Unter den Bedingungen aktueller methodischer und quellenkritischer Diskussion lassen sich auch die historiographischen Zeugnisse der ottonisch-frühsalischen Epoche nicht im unmittelbaren Zugriff auf herrschaftstheologischen Gehalt und "Herrscheridee" auswerten. Zu fragen ist vielmehr, welcher Stellenwert den einzelnen Zeugnissen im sozialen, politischen und kulturellen Horizont der Zeit zukommt, unter welchen Bedingungen sie entstanden und von wem sie rezipiert worden sind. Die Frage nach dem jeweiligen Kontext von Herrscherbildern und Historiographie soll also erhellen, in welchen sozialen, religiösen und politischen Zusammenhängen sakrale Vorstellungen vom Herrscher wirksam geworden sind, welche Interessen sie zur Geltung gebracht haben und in welchen Situationen sowie vor welchen Foren sie zur Sprache und zum Ausdruck gebracht worden sind.
Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 31.01.2002So groß bin ich!
Ludger Körntgen deutet mittelalterliche Herrscherbilder
„Königsherrschaft und Gottesgnade”, eine Tübinger Habilitationsschrift, ist als Zusammenfassung und zum Teil auch als eine Neuinterpretation mittelalterlicher Bildzeugnisse religiösen Herrscherkults zu verstehen und somit Teil einer Forschungsrichtung, die mit Percy Ernst Schramms Werk über die „Herrschaftszeichen und Staatssymbolik” (1954- 1956) furios einsetzte, durch Hans Beltings Buch „Bild und Kult. Eine Geschichte des Bildes vor dem Zeitalter der Kunst” (1991) eine wünschenswerte methodologische Grundlegung erfuhr und seither eine Flut von Interpretationen unterschiedlicher Qualität auslöste.
Das vorliegende Werk gliedert sich in zwei Teile. Das Buch beginnt mit einem methodologischen Abschnitt, der mit großer Sorgfalt die bisherigen Ergebnisse dieser Forschungsrichtung kritisch resümiert und sich auf die Funktion sakraler Vorstellungen und Deutungsmuster in der ottonisch- frühsalischen Historiographie konzentriert. Dass hier verschiedentlich längst Bekanntes auftaucht, war kaum zu vermeiden, musste doch der Verfasser im Katarakt der bisherigen, leider oft nur wiederholenden Literatur sein eigenes methodisches Vorgehen markieren.
In einem zweiten zentralen Abschnitt über „Gottesnähe und Memoria. Zu Kontext und Bedeutung der ottonisch-frühsalischen Herrscherbilder” geht der Autor zur überbordenden so genannten Memoria-Forschung der Epoche über. Lesenswert sind auch die Abschnitte über den technischen Kontext: „Bilder und Stiftung”, weil hier von realen historischen Zusammenhängen die Rede ist, wenn auch eher im referierenden Stil eines Forschungsberichts.
Gerangel um die rechte Deutung
Nicht unproblematisch sind hingegen die zentralen Abschnitte über konkrete Objekte, was am Beispiel der zwei Herrschaftsdarstellungen Kaiser Heinrichs II. im Regensburger Sakramentar hier erläutert werden soll. In Auseinandersetzung mit den gewichtigen bisherigen Autoren verfällt der Autor im Streit um Deutungsnuancen in ausladendes, streckenweise mühsam zu lesendes Polemisieren; wobei seine eigenen Erklärungen, denen es nicht an hypothetischen Schlussfolgerungen mangelt, ihrerseits Kritik herausfordern. Das gilt etwa für seinen Versuch der Neuinterpretation der beiden Heiligenfiguren Emmeram und Ulrich und mehr noch für die unterschiedlich zu deutende Rückbeziehung der beiden Herrscherdarstellungen auf eine karolingische Tradition.
Instruktiv und weiterführend ist hingegen der Abschnitt über die salische Herrscherfamilie im Speyrer Evangeliar. Hier wendet sich der Autor mit Recht gegen hypertrophe, den Boden der Realität verlassende Interpretationen und steuert einen interessanten Exkurs über das mittelalterliche Münzbild Konstantins des Großen bei. Wichtig ist in diesem Zusammenhang der Hinweis auf konkrete Trierer Traditionen spätantiken Ursprungs.
Insgesamt läuft allerdings die Argumentationsweise des Verfassers, so sehr dieselbe auch vom hochideologischen Thema bestimmt wird, für den geistesgeschichtlich interessierten Leser auf eine oft schwer zu durchschauende Terminologie hinaus, die man – um einen gängigen philosophischen Begriff zu verwenden – „selbstreferentiell” nennen kann.
Ohne dass die Väter der in den sechziger und siebziger Jahren florierenden zeichentheoretischen Schule – etwa Charles S. Peirce, Ferdinand Saussure oder Umberto Eco – in den Anmerkungen oder im Literaturverzeichnis auftauchen, wird doch vom Autor deren Terminologie und Begriffssystem benützt. Dabei schleicht sich mit der Sprache dieser Autoren auch ihr mit Recht beklagter Usus ein, relativ einfache Sachverhalte in einem pompösen Schutt terminologischer Neologismen zu begraben. Zur nachvollziehbaren Beurteilung der jeweiligen Argumente trägt dies leider nicht bei.
