Unter den Bedingungen aktueller methodischer und quellenkritischer Diskussion lassen sich auch die historiographischen Zeugnisse der ottonisch-frühsalischen Epoche nicht im unmittelbaren Zugriff auf herrschaftstheologischen Gehalt und "Herrscheridee" auswerten. Zu fragen ist vielmehr, welcher Stellenwert den einzelnen Zeugnissen im sozialen, politischen und kulturellen Horizont der Zeit zukommt, unter welchen Bedingungen sie entstanden und von wem sie rezipiert worden sind. Die Frage nach dem jeweiligen Kontext von Herrscherbildern und Historiographie soll also erhellen, in welchen sozialen, religiösen und politischen Zusammenhängen sakrale Vorstellungen vom Herrscher wirksam geworden sind, welche Interessen sie zur Geltung gebracht haben und in welchen Situationen sowie vor welchen Foren sie zur Sprache und zum Ausdruck gebracht worden sind.
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 07.01.2002Die zwei Könige des Kaisers
Was aber bleibet, stiften die Mönche: Revolutioniert Ludger Körntgen unser Verständnis des mittelalterlichen Gottesgnadentums und seiner bildlichen Darstellungen?
"Schon immer", so deutete unlängst in dieser Zeitung ein Kritiker vorweihnachtliches Geschehen, "schon immer haben sich die Mächtigen religiöser Symbole bedient, um ihrer Herrschaft den Anschein von Legitimation zu geben." Was als universalhistorisches Gesetz formuliert wurde, ist aber soeben ausgerechnet für eine Zeit in Frage gestellt worden, die man als beispielhaft betrachten möchte, was eine religiöse Durchdringung von Leben und Politik angeht: für das Mittelalter nämlich, genauer das Königtum der ottonischen und frühsalischen Zeit. In dieser Epoche sollte, nach herkömmlicher Auffassung, die Gottesbegnadung als Quelle eines Herrschertums geglaubt worden sein, das durch kirchliche Weihe und Krönung vor Laienschaft und Klerus ausgezeichnet war; erst im Investiturstreit an der Wende zum zwölften Jahrhundert sei das "Sakralkönigtum" durch Reformpäpste und romtreue Intellektuelle diskreditiert worden, ohne doch zu verschwinden.
Diese Lehre vom königlichen Gottesgnadentum hat jetzt Ludger Körntgen in seiner Tübinger Habilitationsschrift zwar nicht als solche bestritten, wohl aber deren propagandistische Instrumentalisierung durch Wort und Bild. Körntgen führt seinen Beweisgang an Werken der Geschichtsschreibung und an Herrscherbildern in liturgischen Handschriften durch. Dabei ist wenig aufregend, was er über die Chronisten der Zeit zu sagen hat. Denn schon andere hatten herausgearbeitet, daß von einer homogenen programmatischen Begründung des ottonisch-salischen Königtums, von einer Hofhistoriographie oder liudolfingischen Hausüberlieferung zur Legitimation der Königswürde, nicht die Rede sein kann. Wenn demgegenüber allen mittelalterlichen Verfassern ein je besonderer, lebensweltlich geprägter Anlaß zum Schreiben attestiert wird, wirkt das für heutige Leser um so glaubhafter, als die Dekonstruktion der großen ottonischen Geschichtserzählung eben auch der postmodernen Zeitstimmung gerecht wird. Gleichwohl führt kein Weg mehr hinter die Einsicht zurück, daß an die Stelle einer Historiographie, "die man vorrangig der Perspektive des Kaisers und der Rühmung seiner Taten verpflichtet glaubte", die Einschätzung "von einem eher vielstimmigen Konzert von Autoren getreten ist, mit denen sich durchaus unterschiedliche Institutionen und Interessengruppen Gehör verschafften" (Gerd Althoff).
Anders verhält es sich bei der neuen Studie mit den Herrscherbildern in Codices. Sie stellen lebende Könige des "regnum Teutonicum" als Stifter oder Empfänger der jeweiligen Handschrift dar, sei es als Miniatur im Innern, sei es durch Elfenbeinschnitzerei oder Treibarbeit in Gold- und Silberblech auf dem Einband. Durch ihre Texte für den Gottesdienst eingerichtet, sind diese Bücher eine besondere Eigenheit des ottonisch-salischen Königtums. Abgesehen von wenigen Ausnahmen bei den Angelsachsen, sind sie im lateinischen Europa nur im (werdenden) deutschen Reich bezeugt; beim Ende Heinrichs III., also an der Schwelle zur Kirchenreform, bricht ihre Serie auch hier ab. Sobald sich Historiker mit diesen Bildern befaßten, waren sie geneigt, Datum und politischen Anlaß zu ermitteln und ihre Interpretation danach auszurichten.
