Tolkien, der wichtigste Fantasyautor der Neuzeit, wendet sich einem der größten Sagenstoffe aller Zeiten zu: der Sage von König Arthur. Ein Poem von berückender Schönheit.
Das große Epos um Arthur erzählt, wie der tapfere König sich zum Waffengang ostwärts in ferne, heidnische Länder begibt. Während der König außer Landes kämpft, verliebt sich der Ritter Lancelot in Arthurs Frau Guinever und schafft damit einen unüberwindlichen Konflikt. Als auch noch der verräterische Mordred die Macht an sich zu reißen versucht, treibt die Handlung einem Abgrund entgegen ... Neben der Edda und dem Nibelungenlied ist die Arthursage die wichtigste Quelle aller neueren Fantasyliteratur, die hier erstmals in J. R. R. Tolkiens eigener Fassung vorliegt. Neben der kongenialen Übersetzung von Hans-Ulrich Möhring enthält diese Ausgabe auch den Text des englischen Originals.
Das große Epos um Arthur erzählt, wie der tapfere König sich zum Waffengang ostwärts in ferne, heidnische Länder begibt. Während der König außer Landes kämpft, verliebt sich der Ritter Lancelot in Arthurs Frau Guinever und schafft damit einen unüberwindlichen Konflikt. Als auch noch der verräterische Mordred die Macht an sich zu reißen versucht, treibt die Handlung einem Abgrund entgegen ... Neben der Edda und dem Nibelungenlied ist die Arthursage die wichtigste Quelle aller neueren Fantasyliteratur, die hier erstmals in J. R. R. Tolkiens eigener Fassung vorliegt. Neben der kongenialen Übersetzung von Hans-Ulrich Möhring enthält diese Ausgabe auch den Text des englischen Originals.
Perlentaucher-Notiz zur FR-Rezension
Nicht weniger als eine literarische Sensation ist für Christian Thomas die von J.R.R. Tolkien verfasste Version der Artus-Sage, auch wenn er sich beeilt, die Erwartungen nicht allzu sehr überschäumen zu lassen: Zum einen handelt es sich um ein Fragment, dem entscheidende Handlungselemente fehlen, zum anderen werden sich Tolkien-Fans an einen völlig neuen Sound gewöhnen müssen - und Artus-Fans an ein paar waghalsige Variationen, erklärt der Rezensent. Sehr hilfreich findet er den Herausgeberkommentar von Tolkiens Sohn Christopher, der zwei Drittel des Buches ausmacht und, "gut verborgen im Dickicht der Interpretation", hilfreiche Lektürehinweise zu geben vermag. Ein Sonderlob gibt es außerdem für die "fabelhafte Übertragung" der stabreimseligen Verse durch Hans-Ulrich Möhring.
© Perlentaucher Medien GmbH
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Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 30.04.2015Das stumpfe Schwert des Stabreims
J. R. R. Tolkien war ein großer Erfinder mittelalterlicher Welten. In seinem Fragment einer
epischen Dichtung über König Arthur griff er einen schon bearbeiteten Stoff auf – und das ging schief
VON BURKHARD MÜLLER
Warum eigentlich hat J. R. R. Tolkien mit seinem „Herrn der Ringe“ solche Mengen an Fans zu gewinnen und hinzureißen vermocht? In erster Linie wohl, weil er selbst im tiefsten glaubte, das, was er schrieb, sei real; ein menschlicher Schöpfergott, rufe er seine Hobbits, Zauberer und Orks weniger aus dem Nichts als aus der Vergessenheit empor, der sie nie wieder anheimfallen sollen: ein im Mantel des Autortums schlau verborgener, mindestens halber Wahn.
Aber dieser Wahn hat doch zu seinem wahren Kern die unbestreitbare Tatsache der Sprache. Nachdem der Mediävist Tolkien sich das Altenglische und das Altfinnische gründlich zu eigen gemacht hatte, gelüstete es ihn nach weiterer Expansion; und so ersann er das Altelbische, das doch insofern existierte, als es in ihm den einen kompetenten Sprecher besaß. Darum lagerte sich nach und nach das ganze Werk an; und keiner, der es gelesen hat, wird verkennen, wie sehr es vom Geist der Philologie beseelt ist.
