Auf welche Weise ist Kolonialität an der Herausbildung von Geschlecht beteiligt? Diese Frage erörtert Patricia Purtschert am Beispiel der Schweiz im 20. Jahrhundert. Dabei wird der Blick auf zwei Figuren gerichtet, die zentral sind für die Herstellung der Schweizer Nation: die "Hausfrau" und der "Bergsteiger". Die Studie zeichnet nach, wie die bürgerliche Hausfrau, die als Norm für die Schweizerin fungiert, in ständiger Abgrenzung von rassifizierten Anderen als weiße Vorsteherin einer zivilisierten und konsumorientierten Häuslichkeit entworfen wird. Im Unterschied dazu entsteht das Ideal des weißen Bergsteigers, das als Vorbild für den männlichen Schweizer Bürger dient, im kolonialen Wettstreit um die höchsten Gipfel der Welt. Koloniales Weiß-Machen erweist sich in dieser postkolonialen Analyse als grundlegendes Element einer zutiefst vergeschlechtlichten Nation.
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Perlentaucher-Notiz zur NZZ-Rezension
Ziemlich verärgert hat dieses Buch den Rezensenten Urs Hafner, der es dennoch "wichtig" findet - weil es sowohl den Rassismus zeige als auch eine Wissenschaft, die nur den Rassismus sieht. Durchaus überzeugend findet er die Beispiele der Konstruktion kultureller Weißheit, wenn das Bergsteiger-Männlichkeitsideal und dem männlichen Mann untergebene Hausfrau ohne Wahlrecht dem "Mohren" der Reklame und den Sherpas der Reportage vom Himalaya gegenübergestellt werden. Dennoch, so findet der Kritiker, seien die aufgeführten Beispiele eigentlich nur Schlaglichter. "Diskurse" aber - in diesem Fall ist es der postkoloniale Diskurs - seien keine Menschen, zwischen denen immer auch mehr und anderes stattfinde. Die Konstruktion des Eigenen in Abgrenzung zum Anderen (neuerdings "Othering" genannt, wie der Kritiker uns mitteilt), sei nicht so "zwingend" gewesen für das nationale Selbstverständnis der Schweiz, wie es die Autorin glauben machen wolle. Ärgerlich also und wichtig, so das Fazit von Urs Hafner; und nebenbei liefert er die schön knappe Definition von Diskursen als "wirkmächtige Redeströme".
© Perlentaucher Medien GmbH
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»In den gegenwärtigen Debatten ist dieses Buch eine lohnende Lektüre.« Urs Hafner, Neue Zürcher Zeitung, 13.08.2020 »Fast wie im Kinderspiel erkennt man nach der Lektüre die strukturierende Norm auch der Schweizer Gesellschaft: Ich sehe etwas, was du nicht siehst, und es ist weiss!« Kaspar Surber, WOZ, 19.06.2020 »Eine wegweisende Studie, die großes Potential hat, weitere Forschungen dieser Art in zahlreichen anderen Themenfeldern anzuregen.« Paola De Martin, www.gendercampus.ch, 21.04.2020 O-Ton: »Was passiert mit der Schweizer Geschlechtergeschichte, wenn man eine postkoloniale Perspektive darauf setzt?« - Patricia Purtschert im Gespräch bei Cliocast im März 2020. »Mit ihrem Buch demonstriert Purtschert eindrucksvoll, wie sinnhaft und fruchtbar es ist, die Schweizer Geschichte als Kolonialgeschichte zu verstehen und eine solche mit feministischem Blick und unter Berücksichtigung postkolonialer Forschungsansätze zu analysieren.« Andrea Althaus, H-Soz-u-Kult, 25.02.2020 »Deutlich wird [...], wie die offizielle Geschichtsschreibung und das Selbstverständnis der Schweiz bis heute im Modus der 'kolonialen Fantasie' und in einer hegemonialen Position verharren.« Regula Flury, Widerspruch, 73 (2019) O-Ton: »Die weiße Hausfrau und der Bergsteiger« - Patricia Purtschert im Interview bei SRF 2 Kultur am 17.06.2019. Besprochen in: www.frauensolidaritaet.org, 6 (2019)