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Die produktive Verbindung von ästhetischer und technischer Modernität machte den Sport am Beginn des 20. Jahrhunderts zu einem Paradigma der kulturellen Moderne, dessen Bedeutung Robert Musil als einer der ersten reflektierte. Vor dem Hintergrund der zeitgenössischen Diskurse über die Techniken des bewegten Körpers in Arbeit, Wettkampf und Kultur, die den Sport als Lebensform des modernen Menschen propagierten, untersucht die Verfasserin 'Sport' als Gegenstand der Kulturkritik und als poetologisches Konzept in Musils Werk. An der Schnittstelle von Naturwissenschaft, Technik und moderner…mehr

Produktbeschreibung
Die produktive Verbindung von ästhetischer und technischer Modernität machte den Sport am Beginn des 20. Jahrhunderts zu einem Paradigma der kulturellen Moderne, dessen Bedeutung Robert Musil als einer der ersten reflektierte. Vor dem Hintergrund der zeitgenössischen Diskurse über die Techniken des bewegten Körpers in Arbeit, Wettkampf und Kultur, die den Sport als Lebensform des modernen Menschen propagierten, untersucht die Verfasserin 'Sport' als Gegenstand der Kulturkritik und als poetologisches Konzept in Musils Werk. An der Schnittstelle von Naturwissenschaft, Technik und moderner Ästhetik leistet die Studie einen wesentlichen Beitrag zur Kulturgeschichte des Sports, zu Theorie und Ästhetik der Moderne sowie zur Musil-Forschung.

Autorenporträt
Anne Fleig, Leibniz Universität Hannover.
Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 09.07.2009

Im Gefilz von Kräften

Wie man ohne Eigenschaften krault: Die Literaturwissenschaftlerin Anne Fleig erforscht in einer erhellenden Studie Robert Musils Ästhetik des Sports.

Der Triumphzug des Sports als kulturelle Erscheinungsform der Moderne, begleitet von der folgenreichen Frage, ob es sich dabei nun um Kunst oder um Wissenschaft handelt, ist unbestritten. Ob Sport eine angemessene Ausdrucksform der modernen Lebenswelt sei, fragten sich schon lange vor Hans Ulrich Gumbrechts "Lob des Sports" (2005) oder Karl Heinz Bohrers Ikonisierung Günter Netzers (als dem, "der aus der Tiefes des Raumes" kam, 1974) Autoren wie Walter Benjamin, Bertolt Brecht, Siegfried Krakauer, Ernst Bloch und auch Robert Musil.

Unter dem Titel "Körperkultur und Moderne" entwirft nun die Literaturwissenschaftlerin Anne Fleig "Robert Musils Ästhetik des Sports" anhand von dessen kulturkritischen Sport-Essays "Als Papa Tennis lernte" (1931) und "Kunst und Moral des Crawlens" (1932) sowie seines Opus magnum, des "Mann ohne Eigenschaften". Um Musils Werke plausibel im Sportdiskurs der zwanziger Jahre zu kontextualisieren, skizziert Fleig die essayistisch-avantgardistische Sportdebatte dieser Zeit, die zu großen Teilen, wenngleich nicht ausschließlich in dem von Alfred Flechtheim 1921 begründeten Magazin "Querschnitt" geführt wurde, in dem auch Musils Tennis- und Schwimm-Essays erschienen.

Dass die sogenannte künstlerische Avantgarde gesellschaftlich gesehen jedoch gar keine Vorreiterrolle einnahm, sondern schon damals wie heute dem Technik- und Wissenschaftsdiskurs in gewisser Weise hinterherhinkte, zeigt, wenn auch nicht ausdrücklich mit dieser Schlussfolgerung, Fleigs Blick auf das Zusammenspiel von Körper, Technik und Naturwissenschaften seit dem ausgehenden neunzehnten Jahrhundert, veranschaulicht unter anderem am sogenannten Taylorismus und der Psychotechnik: Während die nach dem Ingenieur Frederick W. Taylor benannte amerikanische Denkart menschliche Bewegungsabläufe und industrielle Arbeit eng miteinander verband und somit auf einer Rationalisierung des Körpers basierte, verknüpfte die industrielle Psychotechnik angewandte Psychologie und Arbeitswissenschaft "im Dienste der Kulturaufgaben" (so Hugo Münsterberg in seinem Hauptwerk "Grundzüge der Psychotechnik", 1914). Der "Querschnitt" lieferte also wenige Jahre später Autoren wie Alfred Döblin, Gottfried Benn, Kurt Pinthus, George Grosz, Mascha Kaleko oder Gertrude Stein eine geeignete Plattform zur Wahrnehmung kultureller Anliegen, bei deren Umsetzung jedoch der Bezug zum Sport - man denke an die technisch-ästhetisch für den Kunstdiskurs seit Kleist relevante Figur des Fechters beziehungsweise dann des Boxers - oft nur als Vergleich zur mitunter tragisch empfundenen und zugleich euphorisierten Dichterexistenz diente. So etwa bezeichnete Benn in der "Weltbühne" das Dichten 1926 als eine Art "Aktion am Sandsack: allein und ohne Partner".

