen, das pointiert vorgestellt wird als "Schaufenster für Heiliges", gefolgt von zwei Glasgefäßen in Form von Damenschuhen, die sage und schreibe noch einmal tausend Jahre älter sind. Die Doppelseiten sind oft subtil komponiert; der Goldkasten des Buches ist selbst ein Prunkbehälter, dessen Inhalt durch Feinarbeit überrascht.
Erstaunlich viel Raum nehmen sich die durch Vermögen zur Autorschaft berufenen Kurzessayisten für Kritik an mentalen Verhältnissen langer Dauer, den Rissen im Goldgrund der Tugenden. Die Tradition des Stadtlobs, das Humanisten gegen Entlohnung spendeten, wird hier entschieden nicht fortgesetzt. Durch Spenden ist die Herstellung des Buches unterstützt worden, und neue Spender will es für die Kölner Museen gewinnen. Die überreiche Stadt soll mehr aus ihrem Reichtum machen. Kunststoff, echt vergoldet: Hamann und Wienand bringen das Schöne in der Anmutung seiner Materialität unter die Leute. Man darf sie sich als Straßenverkäufer an den Rheinbrücken vorstellen: Sie bieten symbolische Mauersteine für einen zweiten Dom feil, eine Kathedrale der Sammler und Mäzene. PATRICK BAHNERS
Matthias Hamann und Michael Wienand (Hrsg.): "KölnGold". Stadtschätze.
Wienand Verlag, Köln 2021. 654 S., Abb., geb., 45,- Euro.
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Zu Spendierhosen empfehlen sich gläserne Schuhe: Ein Prachtband wirbt um Zuwendungen an die Kölner Museen. Kann eine Stadt zu reich sein?
Unter dem Motto "Utopolis Köln" lädt das Schauspiel Köln in diesen Tagen zu abendlichen Stadtspaziergängen ein, die von der Gruppe Rimini Protokoll kuratiert werden. In kleinen Gruppen werden die Teilnehmer von tragbaren Lautsprechern zu markanten Gebäuden der geistigen und wirtschaftlichen Infrastruktur gelotst, von der Stadtsparkasse über die Kunstkirche St. Peter bis zur Handwerkskammer. Dort sollen sie ihre urbanistische Fantasie spielen lassen und die Ergebnisse per SMS in den Rachen einer künstlichen Intelligenzbestie befördern: Wie stellen sie sich die ideale Stadt der Zukunft vor, wenn sie Köln hieße? Streckenposten verteilen Teilstadtpläne, auf denen die Route zur nächsten Station eingezeichnet ist. Vorgegeben wird fast immer der kürzeste Weg. Eine Ausnahme ist die Strecke zwischen Sparkasse und St. Peter. Man wird angewiesen, den Neumarkttunnel zu benutzen, den Neumarkt also nicht ebenerdig zu überqueren.
Das ist für Fußgänger und Fahrradfahrer ohnehin nicht leicht. Autofahrbahnen und Straßenbahnschienen schnüren den Platz ein. Der Untertunnelung zum Trotz dient auch die große Freifläche wenigstens symbolisch der Umverteilung der mobilen Bevölkerung. Ist der Neumarkt als Inbegriff von Platzverschwendung mitten im zugebauten Köln also der Utopos einer realistischen Stadtsoziologie, der Nicht-Ort, vor dessen Tristesse auch die listigen Denkanstoßgeber von Rimini Protokoll verzweifeln? Es gibt den großen Plan, die Ost-West-Linie der Straßenbahn unterirdisch zu legen und dadurch den Platz zu befreien, aber die politische Mehrheit dafür müsste sich erst finden.
