Noch immer ein Vorbild für die Bundeswehr? Ein jahrzehntealter Mythos wird hinterfragt
Bis heute umgibt den hoch dekorierten Soldaten des Ersten Weltkrieges der Mythos des unbesiegten, ritterlich kämpfenden und genialen Generals, der mit seinen »treuen« Askari einer gewaltigen Übermacht getrotzt hat und das deutsche Kolonialreich tapfer verteidigte. Dazu trug nicht zuletzt sein Erinnerungsband »Heia Safari!« bei. Die Bundeswehr benannte nach ihm Kasernen, in zahlreichen westdeutschen Städten tragen Straßen noch den Namen Lettow-Vorbeck. Doch sein brutales und skrupelloses Vorgehen gegen die Herero und Nama in Deutsch-Südwestafrika (heute Namibia) und seine grausame Kriegsführung in Deutsch-Ostafrika (heute Tansania) werden dabei ebenso ausgeblendet wie seine Beteiligung am reaktionären Kapp-Putsch 1920 inDeutschland und seine Unterstützung der Nationalsozialisten. Hitler diente er als begeisterter Kolonialpropagandist. Uwe Schulte-Varendorff hat über Jahre die Akten des Reichskolonialamtes, der Deutschen Kolonialgesellschaft, des Reichsjustizministeriums, des Reichsministeriums des Innern, der Reichskanzlei und des Reichslandbundes ausgewertet, um auf neuer Quellengrundlage eine umfassende kritische Biographie vorzulegen. Zugleich beschäftigt er sich mit dem Zustandekommen des Mythos vom fürsorglichen General und setzt sich mit den Verteidigern der alten Legenden auseinander. Ihm gelingt es, die »Lichtgestalt« der deutschen Militär- und Kolonialgeschichte zu entmystifizieren und ein Bild zu zeichnen, das der historischen Wahrheit entspricht.
Bis heute umgibt den hoch dekorierten Soldaten des Ersten Weltkrieges der Mythos des unbesiegten, ritterlich kämpfenden und genialen Generals, der mit seinen »treuen« Askari einer gewaltigen Übermacht getrotzt hat und das deutsche Kolonialreich tapfer verteidigte. Dazu trug nicht zuletzt sein Erinnerungsband »Heia Safari!« bei. Die Bundeswehr benannte nach ihm Kasernen, in zahlreichen westdeutschen Städten tragen Straßen noch den Namen Lettow-Vorbeck. Doch sein brutales und skrupelloses Vorgehen gegen die Herero und Nama in Deutsch-Südwestafrika (heute Namibia) und seine grausame Kriegsführung in Deutsch-Ostafrika (heute Tansania) werden dabei ebenso ausgeblendet wie seine Beteiligung am reaktionären Kapp-Putsch 1920 inDeutschland und seine Unterstützung der Nationalsozialisten. Hitler diente er als begeisterter Kolonialpropagandist. Uwe Schulte-Varendorff hat über Jahre die Akten des Reichskolonialamtes, der Deutschen Kolonialgesellschaft, des Reichsjustizministeriums, des Reichsministeriums des Innern, der Reichskanzlei und des Reichslandbundes ausgewertet, um auf neuer Quellengrundlage eine umfassende kritische Biographie vorzulegen. Zugleich beschäftigt er sich mit dem Zustandekommen des Mythos vom fürsorglichen General und setzt sich mit den Verteidigern der alten Legenden auseinander. Ihm gelingt es, die »Lichtgestalt« der deutschen Militär- und Kolonialgeschichte zu entmystifizieren und ein Bild zu zeichnen, das der historischen Wahrheit entspricht.
Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 07.08.2007Ein Vorzeigesoldat
Endlich werden die Legenden um Lettow-Vorbeck entzaubert
Er war wohl einer der größten Kriegsverbrecher in der deutschen Geschichte. Dennoch glaubte die Bundeswehr in ihm ein Vorbild gefunden zu haben für die Traditionspflege jenseits der „braunen Wehrmacht” und benannte in den sechziger Jahren eifrig Kasernen nach ihm. Dass er den Tod von bis zu einer Million Menschen in einer völlig sinnlosen Aktion verschuldet hatte, wog dagegen kaum, handelte es sich doch schließlich „nur” um Afrikaner. Dass er im Felde unbesiegt war, bedeutete dagegen zumindest für seine Zeitgenossen die Errettung aus der Sinnkrise, in die viele nach den traumatischen Erfahrungen der Niederlage im Ersten Weltkrieg gefallen waren.
