Produktdetails
- Kookbooks, Reihe Lyrik 13
- Verlag: Kookbooks
- Seitenzahl: 59
- Erscheinungstermin: Oktober 2008
- Deutsch
- Abmessung: 210mm
- Gewicht: 132g
- ISBN-13: 9783937445359
- ISBN-10: 3937445358
- Artikelnr.: 23907093
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Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 10.01.2009Dichten ist wilde, verwegene Jagd
Poesie als Lebensform: Steffen Popp führt mit seinem zweiten Lyrikband den Nachweis, dass im zeitgenössischen Gedicht Erfahrungen ganz eigener Art möglich sind.
Von Richard Kämmerlings
In der aktuellen Ausgabe des "Waidblatts", dem Mitteilungsorgan des "Jagdschutz und Jägervereins e.V. Kaufbeuren", gibt es neben Artikeln übers Jagdhornblasen und Rubriken wie dem "Jagdhunde Rasseporträt", den "Jägerwitzen" und dem "Wildrezept" auch einen eigenen Beitrag zur "Jagd-Lyrik". Es sei ermutigend, so hebt dessen Verfasser an, dass man hin und wieder moderne Lyrik finde, die sich mit dem Thema Jagd beschäftige: "In der schreibenden Kunstszene ist also die Jagd noch nicht abgeschrieben."
Als Beleg folgt "Magische Jagdpost aus Rehheim", das wie zahlreiche andere Gedichte Steffen Popps in dieser Zeitung vorabgedruckt wurde (F.A.Z. vom 27. Dezember 2007). Es hat vier Strophen und beginnt so: "Pirschzeichen, hügelan fliegender Schweiß / die Landschaft berührt uns mit Bäumen / dein Kopf in Wolken, deine Hand, du liegst / so lebendig im Gras, aber da ist kein Puls // Probleme der Ausrüstung, die Schwierigkeit / unter dem Kettenhemd weich zu bleiben / da ist eine Blutbahn, innen, ein roter Faden / da ist im Turmhaus ein Jäger mit Armbrust".
Mit der Rezeption zeitgenössischer Lyrik hat es seine ganz eigene Bewandtnis. Obwohl ein hermetischer Dichter wie Paul Celan zu den bekanntesten Autoren der deutschsprachigen Nachkriegsliteratur gehört, obwohl, von der Bachmann und Benn bis zu Thomas Kling, moderne Gedichte den Anspruch unmittelbarer Verständlichkeit oder mindestens einer Übersetzbarkeit in einfache Aussagesätze verweigern, sind viele Leser immer noch irritiert, wenn sie mit einem Text "nichts anfangen können". Dabei kann man mit Lyrik ja alles Mögliche anfangen - laut lesen, weiterdichten, ihre Worte umstellen, eine Zeile, ein Wort herausreißen und so nah betrachten, dass es plötzlich als ganz fern erscheint.
Gedichtlektüre wird - anders als beispielsweise die Betrachtung nichtgegenständlicher Kunst - immer noch als Suche nach einem verborgenen Schlüssel aufgefasst, der, einmal gefunden, den Text erst "richtig" lesbar macht: als sprachspielerische Codierung oder blumiger Ausdruck von Gefühlen oder Naturbetrachtungen. Und es gibt ja auch Gedichte, die genau das sind, Verrätselungen, "Poetisierungen" von Sachverhalten oder Wahrnehmungen, die auch anders, etwa essayistisch, auszudrücken wären.
Der Freund der Poppschen Jagd-Lyrik ist da schon weiter: "Mit diesen gefühlten Gedanken muss man sich allerdings auseinandersetzen", schreibt er warnend an seine Waidgenossen und setzt dann lakonisch einen echten Blattschuss: "Flüchtiges Darüberhinweglesen hilft dem Verständnis nicht." Es gilt, unter dem Kettenhemd weich zu bleiben. Dann kann man sich einlassen auf eine eben nur mit dem Gedicht zu machende Erfahrung. "was ich sagen will kommt von den Steinen / die aus den Toten wachsen, deinen Träumen / deren offene Augen den Wald einreißen / ihn in der Nähe des Herzens neu aufrichten." So endet die Post, mit einem Wald nah am Herzen, und das mag ein Gedanke sein, den Jäger gern nachfühlen.
Steffen Popp, geboren 1978 in Greifswald, gehört seit seinem Debütband "Wie Alpen" zu den wichtigsten und markantesten Stimmen der neuen deutschsprachigen Lyrik. Sein neuer Band "Kolonie Zur Sonne" bestätigt seinen Rang. Popp versteht sich selbst als "postavantgardistischer" Autor, der die sterilen Selbstreflexionen des Mediums Sprache ebenso meidet wie die wieder verstärkt auftretende Freiluftmalerei sensibler Seelen. Auch hier geht es um Bewusstseinszustände, um Erfahrungen, die aber vom Textverfahren nicht abzuscheiden sind.