Vor zweihundert Jahren war der Neumarkt schon einmal eine riesige Spielfläche. So erscheint er auf einem Gemälde von Simon Meister im Kölnischen Stadtmuseum, auf dem der gesamte Rosenmontagszug des Jahres 1836 östlich von St. Aposteln Platz findet. Das Bild ist abgebildet in "KölnGold", einem dicken Buch über die Kunstschätze von Köln, das der Verleger Michael Wienand erdacht und Matthias Hamann, der Leiter des Museumsdienstes der Stadt, mit je zwei Beschreibungen der gezeigten Objekte versehen hat. Unter der Abbildung steht nur eine sehr kurze, pointierte Legende, die thematische Zusammenhänge herstellt. Historische und kunsthistorische Informationen werden im Anhang nachgeliefert.
Zu Meisters Gemälde teilt Hamann mit, dass das Motto des Umzugs von 1836 "Stein der Weisen" gewesen sei. Das beziehe sich "auf den qualmenden Dampfwagen an der Spitze des Zuges, eine neue Erfindung aus England". Das ist reichlich kryptisch formuliert, auf Anhieb erschließt sich der Bildwitz nicht. Soll die verfeuerte Kohle der gemeinte Stein sein, soll die schienenlose Lokomotive auf den Glauben der englischen Ingenieure anspielen, eine Maschine zur Produktion von Reichtum erfunden zu haben? Vom Stein der Weisen sagt schließlich die Legende, dass er durch Mischen chemischer Stoffe zu finden sei und man mit ihm unedle Metalle in Gold verwandeln könne. Diese Definition wird von Hamann nicht gegeben, obwohl er in einem Interview gesagt hat, dass man das Buch auch ohne Studium verstehen solle.
Vielleicht setzt er einfach als bekannt voraus, dass der Stein der Weisen das Traumobjekt der Goldmacher ist. Aber kurios ist diese Auslassung schon in einem Buch, das "KölnGold" heißt und in goldfarbenem Umschlag daherkommt, als Imitat eines Goldbarrens. Doch just diese Unachtsamkeit passt zum Thema und auch zum Anliegen der Goldbuchmacher.
Bei Rimini Protokoll kommt in der Sparkasse aus den Lautsprechern die an Thomas Morus anknüpfende Frage, ob man in einer Stadt leben wollte, in der die Straßen mit Gold gepflastert wären? In Köln, möchte man nach Durchblättern dieses Buches meinen, würde es am Material jedenfalls nicht mangeln. Der Goldgrund, vor dem sich in Stefan Lochners Triptychon für die Ratskapelle die Stadtpatrone scharen, war realistisch gedacht. In der Stadt des Dreikönigschreins, könnte man sagen, war immer schon so viel Gold verarbeitet und verbaut, dass es nie besonders dringlich erscheinen mochte, sich auf die forschende Suche nach dem Midas-Effekt zu begeben, dem Geheimnis der künstlichen Vermehrung der Goldmenge.
So weist Annette Imhoff darauf hin, dass im Rückblick auf 2000 Jahre städtischer Wirtschaftsgeschichte "Kölns Geschäftswelt nur selten von Tüftlertum und Wissenschaft geprägt war", sondern vom Handel dominiert wurde. Die Tochter des Schokoladenfabrikanten und Museumsgründers Hans Imhoff steuert den Beitrag über den "Geschäftssinn" zu einer Serie von siebzehn kurzen Essays über die städtischen Tugenden bei, die von Honoratioren verfasst wurden. Nicht in goldenen, aber in großen Buchstaben wurden diese Texte gedruckt, denen Abbildungen in origineller Mischung zugeordnet sind. So beginnt das von Imhoff eingeleitete Kapitel mit einem um das Jahr 1200 datierten Bergkristallreliquiar aus dem Museum Schnütgen, das pointiert vorgestellt wird als "Schaufenster für Heiliges", gefolgt von zwei Glasgefäßen in Form von Damenschuhen, die sage und schreibe noch einmal tausend Jahre älter sind. Die Doppelseiten sind oft subtil komponiert; der Goldkasten des Buches ist selbst ein Prunkbehälter, dessen Inhalt durch Feinarbeit überrascht.