Erst nach Abschluss des Waffenstillstands hatte er selbst aufgegeben, was dankbar als Bestätigung der „Dolchstoßlegende” aufgenommen wurde, wonach nicht die militärische Niederlage Ursache des Debakels im Ersten Weltkrieg gewesen sei, sondern der Verrat seitens der vaterlandslosen Gesellen von der SPD an der Heimatfront. Da sahen Öffentlichkeit wie politische und militärische Führung gerne darüber hinweg, dass er eigentlich vor ein Kriegsgericht gehört hätte, wegen Befehlsverweigerung gegenüber seinem Gouverneur Heinrich Schnee. Stattdessen marschierten er und seine „Ostafrikakämpfer” 1919 triumphierend durch das Brandenburger Tor.
Der das Leichentuch schneidet
Die Rede ist von Paul von Lettow-Vorbeck, der während des Ersten Weltkriegs Deutsch-Ostafrika gegen Truppen des britischen Empires verteidigte, dabei völkerrechtswidrig in Portugiesisch-Ostafrika einfiel, das zu diesem Zeitpunkt noch neutral war, dessen Truppe sich wie ein Heuschreckenschwarm aus dem Land ernährte und Hungersnöte und ökologische Katastrophen heraufbeschwor und billigend in Kauf nahm. Nach dem Krieg als Held verklärt, kam er im Dritten Reich wie in der Bundesrepublik zu hohem Ansehen. Nach seinem Tod 1964 wurde ihm sogar ein Begräbnis mit allen militärischen Ehren der noch jungen Bundeswehr zuteil. Dass er als Monarchist und Militarist 1920 am Kapp-Lüttwitz-Putsch gegen die erste deutsche Demokratie beteiligt war, wurde verdrängt.
Wer war dieser Mann, was machte ihn zum brutalen Heerführer, und dies nicht nur in Afrika, sondern auch bei der Niederschlagung der „Sülzeunruhen” in Hamburg 1919? Es ist bezeichnend für den stiefmütterlichen und bisweilen verklärenden Umgang mit der deutschen Kolonialgeschichte, dass es bisher keine fundierte Biographie Lettow-Vorbecks gab. Diese Lücke hat Uwe Schulte-Varendorff auf beeindruckende Weise geschlossen. Klar und überzeugend stellt er einen Menschen vor, dem andere nichts galten, der das Führerprinzip schon zu Zeiten des Kaiserreiches verinnerlicht hatte – zumindest solange er die Rolle des Führers spielen konnte.
Ostafrika bot ihm die Chance, seinen militärischen Ehrgeiz zu befriedigen, gegen den Willen des ihm vorgesetzten Zivilgouverneurs Schnee, der ihn deshalb vor das Kriegsgericht bringen wollte, da nach dem Willen der Politik die Kolonien nicht hätten verteidigt werden sollen. Der Ruhm des Kriegshelden ließ das nach der Kapitulation nicht mehr opportun erscheinen, und Lettow-Vorbeck fand eine Erklärung für seinen Hochverrat, die seine aus persönlichem Ehrgeiz motivierte Handlung auf eine universell-strategische Ebene hob: Starke alliierte Truppenteile hätte er gebunden und so vom Einsatz auf den Gefechtsfeldern Frankreichs abgehalten – von 300 000 Mann war bald die Rede. Obwohl dies, wie Schulte-Varendorff argumentiert, blanker Unsinn ist, weder gibt es genaue Zahlen noch waren die auf britischer Seite eingesetzten Truppeneinheiten überhaupt für den Einsatz in Europa vorgesehen, hält sich diese Legende.