Da gibt es gestelzte, stilistisch verworrene Sätze, wie etwa den folgenden: „Den Anspruch, das erste der beiden Herrscherbilder als , Zeichensystem‘ zu verstehen, kann Held schon deshalb nicht einlösen, weil sie ältere Stereotype zum Thema ,Gottesgnadentum und Sakralherrschaft‘ ihrer Deutung vorausschickt und die einzelnen ikonographischen ,Zeichen‘ nicht aus ihrer Stellung im Verweiszusammenhang heraus deutet, sondern als direkte Chiffren für die vorausgesetzten sakralen Herrschaftsvorstellungen versteht.”
Leider mangelt es nicht an Satzungetümen dieser Art, wobei der Leser auf dieses Begriffsballspiel oft fragwürdiger Konjekturen, mit denen sich der Autor notgedrungen herumschlagen musste, mit wachsender Ermüdung reagiert. Dies schon deshalb, weil es nicht selten ein Gerangel um oft geringe Deutungs chancen ist, deren „virtueller” Charakter mit der Zeit immer stärker ins Auge fällt.
Man muss auch bezweifeln, ob der Autor, wie er meint, mit seiner formgeschichtlichen Untersuchung wirklich das widerlegt, was er herablassend die „dogmatischen Vorstellungen von der Epochengrenze des Investiturstreits” nennt. Hier darf man ja wohl nicht großzügig die konkreten Fakten realer Bistumspolitik außer Acht lassen, die dann doch schwerer wiegen, als die oft zufälligen Bildvarianten.
Aber leider ist es in gewissen Schulen en vogue, sich über reales Handeln der Protagonisten einer Epoche hinwegzusetzen und dafür wenig überzeugend geistesgeschichtliche Vermutungen zu offerieren, die kaum nachprüfbar sind. Man ist versucht, aus Goethes „Faust” zu zitieren: „Mein Freund, die Zeiten der Vergangenheit / Sind uns ein Buch mit sieben Siegeln; / Was ihr den Geist der Zeiten heißt, / Das ist im Grund der Herren eigener Geist, / In dem die Zeiten sich bespiegeln.”
So weit wird man als Historiker nicht gehen wollen, und insofern wird man das vorliegende Werk als nützliche, kritische Wegweisung in ein an und für sich schon problematisches Forschungsfeld voll ideologie-geschichtlicher Fußangeln gelten lassen dürfen. Jedenfalls hat der Verfasser dabei doch in dankenswerter Weise mit mancher pseudohistorischen poetischen Schreibtischblüte aufgeräumt, und dies allein ist schon ein Verdienst. FRIEDRICH PRINZ
LUDGER KÖRNTGEN: Königsherrschaft und Gottes Gnade. Zu Kontext und Funktion sakraler Vorstellungen in Historiographie und Bildzeugnissen der ottonisch-salischen Zeit. (Orbis mediaevalis, Vorstellungswelten des Mittelalters Bd. 2). Akademie Verlag, Berlin 2001. 540 Seiten, 44 Abb., 64,80 Euro.
Heinrich II. wird von Christus gekrönt, Engel reichen Schwert und Lanze. Die Heiligen Ulrich und Emmeran stützen dem Herrscher die Arme. Buchmalerei aus dem Regensburger Sakramentar des Königs, um 1002-1014. Foto: AKG
SZdigital: Alle Rechte vorbehalten - Süddeutsche Zeitung GmbH, München
Jegliche Veröffentlichung exklusiv über www.diz-muenchen.de
Ludger Körntgen deutet mittelalterliche Herrscherbilder
„Königsherrschaft und Gottesgnade”, eine Tübinger Habilitationsschrift, ist als Zusammenfassung und zum Teil auch als eine Neuinterpretation mittelalterlicher Bildzeugnisse religiösen Herrscherkults zu verstehen und somit Teil einer Forschungsrichtung, die mit Percy Ernst Schramms Werk über die „Herrschaftszeichen und Staatssymbolik” (1954- 1956) furios einsetzte, durch Hans Beltings Buch „Bild und Kult. Eine Geschichte des Bildes vor dem Zeitalter der Kunst” (1991) eine wünschenswerte methodologische Grundlegung erfuhr und seither eine Flut von Interpretationen unterschiedlicher Qualität auslöste.
Das vorliegende Werk gliedert sich in zwei Teile. Das Buch beginnt mit einem methodologischen Abschnitt, der mit großer Sorgfalt die bisherigen Ergebnisse dieser Forschungsrichtung kritisch resümiert und sich auf die Funktion sakraler Vorstellungen und Deutungsmuster in der ottonisch- frühsalischen Historiographie konzentriert. Dass hier verschiedentlich längst Bekanntes auftaucht, war kaum zu vermeiden, musste doch der Verfasser im Katarakt der bisherigen, leider oft nur wiederholenden Literatur sein eigenes methodisches Vorgehen markieren.
In einem zweiten zentralen Abschnitt über „Gottesnähe und Memoria. Zu Kontext und Bedeutung der ottonisch-frühsalischen Herrscherbilder” geht der Autor zur überbordenden so genannten Memoria-Forschung der Epoche über. Lesenswert sind auch die Abschnitte über den technischen Kontext: „Bilder und Stiftung”, weil hier von realen historischen Zusammenhängen die Rede ist, wenn auch eher im referierenden Stil eines Forschungsberichts.