Insbesondere die Anfechtung oder Krise einer Königsherrschaft galt als plausibler Grund für die Darstellung des Herrschers auf dem Thron, mit Krone, Szepter, Globus und heiliger Lanze, umgeben von geistlichen und weltlichen Großen, ausgezeichnet aber vor allem durch die Verbildlichung des Gottesgnadentums. Wenn nicht Heilige den gesalbten König flankierten oder leiteten, war es Gott selbst, der ihn krönte oder segnete. Nicht bloß die Bildmotive, auch das kostbare Farbmaterial und die bisweilen atemberaubende Erfindungskraft der anonymen Künstler dienten also dazu, die Legitimität königlicher Herrschaft durch Verweis auf göttliche Berufung zu belegen.
Hier setzt Körntgen mit einer neuartigen Kritik und einem fundamentalen Widerspruch an. Anhand von vier hervorragenden Zeugnissen der Buchmalerei sucht er zu zeigen, daß die Auffassung des königlichen Gottesgnadentums stets unbestritten und dieses Fall für Fall nicht eigens zu beweisen war. Statt dessen müsse die Darstellung des Herrschers aus dem liturgischen Zusammenhang der Handschriften gedeutet werden. Immer handle es sich um Stifterbilder mit dem Zweck, das Gebetsgedenken an den Herrscher oder das Herrscherpaar auf Dauer zu erwirken. Der Verfasser greift mit dieser Interpretation den von Otto Gerhard Oexle schon vor Jahrzehnten geprägten Begriff des "Memorialbildes" auf, der von der kunsthistorischen Forschung zu Unrecht lange Zeit ignoriert oder ausdrücklich zurückgewiesen worden war.
Tatsächlich hatten Handschriften wie das Aachener Liuthar-Evangeliar (unser Bild), das gleichfalls von der Reichenau stammende Perikopenbuch Heinrichs II. in Bamberg, das Regensburger Sakramentar mit dem Doppelbildnis desselben Herrschers sowie das Heinrich III. mit Eltern und Gemahlin zeigende Evangelienbuch des Salierdoms zu Speyer ihren Platz auf dem Altar und in der Messe; immer dann, wenn sie der Priester nutzte, besonders wenn er im Kanon die Namen der Lebenden und Verstorbenen aufrief, konnte und sollte sein Blick zum Gedenken auf den Herrscher fallen. So einleuchtend, berechtigt und notwendig der neue Interpretationsansatz erscheint, tut sich der Autor doch schwer, ihn nachhaltig zu etablieren. Stringenz der Argumentation und Prägnanz der Sprache sind seine Sache nicht. Die Redundanz der Sprache soll manches ungelöste Problem überdecken und offenbart die Überanstrengung der These.
Das größte Hindernis für einen klaren Aufbau des Beweisganges lag freilich bei der Überlieferung selbst. Denn für kein einziges der ottonisch-frühsalischen Herrscherbilder ist ein konkreter Stiftungsanlaß bezeugt. Ob der gezeigte König Stifter oder Auftraggeber, Empfänger oder Vermittler der jeweiligen Handschrift war, läßt sich in der Regel nicht entscheiden. Wie aber soll man sich in die von Körntgen geforderte Perspektive der Stifter versetzen, wenn unklar bleibt, wer wem zu welchem Anlaß das Buch als Gabe dediziert hat, um dafür die Gegengabe der Memoria zu erhalten? Bleibt es deshalb nicht doch weiterhin richtig, den Bildern mitgeführte politische Aussagen abzulesen, die der eigentlichen Intention, Gedenken zu stiften, untergeordnet sein mögen?