Mit dem „Kleinen Hobbit“ und der Ringe-Trilogie hat dieses Bestreben seine überaus wirksame Form gefunden. Aber Tolkien, wahrhaft ein Besessener seiner Sache, hat dasselbe auch auf anderem Weg versucht. Es ist lehrreich zu sehen, wie. „König Arthurs Untergang“ heißt das Fragment, das nunmehr sein Sohn Christopher aus dem Nachlass herausgegeben hat, im Original „The Fall of Arthur“. Die Edition muss man wohl ein Werk der Pietät und Liebe nennen, denn der Sohn hat aus einer ungeheuren Fülle von oft kaum leserlichen, einander überschneidenden und widersprechenden Textfetzen und Krakeleien dennoch so etwas wie ein Buch gemacht – ein Buch freilich, das selbst bei sorgfältigster Rekonstruktion mittendrin abbricht. Der eigentliche Text umfasst kaum über 30 Seiten, das Buch aber fast 300; der Rest ist Vor- und Nachwort, Übersetzung, Anhang, Kommentar, Apparat.
Anders als bei seinem ansatzlos erfindenden Hauptwerk hatte Tolkien es hier mit einem schon vorgefundenen Stoff zu tun; einem Stoff zwar, der nie eine feste, endgültige Gestalt gefunden hatte und in verschiedenen Traditionslinien dahinfloss, der aber trotzdem gewisse erzählerische Elemente klar vorgab: Arthurs überseeischen Feldzug, seine Heimkehr angesichts einer angelsächsischen Invasion, den Ehebruch seiner Gattin Guinevere mit Lancelot, dem edelsten Ritter der Tafelrunde, den Verrat seines Neffen Mordred und seinen Tod in der Schlacht.
Die Möglichkeit des Vergleichs mochte Tolkien gereizt haben, sich auch einmal daran zu versuchen und in Konkurrenz zu seinen mittelalterlichen Vorläufern zu treten. Er orientierte sich dabei (für den Altnordiker kaum erstaunlich) nicht am gereimten höfischen Roman, der im Frankreich und Deutschland des 12./13. Jahrhunderts floriert hatte und einzelne Mitglieder der Tafelrunde zu Protagonisten erkor, sondern an den weniger bekannten englischen Dichtungen. Sie sind zumeist jünger als ihre kontinentalen Vettern, verwenden aber teilweise noch den älteren, bei Hofe in Ungnade gefallenen germanischen Stabreim mit seiner Wiederholung des Anlauts.
Dieses – nicht besonders schwer zu erfüllende – Schema also hat sich Tolkien für sein Werk ausgesucht. Es klingt so: „In kalten Klüften / krächzenden Raben // kreischten Antwort / kreisende Adler, // Wölfe heulten / am Waldessaum. // Der wintrige Wind / wehte schneidend // immer stärker und strenger / vom starrenden Wald. // Das Laub rauschte laut, / ein Landregen fiel // und Sturmwolken schluckten / schlagartig die Sonne.“ Der Übersetzer überbietet seine Vorlage gern noch ein wenig, und wenn Tolkien schreibt; „(with) tarnished shields / of truant lieges // our muster swell. / Why more we need?“, so wird bei Hans-Ulrich Möhring daraus: „(mit) schwankenden Schwertern / schlechter Vasallen // unsere Masse zu mehren. / Mehr sind nicht nötig!“ Aus je zwei gleichen Anlauten pro englischem Vers gehen hier im Deutschen je drei hervor, und man glaubt die Fanfaren deutlich lauter schmettern zu hören als im Original.
