Als das eigensinnige Kind aus dem gleichnamigen Märchen der Brüder Grimm nach seinem Tod »ins Grab versenkt war, und Erde über es hingedeckt, so kam auf einmal sein ärmchen wieder hervor, und reichte in die Höhe, und wenn sie es hineinlegten und frische Erde darüber taten, so half das nicht, es kam immer wieder heraus«.
Diese Figur der unbeugsamen Faust als ein »körperloses Organ« im Deleuzeschen Sinne und zugleich als Freudsches »Partialobjekt« bildet den Ausgangspunkt dieser Studie, in der zwei Denker miteinander konfrontiert werden, die gewöhnlich als unvereinbar gelten: Deleuze und Lacan. Anhand des brisanten Resultats dieses Zusammenschlusses gelingen }i~ek originelle Analysen, die sich auf die Filmtheorie und die Kognitionswissenschaften genauso erstrecken wie auf die Strukturen zeitgenössischer Herrschaft und die Frage nach den Grenzen der Demokratie.
Diese Figur der unbeugsamen Faust als ein »körperloses Organ« im Deleuzeschen Sinne und zugleich als Freudsches »Partialobjekt« bildet den Ausgangspunkt dieser Studie, in der zwei Denker miteinander konfrontiert werden, die gewöhnlich als unvereinbar gelten: Deleuze und Lacan. Anhand des brisanten Resultats dieses Zusammenschlusses gelingen }i~ek originelle Analysen, die sich auf die Filmtheorie und die Kognitionswissenschaften genauso erstrecken wie auf die Strukturen zeitgenössischer Herrschaft und die Frage nach den Grenzen der Demokratie.
Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 30.08.2005Es gibt Frauen, weil der Mann nicht völlig er selber ist
Ein Sturzbach: Slavoj Zizek treibt hegelianischen Analverkehr mit Gilles Deleuze
Auch dieses Zizek-Buch ist wieder ein Sturzbach, nein, ein Feuerwerk aus Thesen, Geschichten, Namen, Überlegungen in Frage-Antwort-Form. Thematisch springt es oft unvermittelt von einem Gebiet zum andern, so dass der Leser den Eindruck einer chaotischen Fülle gewinnen könnte. Tatsächlich erhält das Buch sein Profil nicht durch einen bestimmten Gegenstandsbereich, sondern durch eine Vorgehensweise, welche sich nur mithilfe theoriehistorischer Angaben bezeichnen lässt: Es handelt sich um ein „lacanianisches Buch über Deleuze”.
Mit „lacanianisch” ist eine Theorieposition gemeint, die - bei Zizek - ebenso gut „hegelianisch” heißt. „Lacanianisch” oder „hegelianisch” sind zwei Bezeichnungen für die Theorieposition Zizeks selber. Aus Gründen akademischer Anpassung oder Bescheidenheit oder vielmehr, weil er mit Hegel und Lacan in früheren Büchern das getrieben hat, was er angeblich ohne Augenzwinkern „philosophischen Analverkehr” nennt, setzt er deren Namen nun ein, um selber „hegelianischen” oder „lacanianischen” Analverkehr mit Deleuze zu treiben. Er will dem Philosophen Gilles Deleuze, der sich bei jeder Gelegenheit von Hegel abgesetzt hat und der sich im Anti-Ödipus entschieden antilacanianisch, antipsychoanalytisch positioniert hat, aus dessen eigenen Texten eine tiefe Übereinstimmung mit Hegel und Lacan nachweisen. Er will ihn zum Hegelolacanianismus bekehren und ihm ein Monster zeugen, das sowohl deleuzianisch wie auch hegelolacanianisch (sprich: zizekianisch) sein soll.
Solche Monsterzeugung wird auch „unbefleckte Empfängnis” genannt - was so viel wie überbefleckte Empfängnis bedeutet, zu deren Benennung nicht weniger als vier aus Eigennamen gebildete Adjektive nötig wären.
Aus Deleuze doch noch einen rechten oder vielmehr linken Hegelianer, Lacanianer und Zizekianer zu machen - das ist die nicht gerade besonders interessant erscheinende Ambition dieses Buches. Doch im Zuge der Einlösung seines Vorhabens vollführt Zizek einige Überlegungen, die Aufmerksamkeit verdienen. Er entnimmt den frühen Büchern von Deleuze - „Differenz und Wiederholung” sowie „Logik des Sinns” - drei Begriffe für drei Vorstufen von Sein: das Virtuelle, das sich dem Aktualen, das Potenzielle, das sich dem Realen, das Werden, das sich dem Sein entgegensetzt beziehungsweise zu ihm hinbewegt.
