Beide in diesem Band enthaltenen Romane verführen durch ihre parodistische Meisterschaft. In heiterem Ton erzählt 'Königliche Hoheit' (1909) das zeremoniell geprägte höfische Leben des Prinzen Klaus Heinrich, der sich mit der pragmatischen Lebensauffassung der amerikanischen Milliardärstochter Imma Spoelmann konfrontiert sieht. 'Der Erwählte' (1951) ist eine Nach- und Neuerzählung der Legende von Papst Gregorius, die Thomas Mann in der Fassung Hartmanns von Aue bereits 1894 kennen lernte. Während der Arbeit an 'Doktor Faustus' stieß er erneut auf den Stoff und formte daraus "dieses in Gott vergnügte Büchlein".
Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 30.07.2022Legende vom
guten Sünder
Gerade Thomas Mann, der das scheinbar unpolitische großbürgerliche Alltagsleben geradezu zelebrierte, erweist sich bei näherer Betrachtung als gesellschaftskritische Stimme. Dass sich dies selbst in dem ironischen Altersroman „Der Erwählte“ zeigen würde, ist allerdings überraschend. Folgt man dem spannenden Kommentarband dieser Legende vom „guten Sünder“ Gregorius, in geschwisterlicher Liebe gezeugt, die eigene Mutter heiratend und schließlich zum Papst avancierend, sieht man nicht mehr nur die kleinbürgerlich-moralischen Irritationen auf der Erzähloberfläche, sondern erfährt auch, wie politisch dieser Roman möglicherweise bald wieder gelesen werden muss. Mann pflegt die ironisch distanzierte Darstellung mittelalterlicher Lebens- und Denkweisen, deren Irrationalität ihn geradezu fasziniert. Es ist aber die Faszination des Bösen. Denn die Wirkung des Aberglaubens und der Angsthysterien ist eine recht konkrete und trifft immer auch die Minderheit der Vernunftorientierten. Querverbindungen, die auf einmal wieder präsent zu sein scheinen. Die Mechanismen von Angst, Wunderglaube, Propaganda und Gruppenhysterie wirken heute wie eh und je.
HELMUT MAURÓ
Thomas Mann:
Der Erwählte. Roman. Hg. von Heinrich
Detering und Maren Ermisch. (Frankfurter Ausgabe, Band 11,
1 und 2). S. Fischer Verlag, Frankfurt am Main 2022. 857 S.,
139,00 Euro.
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guten Sünder
Gerade Thomas Mann, der das scheinbar unpolitische großbürgerliche Alltagsleben geradezu zelebrierte, erweist sich bei näherer Betrachtung als gesellschaftskritische Stimme. Dass sich dies selbst in dem ironischen Altersroman „Der Erwählte“ zeigen würde, ist allerdings überraschend. Folgt man dem spannenden Kommentarband dieser Legende vom „guten Sünder“ Gregorius, in geschwisterlicher Liebe gezeugt, die eigene Mutter heiratend und schließlich zum Papst avancierend, sieht man nicht mehr nur die kleinbürgerlich-moralischen Irritationen auf der Erzähloberfläche, sondern erfährt auch, wie politisch dieser Roman möglicherweise bald wieder gelesen werden muss. Mann pflegt die ironisch distanzierte Darstellung mittelalterlicher Lebens- und Denkweisen, deren Irrationalität ihn geradezu fasziniert. Es ist aber die Faszination des Bösen. Denn die Wirkung des Aberglaubens und der Angsthysterien ist eine recht konkrete und trifft immer auch die Minderheit der Vernunftorientierten. Querverbindungen, die auf einmal wieder präsent zu sein scheinen. Die Mechanismen von Angst, Wunderglaube, Propaganda und Gruppenhysterie wirken heute wie eh und je.
HELMUT MAURÓ
Thomas Mann:
Der Erwählte. Roman. Hg. von Heinrich
Detering und Maren Ermisch. (Frankfurter Ausgabe, Band 11,
1 und 2). S. Fischer Verlag, Frankfurt am Main 2022. 857 S.,
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