Doch wieso wird Tolkien mit diesem Projekt nicht fertig und bricht ab, obwohl er, wie die zahlreichen Varianten beweisen, so viel Zeit und Mühe hineingesteckt hat? Die Gründe können bei ihm nur in der Sprache liegen. Die Sprache dieses Gedichts stellt, um es stabreimend zu sagen, einen Zwitter zwischen den Zeiten dar. Es handelt sich weder um das Keltisch oder Angelsächsisch aus der Ära Arthurs selbst (das nachzubilden für ihn vermutlich kein Problem gewesen wäre, galt er doch als führender „Beowulf“-Forscher), noch um das mittlere Englisch seiner unmittelbaren Vorlagen; aber auch nicht um das (relativ) moderne Idiom des „Herrn der Ringe“.
Die Sprache dieses Langgedichts ist nicht alt und nicht neu, sondern bewegt sich irgendwo in einer imaginierten Shakespeare-Zeit; sie altertümelt. Rudolf Borchardt hat die „Göttliche Komödie“ Dantes in ein eigens zu diesem Zweck erfundenes Mittelhochdeutsch übertragen; das war zwar verrückt, aber in seiner Bestimmung des Verhältnisses von Zeitgenossenschaft und Distanz durchaus konsequent – eine Konsequenz, um die ihn Tolkien beneidet haben dürfte. Tolkiens Entscheidung erlaubt zwar eine Lektüre weitgehend ohne Wörterbuch. Aber ganz befriedigt hat ihn das wohl nicht.
Diese Sprache fängt jedenfalls den alten epischen Geist nicht mehr ein, so angestrengt sie es auch versucht. Friedrich Schiller hatte die Unterscheidung zwischen naiver und sentimentalischer Dichtung getroffen. Das Naive schrieb er einer kraftvoll und ohne Reflexion in sich selbst ruhenden Vorzeit zu, das Sentimentalische seiner eigenen sich zurücksehnenden Zeit, die sich immerfort plagt im Zweierlei von Wunsch und Wirklichkeit. Wer zurück will, schafft es nicht, weil er sich durch eben diesen Willen vom Gewollten unterscheidet.
So will auch Tolkien verzweifelt ins stabreimende Mittelalter zurück. Er schreibt: „Pfützen spiegelten // die heitere Helle / der sich hebenden Sonne. // Mit Wasser gewaschen / war die Welt voll Glanz. // Froh in der Frühe / sangen Vögel sich zu.“ Dass froh die Vögel singen, ist aus der mittelalterlichen Dichtung reich belegt, ebenso die Freude an der hellen Sonne. Aber der Nachgeborene verrät sich darin, dass er sein Erlebnis aus der Spiegelung in der Pfütze bezieht: Hier herrscht jene Reflexion und Brechung, für die der echte Naive blind ist.
Tolkien spürt das und kämpft dagegen an, vor allem, indem er sich, statt zur epischen Breite (die jüngeren Datums ist), zur archaischen epischen Knappheit zwingt. Guinevere wird wegen ihres Ehebruchs zum Feuertod verurteilt, steht schon auf dem Scheiterhaufen – da prescht unerwartet Lancelot herbei und haut sie raus, wobei mehrere Ritter ums Leben kommen. Tolkien benötigt für diese zentrale dramatische Episode nicht mehr als zwölf Verse. „Gaheris und Gareth, / Gawains Brüder, // fielen beim Feuer / und fanden ihr Schicksal. // Dem Feuer entriss / und fort trug er sie“. Das Ganze ist vorbei, ehe der Leser sich auf die Situation eingerichtet hat. So kann man das im 20. Jahrhundert, mit seinen ungemein beschleunigten, dabei jedoch behaglicher gewordenen Lesegewohnheiten, einfach nicht mehr machen.
Über das „unlebensgemäß Abkürzende“ hatte Thomas Mann bei den Erzählungen der Bibel gemurrt, und die Geschichte von Josef und seinen Brüdern durch Auspolsterung ungefähr um das Hundertfache erweitert. Die Wahrheit ist natürlich, dass solche Abkürzung nur dann unlebensgemäß geworden wäre, wenn Thomas Mann sie hätte praktizieren wollen. Die Bibel kann das, das alte Epos kann es auch; aber Thomas Mann und Tolkien eben nicht mehr. Darum haben beide schließlich zum Mittel der dicken Tetralogie gegriffen (wenn man bei Tolkien den „Kleinen Hobbit“ mitzählt). Tolkien hat sich in seinem „König Arthur“ redlich bemüht, die alte Form neu zu beleben. Aber es war eine schwere Geburt, und zum Schluss sah er wohl ein, dass es eine Totgeburt war – eine Totgeburt, die genau studieren sollte, wer die ungebrochene Lebendigkeit des „Herrn der Ringe“ begreifen will.