Gerangel um die rechte Deutung
Nicht unproblematisch sind hingegen die zentralen Abschnitte über konkrete Objekte, was am Beispiel der zwei Herrschaftsdarstellungen Kaiser Heinrichs II. im Regensburger Sakramentar hier erläutert werden soll. In Auseinandersetzung mit den gewichtigen bisherigen Autoren verfällt der Autor im Streit um Deutungsnuancen in ausladendes, streckenweise mühsam zu lesendes Polemisieren; wobei seine eigenen Erklärungen, denen es nicht an hypothetischen Schlussfolgerungen mangelt, ihrerseits Kritik herausfordern. Das gilt etwa für seinen Versuch der Neuinterpretation der beiden Heiligenfiguren Emmeram und Ulrich und mehr noch für die unterschiedlich zu deutende Rückbeziehung der beiden Herrscherdarstellungen auf eine karolingische Tradition.
Instruktiv und weiterführend ist hingegen der Abschnitt über die salische Herrscherfamilie im Speyrer Evangeliar. Hier wendet sich der Autor mit Recht gegen hypertrophe, den Boden der Realität verlassende Interpretationen und steuert einen interessanten Exkurs über das mittelalterliche Münzbild Konstantins des Großen bei. Wichtig ist in diesem Zusammenhang der Hinweis auf konkrete Trierer Traditionen spätantiken Ursprungs.
Insgesamt läuft allerdings die Argumentationsweise des Verfassers, so sehr dieselbe auch vom hochideologischen Thema bestimmt wird, für den geistesgeschichtlich interessierten Leser auf eine oft schwer zu durchschauende Terminologie hinaus, die man – um einen gängigen philosophischen Begriff zu verwenden – „selbstreferentiell” nennen kann.
Ohne dass die Väter der in den sechziger und siebziger Jahren florierenden zeichentheoretischen Schule – etwa Charles S. Peirce, Ferdinand Saussure oder Umberto Eco – in den Anmerkungen oder im Literaturverzeichnis auftauchen, wird doch vom Autor deren Terminologie und Begriffssystem benützt. Dabei schleicht sich mit der Sprache dieser Autoren auch ihr mit Recht beklagter Usus ein, relativ einfache Sachverhalte in einem pompösen Schutt terminologischer Neologismen zu begraben. Zur nachvollziehbaren Beurteilung der jeweiligen Argumente trägt dies leider nicht bei.
Da gibt es gestelzte, stilistisch verworrene Sätze, wie etwa den folgenden: „Den Anspruch, das erste der beiden Herrscherbilder als , Zeichensystem‘ zu verstehen, kann Held schon deshalb nicht einlösen, weil sie ältere Stereotype zum Thema ,Gottesgnadentum und Sakralherrschaft‘ ihrer Deutung vorausschickt und die einzelnen ikonographischen ,Zeichen‘ nicht aus ihrer Stellung im Verweiszusammenhang heraus deutet, sondern als direkte Chiffren für die vorausgesetzten sakralen Herrschaftsvorstellungen versteht.”
Leider mangelt es nicht an Satzungetümen dieser Art, wobei der Leser auf dieses Begriffsballspiel oft fragwürdiger Konjekturen, mit denen sich der Autor notgedrungen herumschlagen musste, mit wachsender Ermüdung reagiert. Dies schon deshalb, weil es nicht selten ein Gerangel um oft geringe Deutungs chancen ist, deren „virtueller” Charakter mit der Zeit immer stärker ins Auge fällt.
Man muss auch bezweifeln, ob der Autor, wie er meint, mit seiner formgeschichtlichen Untersuchung wirklich das widerlegt, was er herablassend die „dogmatischen Vorstellungen von der Epochengrenze des Investiturstreits” nennt. Hier darf man ja wohl nicht großzügig die konkreten Fakten realer Bistumspolitik außer Acht lassen, die dann doch schwerer wiegen, als die oft zufälligen Bildvarianten.
Aber leider ist es in gewissen Schulen en vogue, sich über reales Handeln der Protagonisten einer Epoche hinwegzusetzen und dafür wenig überzeugend geistesgeschichtliche Vermutungen zu offerieren, die kaum nachprüfbar sind. Man ist versucht, aus Goethes „Faust” zu zitieren: „Mein Freund, die Zeiten der Vergangenheit / Sind uns ein Buch mit sieben Siegeln; / Was ihr den Geist der Zeiten heißt, / Das ist im Grund der Herren eigener Geist, / In dem die Zeiten sich bespiegeln.”
So weit wird man als Historiker nicht gehen wollen, und insofern wird man das vorliegende Werk als nützliche, kritische Wegweisung in ein an und für sich schon problematisches Forschungsfeld voll ideologie-geschichtlicher Fußangeln gelten lassen dürfen. Jedenfalls hat der Verfasser dabei doch in dankenswerter Weise mit mancher pseudohistorischen poetischen Schreibtischblüte aufgeräumt, und dies allein ist schon ein Verdienst. FRIEDRICH PRINZ
LUDGER KÖRNTGEN: Königsherrschaft und Gottes Gnade. Zu Kontext und Funktion sakraler Vorstellungen in Historiographie und Bildzeugnissen der ottonisch-salischen Zeit. (Orbis mediaevalis, Vorstellungswelten des Mittelalters Bd. 2). Akademie Verlag, Berlin 2001. 540 Seiten, 44 Abb., 64,80 Euro.
