Gewalt und auch vernichtende Gewalt scheinen in den diskursiven Konstruktionen kolonialer Wirklichkeit grundsätzlich angelegt zu sein. Sind also, wie etwa Jean-Paul Sartre meinte, kollektive Gewalt und Genozid zwangsläufige Konsequenzen des modernen Kolonialismus? Oder ist koloniale Gewalt, wie beispielsweise die Vernichtung der Herero, die sich in diesem Jahr zum einhundertsten Mal jährt, situationale Rückfälle in Handlungsstrukturen vormoderner Eroberungspolitik? Im Blickpunkt der Beiträge des Bandes steht die Frage nach dem gewaltgenerierenden Potential kolonialer Diskurse, die im Kontext unterschiedlicher Beispiele der Kolonialgeschichte untersucht werden. Welche sprachlichen Strategien der Exklusion lassen sich in kolonialen Diskursen erkennen? Welche Rolle spielen koloniale Konstruktionen des 'Eigenen' und des 'Fremden' - auch hinsichtlich der Übertragung auf andere Diskursfelder? Gehörte die Vernichtung des 'Anderen', des 'Fremden' explizit oder implizit zum kolonialen Programm? Welche Bedeutung kommt der Kategorie 'Genozid' für das Verstehen kolonialer Gewalt, welche Bedeutung der Analyse kolonialer Gewaltakte für unser Verständnis von Genozid zu? Die Annäherungen des interdisziplinär angelegten Bandes eröffnen in der Fokussierung der Strukturen kolonialer Wirklichkeitskonstruktionen und ihrer Rückbindung an nationale Programme und Zukunftsentwürfe neue Blickwinkel für die Analyse von Gewaltprozessen in der Moderne.
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Perlentaucher-Notiz zur FR-Rezension
Aufschlussreich findet Rezensent Andreas Eckert diesen Sammelband, der sich der Analyse spezifischer Formen kolonialer Gewalt widmet. Strukturiert sieht er den Band durch Fragen wie: War die Vernichtung des "Anderen", des "Fremden" explizit oder implizit Teil des kolonialen Programms? Welche Bedeutung kommt der Kategorie "Genozid" für das Verstehen kolonialer Gewalt zu? Inwieweit ist die Analyse kolonialer Gewaltakte relevant für unser Verständnis von Genozid? Eckert berichtet, dass die lange anhaltende Verharmlosung, gar Negierung kolonialer Verbrechen und Gewalt in jüngerer Zeit von der Genozidforschung aufgegriffen und kontrovers diskutiert wurde. Zum einen weil die Hervorhebung genozidaler Tendenzen im Kolonialismus die Vorstellung in Frage stelle, die Europäisierung der Erde sei ein Projekt des Fortschritts gewesen. Zum anderen weil die These von kolonialen Genoziden nach Meinung einiger Historiker und vieler Opfer des Holocaust und ihrer Nachkommen an der Singularität des Holocaust rüttle. Eckert hebt den Beitrag von Mitherausgeber Mihran Dabag hervor. Dieser betone, dass es keine "Kontinuität der Täter, Motive und Strukturen von der Ermordung der Herero zu der Ermordung der Juden in Deutschland und Europa" gegeben habe, gebe aber zugleich zu bedenken, dass Muster zur Legitimation des nationalsozialistischen Ausgrenzungs- und Vernichtungshandelns bereits zwei politische Generationen vorher durchgesetzt waren.
© Perlentaucher Medien GmbH
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