„Wölfe heulten / am Waldessaum. /
Der wintrige Wind /
wehte schneidend“
„Pfützen spiegelten /
die heitere Helle /
der sich hebenden Sonne.“
Clive Owen als King Arthur, in der Film-Version von Antoine Fuqua von 2004 – also ein Jahr, nachdem das epische Erzählen durch die „Herr der Ringe“-Trilogie revolutioniert worden war.
Foto: ddp images
J. R. R. Tolkien: König Arthurs Untergang. Herausgegeben von Christopher Tolkien. Aus dem Englischen von HansUlrich Möhring. Klett-Cotta Verlag, Stuttgart 2015.
287 Seiten, 19,95 Euro. E-Book 15,99.
DIZdigital: Alle Rechte vorbehalten – Süddeutsche Zeitung GmbH, München
Jegliche Veröffentlichung und nicht-private Nutzung exklusiv über www.sz-content.de
J. R. R. Tolkien war ein großer Erfinder mittelalterlicher Welten. In seinem Fragment einer
epischen Dichtung über König Arthur griff er einen schon bearbeiteten Stoff auf – und das ging schief
VON BURKHARD MÜLLER
Warum eigentlich hat J. R. R. Tolkien mit seinem „Herrn der Ringe“ solche Mengen an Fans zu gewinnen und hinzureißen vermocht? In erster Linie wohl, weil er selbst im tiefsten glaubte, das, was er schrieb, sei real; ein menschlicher Schöpfergott, rufe er seine Hobbits, Zauberer und Orks weniger aus dem Nichts als aus der Vergessenheit empor, der sie nie wieder anheimfallen sollen: ein im Mantel des Autortums schlau verborgener, mindestens halber Wahn.
Aber dieser Wahn hat doch zu seinem wahren Kern die unbestreitbare Tatsache der Sprache. Nachdem der Mediävist Tolkien sich das Altenglische und das Altfinnische gründlich zu eigen gemacht hatte, gelüstete es ihn nach weiterer Expansion; und so ersann er das Altelbische, das doch insofern existierte, als es in ihm den einen kompetenten Sprecher besaß. Darum lagerte sich nach und nach das ganze Werk an; und keiner, der es gelesen hat, wird verkennen, wie sehr es vom Geist der Philologie beseelt ist.
Mit dem „Kleinen Hobbit“ und der Ringe-Trilogie hat dieses Bestreben seine überaus wirksame Form gefunden. Aber Tolkien, wahrhaft ein Besessener seiner Sache, hat dasselbe auch auf anderem Weg versucht. Es ist lehrreich zu sehen, wie. „König Arthurs Untergang“ heißt das Fragment, das nunmehr sein Sohn Christopher aus dem Nachlass herausgegeben hat, im Original „The Fall of Arthur“. Die Edition muss man wohl ein Werk der Pietät und Liebe nennen, denn der Sohn hat aus einer ungeheuren Fülle von oft kaum leserlichen, einander überschneidenden und widersprechenden Textfetzen und Krakeleien dennoch so etwas wie ein Buch gemacht – ein Buch freilich, das selbst bei sorgfältigster Rekonstruktion mittendrin abbricht. Der eigentliche Text umfasst kaum über 30 Seiten, das Buch aber fast 300; der Rest ist Vor- und Nachwort, Übersetzung, Anhang, Kommentar, Apparat.