Heinrich II. wird von Christus gekrönt, Engel reichen Schwert und Lanze. Die Heiligen Ulrich und Emmeran stützen dem Herrscher die Arme. Buchmalerei aus dem Regensburger Sakramentar des Königs, um 1002-1014. Foto: AKG
SZdigital: Alle Rechte vorbehalten - Süddeutsche Zeitung GmbH, München
Jegliche Veröffentlichung exklusiv über www.diz-muenchen.de
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 07.01.2002Die zwei Könige des Kaisers
Was aber bleibet, stiften die Mönche: Revolutioniert Ludger Körntgen unser Verständnis des mittelalterlichen Gottesgnadentums und seiner bildlichen Darstellungen?
"Schon immer", so deutete unlängst in dieser Zeitung ein Kritiker vorweihnachtliches Geschehen, "schon immer haben sich die Mächtigen religiöser Symbole bedient, um ihrer Herrschaft den Anschein von Legitimation zu geben." Was als universalhistorisches Gesetz formuliert wurde, ist aber soeben ausgerechnet für eine Zeit in Frage gestellt worden, die man als beispielhaft betrachten möchte, was eine religiöse Durchdringung von Leben und Politik angeht: für das Mittelalter nämlich, genauer das Königtum der ottonischen und frühsalischen Zeit. In dieser Epoche sollte, nach herkömmlicher Auffassung, die Gottesbegnadung als Quelle eines Herrschertums geglaubt worden sein, das durch kirchliche Weihe und Krönung vor Laienschaft und Klerus ausgezeichnet war; erst im Investiturstreit an der Wende zum zwölften Jahrhundert sei das "Sakralkönigtum" durch Reformpäpste und romtreue Intellektuelle diskreditiert worden, ohne doch zu verschwinden.
Diese Lehre vom königlichen Gottesgnadentum hat jetzt Ludger Körntgen in seiner Tübinger Habilitationsschrift zwar nicht als solche bestritten, wohl aber deren propagandistische Instrumentalisierung durch Wort und Bild. Körntgen führt seinen Beweisgang an Werken der Geschichtsschreibung und an Herrscherbildern in liturgischen Handschriften durch. Dabei ist wenig aufregend, was er über die Chronisten der Zeit zu sagen hat. Denn schon andere hatten herausgearbeitet, daß von einer homogenen programmatischen Begründung des ottonisch-salischen Königtums, von einer Hofhistoriographie oder liudolfingischen Hausüberlieferung zur Legitimation der Königswürde, nicht die Rede sein kann. Wenn demgegenüber allen mittelalterlichen Verfassern ein je besonderer, lebensweltlich geprägter Anlaß zum Schreiben attestiert wird, wirkt das für heutige Leser um so glaubhafter, als die Dekonstruktion der großen ottonischen Geschichtserzählung eben auch der postmodernen Zeitstimmung gerecht wird. Gleichwohl führt kein Weg mehr hinter die Einsicht zurück, daß an die Stelle einer Historiographie, "die man vorrangig der Perspektive des Kaisers und der Rühmung seiner Taten verpflichtet glaubte", die Einschätzung "von einem eher vielstimmigen Konzert von Autoren getreten ist, mit denen sich durchaus unterschiedliche Institutionen und Interessengruppen Gehör verschafften" (Gerd Althoff).
Anders verhält es sich bei der neuen Studie mit den Herrscherbildern in Codices. Sie stellen lebende Könige des "regnum Teutonicum" als Stifter oder Empfänger der jeweiligen Handschrift dar, sei es als Miniatur im Innern, sei es durch Elfenbeinschnitzerei oder Treibarbeit in Gold- und Silberblech auf dem Einband. Durch ihre Texte für den Gottesdienst eingerichtet, sind diese Bücher eine besondere Eigenheit des ottonisch-salischen Königtums. Abgesehen von wenigen Ausnahmen bei den Angelsachsen, sind sie im lateinischen Europa nur im (werdenden) deutschen Reich bezeugt; beim Ende Heinrichs III., also an der Schwelle zur Kirchenreform, bricht ihre Serie auch hier ab. Sobald sich Historiker mit diesen Bildern befaßten, waren sie geneigt, Datum und politischen Anlaß zu ermitteln und ihre Interpretation danach auszurichten.
Insbesondere die Anfechtung oder Krise einer Königsherrschaft galt als plausibler Grund für die Darstellung des Herrschers auf dem Thron, mit Krone, Szepter, Globus und heiliger Lanze, umgeben von geistlichen und weltlichen Großen, ausgezeichnet aber vor allem durch die Verbildlichung des Gottesgnadentums. Wenn nicht Heilige den gesalbten König flankierten oder leiteten, war es Gott selbst, der ihn krönte oder segnete. Nicht bloß die Bildmotive, auch das kostbare Farbmaterial und die bisweilen atemberaubende Erfindungskraft der anonymen Künstler dienten also dazu, die Legitimität königlicher Herrschaft durch Verweis auf göttliche Berufung zu belegen.