Auch ein weiterer Mythos, von Lettow-Vorbeck selbst in die Welt gesetzt, wurde nicht nur von Zeitgenossen dankbar akzeptiert, sondern geistert bis heute durch die Medien und die Geschichtsbücher: Die Geschichte von den „treuen Askari” und die kameradschaftliche Verbundenheit der deutschen Offiziere und Mannschaften, allen voran des Generals höchstpersönlich, mit ihren afrikanischen Hilfssoldaten. Freiwillig hätten diese zu den Deutschen gestanden und mit ihnen Not und Entbehrung geteilt, um nur ja nicht unter britische Herrschaft zu gelangen. Entwickelt, kurz nachdem die Pariser Friedenskonferenz die deutschen Kolonien wegen erwiesener Kolonialunfähigkeit Deutschlands dem neu gegründeten Völkerbund unterstellt hatte, ließen sich damit zwei Fliegen mit einer Klappe schlagen. Zum einen schienen die Askari die ritterliche Kriegsführung Lettow-Vorbecks zu belegen, zum anderen straften sie die alliierte Friedenkonferenz Lügen.
Wenn Afrikaner freiwillig für die deutsche Herrschaft kämpften, musste die deutsche Herrschaft doch in der Tat beispielhaft gewesen sein. Zwar war das Argument der Kolonialunfähigkeit, wie die Forschung seit einiger Zeit weiß, wenig mehr als Propaganda, wie sonst hätte man Ruanda und Burundi an Belgien als Mandatsmacht geben können, wie Schulte-Varendorff nun beispielhaft zeigt, ist jedoch auch am „treuen Askari” kaum etwas wahr. Wie sonst ließe sich die relativ hohe Zahl der Desertationen erklären, und die drakonischen Strafen dafür. „Der Herr der unser Leichentuch schneidert”, nannten ihn die Askari.
Als besonders kameradschaftlicher Umgang kann auch folgende Anweisung des Chefarztes der Truppe vom 10. Mai 1917 nicht verstanden werden: „Es ist allgemein nicht mehr angezeigt, Farbige in Behandlung zu nehmen und für sie Sanitätsmaterial zu verbrauchen, wenn nicht ihre Wiederherstellung in kurzer Zeit gewährleistet ist und feststeht, daß sie der Truppe noch von Nutzen sein werden.”
Nationalistisch und rassistisch, wie Lettow-Vorbeck war, eignete er sich auch zum Helden des Dritten Reiches. Der Ruhm schmeichelte ihm, gerne suchte er die Nähe zu den neuen Mächtigen. Inwieweit dies auf einer Kongruenz der Interessen beruhte oder einer Identifikation mit den spezifisch nationalsozialistischen Zielen geschuldet war, bleibt leider unklar, wie auch das genaue Ausmaß seines Engagements für die Nazis.
Hier hat Schulze-Varendorffs Buch bedauerlicherweise Lücken. Das Dargestellte reicht jedoch aus, um Lettow-Vorbeck vom Sockel des Vorzeigesoldaten zu stoßen. „Es gibt nichts an Lettow-Vorbeck, das heute noch verehrungswürdig wäre”, schreibt der Autor. Dem ist nichts hinzuzufügen, außer vielleicht die Frage, warum der Mythos noch fast 90 Jahre nach dem Ende des Krieges in Teilen der deutschen Öffentlichkeit anhält, und wie es um eine Geschichtswissenschaft bestellt ist, die sich so lange nicht für dessen Wahrheitsgehalt interessierte. Es scheint als wären die eine Million Tote im Ersten Weltkrieg gar nicht Teil dieses Krieges gewesen. Was aber ist an einer Weltkriegsforschung global, die sich doch nur für West- und Ostfront interessiert? JÜRGEN ZIMMERER
UWE SCHULTE-VARENDORFF: Kolonialheld für Kaiser und Führer. General Lettow-Vorbeck. Mythos und Wirklichkeit, Ch. Links Verlag, Berlin 2006, 217 Seiten, 24, 90 Euro.
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Endlich werden die Legenden um Lettow-Vorbeck entzaubert
Er war wohl einer der größten Kriegsverbrecher in der deutschen Geschichte. Dennoch glaubte die Bundeswehr in ihm ein Vorbild gefunden zu haben für die Traditionspflege jenseits der „braunen Wehrmacht” und benannte in den sechziger Jahren eifrig Kasernen nach ihm. Dass er den Tod von bis zu einer Million Menschen in einer völlig sinnlosen Aktion verschuldet hatte, wog dagegen kaum, handelte es sich doch schließlich „nur” um Afrikaner. Dass er im Felde unbesiegt war, bedeutete dagegen zumindest für seine Zeitgenossen die Errettung aus der Sinnkrise, in die viele nach den traumatischen Erfahrungen der Niederlage im Ersten Weltkrieg gefallen waren.
