Im Juni 1900 begannen chinesische Truppen und Boxerverbände das Gesandtschaftsviertel in Peking zu belagern. Verbände der sogenannten Boxer, ursprünglich aus Kampfkunstgruppen entstanden, hatten sich seit Monaten in Nordchina gegen den zunehmenden Einfluss westlicher Kolonialmächte in China zur Wehr gesetzt und waren auch von Regierungstruppen unterstützt worden. Nach der Ermordung des deutschen Gesandten Clemens von Ketteler hielt Kaiser Wilhelm II. seine berüchtigte »Hunnenrede«, und die westlichen Mächte schickten unter Leitung Graf Waldersees Militär nach China. Die Intervention wurde zur verheerenden Strafaktion: Tausende von Chinesen wurden getötet, Landstriche verwüstet, Kulturschätze geplündert.Die Beiträge des vorliegenden Buches bieten einen umfassenden Überblick über die Ereignisse dieses Kolonialkriegs in China 1900/01, der als »Niederschlagung der Boxerbewegung« bekannt geworden ist. Ein internationales Autorenteam beleuchtet die Ursachen und Hintergründe der Boxerbewegung, schildert ausführlich den Kriegsverlauf, analysiert die deutschen Ziele des Feldzuges und zeigt die Konsequenzen des Krieges für China und Deutschland auf. Wichtige Aspekte der Erinnerung und der heutigen Wahrnehmung der Boxer werden ergänzend behandelt. Der Band vermittelt neue Einsichten in das Zusammenwirken der einzelnen Akteure, in das Spannungsverhältnis zwischen Kolonialem und »Modernem«, zwischen kriegerischen Absichten und »menschlichen« Erkenntnissen vor Ort, zwischen kolonialer Vergangenheit und heutiger »nostalgischer« Erinnerung.
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 27.07.2007Rote Laternen
Die Boxerbewegung in China
Den aktuellen Forschungsstand zum Boxerkrieg und zu den Beziehungen Chinas zu den europäischen Großmächten 1900 bis 1901 bietet dieser Sammelband in 25 Beiträgen von 16 Autoren aus Deutschland, China und den Vereinigten Staaten. Vorgeschichte und Nachwirkungen der Boxerbewegung werden ebenso eindrücklich geschildert wie die Wahrnehmung dieser Auseinandersetzung im Deutschland der Kaiserzeit, das sich nach der Tötung des deutschen Gesandten von Ketteler im Juni 1900 von der unglückseligen "Hunnenrede" Wilhelms II. an die ausrückende deutsche Strafexpedition - "Pardon wird nicht gegeben" - begeistern ließ. China galt im Europa des 19. Jahrhunderts als rückständig. Das riesige Reich mit 400 Millionen Einwohnern schien nur als gewaltiger Absatzmarkt für europäische Waren bedeutsam. Den Zugang hatte Großbritannien in zwei Opiumkriegen erzwungen. Mit Gewalt ertrotzten die europäischen Großmächte, die Vereinigten Staaten und Japan Pachtverträge zur Errichtung von Stützpunkten und Kolonien.
Die dann einsetzende christliche Missionierung unter dem Schutz der Großmächte war zahlenmäßig unbedeutend, störte aber doch die konfuzianisch geprägte öffentliche Ordnung. Ohne Rücksicht auf kulturelle Besonderheiten zogen Vermessungstrupps Eisenbahntrassen von der Küste in das Hinterland. Die Ohnmacht der kaiserlichen Verwaltung gegenüber den fremden Mächten führte zu wachsendem Unmut gegenüber den Ausländern. Die Autoren schildern eindringlich Ursprünge, Hintergründe und inhaltliche Ausprägung der Boxerbewegung und der "Leuchtenden Roten Laternen", in denen sich kämpferische Frauen zusammenschlossen. Die weitgehend analphabetische Landbevölkerung fand im Kampfsport auch kulturelle Anregung und Einigung. Weitere Beiträge befassen sich mit der deutschen Kolonie "Kiautschou", den Boxern und den kaiserlichen Armeen der Qing-Regierung, der Belagerung der Gesandtschaften in Peking, der internationalen Strafexpedition unter Feldmarschall von Waldersee, der Plünderung Pekings, der Rolle der Medien und der Propaganda, den Reichstagsdebatten und der Sühnemission des Prinzen Chun zu Wilhelm II. Den Kampf beendete das Boxerprotokoll; seine demütigenden Bestimmungen verstärkten den Druck auf die zerfallende Autorität der kaiserlichen Verwaltung und beschleunigten die Revolution in China.
