Augen und Ohren, Hände und Füße, Herz und Haut, Zähne, Muskeln und Nerven werden in kurzen Kapiteln beschrieben, in denen der Ich-Erzähler die eigenen Körperteile mit dem staunenden Blick eines Fremden betrachtet.Tiziano Scarpa dichtet ihnen märchenhafte Geschichten an. Die Lippen etwa sind dem Zauber einer schönen Prinzessin verfallen und beginnen bei jeder Berührung von selbst zu küssen. Die Beine tragen ihn wie Riesen durch die Welt. Die Ellbogen sind dazu da, Geister zu vertreiben, während die Hände wie Straußenköpfe in den Taschen stecken. Die Nerven sind die Blitze des Körpers, von Zeus gesandt.Fünfzig Körperteile in fünfzig Kapiteln: ein äußerst vergnügliches Buch für zwischendurch.
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Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 30.01.2006Im Body-Building
Achselhöhlenmensch: Tiziano Scarpa erkundet seinen Körper
Italienische Reisen sollen ja bilden, allein die sattsam bekannten Pfade sind so ausgetreten, daß wir doch mal eine andere Rundfahrt wagen und mit Tiziano Scarpa in und über den Körper des Ich-Erzählers kurven wollen.
Wohl wissend, daß wir es mit einem Abkömmling der italienischen letteratura pulp, einem Mitglied der schreibenden gioventù cannibali zu tun haben, packen wir vorsichtshalber Nasenklammer, blickdichte Schlafbrille und Ohropax ins Gepäck. Wir können sie brauchen während der Kurztrips zu insgesamt fünfzig Körperregionen. Welch ein Mann, dieser Narziß mit Achselschweiß! Seine Füße maskieren sich mit "stinkenden Sturmhauben", seinen Bauch füllen Pellen mit lauter Würsten darin, "Mortadella, Schinken, Salami". Kot wird zum Morsecode, denn "mein Loch ist ein Schriftsteller", ein vulgärer Dichter, der gerne selbst laut vorträgt, zuweilen auch als "Dunstskulptor" kreativ wird. Scarpa gelingen zwar in ihrer Bildhaftigkeit auch freundlich komische Vergleiche ("Meine Brustwarzen sind zwei Sombreros, die Siesta halten"), doch führen die meisten seiner Assoziationen und Phantasien ihn nicht viel weiter weg, als ein Körper Gerüche verströmt. Provokant sind die schonungslosen Erkenntnisse dieser Nabelschau dennoch nicht, charmant selten, unterhaltsam vielleicht für jene inspirierten Geister, die über genügend Vorstellungskraft verfügen, sich mit Scarpas Hilfestellung Pickel zu einem elegant schimmernden Kunstwerk zurechtdenken zu können.
Dringend vermeiden sollten es hingegen ordnungsliebende Leser, diese Körperteile im Geiste zusammenzusetzen, sonst spukt einem plötzlich ein ziemlich häßliches Frankensteinsches Monster durch den Kopf, das unterhalb seiner Leibesmitte "Reserve-Augäpfel" breitbeinig spazieren trägt, während in fauliger Dschungelatmosphäre Lianen unter seinen Achseln wachsen und "zwei Tausendfüßler" sich über seinen Augen winden. "Ein Aufzug verkehrt ständig zwischen Anus und Gehirn", erraten, das ist die Wirbelsäule. Den generellen Eindruck der Unappetitlichkeit wird man leider auch in den anal- und schwellkörperfreien Passagen nicht mehr los, hofft vielmehr inständig, diesen Körper höchstens zu treffen, nachdem italienische Modemacher ihre Verhüllungskünste inklusive Sonnenbrille an ihm bewiesen haben. Überlegenswert ist allerdings, das Ganze gleich auf italienisch zu lesen, um es - übertragen in die zweite Person Singular - als raffinierte Schimpfkaskadenvorlage im nächsten Toskana-Urlaub zu benutzen.
Doch diesen literarischen Ausflug beschränken wir gerne auf die Länge einer Stippvisite, halten es mit Scarpas Haaren ("Haare, warum verlaßt ihr mich? Was habe ich euch angetan?") und wünschen ihm "Buon viaggio" ohne uns. Was von dieser Reise hängenbleibt, sind Bilder klebriger Wollflusen in einem Männerbauchnabel und pickelbedingter Eiterreste an der zugehörigen Nase.
SABINE LÖHR
Tiziano Scarpa: "Körper". Aus dem Italienischen übersetzt von Olaf Roth. Verlag Klaus Wagenbach, Berlin 2005. 160 S., geb., 17,50 [Euro].