Hier setzt Körntgen mit einer neuartigen Kritik und einem fundamentalen Widerspruch an. Anhand von vier hervorragenden Zeugnissen der Buchmalerei sucht er zu zeigen, daß die Auffassung des königlichen Gottesgnadentums stets unbestritten und dieses Fall für Fall nicht eigens zu beweisen war. Statt dessen müsse die Darstellung des Herrschers aus dem liturgischen Zusammenhang der Handschriften gedeutet werden. Immer handle es sich um Stifterbilder mit dem Zweck, das Gebetsgedenken an den Herrscher oder das Herrscherpaar auf Dauer zu erwirken. Der Verfasser greift mit dieser Interpretation den von Otto Gerhard Oexle schon vor Jahrzehnten geprägten Begriff des "Memorialbildes" auf, der von der kunsthistorischen Forschung zu Unrecht lange Zeit ignoriert oder ausdrücklich zurückgewiesen worden war.
Tatsächlich hatten Handschriften wie das Aachener Liuthar-Evangeliar (unser Bild), das gleichfalls von der Reichenau stammende Perikopenbuch Heinrichs II. in Bamberg, das Regensburger Sakramentar mit dem Doppelbildnis desselben Herrschers sowie das Heinrich III. mit Eltern und Gemahlin zeigende Evangelienbuch des Salierdoms zu Speyer ihren Platz auf dem Altar und in der Messe; immer dann, wenn sie der Priester nutzte, besonders wenn er im Kanon die Namen der Lebenden und Verstorbenen aufrief, konnte und sollte sein Blick zum Gedenken auf den Herrscher fallen. So einleuchtend, berechtigt und notwendig der neue Interpretationsansatz erscheint, tut sich der Autor doch schwer, ihn nachhaltig zu etablieren. Stringenz der Argumentation und Prägnanz der Sprache sind seine Sache nicht. Die Redundanz der Sprache soll manches ungelöste Problem überdecken und offenbart die Überanstrengung der These.
Das größte Hindernis für einen klaren Aufbau des Beweisganges lag freilich bei der Überlieferung selbst. Denn für kein einziges der ottonisch-frühsalischen Herrscherbilder ist ein konkreter Stiftungsanlaß bezeugt. Ob der gezeigte König Stifter oder Auftraggeber, Empfänger oder Vermittler der jeweiligen Handschrift war, läßt sich in der Regel nicht entscheiden. Wie aber soll man sich in die von Körntgen geforderte Perspektive der Stifter versetzen, wenn unklar bleibt, wer wem zu welchem Anlaß das Buch als Gabe dediziert hat, um dafür die Gegengabe der Memoria zu erhalten? Bleibt es deshalb nicht doch weiterhin richtig, den Bildern mitgeführte politische Aussagen abzulesen, die der eigentlichen Intention, Gedenken zu stiften, untergeordnet sein mögen?
Gewinn und Grenzen des neuen Versuchs kann das Aachener Evangeliar verdeutlichen. Auf einem Blatt ist der Stifter klar erkennbar, der Mönch Liuthar nämlich, der dem Kaiser das Buch darbietet. Nach der Inschrift wünscht Liuthar, Gott möge das Herz Kaiser Ottos mit diesem Buch "bekleiden"; für sein Werk fordert er aber auch: "Sei eingedenk, daß Du es von Liuthar erhalten hast." Es geht also zunächst um das Gedenken Liuthars durch den Kaiser, wobei offenbleibt, worin die Gegenleistung eigentlich bestehen sollte: in einer Berufung zum Abt etwa, einem Auftrag für ein neues Buch oder aber im Einschluß ins Gebetsgedenken einer geistlichen Kommunität, zusammen mit dem Kaiser. Auch bei Otto war die Intention der Gabe dem Wortlaut nach auf seine Lebenszeit gerichtet; er sollte sein Herz durch die frohe Botschaft berühren lassen. Diese Zielsetzung wurde durch die ungewöhnlich erhabene Darstellung der kaiserlichen Majestät gestützt. Allerdings konnte der Herrscher das Geschenk nicht behalten; als Evangelienbuch war es nur dem Priester in der Messe nützlich. Man darf gewiß unterstellen, daß Liuthar diese "Weiterstiftung" seiner Gabe durch den Herrscher geplant und damit die Erwartung verbunden hatte, mit dem Kaiser dauerhaft im Gedenken der Liturgie präsent zu bleiben. Vielleicht war als endgültiger Platz der Handschrift auch von vornherein die Aachener Marienkirche bekannt.
Indessen muß man doch festhalten, daß gerade dieses Stiftungsgeschehen nur erschlossen werden kann, während Liuthar die Gegenwartsbezüge seiner Gabe in Worte gefaßt hat. Umgekehrt ist es nicht einsichtig, wie der Bedeutungsüberschuß des Königsbildes spätere Liturgen nicht auch beeindruckt haben sollte; sicher geht die anspruchsvolle Miniatur im Stiftungszweck des dauernden Gedenkens nicht auf. Fragwürdig erscheint auch die "unpolitische" Interpretation, die Körntgen für die beiden fahnentragenden Gekrönten anbietet, die sich vor dem thronenden Kaiser und der Chiffre Gottes verneigen. Nach der umstrittenen These von Johannes Fried handelt es sich um die gerade erhobenen Könige von Ungarn und Polen, die Mithelfer Kaiser Ottos III. bei seiner neuen Politik für Europas Reiche. Körntgen deutet das Figurenarrangement hingegen unter Bezug auf das zweite Buch Samuel; danach habe David zwischen drei weiteren Königen gethront. Das Bild solle die Endzeit inszenieren und Otto III. ewiges Heil verheißen. Offenkundig führt die Interpretation mit ihren weittragenden Schlüssen aber in die Irre, weil nach der Erzählung der Bibel eben drei, nicht nur zwei Gekrönte den Throninhaber ehren.
