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Wayne Koestenbaum, Kritiker und Dozent an der amerikanischen Yale-Universität, läßt den Leser teilhaben an den Träumen und Sehnsüchten seines Lebens als Homosexueller und Opernliebhaber, insbesondere als leidenschaftlicher Verehrer der Opern-Diva. "Koestenbaum ist der Archäologe einer bestimmten Form schwuler Ästhetik und Lebensgeschichte. Aber in der Hingabe an diese Grabungen in der Jugend des eigenen Begehrens gelingt es ihm, an einem Spezialbeispiel vorzuführen, was alle erleben, wenn sie sich auf den mühsamen und abenteuerlichen Weg machen, jemand sein zu wollen - was immer auch heißt: wie jemand sein zu wollen."…mehr

Produktbeschreibung
Wayne Koestenbaum, Kritiker und Dozent an der amerikanischen Yale-Universität, läßt den Leser teilhaben an den Träumen und Sehnsüchten seines Lebens als Homosexueller und Opernliebhaber, insbesondere als leidenschaftlicher Verehrer der Opern-Diva. "Koestenbaum ist der Archäologe einer bestimmten Form schwuler Ästhetik und Lebensgeschichte. Aber in der Hingabe an diese Grabungen in der Jugend des eigenen Begehrens gelingt es ihm, an einem Spezialbeispiel vorzuführen, was alle erleben, wenn sie sich auf den mühsamen und abenteuerlichen Weg machen, jemand sein zu wollen - was immer auch heißt: wie jemand sein zu wollen."
Autorenporträt
Wayne Koestenbaum is Distinguished Professor of Literature at the City University of New York Graduate Center. He is the author of thirteen books of criticism, poetry, and fiction, including a biography of Andy Warhol, and the acclaimed The Queens Throat: Opera, Homosexuality, and the Mystery of Desire.
Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 02.04.1996

Eitel darf die Diva sein
Wayne Koestenbaum und die Liebe zur Oper / Von Ina Hartwig

Wenn Wayne Koestenbaum im Tower-Records-Laden auf andere "Opera queens" trifft, entsteht Unruhe. "Wir haben zuviel gemeinsam, deshalb ist die übergroße Nähe peinlich": Was er mit den fremden Männern teilt, ist eine an Selbstauflösung grenzende, speziell homosexuelle Liebe zur Oper. Dieser Liebe hat er ein ebenso geistreiches wie selbstironisches Buch gewidmet, das nun, drei Jahre nach der amerikanischen Originalausgabe, in einer tadellosen deutschen Übersetzung unter dem etwas irreführenden Titel "Königin der Nacht" vorliegt; irreführend, weil ausgerechnet Mozarts "Zauberflöte" darin nicht vorkommt.

Der Originaltitel, "The Queen's Throat", verbirgt eine raffinierte Doppeldeutigkeit, die ins Deutsche kaum übertragbar ist, um die Koestenbaums Ausführungen jedoch konzentrisch angelegt sind. "Queen" kann im Amerikanischen "Operndiva" und "Tunte" bedeuten. Die Kehle ("throat"), von der die Rede ist, gehört zu beiden.

Koestenbaum hat sich die knifflige Aufgabe gestellt, den für sein Leben zwar naheliegenden, für Nichteingeweihte jedoch exotischen Zusammenhang zwischen "Oper, Homosexualität und Begehren" zu erhellen. Der Literaturdozent von der Yale University geht nicht stringent-wissenschaftlich vor, sondern literarisch, über weite Strecken aphoristisch. Er verfügt über das seltene Talent, persönliche Traurigkeit mit strukturalistischem Enthusiasmus zu verbinden - ähnlich wie Roland Barthes, an dessen elegische "Fragmente einer Sprache der Liebe" Koestenbaums Ich-Prosa offenbar angelehnt ist.

Als zehnjähriger Junge hatte er bereits sein Initiationserlebnis in puncto Divastimme gehabt, nämlich als er auf einer Schallplatte Anna Moffo die Madame Butterfly singen hörte: "Ihre Stimme war nicht die Kuppel, die Säule, der Architrav; ernst und sich selbst genügend, schien sie nicht ein Abbild des Lebens, sondern das Leben selbst, und wie eine atmende Eigenschaft meiner selbst drang sie in meinen Organismus mit solch naivem, unverfälschtem, elementarem Einfallswinkel vor, so frei von den Trübungen durch all die Namen, die ich dann später dieser Erfahrung geben würde, daß mein banales Zimmer sich um seine Achse verschob."

Daß Koestenbaum seine Bildung auch der amerikanischen Universität verdankt, schlägt als Neigung zu politisch korrektem Sprachgebrauch ("afroamerikanische Sängerinnen") durch. Hierzu gehört auch der Versuch, lesbische Fans in die Gemeinde der "opera queens" aufzunehmen, was nicht überzeugen kann, da sein Leitmotiv gerade an der Kombination aus männlichem Körper und weiblicher Stimme orientiert ist: Die Diva ist das Ich im Tuntenschlund.

"Königin der Nacht" zählt sieben Kapitel, in denen die Leidenschaft für die Oper unter verschiedenen Aspekten dargelegt wird. Jedes Kapitel enthält hochinspirierte, oft schlüpfrige, in einigen Fällen kitschige Häppchen. Im ersten Kapitel ("Operntunten") charakterisiert Koestenbaum die halb euphorische, halb verzweifelte Erfahrung, daß die Divastimme sowohl existenzversichernd als auch existenzschaffend sei. Zwei Gesetze gelten für die Operntunte. Erstens: Sie muß sich für eine Diva entscheiden; zweitens: Die Initiation in die Homosexualität hängt unmittelbar mit der Sensibilisierung für die Stimme der Diva zusammen. Koestenbaum behauptet nämlich in seiner Körpertheorie, der weibliche Gesang bereite den männlichen Leib auf die Homosexualität vor: eine Anverwandlung, bei der Identifikation und Begehren zusammenfallen.