Gewinn und Grenzen des neuen Versuchs kann das Aachener Evangeliar verdeutlichen. Auf einem Blatt ist der Stifter klar erkennbar, der Mönch Liuthar nämlich, der dem Kaiser das Buch darbietet. Nach der Inschrift wünscht Liuthar, Gott möge das Herz Kaiser Ottos mit diesem Buch "bekleiden"; für sein Werk fordert er aber auch: "Sei eingedenk, daß Du es von Liuthar erhalten hast." Es geht also zunächst um das Gedenken Liuthars durch den Kaiser, wobei offenbleibt, worin die Gegenleistung eigentlich bestehen sollte: in einer Berufung zum Abt etwa, einem Auftrag für ein neues Buch oder aber im Einschluß ins Gebetsgedenken einer geistlichen Kommunität, zusammen mit dem Kaiser. Auch bei Otto war die Intention der Gabe dem Wortlaut nach auf seine Lebenszeit gerichtet; er sollte sein Herz durch die frohe Botschaft berühren lassen. Diese Zielsetzung wurde durch die ungewöhnlich erhabene Darstellung der kaiserlichen Majestät gestützt. Allerdings konnte der Herrscher das Geschenk nicht behalten; als Evangelienbuch war es nur dem Priester in der Messe nützlich. Man darf gewiß unterstellen, daß Liuthar diese "Weiterstiftung" seiner Gabe durch den Herrscher geplant und damit die Erwartung verbunden hatte, mit dem Kaiser dauerhaft im Gedenken der Liturgie präsent zu bleiben. Vielleicht war als endgültiger Platz der Handschrift auch von vornherein die Aachener Marienkirche bekannt.
Indessen muß man doch festhalten, daß gerade dieses Stiftungsgeschehen nur erschlossen werden kann, während Liuthar die Gegenwartsbezüge seiner Gabe in Worte gefaßt hat. Umgekehrt ist es nicht einsichtig, wie der Bedeutungsüberschuß des Königsbildes spätere Liturgen nicht auch beeindruckt haben sollte; sicher geht die anspruchsvolle Miniatur im Stiftungszweck des dauernden Gedenkens nicht auf. Fragwürdig erscheint auch die "unpolitische" Interpretation, die Körntgen für die beiden fahnentragenden Gekrönten anbietet, die sich vor dem thronenden Kaiser und der Chiffre Gottes verneigen. Nach der umstrittenen These von Johannes Fried handelt es sich um die gerade erhobenen Könige von Ungarn und Polen, die Mithelfer Kaiser Ottos III. bei seiner neuen Politik für Europas Reiche. Körntgen deutet das Figurenarrangement hingegen unter Bezug auf das zweite Buch Samuel; danach habe David zwischen drei weiteren Königen gethront. Das Bild solle die Endzeit inszenieren und Otto III. ewiges Heil verheißen. Offenkundig führt die Interpretation mit ihren weittragenden Schlüssen aber in die Irre, weil nach der Erzählung der Bibel eben drei, nicht nur zwei Gekrönte den Throninhaber ehren.
Mit Körntgen läßt sich gegen die herkömmliche Interpretation der Herrscherbilder von Fall zu Fall einwenden, daß die Absicht einer politischen Legitimation im Kontext eines konkreten historischen Geschehens nicht nachgewiesen werden kann. Doch heißt das noch nicht, daß die auszeichnende Darstellung der Könige, besonders wo es um die Gottesnähe geht, nicht in allgemeiner Weise ihrer Legitimierung hätte dienen sollen. Herrschaft muß ja ständig demonstriert und akzeptiert werden; dabei muß es gar nicht um eine weitläufige "Öffentlichkeit" gehen, da der Herrscher selbst im engsten Kreise seines Hofes und seiner Familie auf Zustimmung angewiesen war. Mit Max Weber läßt sich die Repräsentation des Gottesgnadentums in Wort und Bild einem der drei Typen legitimer Herrschaft, dem der charismatischen Herrschaft, zuordnen. Auch wenn die Herrscherbilder der ottonisch-salischen Zeit das postmortale Gedenken fördern wollten, verwiesen sie zugleich auf das Gottesgnadentum der lebenden Könige, für die heutigen Historiker bezeugen sie also das Charisma in seiner "Veralltäglichung".
MICHAEL BORGOLTE.
Ludger Körntgen: "Königsherrschaft und Gottes Gnade". Zu Kontext und Funktion sakraler Vorstellungen in Historiographie und Bildzeugnissen der ottonisch-frühsalischen Zeit. Akademie Verlag, Berlin 2001. 540 S., 52 Abb., geb., 64,80 [Euro].
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Was aber bleibet, stiften die Mönche: Revolutioniert Ludger Körntgen unser Verständnis des mittelalterlichen Gottesgnadentums und seiner bildlichen Darstellungen?