Erstaunlich viel Raum nehmen sich die durch Vermögen zur Autorschaft berufenen Kurzessayisten für Kritik an mentalen Verhältnissen langer Dauer, den Rissen im Goldgrund der Tugenden. Die Tradition des Stadtlobs, das Humanisten gegen Entlohnung spendeten, wird hier entschieden nicht fortgesetzt. Durch Spenden ist die Herstellung des Buches unterstützt worden, und neue Spender will es für die Kölner Museen gewinnen. Die überreiche Stadt soll mehr aus ihrem Reichtum machen. Kunststoff, echt vergoldet: Hamann und Wienand bringen das Schöne in der Anmutung seiner Materialität unter die Leute. Man darf sie sich als Straßenverkäufer an den Rheinbrücken vorstellen: Sie bieten symbolische Mauersteine für einen zweiten Dom feil, eine Kathedrale der Sammler und Mäzene. PATRICK BAHNERS
Matthias Hamann und Michael Wienand (Hrsg.): "KölnGold". Stadtschätze.
Wienand Verlag, Köln 2021. 654 S., Abb., geb., 45,- Euro.
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 29.10.2021Gegen die Gleichgültigkeit
Was es heißt, Kulturgeschichte nach dem „kölschen Prinzip“ zu schreiben
Eins der ungewöhnlichsten Artefakte erwartet einen auf Seite 284: Hintergrund dieses Bildes ist der Blick aus der Internationalen Raumstation ISS auf die Erde. Im Vordergrund liegt, nein: schwebt ein unspektakulärer Gesteinsbrocken. Er stammt aus dem Strebewerk des Kölner Doms. Der deutsche Astronaut Alexander Gerst, ausgebildet am Europäischen Astronautenzentrum in Köln Lind, nahm ihn 2014 mit in die Umlaufbahn. Dombau und Raumfahrt – epochemachende, grenzüberschreitende menschliche Leistungen sind das eine verbindende Element in diesem Bild. Das zweite ist der Ausgangspunkt von Stein und Astronaut: Köln am Rhein.
Die Tiefe der Kölner Geschichte wird oft überlagert von der vielfach lieblosen Nachkriegsarchitektur und Stadtplanung, von dem mit großem Ernst betriebenen Unernst des Karnevalsgeistes und dem allgegenwärtigen Willen zur Selbstfeier. Dabei wirkte diese Selbstfeier weniger weit hergeholt, wenn mehr Kölner ihre Heimatstadt so verstünden wie der Verleger Michael Wienand. Wienand sieht hinter der Stadt der Gegenwart die Stadt der Vergangenheit – und eine mögliche Zukunft, die tief in dem wurzelt, was Köln einst ausmachte. Der Gegenentwurf zur Gleichgültigkeit im Umgang mit dem Kölner Erbe, die zum Einsturz des Stadtarchivs 2009 beitrug.
„Köln Gold“ ist ein Projekt, das Wienand dreieinhalb Jahrzehnte lang umtrieb. Jetzt hat er, gemeinsam mit Matthias Hamann, dem Direktor des Kölner Museumsdienstes, sowie 18 weiteren Autorinnen und Autoren, jene Wertschätzung des öffentlichen Raumes und der Stadtgeschichte, die im Alltag oft fehlen, in eine optische Feier des Erbes der Rheinmetropole gegossen. Auf über 600 Seiten entfaltet sich nicht nur eine Kölner, sondern eine paneuropäische Kulturgeschichte. Dabei werden nicht nur Höhepunkte aus städtischen und privaten Kunstsammlungen präsentiert, der Anspruch ist weit umfassender.
Der Überblick ist nicht chronologisch angelegt, entsprechend dem vom Herausgeber ausdrücklich zitierten „kölschen Prinzip“, nach dem die Dinge in Köln „nicht nach-, sondern neben- und miteinander“ geschehen. Er beginnt also nicht mit den Gründern der Stadt, den Römern, sondern mit dem zentralen Kleinod Kölns: dem Dreikönigenschrein, zwischen 1190 und 1225 wohl von Nikolaus von Verdun geschaffen. Dass die Gebeine Kaspars, Melchiors und Balthasars nach der Zerstörung Mailands durch Kaiser Friedrich Barbarossa als Kriegsbeute nach Köln kamen, tat ihrer Verehrung keinen Abbruch, und bewies zugleich, welche Bedeutung die Stadt im Mittelalter hatte. Das Dionysos-Mosaik aus dem Römisch-Germanischen Museum, 1941 beim Bau eines Bunkers ausgegraben, weist ihr eine ähnliche Bedeutung für die römische Kaiserzeit zu.