Das sind nicht zuletzt Erfahrungen mit der Sprache selbst - etwa bei der Begegnung des Kindes mit unbekannten Wörtern. Popp plündert Fachsprachen (wie das Jägerlatein), lässt Wortfelder wissenschaftlicher Diskurse kollidieren mit dem existentialistischen Topos eines gottlosen, leeren Universums, Erinnerungsfetzen an eine Kindheit im Sozialismus (im Abschnitt "Tristan Gelände") mit futuristisch-verfremdeten Blicken auf den aktuellen Stand des zu scheitern drohenden Projekts Menschheit. Die "Kolonie Zur Sonne" ist eben auch unsere kleine Gartenlaube Erde.
Pathosformeln des Expressionismus werden ironisch zitiert: "O elefantischer Pan im Porzellantrakt der Musen" setzt er einmal ein oder "Welt, wenn nicht Kosmos, sah mich an" ("Selbstporträt am Renaissancefenster"). Ein leiser, intellektuell-verspielter Sinn für Humor grundiert viele dieser Texte ebenso wie ein durch Öko-Desaster befeuertes Endzeitbewusstsein: "Du rätselst über der Ebene, Asche / ein Grauwert in ihren Schichten bedeutet / ,Rom', ein rostiger Einschluss ,Bonn'".
Steffen Popp, der auch in seiner Prosa poetologisches Problembewusstsein mit verblüffender Imaginationskraft verbindet - sein Roman "Ohrenberg oder der Weg dorthin" erschien 2006 -, hat sein Dichten unter die Parole "Poesie als Lebensform" gestellt. Damit meint er kein neues Hippietum, sondern eben den Willen zur Erzeugung von (sprachgebundenen) Erlebnissen, die nur Gedichte bieten können. Ziel ist nicht eine Annäherung der Literatur an das Leben, sondern die "Verlebendigung der Wirklichkeit im Gedicht". Die Sprache ist nun aber (verglichen mit Tönen oder Bildern) das abstrakteste Medium; das Gedicht als Sprachgebilde per se besonders "lebensfern". Doch gerade aus der Schwierigkeit der Aufgabe zieht der Lyriker sein Selbstbewusstsein: "Nur was wir in poetische Praxis umsetzen, kann guten Gewissens als ,anthropologisch gemeistert' gelten."
Der Nachvollzug dieser Praxis setzt nun gerade nicht voraus, auch ihre Theorie mitzudenken. So wie man Musik auch hören - und lieben - kann, ohne ihre kompositorischen Grundlagen zu überblicken, kann man Lyrik lesen, ohne sie mit einem hermeneutischen Universalschlüssel zu "verstehen". In Popps neuem Buch finden sich einige der schönsten Möglichkeiten, in deutscher Sprache dichterische Erfahrungen zu machen. Sich zu üben etwa in "Auratischer Flurkunde": "Unmerklich stilbildender Wind aus Nordwest / und das Garagentor formen ein strömendes Rechteck // das emotionale Projekt, verstimmt / hängt es vor uns, in der Luft, atmet angestrengt // wir suchen die Ordnungen der Liebe / im Gespräch zu binden, auf langen Waldgängen / durch Nebel."
Steffen Popp: "Kolonie Zur Sonne". Gedichte. Kookbooks Verlag, Idstein 2008. 64 S., br., 19,90 [Euro].
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Poesie als Lebensform: Steffen Popp führt mit seinem zweiten Lyrikband den Nachweis, dass im zeitgenössischen Gedicht Erfahrungen ganz eigener Art möglich sind.
Von Richard Kämmerlings
In der aktuellen Ausgabe des "Waidblatts", dem Mitteilungsorgan des "Jagdschutz und Jägervereins e.V. Kaufbeuren", gibt es neben Artikeln übers Jagdhornblasen und Rubriken wie dem "Jagdhunde Rasseporträt", den "Jägerwitzen" und dem "Wildrezept" auch einen eigenen Beitrag zur "Jagd-Lyrik". Es sei ermutigend, so hebt dessen Verfasser an, dass man hin und wieder moderne Lyrik finde, die sich mit dem Thema Jagd beschäftige: "In der schreibenden Kunstszene ist also die Jagd noch nicht abgeschrieben."
Als Beleg folgt "Magische Jagdpost aus Rehheim", das wie zahlreiche andere Gedichte Steffen Popps in dieser Zeitung vorabgedruckt wurde (F.A.Z. vom 27. Dezember 2007). Es hat vier Strophen und beginnt so: "Pirschzeichen, hügelan fliegender Schweiß / die Landschaft berührt uns mit Bäumen / dein Kopf in Wolken, deine Hand, du liegst / so lebendig im Gras, aber da ist kein Puls // Probleme der Ausrüstung, die Schwierigkeit / unter dem Kettenhemd weich zu bleiben / da ist eine Blutbahn, innen, ein roter Faden / da ist im Turmhaus ein Jäger mit Armbrust".