Das zweite Kapitel ist dem "eingeschlossenen Fan" gewidmet. Es schildert diverse Fetischismen, mit denen sich die "Opera queen" ihr häusliches Universum baut. Das Sammeln von Schallplatten spielt eine entscheidende Rolle; so sei der Kult um Maria Callas "unter den amerikanischen Schwulen vorwiegend ein Liebesverhältnis mit ihrer reproduzierten Stimme, da ihre Schallplatten hier ankamen, ehe sie in eigener Person erschien". Schlichtweg für alles, was die Diva betrifft, interessiert sich der Fan, insbesondere für Klatsch. Die trotzige Hybris der exaltierten Sängerin wird begierlich verschlungen und unauslöschbar im Gedächtnis gespeichert - egomanische Banalitäten wie der unglaubliche Satz, den Geraldine Farrar gegenüber Toscanini äußerte: "Sie vergessen, Maestro, ich bin hier der Star."

Koestenbaum betont, daß die Operntunte emotional und ästhetisch der Aura der fünfziger Jahre verpflichtet ist, und man möchte hinzufügen: einer Epoche also, die gerade für Homosexuelle so erfreulich nicht gewesen sein kann. Doch Koestenbaums Opernfan ist Melancholiker. Er sehnt sich nach dem Zustand vor der homosexuellen Emanzipation. Zur bewegenden Ambivalenz dieses Buchs gehört, daß Koestenbaums eigene Offenheit dem widerspricht. Ja, nur weil er als gänzlich emanzipierter "Schwuler" spricht, kann er jene Gründe beim Namen nennen, die der homosexuellen Existenz aus heutiger Sicht einen dunklen Grundton geben: die uralte Homophobie ohnehin und die anhaltende Bedrohung durch Aids.

Bisweilen lassen Koestenbaums Geistesblitze an die deutscher Medienkundler denken, etwa wenn er feststellt, die "Kategorie Homosexualität" sei "so alt wie der technisch reproduzierbare Ton", der wiederum so alt wie der Belcanto sei, den Koestenbaum als Nachfolger des Kastratentons begreift. Die Annäherung an das Stimmorgan unter dem Aspekt technischer Koinzidenz kulminiert in der Feststellung, die Kehle sei das Organ, das über die Differenz von Männlich und Weiblich entscheide.

Daraus nun leitet Koestenbaum ein Moment der Geschlechterverwirrung ab, von dem er glaubt, es sei typisch für die Oper. Obwohl dieser Punkt des öfteren - sexualutopisch suggestiv - hervorgehoben wird, bleibt letztlich dennoch vage, wie die Verwirrung der Geschlechter genau beschaffen sein soll. Fest steht wohl, daß sie eine Sehnsucht nach Künstlichkeit, Theatralik und Maskerade befriedigt, die von den Vorstellungen des Natürlichen (also auch dessen, wie ein Mann zu sein habe) entlastet.

Ganz in diesem Sinn verlegt Koestenbaum die Symbolik der "Vermählung" - im vorletzten Kapitel - auf die Ebene von Musik und Text beziehungsweise von Komponist und Librettist. Homosexuelle Konnotationen werden erwartungsgemäß gern gesucht. Das demonstriert zum Beispiel jener von Koestenbaum zitierte Brief Richard Strauss' an Hugo von Hofmannsthal, in dem es heißt: ". . . alles, was ich Ihnen in Worten sagen könnte, wäre banal im Vergleich zu dem, was ich Ihnen als Komponist Ihrer herrlichen Dichtungen schon in Tönen gesagt habe."

Dennoch, im libidinösen Zentrum der eigenwilligen Betrachtungen steht die Liebe des homosexuellen Mannes zur Diva - oder zu seinem Traum, ihr zu gleichen: glamourös, reich, gefeiert zu sein - und doch verletzbar. Indem Koestenbaum das schwule Wörterbuch auf Operndiven anwendet - ihnen widmet er drei zentrale Kapitel -, wird die Konvergenz von Oper und (männlicher) Homosexualität schließlich faßbar. Die Grundthese lautet, singen zu wollen sei genauso anrüchig, wie schwul zu sein. Beide, der Homosexuelle und die Diva, fühlen sich "erwählt" und "verdammt" zugleich.

Wenn er schreibt, die Stimme der Diva sei der "Schlüssel zur Gefängnistür ihres Körpers", macht Koestenbaum keinen Hehl daraus, daß es sich um eine Projektion handelt. Weil die Diva es geschafft hat, "herauszukommen" ("to come out"), eignet sie sich so vorzüglich als Identifikationsfigur für ein homosexuelles Lebensgefühl. Die Diva zeigt, daß man wünschen darf, anerkannt und zelebriert zu werden; denn: "Narzißmus wirkt nicht töricht, wenn eine Diva ihn praktiziert." Ihre Stimmkrisen werden zum Spiegel der persönlichen (sozialen, sexuellen) Krisen; doch haben sie die köstliche Macht, eine ganze Opernwelt in Schach zu halten. Daß ebendiese Macht dem schwulen Fan unerreichbar bleibt, macht wohl seine Poesie aus.

Wayne Koestenbaum: "Königin der Nacht. Oper, Homosexualität und Begehren". Aus dem Amerikanischen übersetzt von Joachim Kalka. Verlag Klett-Cotta, Stuttgart 1996. 361 S., geb., 38,- DM.

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