Der Todestrieb sorgt fürs Leben
Mit diesen drei Formen von „Vorsein” lassen sich nach Zizek angeblich wohl bekannte Begriffe wie „Lebewesen” oder „Subjekt” oder „Sinn” ontologisch rekonstruieren - als Seinsweisen, in denen die genannten Weisen des Vorseins so oder so dominieren - sofern diese Berufsstruktur noch mit den Parametern „Ursache-Wirkung” sowie „körperlich-unkörperlich” verschränkt werden, die Deleuze seinerzeit aus der stoischen Philosophie entlehnt hatte.
Dieser Begriffsapparat liefere sogar, so Zizek, die Mittel zur Konstruktion des geheimnisvollen lacanianischen Theorems vom Phallus als „reinem” Signifikanten, demzufolge die universelle symbolische Struktur des Geistes an unsere partikulare körperliche und sogar sexuelle Konstitution gebunden sein soll, unser Geist also auf der Verkörperung-Entkörperung aufruht, die von Lacan „Phallus-Kastration” genannt wird.
Um auch einen eher nicht-esoterischen Philosophen einzubeziehen, sei darauf verwiesen, dass Zizeks hegelianisch-lacanianisch-deleuzianische Ausführungen zur relativen Selbstständigkeit der Organe bei den Menschen an Helmuth Plessners „Die Stufen des Organischen und der Mensch” (1928) erinnern, eine Schrift, in der Plessner die menschliche Geistigkeit mit Körperverhältnissen korreliert, welche viel Platz für Lücken und Potenzialitäten lassen: „exzentrische Positionalität”.
Damit will ich zugleich andeuten, dass es der sachlichen Prüfung von Zizeks Thesen nicht schaden würde, wenn man sie mit der Philosophischen Anthropologie konfrontieren würde, womit sie nämlich auch auf den Boden ihres tatsächlichen Gegenstandsfeldes geholt würden. Es ist ein Verdienst von Zizek, Lacan mit einem „richtigen” Philosophen - Deleuze - auf eine Ebene zu stellen oder sogar ihn dem Philosophen zum Vorbild aufzuzwingen. Immerhin war es Lacan, der im Gegensatz zu Freud die Theorie der Psychoanalyse (und vielleicht sogar ihre Praxis) in Philosophie übersetzt und eine bestimmte Philosophie geschaffen hat.
Fragt man sich, welches Gebiet der Philosophie Lacan damit berührt oder vielmehr betreten hat, dann kann die Antwort nur lauten: in erster Linie das Gebiet der Philosophischen Anthropologie. Zu deren konstitutiven Leistungen gehört es übrigens, den Alltagsbegriff „Mensch” auch in der Philosophie hochzuhalten. Im Unterschied zu vielen Lacanianern spricht Lacan oft vom „Menschen”. Und wenn er „Subjekt” sagt, lohnt es sich nachzuschauen, warum er gerade an dieser Stelle „Subjekt” sagt; grundsätzlich, weil „sujet” im Französischen auch „Unterworfenes” - ein wem Unterworfenes? - heißt.
Die Denkmodelle, die Zizek gegeneinander abwägt, sind die der Polarität beziehungsweise Transzendenz, alternativ dazu die in sich ruhende Immanenz, wie sie etwa von Deleuze bevorzugt worden ist, und schließlich die von Zizek privilegierte Figur des in sich gebrochenen und dezentrierten Endlichen, in dessen Brechung eine Gleichgewichtsstörung und Spannungsgeladenheit liegt.
En passant wirft Zizek die Frage auf, ob nicht Freud mit seinem auf Entspannung angelegten Begriff von Lust der Entropie zuviel Platz einräumt. Er versucht, Freud mit der paradoxen Behauptung zu retten, ausgerechnet der Todestrieb sorge für die Aufrechterhaltung der fürs Leben nötigen Spannung. Plausibler klingt da schon die lacanianische These, dass das Begehren unter dem Namen des moralischen Gesetzes die negentropische Energie liefere. Oder aber das von einer sonstigen „Quasi-Ursache” wach gehaltene Begehren, das auf der Ebene seiner körperlichen Konstituierung mit der Sexualität koinzidiert. Allerdings mit einer Sexualität, die durch Asymmetrie, Zuviel-Zuwenig, Unstimmigkeit gekennzeichnet ist: „Es gibt Frauen, weil der Mann an sich nicht völlig er selber ist” - eine Umkehrung der berühmten Lacan-Formel von der Frau, die „nicht Ganze” ist. Umkehrung ja, aber weder komplementäre noch symmetrische Entsprechung. Da es ja „das sexuelle Verhältnis nicht gibt” - es sei denn mit der Dazwischenschaltung eines Mangel-Zusatzes, der als „Quasi-Ursache” fungiert.