Erst nach Abschluss des Waffenstillstands hatte er selbst aufgegeben, was dankbar als Bestätigung der „Dolchstoßlegende” aufgenommen wurde, wonach nicht die militärische Niederlage Ursache des Debakels im Ersten Weltkrieg gewesen sei, sondern der Verrat seitens der vaterlandslosen Gesellen von der SPD an der Heimatfront. Da sahen Öffentlichkeit wie politische und militärische Führung gerne darüber hinweg, dass er eigentlich vor ein Kriegsgericht gehört hätte, wegen Befehlsverweigerung gegenüber seinem Gouverneur Heinrich Schnee. Stattdessen marschierten er und seine „Ostafrikakämpfer” 1919 triumphierend durch das Brandenburger Tor.
Der das Leichentuch schneidet
Die Rede ist von Paul von Lettow-Vorbeck, der während des Ersten Weltkriegs Deutsch-Ostafrika gegen Truppen des britischen Empires verteidigte, dabei völkerrechtswidrig in Portugiesisch-Ostafrika einfiel, das zu diesem Zeitpunkt noch neutral war, dessen Truppe sich wie ein Heuschreckenschwarm aus dem Land ernährte und Hungersnöte und ökologische Katastrophen heraufbeschwor und billigend in Kauf nahm. Nach dem Krieg als Held verklärt, kam er im Dritten Reich wie in der Bundesrepublik zu hohem Ansehen. Nach seinem Tod 1964 wurde ihm sogar ein Begräbnis mit allen militärischen Ehren der noch jungen Bundeswehr zuteil. Dass er als Monarchist und Militarist 1920 am Kapp-Lüttwitz-Putsch gegen die erste deutsche Demokratie beteiligt war, wurde verdrängt.
Wer war dieser Mann, was machte ihn zum brutalen Heerführer, und dies nicht nur in Afrika, sondern auch bei der Niederschlagung der „Sülzeunruhen” in Hamburg 1919? Es ist bezeichnend für den stiefmütterlichen und bisweilen verklärenden Umgang mit der deutschen Kolonialgeschichte, dass es bisher keine fundierte Biographie Lettow-Vorbecks gab. Diese Lücke hat Uwe Schulte-Varendorff auf beeindruckende Weise geschlossen. Klar und überzeugend stellt er einen Menschen vor, dem andere nichts galten, der das Führerprinzip schon zu Zeiten des Kaiserreiches verinnerlicht hatte – zumindest solange er die Rolle des Führers spielen konnte.
Ostafrika bot ihm die Chance, seinen militärischen Ehrgeiz zu befriedigen, gegen den Willen des ihm vorgesetzten Zivilgouverneurs Schnee, der ihn deshalb vor das Kriegsgericht bringen wollte, da nach dem Willen der Politik die Kolonien nicht hätten verteidigt werden sollen. Der Ruhm des Kriegshelden ließ das nach der Kapitulation nicht mehr opportun erscheinen, und Lettow-Vorbeck fand eine Erklärung für seinen Hochverrat, die seine aus persönlichem Ehrgeiz motivierte Handlung auf eine universell-strategische Ebene hob: Starke alliierte Truppenteile hätte er gebunden und so vom Einsatz auf den Gefechtsfeldern Frankreichs abgehalten – von 300 000 Mann war bald die Rede. Obwohl dies, wie Schulte-Varendorff argumentiert, blanker Unsinn ist, weder gibt es genaue Zahlen noch waren die auf britischer Seite eingesetzten Truppeneinheiten überhaupt für den Einsatz in Europa vorgesehen, hält sich diese Legende.
Auch ein weiterer Mythos, von Lettow-Vorbeck selbst in die Welt gesetzt, wurde nicht nur von Zeitgenossen dankbar akzeptiert, sondern geistert bis heute durch die Medien und die Geschichtsbücher: Die Geschichte von den „treuen Askari” und die kameradschaftliche Verbundenheit der deutschen Offiziere und Mannschaften, allen voran des Generals höchstpersönlich, mit ihren afrikanischen Hilfssoldaten. Freiwillig hätten diese zu den Deutschen gestanden und mit ihnen Not und Entbehrung geteilt, um nur ja nicht unter britische Herrschaft zu gelangen. Entwickelt, kurz nachdem die Pariser Friedenskonferenz die deutschen Kolonien wegen erwiesener Kolonialunfähigkeit Deutschlands dem neu gegründeten Völkerbund unterstellt hatte, ließen sich damit zwei Fliegen mit einer Klappe schlagen. Zum einen schienen die Askari die ritterliche Kriegsführung Lettow-Vorbecks zu belegen, zum anderen straften sie die alliierte Friedenkonferenz Lügen.