"Schon immer", so deutete unlängst in dieser Zeitung ein Kritiker vorweihnachtliches Geschehen, "schon immer haben sich die Mächtigen religiöser Symbole bedient, um ihrer Herrschaft den Anschein von Legitimation zu geben." Was als universalhistorisches Gesetz formuliert wurde, ist aber soeben ausgerechnet für eine Zeit in Frage gestellt worden, die man als beispielhaft betrachten möchte, was eine religiöse Durchdringung von Leben und Politik angeht: für das Mittelalter nämlich, genauer das Königtum der ottonischen und frühsalischen Zeit. In dieser Epoche sollte, nach herkömmlicher Auffassung, die Gottesbegnadung als Quelle eines Herrschertums geglaubt worden sein, das durch kirchliche Weihe und Krönung vor Laienschaft und Klerus ausgezeichnet war; erst im Investiturstreit an der Wende zum zwölften Jahrhundert sei das "Sakralkönigtum" durch Reformpäpste und romtreue Intellektuelle diskreditiert worden, ohne doch zu verschwinden.
Diese Lehre vom königlichen Gottesgnadentum hat jetzt Ludger Körntgen in seiner Tübinger Habilitationsschrift zwar nicht als solche bestritten, wohl aber deren propagandistische Instrumentalisierung durch Wort und Bild. Körntgen führt seinen Beweisgang an Werken der Geschichtsschreibung und an Herrscherbildern in liturgischen Handschriften durch. Dabei ist wenig aufregend, was er über die Chronisten der Zeit zu sagen hat. Denn schon andere hatten herausgearbeitet, daß von einer homogenen programmatischen Begründung des ottonisch-salischen Königtums, von einer Hofhistoriographie oder liudolfingischen Hausüberlieferung zur Legitimation der Königswürde, nicht die Rede sein kann. Wenn demgegenüber allen mittelalterlichen Verfassern ein je besonderer, lebensweltlich geprägter Anlaß zum Schreiben attestiert wird, wirkt das für heutige Leser um so glaubhafter, als die Dekonstruktion der großen ottonischen Geschichtserzählung eben auch der postmodernen Zeitstimmung gerecht wird. Gleichwohl führt kein Weg mehr hinter die Einsicht zurück, daß an die Stelle einer Historiographie, "die man vorrangig der Perspektive des Kaisers und der Rühmung seiner Taten verpflichtet glaubte", die Einschätzung "von einem eher vielstimmigen Konzert von Autoren getreten ist, mit denen sich durchaus unterschiedliche Institutionen und Interessengruppen Gehör verschafften" (Gerd Althoff).
Anders verhält es sich bei der neuen Studie mit den Herrscherbildern in Codices. Sie stellen lebende Könige des "regnum Teutonicum" als Stifter oder Empfänger der jeweiligen Handschrift dar, sei es als Miniatur im Innern, sei es durch Elfenbeinschnitzerei oder Treibarbeit in Gold- und Silberblech auf dem Einband. Durch ihre Texte für den Gottesdienst eingerichtet, sind diese Bücher eine besondere Eigenheit des ottonisch-salischen Königtums. Abgesehen von wenigen Ausnahmen bei den Angelsachsen, sind sie im lateinischen Europa nur im (werdenden) deutschen Reich bezeugt; beim Ende Heinrichs III., also an der Schwelle zur Kirchenreform, bricht ihre Serie auch hier ab. Sobald sich Historiker mit diesen Bildern befaßten, waren sie geneigt, Datum und politischen Anlaß zu ermitteln und ihre Interpretation danach auszurichten.
Insbesondere die Anfechtung oder Krise einer Königsherrschaft galt als plausibler Grund für die Darstellung des Herrschers auf dem Thron, mit Krone, Szepter, Globus und heiliger Lanze, umgeben von geistlichen und weltlichen Großen, ausgezeichnet aber vor allem durch die Verbildlichung des Gottesgnadentums. Wenn nicht Heilige den gesalbten König flankierten oder leiteten, war es Gott selbst, der ihn krönte oder segnete. Nicht bloß die Bildmotive, auch das kostbare Farbmaterial und die bisweilen atemberaubende Erfindungskraft der anonymen Künstler dienten also dazu, die Legitimität königlicher Herrschaft durch Verweis auf göttliche Berufung zu belegen.
