Zwei Stimmen, eine Berufung: die junge Wienerin Rosi Schmieg verschlägt es auf der Suche nach ihrer Bestimmung nach Leipzig, wo sie das Fleischerhandwerk erlernt, denn an die "Fleischerei Schlingel" hat sie die schönsten Kindheitserinnerungen. Und auch ihr Großvater war schließlich Metzger gewesen. Er fiel im Zweiten Weltkrieg, getötet von einem Amerikaner. Dessen Enkelsohn will ebenfalls Fleischhauer werden und reist nach Europa, nach Frankreich und Deutschland, auf den Spuren des Großvaters, der einst aus der Tschechoslowakei emigriert war. In Leipzig begegnen sich die beiden jungen Metzger, in Rosis Fleischerei, auf einer modernen Antirutschmatte... und spätestens dann wird klar, was es mit den Großvätern auf sich hat. Detailreich und spannend, voller Phantasie und mit schwarzem Humor, in zwei sich abwechselnden Stimmen, erzählt Michael Stavariè vom Geschäft des Tötens, der Anbetung des Fleisches, von Kindheitsliebe und einer unheilvollen Zeit.
Hinweis: Dieser Artikel kann nur an eine deutsche Lieferadresse ausgeliefert werden.
Hinweis: Dieser Artikel kann nur an eine deutsche Lieferadresse ausgeliefert werden.
Perlentaucher-Notiz zur FR-Rezension
Ganz hingerissen ist Rezensent Christoph Schröder nach der Lektüre von Michael Stavaric' neuem Buch "Königreich der Schatten". Schon Worte wie "Kotelettklopfer" oder "Fleischsignierstift" verzaubern den Kritiker ganz durch ihre Schönheit und führen ihn auf direktem Wege ins Fleischerei-Gewerbe, in dem auch die beiden Protagonisten Rosi Schmieg und Danny Loket tätig sind. Der Rezensent verirrt sich hier nicht nur auf Fleischereimessen und erlebt Abstrusitäten wie die Wahl zur "Miss Fleisch", sondern beobachtet auch vergnügt und gespannt, wie sich die beiden Hauptfiguren aufeinander zu bewegen, bis sie sich schließlich begegnen - nicht ahnend, dass Dannys Großvater Rosis Großvater im Zweiten Weltkrieg getötet hat. Dieser wunderbar "groteske" und satirische Roman oszilliert nicht nur zwischen Ernst und "Überzeichnung", sondern verquickt auch Themen wie Massentierschlachtung mit dem Dritten Reich. Neben diesem scharfsinnigen Text erscheinen dem Kritiker die Illustrationen von Mari Otberg allerdings ein wenig zu "harmlos".
© Perlentaucher Medien GmbH
© Perlentaucher Medien GmbH
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 06.01.2014Literaturbetrieb als Fleischermesse
Michael Stavaric liest im Frankfurter Hauptbahnhof
Die Großmutter greift mit beiden Händen in den Bottich und zieht einen dicken Karpfen heraus. Mit einem Messer schneidet sie ihn der Länge nach auf. Michael, vielleicht fünf Jahre alt, sieht, wie das Blut in den Schnee tropft, wie der tote Karpfen in der kalten Winternacht dampft.
Später stirbt die Großmutter. Mit seiner Familie zieht Michael Stavaric aus der Tschechoslowakei in die niederösterreichische Provinz. Nach der Schule geht er nach Wien, studiert die tschechische Sprache und Literatur. Er wird Sekretär des tschechischen Botschafters und Lehrbeauftragter an der Sportuniversität Wien - für Inlineskating. Stavaric schreibt Kinderbücher, Essays, Gedichte. Und längere Bücher, die er bewusst nicht Romane nennt, weil sie, wie er sagt, mit der epischen Breite klassischer Romane nichts zu tun hätten. Vielleicht nenne man sie besser "literarische Wühlkisten".
