September 2001, Pierre Michons Mutter liegt im Sterben, der Sohn "betet" für sie: ein Villon-Gedicht, die "Ballade der Gehenkten". Auch nach der Geburt seines Kindes hat er "gebetet": ein Gedicht von Victor Hugo, "Der Schlaf des Boas". Solche Verse, resümiert Michon in seinem autobiographisch erklärenden Essay "Der Himmel ist ein sehr großer Mann", "... beruhigen die Leiche, helfen dem Kind, auf seinen Beinen zu stehen. Wahrscheinlich ist das die Funktion der Poesie."Auch in den weiteren Essays des Bandes geht es um nichts anderes als die ebenso erhabene wie lächerliche Berufung der Kunst. Michon schreibt über Samuel Beckett, Gustave Flaubert, Ibn Manglî, William Faulkner und eben über sich selbst - so pathetisch und sarkastisch, resolut und poetisch, wie nur er das kann.
Perlentaucher-Notiz zur F.A.Z.-Rezension
Pierre Michon wird einmal einer der bedeutendsten französischen Autoren der Gegenwart gewesen sein, vermutet Niklas Bender, Michons gegenwärtiger Unbekanntheit zum Trotz. Immerhin werden die großartigen Texte Michons mittlerweile ins Deutsche übersetzt, freut sich der Rezensent, und "Körper des Königs" bietet einen schönen Einstieg für alle, die anfangen wollen, ihn zu lesen. Formal enthält der Band Essays über andere Schriftsteller - Flaubert, Manglî, Villon und Hugo -, aber Michon schreibt darin auch über seine eigenen Ansichten über das Schreiben und die Literatur, die stark von den bildenden Künsten beeinflusst sind, verrät Bender. Besonders im letzten Aufsatz des Bandes finden sich - durchaus nicht nur sympathische - Bekenntnisse aus dem Leben des Schriftstellers, berichtet der Rezensent, wenn er etwa seinen Alkoholkonsum nach einer Konferenz schildert, bevor er seinen Blick philosophierend zu den Sternen schweifen lässt: "der Vollrausch gleitet ins Kosmische", so Bender.
© Perlentaucher Medien GmbH
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Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 05.06.2015Für die Freiheit des Vagabunden
Leben und Literatur: Pierre Michons lesenswerte Essays über Flaubert, Faulkner und andere Schriftsteller
Als vor wenigen Wochen publik wurde, dass der Schriftsteller Jean d'Ormesson schon zu Lebzeiten in der prestigeträchtigen "Pléiade"-Ausgabe ediert werden würde, fiel unter den alternativen Kandidaten, die Autoren und Literaturliebhaber sich gewünscht hätten, sein Name oft: Pierre Michon. Der am 28. März 1945 im Weiler Les Cards (Massif Central) geborene Michon hat gerade seinen siebzigsten Geburtstag begangen und ist doch weiterhin einer der großen Unbekannten der französischen Literatur. Zugleich ist er einer der aussichtsreichsten Kandidaten auf ein literarhistorisches Nachleben. Wer Michons lyrische Prosa gelesen hat, dem geht der Rhythmus nicht mehr aus dem Ohr: So wurden menschliche Leben, große wie ganz kleine, noch nie zum Klingen gebracht.
In Frankreich verlegen Gallimard und der Kleinverlag Verdier seine Werke, in Deutschland nimmt sich Suhrkamp der kurzen, sprachlich anspruchsvollen Texte an: Seit 2008 übersetzt der Verlag sie regelmäßig. Jetzt ist "Körper des Königs" in der Übertragung von Anne Weber erschienen, ein kleiner Band, der in fünf Essays Autorenbilder entwirft. Die etwas mehr als hundert Seiten bieten eine schöne Einführung in Michons Schreiben und Denken: Obwohl die Essays Samuel Beckett, Gustave Flaubert, Muhamad Ibn Manglî, William Faulkner, François Villon und Victor Hugo gewidmet sind, bringen sie Michons eigenes Literaturverständnis zum Ausdruck.