Hier setzt Körntgen mit einer neuartigen Kritik und einem fundamentalen Widerspruch an. Anhand von vier hervorragenden Zeugnissen der Buchmalerei sucht er zu zeigen, daß die Auffassung des königlichen Gottesgnadentums stets unbestritten und dieses Fall für Fall nicht eigens zu beweisen war. Statt dessen müsse die Darstellung des Herrschers aus dem liturgischen Zusammenhang der Handschriften gedeutet werden. Immer handle es sich um Stifterbilder mit dem Zweck, das Gebetsgedenken an den Herrscher oder das Herrscherpaar auf Dauer zu erwirken. Der Verfasser greift mit dieser Interpretation den von Otto Gerhard Oexle schon vor Jahrzehnten geprägten Begriff des "Memorialbildes" auf, der von der kunsthistorischen Forschung zu Unrecht lange Zeit ignoriert oder ausdrücklich zurückgewiesen worden war.
Tatsächlich hatten Handschriften wie das Aachener Liuthar-Evangeliar (unser Bild), das gleichfalls von der Reichenau stammende Perikopenbuch Heinrichs II. in Bamberg, das Regensburger Sakramentar mit dem Doppelbildnis desselben Herrschers sowie das Heinrich III. mit Eltern und Gemahlin zeigende Evangelienbuch des Salierdoms zu Speyer ihren Platz auf dem Altar und in der Messe; immer dann, wenn sie der Priester nutzte, besonders wenn er im Kanon die Namen der Lebenden und Verstorbenen aufrief, konnte und sollte sein Blick zum Gedenken auf den Herrscher fallen. So einleuchtend, berechtigt und notwendig der neue Interpretationsansatz erscheint, tut sich der Autor doch schwer, ihn nachhaltig zu etablieren. Stringenz der Argumentation und Prägnanz der Sprache sind seine Sache nicht. Die Redundanz der Sprache soll manches ungelöste Problem überdecken und offenbart die Überanstrengung der These.
Das größte Hindernis für einen klaren Aufbau des Beweisganges lag freilich bei der Überlieferung selbst. Denn für kein einziges der ottonisch-frühsalischen Herrscherbilder ist ein konkreter Stiftungsanlaß bezeugt. Ob der gezeigte König Stifter oder Auftraggeber, Empfänger oder Vermittler der jeweiligen Handschrift war, läßt sich in der Regel nicht entscheiden. Wie aber soll man sich in die von Körntgen geforderte Perspektive der Stifter versetzen, wenn unklar bleibt, wer wem zu welchem Anlaß das Buch als Gabe dediziert hat, um dafür die Gegengabe der Memoria zu erhalten? Bleibt es deshalb nicht doch weiterhin richtig, den Bildern mitgeführte politische Aussagen abzulesen, die der eigentlichen Intention, Gedenken zu stiften, untergeordnet sein mögen?
Gewinn und Grenzen des neuen Versuchs kann das Aachener Evangeliar verdeutlichen. Auf einem Blatt ist der Stifter klar erkennbar, der Mönch Liuthar nämlich, der dem Kaiser das Buch darbietet. Nach der Inschrift wünscht Liuthar, Gott möge das Herz Kaiser Ottos mit diesem Buch "bekleiden"; für sein Werk fordert er aber auch: "Sei eingedenk, daß Du es von Liuthar erhalten hast." Es geht also zunächst um das Gedenken Liuthars durch den Kaiser, wobei offenbleibt, worin die Gegenleistung eigentlich bestehen sollte: in einer Berufung zum Abt etwa, einem Auftrag für ein neues Buch oder aber im Einschluß ins Gebetsgedenken einer geistlichen Kommunität, zusammen mit dem Kaiser. Auch bei Otto war die Intention der Gabe dem Wortlaut nach auf seine Lebenszeit gerichtet; er sollte sein Herz durch die frohe Botschaft berühren lassen. Diese Zielsetzung wurde durch die ungewöhnlich erhabene Darstellung der kaiserlichen Majestät gestützt. Allerdings konnte der Herrscher das Geschenk nicht behalten; als Evangelienbuch war es nur dem Priester in der Messe nützlich. Man darf gewiß unterstellen, daß Liuthar diese "Weiterstiftung" seiner Gabe durch den Herrscher geplant und damit die Erwartung verbunden hatte, mit dem Kaiser dauerhaft im Gedenken der Liturgie präsent zu bleiben. Vielleicht war als endgültiger Platz der Handschrift auch von vornherein die Aachener Marienkirche bekannt.