Als kulturellen Kern der Stadt macht der Band eine „Via Culturalis“ aus, einen in Nord-Süd-Richtung verlaufenden Abschnitt vom Dom bis zu St. Maria im Kapitol. Auf engem Raum ballen sich hier die archäologischen und architektonischen Sehenswürdigkeiten, die Museen und Archive, Kirchen und römischen Ruinen.
Allein die unzähligen in Köln entstandenen Kunstwerke, die im Buch ausgebreitet werden, könnten einen prächtigen eigenen Band füllen: die Steinbüste der Parler aus dem Spätmittelalter etwa; oder Max Ernsts „Die Jungfrau züchtigt das Jesuskind vor drei Zeugen“ von 1926 (das heute kaum noch jemanden aufregt, zu seiner Entstehungszeit aber ein Skandal war); oder die eine – in annähernder Faksimile-Qualität reproduzierte – Seite aus dem berühmten Hillinus-Codex von 1010.
Doch in so einem Band fehlte zu viel, was ja auch Köln ist: die Maus aus der nach ihr benannten Kindersendung, Raimund Kittls Willy-Millowitsch-Denkmal von 1992, die Urkunde des Literatur-Nobelpreises für Heinrich Böll, ein abgestoßener Metallkoffer der Kölner Firma Rimowa und eine Leuchtreklame für Kölsch abgebildet. Und, natürlich, ein Karnevalsorden.
ALEXANDER MENDEN
Zentrales Kleinod: Detail aus der „Anbetung der Heiligen Drei Könige“ von der Stirnseite des Dreikönigenschreins im Dom zu Köln.
Foto: Reinhard Matz & Axel Schenk/Hohe Domkirche Köln, Dombauhütte
Matthias Hamann,
Michael Wienand:
Köln Gold – Stadtschätze. Wienand Verlag, Köln 2021. 630 Seiten,
45 Euro.
DIZdigital: Alle Rechte vorbehalten – Süddeutsche Zeitung GmbH, München
Jegliche Veröffentlichung und nicht-private Nutzung exklusiv über www.sz-content.de
Was es heißt, Kulturgeschichte nach dem „kölschen Prinzip“ zu schreiben
Eins der ungewöhnlichsten Artefakte erwartet einen auf Seite 284: Hintergrund dieses Bildes ist der Blick aus der Internationalen Raumstation ISS auf die Erde. Im Vordergrund liegt, nein: schwebt ein unspektakulärer Gesteinsbrocken. Er stammt aus dem Strebewerk des Kölner Doms. Der deutsche Astronaut Alexander Gerst, ausgebildet am Europäischen Astronautenzentrum in Köln Lind, nahm ihn 2014 mit in die Umlaufbahn. Dombau und Raumfahrt – epochemachende, grenzüberschreitende menschliche Leistungen sind das eine verbindende Element in diesem Bild. Das zweite ist der Ausgangspunkt von Stein und Astronaut: Köln am Rhein.
Die Tiefe der Kölner Geschichte wird oft überlagert von der vielfach lieblosen Nachkriegsarchitektur und Stadtplanung, von dem mit großem Ernst betriebenen Unernst des Karnevalsgeistes und dem allgegenwärtigen Willen zur Selbstfeier. Dabei wirkte diese Selbstfeier weniger weit hergeholt, wenn mehr Kölner ihre Heimatstadt so verstünden wie der Verleger Michael Wienand. Wienand sieht hinter der Stadt der Gegenwart die Stadt der Vergangenheit – und eine mögliche Zukunft, die tief in dem wurzelt, was Köln einst ausmachte. Der Gegenentwurf zur Gleichgültigkeit im Umgang mit dem Kölner Erbe, die zum Einsturz des Stadtarchivs 2009 beitrug.