Die Grenze zu Roman oder Erzählung im Michonschen Sinne ist fließend: "Leben der kleinen Toten", "Rimbaud der Sohn", "Die Elf" oder "Abbés", der nicht übersetzte, wundervolle Text über drei mittelalterliche Mönche am Mont-Saint-Michel, sind historische Porträts. Auch das Vorgehen einiger Texte ist dem Leser von "Rimbaud der Sohn" bekannt: Michon beschreibt Autoren anhand von Fotos. Ein Faulkner-Porträt etwa ist bereits in "Leben der kleinen Toten" zu finden, wie allgemein eine intensive Auseinandersetzung mit den visuellen Künsten Michons Werk bestimmt. Allerdings lassen sich die Essays nicht darauf reduzieren: Der Flaubert-Text etwa handelt von der "Maske", die der Einsiedler von Croisset der Literatur verpasst habe - eine wunderbare Reflexion auf den Autor und die Moderne allgemein. Der letzte und längste Essay schließlich, Villon und Hugo gewidmet, schildert Michon selbst in existentiellen Situationen, beim Tod seiner Mutter und der Geburt seiner Tochter.
Was eine Übung in Bildbeschreibung oder Autorenverehrung sein könnte, wird unter Michons Fingern ein existentielles Nachdenken über die Eigenart des Schriftstellers: Er zieht zwei, drei zentrale Linien nach, die man bisher nicht gesehen hatte; er ordnet sie so an, dass eine neue Silhouette, eine originelle Perspektive auf den Porträtierten entsteht. Dabei geht es ihm, dem auf die Wirklichkeit der Literatur Bedachten, darum, wie Schriftstellerstatus und schieres Leben ineinandergreifen. Beckett etwa ist bereits als Person "schön wie ein König": "die eisigen Augen, die Illusion des Feuers unter dem Eis, die strengen und vollkommenen Lippen; das ihm angeborene noli me tangere; und, höchster Luxus, seine Schönheit trägt Stigmata: die himmlische Magerkeit, die von Hiobs Scherbe eingegrabenen Falten, die großen Ohren aus Fleisch, der König-Lear-Look." Das Bewusstsein dieser Schönheit geht in das Bild des Autors ein.
Nicht nur klassische Motive der Malerei klingen hier an: Wie Baudelaire führt Michon die christliche Sprache und Symbolik einer neuen, rein poetischen Nutzung zu - er huldigt "einem Heiligen, das kein Gott mehr absichert", wie er einmal gesagt hat. Hiobs Scherbe und große Ohren: Abrupt gesellt sich Heiliges, Erhabenes, zu sinnlichen Einzelheiten oder schlichten Alltäglichkeiten. Michon fügt seine Beobachtungen und Worte hart aneinander, er formt kontraststarke Bilder. Über Faulkner auf dem Foto von Cofield (1931): "Er hat eine Prosa in Bulldozer-Form erfunden, in der Gott sich unablässig wiederholt. Die Verbrennung der Prosa verläuft ebenso einwandfrei wie die einer Lucky Strike. Die Lucky verbrennt ihm leicht den Finger."
Die schönste Lektion in der Verwebung von Leben und Literatur bietet der Essay über Flaubert. Jener Autor, der Literatur als Selbstauslöschung verstand, sollte ein Paradebeispiel dafür sein, dass das Leben eines Schriftstellers für seine Kunst keine Rolle spielt, möchte man meinen. In einem Schelmenstück dreht Michon den Sachverhalt auf den Kopf, um "das Leben Flauberts zu retten": "Dazu müßte man annehmen, daß er gelogen hat, daß er nie den Mönch oder den Zwangsarbeiter spielte. Man müßte annehmen, daß er die meiste Zeit in Croisset keinen Finger krümmte, daß er die Seine genoß, den Wind in den Pappeln, seine kleine, Marmelade schleckende Nichte, die großen Kühe auf den Feldern, mugitusque boum, von Zeit zu Zeit große Frauen und immer die Schlemmerei der Lektüre, die Unzucht des Wissens; daß er fröhlich Lindenblüten pflückte, um Tee zu machen, fröhlich die phönizische Nomenklatura im Kopf vorüberziehen ließ; und daß er hin und wieder, ohne Entwurf, um die Zeit einzuteilen und die Pariser das Staunen zu lehren, diesen Pariser Speichelleckern etwas zu knacken zu geben, in sein Kabuff hochstieg und ein paar vollkommene Sätze schrieb, die ihm wie von alleine zufielen." Wenn da nur Flauberts Notizen und Entwürfe nicht wären, Tausende und Abertausende von Seiten: Man möchte Michon in die normannische Idylle folgen, die er für den selbsternannten Märtyrer der Literatur entwirft.