Das erzählt Michael Stavaric an diesem kalten Januarmorgen, dem ersten Sonntag des Jahres. Er sitzt im Restaurant "Cosmopolitan" auf der Empore des Frankfurter Hauptbahnhofs. Der Träger des Adelbert-von-Chamisso-Preises, dessen Biographie klingt, als habe er sie sich von einer seiner skurrilen Figuren geliehen, liest in der Reihe "LiteraturLounge" aus seinem neuen Werk: "Königreich der Schatten" erzählt von Familiengeheimnissen, dem Grauen des Zweiten Weltkriegs und dem Töten. Die zwei Protagonisten stammen aus Metzgerfamilien, und beide wollen ebenfalls Fleischer werden.
Das gemeinsame Fangen und Schlachten des Weihnachtskarpfens mit seiner Großmutter vor 36 Jahren - das sei das Ausgangsmoment für sein Buch gewesen, sagt Stavaric. Diese Sehnsucht, die man auch Nostalgie nennen kann, taucht an vielen Stellen im Buch auf. Ob er beim Schreiben nicht immer auf der Suche nach dem Archaischen sei, fragt Martin Maria Schwarz von hr2-kultur, der die Matinee moderiert. "In der Tat, ich schreibe lieber über Hutmacher als über Physiker. Mich interessieren Figuren, die aus der Zeit gefallen sind", sagt Stavaric. Rosi, eine der Protagonisten dieser "Hommage an alte Zeiten" (Stavaric), erhält eine Ausbildung im ehrwürdigen Zunfthandwerk des Fleischhauers, das noch nicht in Metzger und industriellen Schlachter ausdifferenziert ist.
Den Beruf lieben lernt Rosi auf der Internationalen Fleischereifachmesse in Leipzig, einem Ort, an dem mongolische Säbelkünstler auf Anbieter von blutabweisenden Schlachtermatten treffen. Stavaric gibt unumwunden zu: Dieses schrille Panorama ist eine Parodie auf die Buchmessen in Frankfurt und Leipzig. Auf dem "blutroten Sofa" streiten ein argentinischer Rinderbaron und ein Wissenschaftler, ob man Fleisch in Gewächshäusern anpflanzen sollte, an einem Stand werden auf Tierhäute gedruckte Schundromane feilgeboten - für Stavaric eine Metapher für das "Besucherwuseln" auf der Buchmesse, die Sensationsgier der Aussteller und für manch schlechten Moderator, der Autoren nur vorführen wolle.
Seine Beschreibungen werden oft zur Groteske. "Spannend ist: Was nimmt mir der Leser ab?" Irritationen und Brüche interessierten ihn mehr als ein roter Faden. Auch als er im Buch vom Zweiten Weltkrieg erzählt, überlässt er die Deutungshoheit dem Leser. Etwa bei der Frage, wie nahe das Töten von Tieren und jenes von Menschen beieinanderliegen.
Die enge Verbindung von Literaturbetrieb und Metzgerhandwerk scheint Stavaric indes in Fleisch und Blut übergegangen zu sein: Als er von einer traditionsreichen Fleischerei in seiner Heimatstadt Wien schwärmt, verspricht er sich und nennt sie stattdessen: Buchhandlung.
ljag.
Bei der nächsten LiteraturLounge am Sonntag, 2. Februar, liest Otto de Kat von 11 Uhr an im Restaurant "Cosmopolitan" auf der Empore des Frankfurter Hauptbahnhofs. Sein Werk "Eine Tochter in Berlin" erzählt eine Diplomatengeschichte zur Zeit des Zweiten Weltkriegs. Der Eintritt ist frei.
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Michael Stavaric liest im Frankfurter Hauptbahnhof
Die Großmutter greift mit beiden Händen in den Bottich und zieht einen dicken Karpfen heraus. Mit einem Messer schneidet sie ihn der Länge nach auf. Michael, vielleicht fünf Jahre alt, sieht, wie das Blut in den Schnee tropft, wie der tote Karpfen in der kalten Winternacht dampft.
Später stirbt die Großmutter. Mit seiner Familie zieht Michael Stavaric aus der Tschechoslowakei in die niederösterreichische Provinz. Nach der Schule geht er nach Wien, studiert die tschechische Sprache und Literatur. Er wird Sekretär des tschechischen Botschafters und Lehrbeauftragter an der Sportuniversität Wien - für Inlineskating. Stavaric schreibt Kinderbücher, Essays, Gedichte. Und längere Bücher, die er bewusst nicht Romane nennt, weil sie, wie er sagt, mit der epischen Breite klassischer Romane nichts zu tun hätten. Vielleicht nenne man sie besser "literarische Wühlkisten".