HANS JOCHEN PRETSCH
Mechthild Leutner / Klaus Mühlhahn (Herausgeber): Kolonialkrieg in China. Die Niederschlagung der Boxerbewegung 1900-1901. Links Verlag, Berlin 2007. 270 S., 24,90 [Euro].
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Die Boxerbewegung in China
Den aktuellen Forschungsstand zum Boxerkrieg und zu den Beziehungen Chinas zu den europäischen Großmächten 1900 bis 1901 bietet dieser Sammelband in 25 Beiträgen von 16 Autoren aus Deutschland, China und den Vereinigten Staaten. Vorgeschichte und Nachwirkungen der Boxerbewegung werden ebenso eindrücklich geschildert wie die Wahrnehmung dieser Auseinandersetzung im Deutschland der Kaiserzeit, das sich nach der Tötung des deutschen Gesandten von Ketteler im Juni 1900 von der unglückseligen "Hunnenrede" Wilhelms II. an die ausrückende deutsche Strafexpedition - "Pardon wird nicht gegeben" - begeistern ließ. China galt im Europa des 19. Jahrhunderts als rückständig. Das riesige Reich mit 400 Millionen Einwohnern schien nur als gewaltiger Absatzmarkt für europäische Waren bedeutsam. Den Zugang hatte Großbritannien in zwei Opiumkriegen erzwungen. Mit Gewalt ertrotzten die europäischen Großmächte, die Vereinigten Staaten und Japan Pachtverträge zur Errichtung von Stützpunkten und Kolonien.
Die dann einsetzende christliche Missionierung unter dem Schutz der Großmächte war zahlenmäßig unbedeutend, störte aber doch die konfuzianisch geprägte öffentliche Ordnung. Ohne Rücksicht auf kulturelle Besonderheiten zogen Vermessungstrupps Eisenbahntrassen von der Küste in das Hinterland. Die Ohnmacht der kaiserlichen Verwaltung gegenüber den fremden Mächten führte zu wachsendem Unmut gegenüber den Ausländern. Die Autoren schildern eindringlich Ursprünge, Hintergründe und inhaltliche Ausprägung der Boxerbewegung und der "Leuchtenden Roten Laternen", in denen sich kämpferische Frauen zusammenschlossen. Die weitgehend analphabetische Landbevölkerung fand im Kampfsport auch kulturelle Anregung und Einigung. Weitere Beiträge befassen sich mit der deutschen Kolonie "Kiautschou", den Boxern und den kaiserlichen Armeen der Qing-Regierung, der Belagerung der Gesandtschaften in Peking, der internationalen Strafexpedition unter Feldmarschall von Waldersee, der Plünderung Pekings, der Rolle der Medien und der Propaganda, den Reichstagsdebatten und der Sühnemission des Prinzen Chun zu Wilhelm II. Den Kampf beendete das Boxerprotokoll; seine demütigenden Bestimmungen verstärkten den Druck auf die zerfallende Autorität der kaiserlichen Verwaltung und beschleunigten die Revolution in China.
HANS JOCHEN PRETSCH
Mechthild Leutner / Klaus Mühlhahn (Herausgeber): Kolonialkrieg in China. Die Niederschlagung der Boxerbewegung 1900-1901. Links Verlag, Berlin 2007. 270 S., 24,90 [Euro].
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