So wie Zizek die Philosophie von vornherein materialistisch-anthropologisch anlegt, öffnet er die philosophischen Begriffe und Positionen entschlossen auch auf andere außerphilosophische Referenzen - etwa auf die Religionen. Er behauptet, die Religionenreihe Heidentum-Judentum-Christentum „wiederhole” sich in der Philosophenreihe Spinoza-Kant-Hegel oder innerhalb des 20. Jahrhunderts in der Reihe Deleuze-Derrida-Lacan. Wie Lacan sieht auch Zizek im Christentum die „wahre Religion”. Nicht weil es zwischen Polytheismus und reinem Monotheismus auf halbem Weg vermittelt, sondern weil es das Göttliche nach der Reduktion auf den Monotheismus noch einmal reduziere: auf den menschgewordenen Gott - der für einen Augenblick - kurz vor seinem Tod- sogar selber zum Atheisten geworden sei.
Der Mensch ist unmöglich
Der Mensch als Inkonsistenz, als „Unmögliches” ist es, der der Philosophie, der Politik, der Liebe und der Religion die Aufgaben stellt. Die Liebe zwischen den Philosophen - wie auch immer mit Eifersucht und Hass vermischt - bildet da nur einen winzigen Ausschnitt. Zizeks Buch geht von solchen Liebeshändeln aus, widmet sich der Liebe zur Arbeit an den Begriffen und springt doch immer wieder zu anderen Auseinandersetzungen über und liefert damit einen Beitrag zum Weltlich-Werden der Philosophie.
WALTER SEITTER
SLAVOJ ZIZEK: Körperlose Organe. Bausteine für eine Begegnung zwischen Deleuze und Lacan. Suhrkamp-Verlag, Frankfurt am Main, 2005. 297 Seiten, 11 Euro.
SZdigital: Alle Rechte vorbehalten - Süddeutsche Zeitung GmbH, München
Eine Dienstleistung der DIZ München GmbH
Ein Sturzbach: Slavoj Zizek treibt hegelianischen Analverkehr mit Gilles Deleuze
Auch dieses Zizek-Buch ist wieder ein Sturzbach, nein, ein Feuerwerk aus Thesen, Geschichten, Namen, Überlegungen in Frage-Antwort-Form. Thematisch springt es oft unvermittelt von einem Gebiet zum andern, so dass der Leser den Eindruck einer chaotischen Fülle gewinnen könnte. Tatsächlich erhält das Buch sein Profil nicht durch einen bestimmten Gegenstandsbereich, sondern durch eine Vorgehensweise, welche sich nur mithilfe theoriehistorischer Angaben bezeichnen lässt: Es handelt sich um ein „lacanianisches Buch über Deleuze”.
Mit „lacanianisch” ist eine Theorieposition gemeint, die - bei Zizek - ebenso gut „hegelianisch” heißt. „Lacanianisch” oder „hegelianisch” sind zwei Bezeichnungen für die Theorieposition Zizeks selber. Aus Gründen akademischer Anpassung oder Bescheidenheit oder vielmehr, weil er mit Hegel und Lacan in früheren Büchern das getrieben hat, was er angeblich ohne Augenzwinkern „philosophischen Analverkehr” nennt, setzt er deren Namen nun ein, um selber „hegelianischen” oder „lacanianischen” Analverkehr mit Deleuze zu treiben. Er will dem Philosophen Gilles Deleuze, der sich bei jeder Gelegenheit von Hegel abgesetzt hat und der sich im Anti-Ödipus entschieden antilacanianisch, antipsychoanalytisch positioniert hat, aus dessen eigenen Texten eine tiefe Übereinstimmung mit Hegel und Lacan nachweisen. Er will ihn zum Hegelolacanianismus bekehren und ihm ein Monster zeugen, das sowohl deleuzianisch wie auch hegelolacanianisch (sprich: zizekianisch) sein soll.
Solche Monsterzeugung wird auch „unbefleckte Empfängnis” genannt - was so viel wie überbefleckte Empfängnis bedeutet, zu deren Benennung nicht weniger als vier aus Eigennamen gebildete Adjektive nötig wären.