Auch Musils Sport-Essays tragen, so Fleig, "Züge poetischer Selbstreflexion", indem "das Denken von Bewegung und das Denken als Bewegung" eine "produktive Verschränkung" eingehen und "Muster essayistischer Selbstreflexion" werden - eine Beschreibung, die sich selbstredend auf den "Mann ohne Eigenschaften" anwenden lässt. Der Essay, so lässt uns Musils Roman-Erzähler wissen, ist "die einmalige und unabänderliche Gestalt, die das innere Leben eines Menschen in einem entscheidenden Gedanken annimmt". Anders gesagt: Beim Essay geht es nicht um die unzähligen, immer wieder gescheiterten Versuche, um das "anthropotechnisch" (Peter Sloterdijk) bedingte Üben, sondern um die Gestalt oder den Abdruck, den diese Gedankenbewegungen im Kunstwerk hinterlassen, also das Kunstwerk selbst.

So überzeugt auch weniger Fleigs These von Ulrichs "Krise der Männlichkeit", die dieser hinter der "Maske des Sports" verbergen will, die ihrerseits ein Äquivalent seiner "Eigenschaftslosigkeit" sein soll, als vielmehr die ästhetische Schlagkraft, die in diesem unvollendet gebliebenen Werk steckt. Ulrich lässt den Leser schon früh wissen: "Man kann tun, was man will, es kommt in diesem Gefilz von Kräften nicht im Geringsten darauf an!", um dann dem in seinem Ankleidezimmer hängenden Punchingball "einen schnellen und heftigen Schlag" zu versetzen, "wie es in Stimmungen der Ergebenheit oder Zuständen der Schwäche nicht gerade üblich ist".

Auch wenn das dritte Themenheft des "Querschnitts" zum Sport aus dem Jahr 1932 mit einem Beitrag unter dem Titel "Weltreligion des 20. Jahrhunderts" eröffnete, bei dem der Autor das christliche "Kreuz-Symbol" von der "Kugelgestalt" des Balles abgelöst sah; auch wenn Ulrich, wie Fleig ausführt, durch eine Zeitungsmeldung über ein "geniales Rennpferd" ziemlich bald davon Abstand nimmt, ein "bedeutender Mann" werden zu wollen, um stattdessen "Urlaub vom Leben" zu nehmen - nach der in vielerlei Hinsicht erhellenden Lektüre der Fleigschen Studie sowie der weltumspannenden, medial vermittelten Präsenz von sportlichen Ereignissen und dem Körperkult ist man am Ende doch erleichtert, dass es Musil noch um einiges mehr ging als um eine reine Ästhetik des Sports.

FRIEDERIKE REENTS

Anne Fleig: "Körperkultur und Moderne". Robert Musils Ästhetik des Sports. Verlag Walter de Gruyter, Berlin 2008. 358 S., geb., 98,- [Euro].

Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
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"Wie man ohne Eigenschaften krault: Die Literaturwissenschaftlerin Anne Fleig erforscht in einer erhellenden Studie Robert Musils Ästhetik des Sports." Friederike Reents in: Frankfurter Allgemeine Zeitung 9. Juli 2009

Perlentaucher-Notiz zur F.A.Z.-Rezension

Als "erhellend" lobt Friederike Reents Anne Fleigs Studie zu Robert Musils "Ästhetik des Sports", in der die Literaturwissenschaftlerin Musils Sport-Essays sowie den "Mann ohne Eigenschaften" unter die Lupe nimmt. Indem die Autorin die Zusammenhänge von Körperkult, Technik und Wissenschaft in den Diskursen des ausgehenden 19. Jahrhunderts nachzeichnet, wird der Rezensentin deutlich, dass die "sogenannte künstlerische Avantgarde" nicht unbedingt die Pionierrolle innehatte, die sie gern für sich beanspruchte. Interessant erscheint Reents besonders die Verknüpfung von Sport und Bewegung mit Musils Poetologie, insbesondere seine Charakterisierung des Essays als Ausdruck von Denk-Bewegung. Dafür lässt sich Reents von Fleigs These, hinter der "Maske des Sports" stehe die "Krise der Männlichkeit" von Musils Hauptfigur aus dem "Mann ohne Eigenschaften", nicht wirklich überzeugen, was aber dem großen Interesse, mit dem sie dieser aufschlussreichen Studie begegnet, keinen Abbruch tut.

© Perlentaucher Medien GmbH
"Denn es ist ihr [der Autorin] in diesem Unternehmen zum einen gelungen, eine Kulturgeschichte des Sports zu skizzieren, welche die Beiträge von Wissenschaft, Technik und Kunst zu den Sportdiskursen des späten Kaiserreichs und der Weimarer Republik ordnet und zusammenfasst und dabei die vielfältige Brisanz des Phänomens herausstreicht. Zum anderen vermag sie eine Musil'sche Ästhetik des Sports zu beschreiben, die erstaunlich viele zentrale Parameter von Musils Schaffen integriert und dessen Zugang zu den widersprüchlichen Tendenzen der Moderne auf einen Punkt bringt."
Michael Gamper in: Zeitschrift für Germanistik 3/2010

"I recommend her work to historians and literary scholars alike, and I could readily see this book working well in graduate seminars."
Erik N. Jensen in: Monatshefte 2/2010

"Wie man ohne Eigenschaften krault: Die Literaturwissenschaftlerin Anne Fleig erforscht in einer erhellenden Studie Robert Musils Ästhetik des Sports."
Friederike Reents in: Frankfurter Allgemeine Zeitung 9. Juli 2009