Mit Körntgen läßt sich gegen die herkömmliche Interpretation der Herrscherbilder von Fall zu Fall einwenden, daß die Absicht einer politischen Legitimation im Kontext eines konkreten historischen Geschehens nicht nachgewiesen werden kann. Doch heißt das noch nicht, daß die auszeichnende Darstellung der Könige, besonders wo es um die Gottesnähe geht, nicht in allgemeiner Weise ihrer Legitimierung hätte dienen sollen. Herrschaft muß ja ständig demonstriert und akzeptiert werden; dabei muß es gar nicht um eine weitläufige "Öffentlichkeit" gehen, da der Herrscher selbst im engsten Kreise seines Hofes und seiner Familie auf Zustimmung angewiesen war. Mit Max Weber läßt sich die Repräsentation des Gottesgnadentums in Wort und Bild einem der drei Typen legitimer Herrschaft, dem der charismatischen Herrschaft, zuordnen. Auch wenn die Herrscherbilder der ottonisch-salischen Zeit das postmortale Gedenken fördern wollten, verwiesen sie zugleich auf das Gottesgnadentum der lebenden Könige, für die heutigen Historiker bezeugen sie also das Charisma in seiner "Veralltäglichung".
MICHAEL BORGOLTE.
Ludger Körntgen: "Königsherrschaft und Gottes Gnade". Zu Kontext und Funktion sakraler Vorstellungen in Historiographie und Bildzeugnissen der ottonisch-frühsalischen Zeit. Akademie Verlag, Berlin 2001. 540 S., 52 Abb., geb., 64,80 [Euro].
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Was aber bleibet, stiften die Mönche: Revolutioniert Ludger Körntgen unser Verständnis des mittelalterlichen Gottesgnadentums und seiner bildlichen Darstellungen?
"Schon immer", so deutete unlängst in dieser Zeitung ein Kritiker vorweihnachtliches Geschehen, "schon immer haben sich die Mächtigen religiöser Symbole bedient, um ihrer Herrschaft den Anschein von Legitimation zu geben." Was als universalhistorisches Gesetz formuliert wurde, ist aber soeben ausgerechnet für eine Zeit in Frage gestellt worden, die man als beispielhaft betrachten möchte, was eine religiöse Durchdringung von Leben und Politik angeht: für das Mittelalter nämlich, genauer das Königtum der ottonischen und frühsalischen Zeit. In dieser Epoche sollte, nach herkömmlicher Auffassung, die Gottesbegnadung als Quelle eines Herrschertums geglaubt worden sein, das durch kirchliche Weihe und Krönung vor Laienschaft und Klerus ausgezeichnet war; erst im Investiturstreit an der Wende zum zwölften Jahrhundert sei das "Sakralkönigtum" durch Reformpäpste und romtreue Intellektuelle diskreditiert worden, ohne doch zu verschwinden.
Diese Lehre vom königlichen Gottesgnadentum hat jetzt Ludger Körntgen in seiner Tübinger Habilitationsschrift zwar nicht als solche bestritten, wohl aber deren propagandistische Instrumentalisierung durch Wort und Bild. Körntgen führt seinen Beweisgang an Werken der Geschichtsschreibung und an Herrscherbildern in liturgischen Handschriften durch. Dabei ist wenig aufregend, was er über die Chronisten der Zeit zu sagen hat. Denn schon andere hatten herausgearbeitet, daß von einer homogenen programmatischen Begründung des ottonisch-salischen Königtums, von einer Hofhistoriographie oder liudolfingischen Hausüberlieferung zur Legitimation der Königswürde, nicht die Rede sein kann. Wenn demgegenüber allen mittelalterlichen Verfassern ein je besonderer, lebensweltlich geprägter Anlaß zum Schreiben attestiert wird, wirkt das für heutige Leser um so glaubhafter, als die Dekonstruktion der großen ottonischen Geschichtserzählung eben auch der postmodernen Zeitstimmung gerecht wird. Gleichwohl führt kein Weg mehr hinter die Einsicht zurück, daß an die Stelle einer Historiographie, "die man vorrangig der Perspektive des Kaisers und der Rühmung seiner Taten verpflichtet glaubte", die Einschätzung "von einem eher vielstimmigen Konzert von Autoren getreten ist, mit denen sich durchaus unterschiedliche Institutionen und Interessengruppen Gehör verschafften" (Gerd Althoff).