Anders als bei seinem ansatzlos erfindenden Hauptwerk hatte Tolkien es hier mit einem schon vorgefundenen Stoff zu tun; einem Stoff zwar, der nie eine feste, endgültige Gestalt gefunden hatte und in verschiedenen Traditionslinien dahinfloss, der aber trotzdem gewisse erzählerische Elemente klar vorgab: Arthurs überseeischen Feldzug, seine Heimkehr angesichts einer angelsächsischen Invasion, den Ehebruch seiner Gattin Guinevere mit Lancelot, dem edelsten Ritter der Tafelrunde, den Verrat seines Neffen Mordred und seinen Tod in der Schlacht.
Die Möglichkeit des Vergleichs mochte Tolkien gereizt haben, sich auch einmal daran zu versuchen und in Konkurrenz zu seinen mittelalterlichen Vorläufern zu treten. Er orientierte sich dabei (für den Altnordiker kaum erstaunlich) nicht am gereimten höfischen Roman, der im Frankreich und Deutschland des 12./13. Jahrhunderts floriert hatte und einzelne Mitglieder der Tafelrunde zu Protagonisten erkor, sondern an den weniger bekannten englischen Dichtungen. Sie sind zumeist jünger als ihre kontinentalen Vettern, verwenden aber teilweise noch den älteren, bei Hofe in Ungnade gefallenen germanischen Stabreim mit seiner Wiederholung des Anlauts.
Dieses – nicht besonders schwer zu erfüllende – Schema also hat sich Tolkien für sein Werk ausgesucht. Es klingt so: „In kalten Klüften / krächzenden Raben // kreischten Antwort / kreisende Adler, // Wölfe heulten / am Waldessaum. // Der wintrige Wind / wehte schneidend // immer stärker und strenger / vom starrenden Wald. // Das Laub rauschte laut, / ein Landregen fiel // und Sturmwolken schluckten / schlagartig die Sonne.“ Der Übersetzer überbietet seine Vorlage gern noch ein wenig, und wenn Tolkien schreibt; „(with) tarnished shields / of truant lieges // our muster swell. / Why more we need?“, so wird bei Hans-Ulrich Möhring daraus: „(mit) schwankenden Schwertern / schlechter Vasallen // unsere Masse zu mehren. / Mehr sind nicht nötig!“ Aus je zwei gleichen Anlauten pro englischem Vers gehen hier im Deutschen je drei hervor, und man glaubt die Fanfaren deutlich lauter schmettern zu hören als im Original.
Doch wieso wird Tolkien mit diesem Projekt nicht fertig und bricht ab, obwohl er, wie die zahlreichen Varianten beweisen, so viel Zeit und Mühe hineingesteckt hat? Die Gründe können bei ihm nur in der Sprache liegen. Die Sprache dieses Gedichts stellt, um es stabreimend zu sagen, einen Zwitter zwischen den Zeiten dar. Es handelt sich weder um das Keltisch oder Angelsächsisch aus der Ära Arthurs selbst (das nachzubilden für ihn vermutlich kein Problem gewesen wäre, galt er doch als führender „Beowulf“-Forscher), noch um das mittlere Englisch seiner unmittelbaren Vorlagen; aber auch nicht um das (relativ) moderne Idiom des „Herrn der Ringe“.
Die Sprache dieses Langgedichts ist nicht alt und nicht neu, sondern bewegt sich irgendwo in einer imaginierten Shakespeare-Zeit; sie altertümelt. Rudolf Borchardt hat die „Göttliche Komödie“ Dantes in ein eigens zu diesem Zweck erfundenes Mittelhochdeutsch übertragen; das war zwar verrückt, aber in seiner Bestimmung des Verhältnisses von Zeitgenossenschaft und Distanz durchaus konsequent – eine Konsequenz, um die ihn Tolkien beneidet haben dürfte. Tolkiens Entscheidung erlaubt zwar eine Lektüre weitgehend ohne Wörterbuch. Aber ganz befriedigt hat ihn das wohl nicht.
Diese Sprache fängt jedenfalls den alten epischen Geist nicht mehr ein, so angestrengt sie es auch versucht. Friedrich Schiller hatte die Unterscheidung zwischen naiver und sentimentalischer Dichtung getroffen. Das Naive schrieb er einer kraftvoll und ohne Reflexion in sich selbst ruhenden Vorzeit zu, das Sentimentalische seiner eigenen sich zurücksehnenden Zeit, die sich immerfort plagt im Zweierlei von Wunsch und Wirklichkeit. Wer zurück will, schafft es nicht, weil er sich durch eben diesen Willen vom Gewollten unterscheidet.