Aus Deleuze doch noch einen rechten oder vielmehr linken Hegelianer, Lacanianer und Zizekianer zu machen - das ist die nicht gerade besonders interessant erscheinende Ambition dieses Buches. Doch im Zuge der Einlösung seines Vorhabens vollführt Zizek einige Überlegungen, die Aufmerksamkeit verdienen. Er entnimmt den frühen Büchern von Deleuze - „Differenz und Wiederholung” sowie „Logik des Sinns” - drei Begriffe für drei Vorstufen von Sein: das Virtuelle, das sich dem Aktualen, das Potenzielle, das sich dem Realen, das Werden, das sich dem Sein entgegensetzt beziehungsweise zu ihm hinbewegt.
Der Todestrieb sorgt fürs Leben
Mit diesen drei Formen von „Vorsein” lassen sich nach Zizek angeblich wohl bekannte Begriffe wie „Lebewesen” oder „Subjekt” oder „Sinn” ontologisch rekonstruieren - als Seinsweisen, in denen die genannten Weisen des Vorseins so oder so dominieren - sofern diese Berufsstruktur noch mit den Parametern „Ursache-Wirkung” sowie „körperlich-unkörperlich” verschränkt werden, die Deleuze seinerzeit aus der stoischen Philosophie entlehnt hatte.
Dieser Begriffsapparat liefere sogar, so Zizek, die Mittel zur Konstruktion des geheimnisvollen lacanianischen Theorems vom Phallus als „reinem” Signifikanten, demzufolge die universelle symbolische Struktur des Geistes an unsere partikulare körperliche und sogar sexuelle Konstitution gebunden sein soll, unser Geist also auf der Verkörperung-Entkörperung aufruht, die von Lacan „Phallus-Kastration” genannt wird.
Um auch einen eher nicht-esoterischen Philosophen einzubeziehen, sei darauf verwiesen, dass Zizeks hegelianisch-lacanianisch-deleuzianische Ausführungen zur relativen Selbstständigkeit der Organe bei den Menschen an Helmuth Plessners „Die Stufen des Organischen und der Mensch” (1928) erinnern, eine Schrift, in der Plessner die menschliche Geistigkeit mit Körperverhältnissen korreliert, welche viel Platz für Lücken und Potenzialitäten lassen: „exzentrische Positionalität”.
Damit will ich zugleich andeuten, dass es der sachlichen Prüfung von Zizeks Thesen nicht schaden würde, wenn man sie mit der Philosophischen Anthropologie konfrontieren würde, womit sie nämlich auch auf den Boden ihres tatsächlichen Gegenstandsfeldes geholt würden. Es ist ein Verdienst von Zizek, Lacan mit einem „richtigen” Philosophen - Deleuze - auf eine Ebene zu stellen oder sogar ihn dem Philosophen zum Vorbild aufzuzwingen. Immerhin war es Lacan, der im Gegensatz zu Freud die Theorie der Psychoanalyse (und vielleicht sogar ihre Praxis) in Philosophie übersetzt und eine bestimmte Philosophie geschaffen hat.
Fragt man sich, welches Gebiet der Philosophie Lacan damit berührt oder vielmehr betreten hat, dann kann die Antwort nur lauten: in erster Linie das Gebiet der Philosophischen Anthropologie. Zu deren konstitutiven Leistungen gehört es übrigens, den Alltagsbegriff „Mensch” auch in der Philosophie hochzuhalten. Im Unterschied zu vielen Lacanianern spricht Lacan oft vom „Menschen”. Und wenn er „Subjekt” sagt, lohnt es sich nachzuschauen, warum er gerade an dieser Stelle „Subjekt” sagt; grundsätzlich, weil „sujet” im Französischen auch „Unterworfenes” - ein wem Unterworfenes? - heißt.
Die Denkmodelle, die Zizek gegeneinander abwägt, sind die der Polarität beziehungsweise Transzendenz, alternativ dazu die in sich ruhende Immanenz, wie sie etwa von Deleuze bevorzugt worden ist, und schließlich die von Zizek privilegierte Figur des in sich gebrochenen und dezentrierten Endlichen, in dessen Brechung eine Gleichgewichtsstörung und Spannungsgeladenheit liegt.