„Köln Gold“ ist ein Projekt, das Wienand dreieinhalb Jahrzehnte lang umtrieb. Jetzt hat er, gemeinsam mit Matthias Hamann, dem Direktor des Kölner Museumsdienstes, sowie 18 weiteren Autorinnen und Autoren, jene Wertschätzung des öffentlichen Raumes und der Stadtgeschichte, die im Alltag oft fehlen, in eine optische Feier des Erbes der Rheinmetropole gegossen. Auf über 600 Seiten entfaltet sich nicht nur eine Kölner, sondern eine paneuropäische Kulturgeschichte. Dabei werden nicht nur Höhepunkte aus städtischen und privaten Kunstsammlungen präsentiert, der Anspruch ist weit umfassender.
Der Überblick ist nicht chronologisch angelegt, entsprechend dem vom Herausgeber ausdrücklich zitierten „kölschen Prinzip“, nach dem die Dinge in Köln „nicht nach-, sondern neben- und miteinander“ geschehen. Er beginnt also nicht mit den Gründern der Stadt, den Römern, sondern mit dem zentralen Kleinod Kölns: dem Dreikönigenschrein, zwischen 1190 und 1225 wohl von Nikolaus von Verdun geschaffen. Dass die Gebeine Kaspars, Melchiors und Balthasars nach der Zerstörung Mailands durch Kaiser Friedrich Barbarossa als Kriegsbeute nach Köln kamen, tat ihrer Verehrung keinen Abbruch, und bewies zugleich, welche Bedeutung die Stadt im Mittelalter hatte. Das Dionysos-Mosaik aus dem Römisch-Germanischen Museum, 1941 beim Bau eines Bunkers ausgegraben, weist ihr eine ähnliche Bedeutung für die römische Kaiserzeit zu.
Als kulturellen Kern der Stadt macht der Band eine „Via Culturalis“ aus, einen in Nord-Süd-Richtung verlaufenden Abschnitt vom Dom bis zu St. Maria im Kapitol. Auf engem Raum ballen sich hier die archäologischen und architektonischen Sehenswürdigkeiten, die Museen und Archive, Kirchen und römischen Ruinen.
Allein die unzähligen in Köln entstandenen Kunstwerke, die im Buch ausgebreitet werden, könnten einen prächtigen eigenen Band füllen: die Steinbüste der Parler aus dem Spätmittelalter etwa; oder Max Ernsts „Die Jungfrau züchtigt das Jesuskind vor drei Zeugen“ von 1926 (das heute kaum noch jemanden aufregt, zu seiner Entstehungszeit aber ein Skandal war); oder die eine – in annähernder Faksimile-Qualität reproduzierte – Seite aus dem berühmten Hillinus-Codex von 1010.
Doch in so einem Band fehlte zu viel, was ja auch Köln ist: die Maus aus der nach ihr benannten Kindersendung, Raimund Kittls Willy-Millowitsch-Denkmal von 1992, die Urkunde des Literatur-Nobelpreises für Heinrich Böll, ein abgestoßener Metallkoffer der Kölner Firma Rimowa und eine Leuchtreklame für Kölsch abgebildet. Und, natürlich, ein Karnevalsorden.
ALEXANDER MENDEN
Zentrales Kleinod: Detail aus der „Anbetung der Heiligen Drei Könige“ von der Stirnseite des Dreikönigenschreins im Dom zu Köln.
Foto: Reinhard Matz & Axel Schenk/Hohe Domkirche Köln, Dombauhütte
Matthias Hamann,
Michael Wienand:
Köln Gold – Stadtschätze. Wienand Verlag, Köln 2021. 630 Seiten,
45 Euro.
DIZdigital: Alle Rechte vorbehalten – Süddeutsche Zeitung GmbH, München
Jegliche Veröffentlichung und nicht-private Nutzung exklusiv über www.sz-content.de