Indessen muß man doch festhalten, daß gerade dieses Stiftungsgeschehen nur erschlossen werden kann, während Liuthar die Gegenwartsbezüge seiner Gabe in Worte gefaßt hat. Umgekehrt ist es nicht einsichtig, wie der Bedeutungsüberschuß des Königsbildes spätere Liturgen nicht auch beeindruckt haben sollte; sicher geht die anspruchsvolle Miniatur im Stiftungszweck des dauernden Gedenkens nicht auf. Fragwürdig erscheint auch die "unpolitische" Interpretation, die Körntgen für die beiden fahnentragenden Gekrönten anbietet, die sich vor dem thronenden Kaiser und der Chiffre Gottes verneigen. Nach der umstrittenen These von Johannes Fried handelt es sich um die gerade erhobenen Könige von Ungarn und Polen, die Mithelfer Kaiser Ottos III. bei seiner neuen Politik für Europas Reiche. Körntgen deutet das Figurenarrangement hingegen unter Bezug auf das zweite Buch Samuel; danach habe David zwischen drei weiteren Königen gethront. Das Bild solle die Endzeit inszenieren und Otto III. ewiges Heil verheißen. Offenkundig führt die Interpretation mit ihren weittragenden Schlüssen aber in die Irre, weil nach der Erzählung der Bibel eben drei, nicht nur zwei Gekrönte den Throninhaber ehren.
Mit Körntgen läßt sich gegen die herkömmliche Interpretation der Herrscherbilder von Fall zu Fall einwenden, daß die Absicht einer politischen Legitimation im Kontext eines konkreten historischen Geschehens nicht nachgewiesen werden kann. Doch heißt das noch nicht, daß die auszeichnende Darstellung der Könige, besonders wo es um die Gottesnähe geht, nicht in allgemeiner Weise ihrer Legitimierung hätte dienen sollen. Herrschaft muß ja ständig demonstriert und akzeptiert werden; dabei muß es gar nicht um eine weitläufige "Öffentlichkeit" gehen, da der Herrscher selbst im engsten Kreise seines Hofes und seiner Familie auf Zustimmung angewiesen war. Mit Max Weber läßt sich die Repräsentation des Gottesgnadentums in Wort und Bild einem der drei Typen legitimer Herrschaft, dem der charismatischen Herrschaft, zuordnen. Auch wenn die Herrscherbilder der ottonisch-salischen Zeit das postmortale Gedenken fördern wollten, verwiesen sie zugleich auf das Gottesgnadentum der lebenden Könige, für die heutigen Historiker bezeugen sie also das Charisma in seiner "Veralltäglichung".
MICHAEL BORGOLTE.
Ludger Körntgen: "Königsherrschaft und Gottes Gnade". Zu Kontext und Funktion sakraler Vorstellungen in Historiographie und Bildzeugnissen der ottonisch-frühsalischen Zeit. Akademie Verlag, Berlin 2001. 540 S., 52 Abb., geb., 64,80 [Euro].
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Perlentaucher-Notiz zur F.A.Z.-Rezension
Eine kleine Revolution in der Deutung des mittlealterlichen Gottesgnadentums möchte Ludger Körntgen mit seiner Habilitationsschrift auslösen. Er nähert sich dem Gegenstand dabei von zwei Seiten, einmal in der Lektüre von Werken der Geschichtsschreibung - die aber, so Michael Borgolte in seiner Rezension, eher konventionell bleibt - und in der Neuinterpretation von "Herrscherbildern in liturgischen Handschriften". Ohne weitere Umstände hat man diese bisher als legitimierenden Ausdruck und als "Verbildlichung des Gottesgnadentums" verstanden. Falsch, meint Körntgen und stellt die These auf, dass es nicht um die aus dem Stiftungskontext abstrahierte Darstellung göttlicher Legitimität von Herrschaft gehe, sondern dass stattdessen vor allem der genaue liturgische Kontext der Handschriften zu berücksichtigen ist. Borgolte steht dieser These nicht ohne Sympathie gegenüber, kritisiert jedoch erhebliche Mängel: er vermisst sowohl die "Stringenz der Argumentation" wie die "Prägnanz der Sprache", ein Manko, das zum grundsätzlicheren Problem der unsicheren Überlieferungslage noch hinzukommt. Er kann so das Argument nur in abgeschwächter Form akzeptieren und hält gegen Körntgen fest, dass den Handschriften auch bei Berücksichtigung des konkreten Kontexts die Funktion der Herrschaftslegitimierung "in allgemeiner Weise" zugesprochen werden darf.
© Perlentaucher Medien GmbH
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