Aus solchen Zeilen spricht der Provinz-Autor (Michon lebt in Nantes), der sich gegen die Pariser Schickeria abgrenzt. Anders als Flaubert hat Michon, dessen Eltern Lehrer waren, keine Notabeln im Hintergrund gehabt. Als er 1984 mit den "Leben der kleinen Toten" den Durchbruch feierte, war der damals Siebenunddreißigjährige auf dem besten Wege in eine Clochardexistenz; er wurde einer der wichtigsten Schriftsteller der achtziger und neunziger Jahre. Bewahrt hat er eine mittlerweile etwas stilisierte Bescheidenheit, im Interview bezeichnet er sich als Ignoranten, in "Körper des Königs" benennt er eigene Schwächen. Schonungslos führt Michon sich vor, und es ist nicht nur sympathisch, was der Leser erfährt: Wer Bücher einkaufen geht, während seine Mutter mit dem Tod ringt, oder sich vor, während und nach einer Konferenz in den Vollrausch trinkt, um schließlich der Kellnerin an den Rock zu gehen, hängt das gewöhnlich nicht an die große Glocke, selbst in einem Essay über François Villon, Urvater aller Verbrecherdichter, nicht.
Freilich bleibt Michon hier nicht stehen, sondern entgrenzt den Blick - der Vollrausch gleitet ins Kosmische: "Ich sah die Sterne, von der Luft getragen. Auch wir sind in der Luft. Der Himmel trägt uns. Der Himmel ist ein sehr großer Mann. Er ist Vater und König an unserer Stelle, er macht das viel besser als wir." Das so erbärmliche wie grandiose Ende zeigt Michons Verständnis von Autorschaft: Der Seherdichter Hugo, dessen Gedicht "Der Schlaf des Boas" er gerade vorgetragen hat, scheint ihm nun kalt und fern. Den Körper des Königs, dessen Eigenheiten er bei Zunftgenossen untersucht hat, lehnt er ab, er zieht das eigene "winzige Leben" vor, um den genauen Titel seines Erstlingswerks zu bemühen. Die Freiheit eines Vagabunden und Sprachakrobaten: Mehr erwartet Michon von der Literatur nicht - aber so, wie er sie fordert, hat man den Eindruck, sie wäre bereits alles.
NIKLAS BENDER
Pierre Michon: "Körper des Königs".
Aus dem Französischen von Anne Weber. Suhrkamp Verlag, Berlin 2015. 104 S., geb., 17,95 [Euro].
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Leben und Literatur: Pierre Michons lesenswerte Essays über Flaubert, Faulkner und andere Schriftsteller
Als vor wenigen Wochen publik wurde, dass der Schriftsteller Jean d'Ormesson schon zu Lebzeiten in der prestigeträchtigen "Pléiade"-Ausgabe ediert werden würde, fiel unter den alternativen Kandidaten, die Autoren und Literaturliebhaber sich gewünscht hätten, sein Name oft: Pierre Michon. Der am 28. März 1945 im Weiler Les Cards (Massif Central) geborene Michon hat gerade seinen siebzigsten Geburtstag begangen und ist doch weiterhin einer der großen Unbekannten der französischen Literatur. Zugleich ist er einer der aussichtsreichsten Kandidaten auf ein literarhistorisches Nachleben. Wer Michons lyrische Prosa gelesen hat, dem geht der Rhythmus nicht mehr aus dem Ohr: So wurden menschliche Leben, große wie ganz kleine, noch nie zum Klingen gebracht.