So will auch Tolkien verzweifelt ins stabreimende Mittelalter zurück. Er schreibt: „Pfützen spiegelten // die heitere Helle / der sich hebenden Sonne. // Mit Wasser gewaschen / war die Welt voll Glanz. // Froh in der Frühe / sangen Vögel sich zu.“ Dass froh die Vögel singen, ist aus der mittelalterlichen Dichtung reich belegt, ebenso die Freude an der hellen Sonne. Aber der Nachgeborene verrät sich darin, dass er sein Erlebnis aus der Spiegelung in der Pfütze bezieht: Hier herrscht jene Reflexion und Brechung, für die der echte Naive blind ist.
Tolkien spürt das und kämpft dagegen an, vor allem, indem er sich, statt zur epischen Breite (die jüngeren Datums ist), zur archaischen epischen Knappheit zwingt. Guinevere wird wegen ihres Ehebruchs zum Feuertod verurteilt, steht schon auf dem Scheiterhaufen – da prescht unerwartet Lancelot herbei und haut sie raus, wobei mehrere Ritter ums Leben kommen. Tolkien benötigt für diese zentrale dramatische Episode nicht mehr als zwölf Verse. „Gaheris und Gareth, / Gawains Brüder, // fielen beim Feuer / und fanden ihr Schicksal. // Dem Feuer entriss / und fort trug er sie“. Das Ganze ist vorbei, ehe der Leser sich auf die Situation eingerichtet hat. So kann man das im 20. Jahrhundert, mit seinen ungemein beschleunigten, dabei jedoch behaglicher gewordenen Lesegewohnheiten, einfach nicht mehr machen.
Über das „unlebensgemäß Abkürzende“ hatte Thomas Mann bei den Erzählungen der Bibel gemurrt, und die Geschichte von Josef und seinen Brüdern durch Auspolsterung ungefähr um das Hundertfache erweitert. Die Wahrheit ist natürlich, dass solche Abkürzung nur dann unlebensgemäß geworden wäre, wenn Thomas Mann sie hätte praktizieren wollen. Die Bibel kann das, das alte Epos kann es auch; aber Thomas Mann und Tolkien eben nicht mehr. Darum haben beide schließlich zum Mittel der dicken Tetralogie gegriffen (wenn man bei Tolkien den „Kleinen Hobbit“ mitzählt). Tolkien hat sich in seinem „König Arthur“ redlich bemüht, die alte Form neu zu beleben. Aber es war eine schwere Geburt, und zum Schluss sah er wohl ein, dass es eine Totgeburt war – eine Totgeburt, die genau studieren sollte, wer die ungebrochene Lebendigkeit des „Herrn der Ringe“ begreifen will.
„Wölfe heulten / am Waldessaum. /
Der wintrige Wind /
wehte schneidend“
„Pfützen spiegelten /
die heitere Helle /
der sich hebenden Sonne.“
Clive Owen als King Arthur, in der Film-Version von Antoine Fuqua von 2004 – also ein Jahr, nachdem das epische Erzählen durch die „Herr der Ringe“-Trilogie revolutioniert worden war.
Foto: ddp images
J. R. R. Tolkien: König Arthurs Untergang. Herausgegeben von Christopher Tolkien. Aus dem Englischen von HansUlrich Möhring. Klett-Cotta Verlag, Stuttgart 2015.
287 Seiten, 19,95 Euro. E-Book 15,99.
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»Ein großes Werk eines großen Autors, der ein weiteres Mal seine Tätigkeit als Literatur- und Sprachwissenschaftler mit der Kunst des phantastischen Erzählens zusammenführt. "König Arthurs Untergang" sollte in keiner Tolkiensammlung fehlen.« Daniel Bauerfeld, Nautilus Abenteuer & Phantastik, September 2015 Daniel Bauerfeld Nautilus 20150901