Wenn Afrikaner freiwillig für die deutsche Herrschaft kämpften, musste die deutsche Herrschaft doch in der Tat beispielhaft gewesen sein. Zwar war das Argument der Kolonialunfähigkeit, wie die Forschung seit einiger Zeit weiß, wenig mehr als Propaganda, wie sonst hätte man Ruanda und Burundi an Belgien als Mandatsmacht geben können, wie Schulte-Varendorff nun beispielhaft zeigt, ist jedoch auch am „treuen Askari” kaum etwas wahr. Wie sonst ließe sich die relativ hohe Zahl der Desertationen erklären, und die drakonischen Strafen dafür. „Der Herr der unser Leichentuch schneidert”, nannten ihn die Askari.
Als besonders kameradschaftlicher Umgang kann auch folgende Anweisung des Chefarztes der Truppe vom 10. Mai 1917 nicht verstanden werden: „Es ist allgemein nicht mehr angezeigt, Farbige in Behandlung zu nehmen und für sie Sanitätsmaterial zu verbrauchen, wenn nicht ihre Wiederherstellung in kurzer Zeit gewährleistet ist und feststeht, daß sie der Truppe noch von Nutzen sein werden.”
Nationalistisch und rassistisch, wie Lettow-Vorbeck war, eignete er sich auch zum Helden des Dritten Reiches. Der Ruhm schmeichelte ihm, gerne suchte er die Nähe zu den neuen Mächtigen. Inwieweit dies auf einer Kongruenz der Interessen beruhte oder einer Identifikation mit den spezifisch nationalsozialistischen Zielen geschuldet war, bleibt leider unklar, wie auch das genaue Ausmaß seines Engagements für die Nazis.
Hier hat Schulze-Varendorffs Buch bedauerlicherweise Lücken. Das Dargestellte reicht jedoch aus, um Lettow-Vorbeck vom Sockel des Vorzeigesoldaten zu stoßen. „Es gibt nichts an Lettow-Vorbeck, das heute noch verehrungswürdig wäre”, schreibt der Autor. Dem ist nichts hinzuzufügen, außer vielleicht die Frage, warum der Mythos noch fast 90 Jahre nach dem Ende des Krieges in Teilen der deutschen Öffentlichkeit anhält, und wie es um eine Geschichtswissenschaft bestellt ist, die sich so lange nicht für dessen Wahrheitsgehalt interessierte. Es scheint als wären die eine Million Tote im Ersten Weltkrieg gar nicht Teil dieses Krieges gewesen. Was aber ist an einer Weltkriegsforschung global, die sich doch nur für West- und Ostfront interessiert? JÜRGEN ZIMMERER
UWE SCHULTE-VARENDORFF: Kolonialheld für Kaiser und Führer. General Lettow-Vorbeck. Mythos und Wirklichkeit, Ch. Links Verlag, Berlin 2006, 217 Seiten, 24, 90 Euro.
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Perlentaucher-Notiz zur ZEIT-Rezension
Als längst fällig, materialreich und sachlich lobt Rezensent Andreas Eckert diese Biografie des deutschen Kolonialhelden Paul von Lettow-Vorbeck. Nach Lektüre der Studie des Osnabrücker Historikers scheint dem Rezensenten dieses Heldenprädikat jedoch ziemlich zweifelhaft geworden, und von Lettow-Vorbeck insgesamt als Namenspatron für Kasernen demokratischer Armeen untauglich zu sein, wo sein Name bis heute zählt. Auf der Grundlage eines "reichen Quellenfundus" und fundierter Recherche zeichne Uwe Schulte-Varendorff Lebensweg und Schlachten dieses Mannes nach, belege, dass von Lettow-Vorbeck nicht nur ein äußerst brutaler Dienst- und Feldherr, sondern ein strammer Antisemit gewesen sei, der sich auch vor den Nazi-Karren habe spannen lassen.
© Perlentaucher Medien GmbH
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