In Frankreich verlegen Gallimard und der Kleinverlag Verdier seine Werke, in Deutschland nimmt sich Suhrkamp der kurzen, sprachlich anspruchsvollen Texte an: Seit 2008 übersetzt der Verlag sie regelmäßig. Jetzt ist "Körper des Königs" in der Übertragung von Anne Weber erschienen, ein kleiner Band, der in fünf Essays Autorenbilder entwirft. Die etwas mehr als hundert Seiten bieten eine schöne Einführung in Michons Schreiben und Denken: Obwohl die Essays Samuel Beckett, Gustave Flaubert, Muhamad Ibn Manglî, William Faulkner, François Villon und Victor Hugo gewidmet sind, bringen sie Michons eigenes Literaturverständnis zum Ausdruck.
Die Grenze zu Roman oder Erzählung im Michonschen Sinne ist fließend: "Leben der kleinen Toten", "Rimbaud der Sohn", "Die Elf" oder "Abbés", der nicht übersetzte, wundervolle Text über drei mittelalterliche Mönche am Mont-Saint-Michel, sind historische Porträts. Auch das Vorgehen einiger Texte ist dem Leser von "Rimbaud der Sohn" bekannt: Michon beschreibt Autoren anhand von Fotos. Ein Faulkner-Porträt etwa ist bereits in "Leben der kleinen Toten" zu finden, wie allgemein eine intensive Auseinandersetzung mit den visuellen Künsten Michons Werk bestimmt. Allerdings lassen sich die Essays nicht darauf reduzieren: Der Flaubert-Text etwa handelt von der "Maske", die der Einsiedler von Croisset der Literatur verpasst habe - eine wunderbare Reflexion auf den Autor und die Moderne allgemein. Der letzte und längste Essay schließlich, Villon und Hugo gewidmet, schildert Michon selbst in existentiellen Situationen, beim Tod seiner Mutter und der Geburt seiner Tochter.
Was eine Übung in Bildbeschreibung oder Autorenverehrung sein könnte, wird unter Michons Fingern ein existentielles Nachdenken über die Eigenart des Schriftstellers: Er zieht zwei, drei zentrale Linien nach, die man bisher nicht gesehen hatte; er ordnet sie so an, dass eine neue Silhouette, eine originelle Perspektive auf den Porträtierten entsteht. Dabei geht es ihm, dem auf die Wirklichkeit der Literatur Bedachten, darum, wie Schriftstellerstatus und schieres Leben ineinandergreifen. Beckett etwa ist bereits als Person "schön wie ein König": "die eisigen Augen, die Illusion des Feuers unter dem Eis, die strengen und vollkommenen Lippen; das ihm angeborene noli me tangere; und, höchster Luxus, seine Schönheit trägt Stigmata: die himmlische Magerkeit, die von Hiobs Scherbe eingegrabenen Falten, die großen Ohren aus Fleisch, der König-Lear-Look." Das Bewusstsein dieser Schönheit geht in das Bild des Autors ein.
Nicht nur klassische Motive der Malerei klingen hier an: Wie Baudelaire führt Michon die christliche Sprache und Symbolik einer neuen, rein poetischen Nutzung zu - er huldigt "einem Heiligen, das kein Gott mehr absichert", wie er einmal gesagt hat. Hiobs Scherbe und große Ohren: Abrupt gesellt sich Heiliges, Erhabenes, zu sinnlichen Einzelheiten oder schlichten Alltäglichkeiten. Michon fügt seine Beobachtungen und Worte hart aneinander, er formt kontraststarke Bilder. Über Faulkner auf dem Foto von Cofield (1931): "Er hat eine Prosa in Bulldozer-Form erfunden, in der Gott sich unablässig wiederholt. Die Verbrennung der Prosa verläuft ebenso einwandfrei wie die einer Lucky Strike. Die Lucky verbrennt ihm leicht den Finger."