Anders verhält es sich bei der neuen Studie mit den Herrscherbildern in Codices. Sie stellen lebende Könige des "regnum Teutonicum" als Stifter oder Empfänger der jeweiligen Handschrift dar, sei es als Miniatur im Innern, sei es durch Elfenbeinschnitzerei oder Treibarbeit in Gold- und Silberblech auf dem Einband. Durch ihre Texte für den Gottesdienst eingerichtet, sind diese Bücher eine besondere Eigenheit des ottonisch-salischen Königtums. Abgesehen von wenigen Ausnahmen bei den Angelsachsen, sind sie im lateinischen Europa nur im (werdenden) deutschen Reich bezeugt; beim Ende Heinrichs III., also an der Schwelle zur Kirchenreform, bricht ihre Serie auch hier ab. Sobald sich Historiker mit diesen Bildern befaßten, waren sie geneigt, Datum und politischen Anlaß zu ermitteln und ihre Interpretation danach auszurichten.
Insbesondere die Anfechtung oder Krise einer Königsherrschaft galt als plausibler Grund für die Darstellung des Herrschers auf dem Thron, mit Krone, Szepter, Globus und heiliger Lanze, umgeben von geistlichen und weltlichen Großen, ausgezeichnet aber vor allem durch die Verbildlichung des Gottesgnadentums. Wenn nicht Heilige den gesalbten König flankierten oder leiteten, war es Gott selbst, der ihn krönte oder segnete. Nicht bloß die Bildmotive, auch das kostbare Farbmaterial und die bisweilen atemberaubende Erfindungskraft der anonymen Künstler dienten also dazu, die Legitimität königlicher Herrschaft durch Verweis auf göttliche Berufung zu belegen.
Hier setzt Körntgen mit einer neuartigen Kritik und einem fundamentalen Widerspruch an. Anhand von vier hervorragenden Zeugnissen der Buchmalerei sucht er zu zeigen, daß die Auffassung des königlichen Gottesgnadentums stets unbestritten und dieses Fall für Fall nicht eigens zu beweisen war. Statt dessen müsse die Darstellung des Herrschers aus dem liturgischen Zusammenhang der Handschriften gedeutet werden. Immer handle es sich um Stifterbilder mit dem Zweck, das Gebetsgedenken an den Herrscher oder das Herrscherpaar auf Dauer zu erwirken. Der Verfasser greift mit dieser Interpretation den von Otto Gerhard Oexle schon vor Jahrzehnten geprägten Begriff des "Memorialbildes" auf, der von der kunsthistorischen Forschung zu Unrecht lange Zeit ignoriert oder ausdrücklich zurückgewiesen worden war.
Tatsächlich hatten Handschriften wie das Aachener Liuthar-Evangeliar (unser Bild), das gleichfalls von der Reichenau stammende Perikopenbuch Heinrichs II. in Bamberg, das Regensburger Sakramentar mit dem Doppelbildnis desselben Herrschers sowie das Heinrich III. mit Eltern und Gemahlin zeigende Evangelienbuch des Salierdoms zu Speyer ihren Platz auf dem Altar und in der Messe; immer dann, wenn sie der Priester nutzte, besonders wenn er im Kanon die Namen der Lebenden und Verstorbenen aufrief, konnte und sollte sein Blick zum Gedenken auf den Herrscher fallen. So einleuchtend, berechtigt und notwendig der neue Interpretationsansatz erscheint, tut sich der Autor doch schwer, ihn nachhaltig zu etablieren. Stringenz der Argumentation und Prägnanz der Sprache sind seine Sache nicht. Die Redundanz der Sprache soll manches ungelöste Problem überdecken und offenbart die Überanstrengung der These.
Das größte Hindernis für einen klaren Aufbau des Beweisganges lag freilich bei der Überlieferung selbst. Denn für kein einziges der ottonisch-frühsalischen Herrscherbilder ist ein konkreter Stiftungsanlaß bezeugt. Ob der gezeigte König Stifter oder Auftraggeber, Empfänger oder Vermittler der jeweiligen Handschrift war, läßt sich in der Regel nicht entscheiden. Wie aber soll man sich in die von Körntgen geforderte Perspektive der Stifter versetzen, wenn unklar bleibt, wer wem zu welchem Anlaß das Buch als Gabe dediziert hat, um dafür die Gegengabe der Memoria zu erhalten? Bleibt es deshalb nicht doch weiterhin richtig, den Bildern mitgeführte politische Aussagen abzulesen, die der eigentlichen Intention, Gedenken zu stiften, untergeordnet sein mögen?
Gewinn und Grenzen des neuen Versuchs kann das Aachener Evangeliar verdeutlichen. Auf einem Blatt ist der Stifter klar erkennbar, der Mönch Liuthar nämlich, der dem Kaiser das Buch darbietet. Nach der Inschrift wünscht Liuthar, Gott möge das Herz Kaiser Ottos mit diesem Buch "bekleiden"; für sein Werk fordert er aber auch: "Sei eingedenk, daß Du es von Liuthar erhalten hast." Es geht also zunächst um das Gedenken Liuthars durch den Kaiser, wobei offenbleibt, worin die Gegenleistung eigentlich bestehen sollte: in einer Berufung zum Abt etwa, einem Auftrag für ein neues Buch oder aber im Einschluß ins Gebetsgedenken einer geistlichen Kommunität, zusammen mit dem Kaiser. Auch bei Otto war die Intention der Gabe dem Wortlaut nach auf seine Lebenszeit gerichtet; er sollte sein Herz durch die frohe Botschaft berühren lassen. Diese Zielsetzung wurde durch die ungewöhnlich erhabene Darstellung der kaiserlichen Majestät gestützt. Allerdings konnte der Herrscher das Geschenk nicht behalten; als Evangelienbuch war es nur dem Priester in der Messe nützlich. Man darf gewiß unterstellen, daß Liuthar diese "Weiterstiftung" seiner Gabe durch den Herrscher geplant und damit die Erwartung verbunden hatte, mit dem Kaiser dauerhaft im Gedenken der Liturgie präsent zu bleiben. Vielleicht war als endgültiger Platz der Handschrift auch von vornherein die Aachener Marienkirche bekannt.