Das erzählt Michael Stavaric an diesem kalten Januarmorgen, dem ersten Sonntag des Jahres. Er sitzt im Restaurant "Cosmopolitan" auf der Empore des Frankfurter Hauptbahnhofs. Der Träger des Adelbert-von-Chamisso-Preises, dessen Biographie klingt, als habe er sie sich von einer seiner skurrilen Figuren geliehen, liest in der Reihe "LiteraturLounge" aus seinem neuen Werk: "Königreich der Schatten" erzählt von Familiengeheimnissen, dem Grauen des Zweiten Weltkriegs und dem Töten. Die zwei Protagonisten stammen aus Metzgerfamilien, und beide wollen ebenfalls Fleischer werden.
Das gemeinsame Fangen und Schlachten des Weihnachtskarpfens mit seiner Großmutter vor 36 Jahren - das sei das Ausgangsmoment für sein Buch gewesen, sagt Stavaric. Diese Sehnsucht, die man auch Nostalgie nennen kann, taucht an vielen Stellen im Buch auf. Ob er beim Schreiben nicht immer auf der Suche nach dem Archaischen sei, fragt Martin Maria Schwarz von hr2-kultur, der die Matinee moderiert. "In der Tat, ich schreibe lieber über Hutmacher als über Physiker. Mich interessieren Figuren, die aus der Zeit gefallen sind", sagt Stavaric. Rosi, eine der Protagonisten dieser "Hommage an alte Zeiten" (Stavaric), erhält eine Ausbildung im ehrwürdigen Zunfthandwerk des Fleischhauers, das noch nicht in Metzger und industriellen Schlachter ausdifferenziert ist.
Den Beruf lieben lernt Rosi auf der Internationalen Fleischereifachmesse in Leipzig, einem Ort, an dem mongolische Säbelkünstler auf Anbieter von blutabweisenden Schlachtermatten treffen. Stavaric gibt unumwunden zu: Dieses schrille Panorama ist eine Parodie auf die Buchmessen in Frankfurt und Leipzig. Auf dem "blutroten Sofa" streiten ein argentinischer Rinderbaron und ein Wissenschaftler, ob man Fleisch in Gewächshäusern anpflanzen sollte, an einem Stand werden auf Tierhäute gedruckte Schundromane feilgeboten - für Stavaric eine Metapher für das "Besucherwuseln" auf der Buchmesse, die Sensationsgier der Aussteller und für manch schlechten Moderator, der Autoren nur vorführen wolle.
Seine Beschreibungen werden oft zur Groteske. "Spannend ist: Was nimmt mir der Leser ab?" Irritationen und Brüche interessierten ihn mehr als ein roter Faden. Auch als er im Buch vom Zweiten Weltkrieg erzählt, überlässt er die Deutungshoheit dem Leser. Etwa bei der Frage, wie nahe das Töten von Tieren und jenes von Menschen beieinanderliegen.
Die enge Verbindung von Literaturbetrieb und Metzgerhandwerk scheint Stavaric indes in Fleisch und Blut übergegangen zu sein: Als er von einer traditionsreichen Fleischerei in seiner Heimatstadt Wien schwärmt, verspricht er sich und nennt sie stattdessen: Buchhandlung.
ljag.
Bei der nächsten LiteraturLounge am Sonntag, 2. Februar, liest Otto de Kat von 11 Uhr an im Restaurant "Cosmopolitan" auf der Empore des Frankfurter Hauptbahnhofs. Sein Werk "Eine Tochter in Berlin" erzählt eine Diplomatengeschichte zur Zeit des Zweiten Weltkriegs. Der Eintritt ist frei.
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
"Seine Grotesken führen uns den Wahnwitz der Welt gesteigert vor Augen."
Tomas Gärtner, Dresdener Neueste Nachrichten, 23. März 2017
Tomas Gärtner, Dresdener Neueste Nachrichten, 23. März 2017