Die schönste Lektion in der Verwebung von Leben und Literatur bietet der Essay über Flaubert. Jener Autor, der Literatur als Selbstauslöschung verstand, sollte ein Paradebeispiel dafür sein, dass das Leben eines Schriftstellers für seine Kunst keine Rolle spielt, möchte man meinen. In einem Schelmenstück dreht Michon den Sachverhalt auf den Kopf, um "das Leben Flauberts zu retten": "Dazu müßte man annehmen, daß er gelogen hat, daß er nie den Mönch oder den Zwangsarbeiter spielte. Man müßte annehmen, daß er die meiste Zeit in Croisset keinen Finger krümmte, daß er die Seine genoß, den Wind in den Pappeln, seine kleine, Marmelade schleckende Nichte, die großen Kühe auf den Feldern, mugitusque boum, von Zeit zu Zeit große Frauen und immer die Schlemmerei der Lektüre, die Unzucht des Wissens; daß er fröhlich Lindenblüten pflückte, um Tee zu machen, fröhlich die phönizische Nomenklatura im Kopf vorüberziehen ließ; und daß er hin und wieder, ohne Entwurf, um die Zeit einzuteilen und die Pariser das Staunen zu lehren, diesen Pariser Speichelleckern etwas zu knacken zu geben, in sein Kabuff hochstieg und ein paar vollkommene Sätze schrieb, die ihm wie von alleine zufielen." Wenn da nur Flauberts Notizen und Entwürfe nicht wären, Tausende und Abertausende von Seiten: Man möchte Michon in die normannische Idylle folgen, die er für den selbsternannten Märtyrer der Literatur entwirft.
Aus solchen Zeilen spricht der Provinz-Autor (Michon lebt in Nantes), der sich gegen die Pariser Schickeria abgrenzt. Anders als Flaubert hat Michon, dessen Eltern Lehrer waren, keine Notabeln im Hintergrund gehabt. Als er 1984 mit den "Leben der kleinen Toten" den Durchbruch feierte, war der damals Siebenunddreißigjährige auf dem besten Wege in eine Clochardexistenz; er wurde einer der wichtigsten Schriftsteller der achtziger und neunziger Jahre. Bewahrt hat er eine mittlerweile etwas stilisierte Bescheidenheit, im Interview bezeichnet er sich als Ignoranten, in "Körper des Königs" benennt er eigene Schwächen. Schonungslos führt Michon sich vor, und es ist nicht nur sympathisch, was der Leser erfährt: Wer Bücher einkaufen geht, während seine Mutter mit dem Tod ringt, oder sich vor, während und nach einer Konferenz in den Vollrausch trinkt, um schließlich der Kellnerin an den Rock zu gehen, hängt das gewöhnlich nicht an die große Glocke, selbst in einem Essay über François Villon, Urvater aller Verbrecherdichter, nicht.
Freilich bleibt Michon hier nicht stehen, sondern entgrenzt den Blick - der Vollrausch gleitet ins Kosmische: "Ich sah die Sterne, von der Luft getragen. Auch wir sind in der Luft. Der Himmel trägt uns. Der Himmel ist ein sehr großer Mann. Er ist Vater und König an unserer Stelle, er macht das viel besser als wir." Das so erbärmliche wie grandiose Ende zeigt Michons Verständnis von Autorschaft: Der Seherdichter Hugo, dessen Gedicht "Der Schlaf des Boas" er gerade vorgetragen hat, scheint ihm nun kalt und fern. Den Körper des Königs, dessen Eigenheiten er bei Zunftgenossen untersucht hat, lehnt er ab, er zieht das eigene "winzige Leben" vor, um den genauen Titel seines Erstlingswerks zu bemühen. Die Freiheit eines Vagabunden und Sprachakrobaten: Mehr erwartet Michon von der Literatur nicht - aber so, wie er sie fordert, hat man den Eindruck, sie wäre bereits alles.
NIKLAS BENDER
Pierre Michon: "Körper des Königs".
Aus dem Französischen von Anne Weber. Suhrkamp Verlag, Berlin 2015. 104 S., geb., 17,95 [Euro].
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»In all diesen Betrachtungen reflektiert Michon auch sein eigenes Schriftstellertum - auf eine affektive, (selbst)ironische und hochpoetische Weise.« Ingeborg Waldinger Neue Zürcher Zeitung 20150328