Indessen muß man doch festhalten, daß gerade dieses Stiftungsgeschehen nur erschlossen werden kann, während Liuthar die Gegenwartsbezüge seiner Gabe in Worte gefaßt hat. Umgekehrt ist es nicht einsichtig, wie der Bedeutungsüberschuß des Königsbildes spätere Liturgen nicht auch beeindruckt haben sollte; sicher geht die anspruchsvolle Miniatur im Stiftungszweck des dauernden Gedenkens nicht auf. Fragwürdig erscheint auch die "unpolitische" Interpretation, die Körntgen für die beiden fahnentragenden Gekrönten anbietet, die sich vor dem thronenden Kaiser und der Chiffre Gottes verneigen. Nach der umstrittenen These von Johannes Fried handelt es sich um die gerade erhobenen Könige von Ungarn und Polen, die Mithelfer Kaiser Ottos III. bei seiner neuen Politik für Europas Reiche. Körntgen deutet das Figurenarrangement hingegen unter Bezug auf das zweite Buch Samuel; danach habe David zwischen drei weiteren Königen gethront. Das Bild solle die Endzeit inszenieren und Otto III. ewiges Heil verheißen. Offenkundig führt die Interpretation mit ihren weittragenden Schlüssen aber in die Irre, weil nach der Erzählung der Bibel eben drei, nicht nur zwei Gekrönte den Throninhaber ehren.
Mit Körntgen läßt sich gegen die herkömmliche Interpretation der Herrscherbilder von Fall zu Fall einwenden, daß die Absicht einer politischen Legitimation im Kontext eines konkreten historischen Geschehens nicht nachgewiesen werden kann. Doch heißt das noch nicht, daß die auszeichnende Darstellung der Könige, besonders wo es um die Gottesnähe geht, nicht in allgemeiner Weise ihrer Legitimierung hätte dienen sollen. Herrschaft muß ja ständig demonstriert und akzeptiert werden; dabei muß es gar nicht um eine weitläufige "Öffentlichkeit" gehen, da der Herrscher selbst im engsten Kreise seines Hofes und seiner Familie auf Zustimmung angewiesen war. Mit Max Weber läßt sich die Repräsentation des Gottesgnadentums in Wort und Bild einem der drei Typen legitimer Herrschaft, dem der charismatischen Herrschaft, zuordnen. Auch wenn die Herrscherbilder der ottonisch-salischen Zeit das postmortale Gedenken fördern wollten, verwiesen sie zugleich auf das Gottesgnadentum der lebenden Könige, für die heutigen Historiker bezeugen sie also das Charisma in seiner "Veralltäglichung".
MICHAEL BORGOLTE.
Ludger Körntgen: "Königsherrschaft und Gottes Gnade". Zu Kontext und Funktion sakraler Vorstellungen in Historiographie und Bildzeugnissen der ottonisch-frühsalischen Zeit. Akademie Verlag, Berlin 2001. 540 S., 52 Abb., geb., 64,80 [Euro].
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Perlentaucher-Notiz zur F.A.Z.-Rezension
Eine kleine Revolution in der Deutung des mittlealterlichen Gottesgnadentums möchte Ludger Körntgen mit seiner Habilitationsschrift auslösen. Er nähert sich dem Gegenstand dabei von zwei Seiten, einmal in der Lektüre von Werken der Geschichtsschreibung - die aber, so Michael Borgolte in seiner Rezension, eher konventionell bleibt - und in der Neuinterpretation von "Herrscherbildern in liturgischen Handschriften". Ohne weitere Umstände hat man diese bisher als legitimierenden Ausdruck und als "Verbildlichung des Gottesgnadentums" verstanden. Falsch, meint Körntgen und stellt die These auf, dass es nicht um die aus dem Stiftungskontext abstrahierte Darstellung göttlicher Legitimität von Herrschaft gehe, sondern dass stattdessen vor allem der genaue liturgische Kontext der Handschriften zu berücksichtigen ist. Borgolte steht dieser These nicht ohne Sympathie gegenüber, kritisiert jedoch erhebliche Mängel: er vermisst sowohl die "Stringenz der Argumentation" wie die "Prägnanz der Sprache", ein Manko, das zum grundsätzlicheren Problem der unsicheren Überlieferungslage noch hinzukommt. Er kann so das Argument nur in abgeschwächter Form akzeptieren und hält gegen Körntgen fest, dass den Handschriften auch bei Berücksichtigung des konkreten Kontexts die Funktion der Herrschaftslegitimierung "in allgemeiner Weise" zugesprochen werden darf.
© Perlentaucher Medien GmbH
© Perlentaucher Medien GmbH