En passant wirft Zizek die Frage auf, ob nicht Freud mit seinem auf Entspannung angelegten Begriff von Lust der Entropie zuviel Platz einräumt. Er versucht, Freud mit der paradoxen Behauptung zu retten, ausgerechnet der Todestrieb sorge für die Aufrechterhaltung der fürs Leben nötigen Spannung. Plausibler klingt da schon die lacanianische These, dass das Begehren unter dem Namen des moralischen Gesetzes die negentropische Energie liefere. Oder aber das von einer sonstigen „Quasi-Ursache” wach gehaltene Begehren, das auf der Ebene seiner körperlichen Konstituierung mit der Sexualität koinzidiert. Allerdings mit einer Sexualität, die durch Asymmetrie, Zuviel-Zuwenig, Unstimmigkeit gekennzeichnet ist: „Es gibt Frauen, weil der Mann an sich nicht völlig er selber ist” - eine Umkehrung der berühmten Lacan-Formel von der Frau, die „nicht Ganze” ist. Umkehrung ja, aber weder komplementäre noch symmetrische Entsprechung. Da es ja „das sexuelle Verhältnis nicht gibt” - es sei denn mit der Dazwischenschaltung eines Mangel-Zusatzes, der als „Quasi-Ursache” fungiert.
So wie Zizek die Philosophie von vornherein materialistisch-anthropologisch anlegt, öffnet er die philosophischen Begriffe und Positionen entschlossen auch auf andere außerphilosophische Referenzen - etwa auf die Religionen. Er behauptet, die Religionenreihe Heidentum-Judentum-Christentum „wiederhole” sich in der Philosophenreihe Spinoza-Kant-Hegel oder innerhalb des 20. Jahrhunderts in der Reihe Deleuze-Derrida-Lacan. Wie Lacan sieht auch Zizek im Christentum die „wahre Religion”. Nicht weil es zwischen Polytheismus und reinem Monotheismus auf halbem Weg vermittelt, sondern weil es das Göttliche nach der Reduktion auf den Monotheismus noch einmal reduziere: auf den menschgewordenen Gott - der für einen Augenblick - kurz vor seinem Tod- sogar selber zum Atheisten geworden sei.
Der Mensch ist unmöglich
Der Mensch als Inkonsistenz, als „Unmögliches” ist es, der der Philosophie, der Politik, der Liebe und der Religion die Aufgaben stellt. Die Liebe zwischen den Philosophen - wie auch immer mit Eifersucht und Hass vermischt - bildet da nur einen winzigen Ausschnitt. Zizeks Buch geht von solchen Liebeshändeln aus, widmet sich der Liebe zur Arbeit an den Begriffen und springt doch immer wieder zu anderen Auseinandersetzungen über und liefert damit einen Beitrag zum Weltlich-Werden der Philosophie.
WALTER SEITTER
SLAVOJ ZIZEK: Körperlose Organe. Bausteine für eine Begegnung zwischen Deleuze und Lacan. Suhrkamp-Verlag, Frankfurt am Main, 2005. 297 Seiten, 11 Euro.
SZdigital: Alle Rechte vorbehalten - Süddeutsche Zeitung GmbH, München
Eine Dienstleistung der DIZ München GmbH
Perlentaucher-Notiz zur Süddeutsche Zeitung-Rezension
Ein "Feuerwerk aus Thesen, Geschichten, Namen, Überlegungen in Frage-Antwort-Form" erblickt Rezensent Walter Seitter in Slavoj Zizeks neuem Buch. Thematisch springe es oft unvermittelt von einem Gebiet zum andern, berichtet Seitter, "so dass der Leser den Eindruck einer chaotischen Fülle gewinnen könnte." Sein Profil erhalte das Buch nicht durch einen bestimmten Gegenstandsbereich, sondern durch seine Vorgehensweise: Zizek wolle dem Philosophen Gilles Deleuze aus dessen eigenen Texten eine tiefe Übereinstimmung mit Hegel und Lacan nachweisen. Alles in allem würdigt es Seitter als Zizeks "Verdienst", Lacan mit Deleuze auf eine Ebene gestellt zu haben. Je mehr Seitter dann auf Zizeks Text eingeht, desto unzugänglicher, um nicht zu sagen unverständlicher wird auch seine Besprechung: Relativ klar erscheinen da noch Sätze wie dieser: "Die Denkmodelle, die Zizek gegeneinander abwägt, sind die der Polarität beziehungsweise Transzendenz, alternativ dazu die in sich ruhende Immanenz, wie sie etwa von Deleuze bevorzugt worden ist, und schließlich die von Zizek privilegierte Figur des in sich gebrochenen und dezentrierten Endlichen, in dessen Brechung eine Gleichgewichtsstörung und Spannungsgeladenheit liegt." Noch Fragen?
© Perlentaucher Medien GmbH
© Perlentaucher Medien GmbH