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Achselhöhlenmensch: Tiziano Scarpa erkundet seinen Körper
Italienische Reisen sollen ja bilden, allein die sattsam bekannten Pfade sind so ausgetreten, daß wir doch mal eine andere Rundfahrt wagen und mit Tiziano Scarpa in und über den Körper des Ich-Erzählers kurven wollen.
Wohl wissend, daß wir es mit einem Abkömmling der italienischen letteratura pulp, einem Mitglied der schreibenden gioventù cannibali zu tun haben, packen wir vorsichtshalber Nasenklammer, blickdichte Schlafbrille und Ohropax ins Gepäck. Wir können sie brauchen während der Kurztrips zu insgesamt fünfzig Körperregionen. Welch ein Mann, dieser Narziß mit Achselschweiß! Seine Füße maskieren sich mit "stinkenden Sturmhauben", seinen Bauch füllen Pellen mit lauter Würsten darin, "Mortadella, Schinken, Salami". Kot wird zum Morsecode, denn "mein Loch ist ein Schriftsteller", ein vulgärer Dichter, der gerne selbst laut vorträgt, zuweilen auch als "Dunstskulptor" kreativ wird. Scarpa gelingen zwar in ihrer Bildhaftigkeit auch freundlich komische Vergleiche ("Meine Brustwarzen sind zwei Sombreros, die Siesta halten"), doch führen die meisten seiner Assoziationen und Phantasien ihn nicht viel weiter weg, als ein Körper Gerüche verströmt. Provokant sind die schonungslosen Erkenntnisse dieser Nabelschau dennoch nicht, charmant selten, unterhaltsam vielleicht für jene inspirierten Geister, die über genügend Vorstellungskraft verfügen, sich mit Scarpas Hilfestellung Pickel zu einem elegant schimmernden Kunstwerk zurechtdenken zu können.
Dringend vermeiden sollten es hingegen ordnungsliebende Leser, diese Körperteile im Geiste zusammenzusetzen, sonst spukt einem plötzlich ein ziemlich häßliches Frankensteinsches Monster durch den Kopf, das unterhalb seiner Leibesmitte "Reserve-Augäpfel" breitbeinig spazieren trägt, während in fauliger Dschungelatmosphäre Lianen unter seinen Achseln wachsen und "zwei Tausendfüßler" sich über seinen Augen winden. "Ein Aufzug verkehrt ständig zwischen Anus und Gehirn", erraten, das ist die Wirbelsäule. Den generellen Eindruck der Unappetitlichkeit wird man leider auch in den anal- und schwellkörperfreien Passagen nicht mehr los, hofft vielmehr inständig, diesen Körper höchstens zu treffen, nachdem italienische Modemacher ihre Verhüllungskünste inklusive Sonnenbrille an ihm bewiesen haben. Überlegenswert ist allerdings, das Ganze gleich auf italienisch zu lesen, um es - übertragen in die zweite Person Singular - als raffinierte Schimpfkaskadenvorlage im nächsten Toskana-Urlaub zu benutzen.
Doch diesen literarischen Ausflug beschränken wir gerne auf die Länge einer Stippvisite, halten es mit Scarpas Haaren ("Haare, warum verlaßt ihr mich? Was habe ich euch angetan?") und wünschen ihm "Buon viaggio" ohne uns. Was von dieser Reise hängenbleibt, sind Bilder klebriger Wollflusen in einem Männerbauchnabel und pickelbedingter Eiterreste an der zugehörigen Nase.
SABINE LÖHR
Tiziano Scarpa: "Körper". Aus dem Italienischen übersetzt von Olaf Roth. Verlag Klaus Wagenbach, Berlin 2005. 160 S., geb., 17,50 [Euro].
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Perlentaucher-Notiz zur F.A.Z.-Rezension
Sabine Löhr ist gewappnet: Nasenklammer, Schlafbrille, Ohropax. Wenn es sich wie bei Tiziano Scarpa "Körper"-Erkundungen um einen Abkömmling des italienischen Pulp, der gioventu cannibale, handelt, geht die Rezensentin lieber kein Risiko ein. Und man kann es förmlich sehen: die Rezensentin schüttelt sich, der "generelle Eindruck der Unappetitlichkeit" überwältigt sie, während Scarpa stinkenden Füße und wabbligen Bauch erforscht, zumal keine größere Erkenntnis die Nabelschau des Dichters ziert. Wer vermag sich schon "Pickel zu einem elegant schimmernden Kunstwerk" zurechtzudenken? Nicht jedes Körperteil hat eben das Zeug zum poetischen topos. Die Rezensentin empfiehlt, diese Körperfantasien auf Italienisch zu lesen - als "raffinierte Schimpfkaskadenvorlage im nächsten Toskana-Urlaub".
© Perlentaucher Medien GmbH
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