Mit der Rezeption zeitgenössischer Lyrik hat es seine ganz eigene Bewandtnis. Obwohl ein hermetischer Dichter wie Paul Celan zu den bekanntesten Autoren der deutschsprachigen Nachkriegsliteratur gehört, obwohl, von der Bachmann und Benn bis zu Thomas Kling, moderne Gedichte den Anspruch unmittelbarer Verständlichkeit oder mindestens einer Übersetzbarkeit in einfache Aussagesätze verweigern, sind viele Leser immer noch irritiert, wenn sie mit einem Text "nichts anfangen können". Dabei kann man mit Lyrik ja alles Mögliche anfangen - laut lesen, weiterdichten, ihre Worte umstellen, eine Zeile, ein Wort herausreißen und so nah betrachten, dass es plötzlich als ganz fern erscheint.
Gedichtlektüre wird - anders als beispielsweise die Betrachtung nichtgegenständlicher Kunst - immer noch als Suche nach einem verborgenen Schlüssel aufgefasst, der, einmal gefunden, den Text erst "richtig" lesbar macht: als sprachspielerische Codierung oder blumiger Ausdruck von Gefühlen oder Naturbetrachtungen. Und es gibt ja auch Gedichte, die genau das sind, Verrätselungen, "Poetisierungen" von Sachverhalten oder Wahrnehmungen, die auch anders, etwa essayistisch, auszudrücken wären.
Der Freund der Poppschen Jagd-Lyrik ist da schon weiter: "Mit diesen gefühlten Gedanken muss man sich allerdings auseinandersetzen", schreibt er warnend an seine Waidgenossen und setzt dann lakonisch einen echten Blattschuss: "Flüchtiges Darüberhinweglesen hilft dem Verständnis nicht." Es gilt, unter dem Kettenhemd weich zu bleiben. Dann kann man sich einlassen auf eine eben nur mit dem Gedicht zu machende Erfahrung. "was ich sagen will kommt von den Steinen / die aus den Toten wachsen, deinen Träumen / deren offene Augen den Wald einreißen / ihn in der Nähe des Herzens neu aufrichten." So endet die Post, mit einem Wald nah am Herzen, und das mag ein Gedanke sein, den Jäger gern nachfühlen.
Steffen Popp, geboren 1978 in Greifswald, gehört seit seinem Debütband "Wie Alpen" zu den wichtigsten und markantesten Stimmen der neuen deutschsprachigen Lyrik. Sein neuer Band "Kolonie Zur Sonne" bestätigt seinen Rang. Popp versteht sich selbst als "postavantgardistischer" Autor, der die sterilen Selbstreflexionen des Mediums Sprache ebenso meidet wie die wieder verstärkt auftretende Freiluftmalerei sensibler Seelen. Auch hier geht es um Bewusstseinszustände, um Erfahrungen, die aber vom Textverfahren nicht abzuscheiden sind.
Das sind nicht zuletzt Erfahrungen mit der Sprache selbst - etwa bei der Begegnung des Kindes mit unbekannten Wörtern. Popp plündert Fachsprachen (wie das Jägerlatein), lässt Wortfelder wissenschaftlicher Diskurse kollidieren mit dem existentialistischen Topos eines gottlosen, leeren Universums, Erinnerungsfetzen an eine Kindheit im Sozialismus (im Abschnitt "Tristan Gelände") mit futuristisch-verfremdeten Blicken auf den aktuellen Stand des zu scheitern drohenden Projekts Menschheit. Die "Kolonie Zur Sonne" ist eben auch unsere kleine Gartenlaube Erde.
Pathosformeln des Expressionismus werden ironisch zitiert: "O elefantischer Pan im Porzellantrakt der Musen" setzt er einmal ein oder "Welt, wenn nicht Kosmos, sah mich an" ("Selbstporträt am Renaissancefenster"). Ein leiser, intellektuell-verspielter Sinn für Humor grundiert viele dieser Texte ebenso wie ein durch Öko-Desaster befeuertes Endzeitbewusstsein: "Du rätselst über der Ebene, Asche / ein Grauwert in ihren Schichten bedeutet / ,Rom', ein rostiger Einschluss ,Bonn'".
Steffen Popp, der auch in seiner Prosa poetologisches Problembewusstsein mit verblüffender Imaginationskraft verbindet - sein Roman "Ohrenberg oder der Weg dorthin" erschien 2006 -, hat sein Dichten unter die Parole "Poesie als Lebensform" gestellt. Damit meint er kein neues Hippietum, sondern eben den Willen zur Erzeugung von (sprachgebundenen) Erlebnissen, die nur Gedichte bieten können. Ziel ist nicht eine Annäherung der Literatur an das Leben, sondern die "Verlebendigung der Wirklichkeit im Gedicht". Die Sprache ist nun aber (verglichen mit Tönen oder Bildern) das abstrakteste Medium; das Gedicht als Sprachgebilde per se besonders "lebensfern". Doch gerade aus der Schwierigkeit der Aufgabe zieht der Lyriker sein Selbstbewusstsein: "Nur was wir in poetische Praxis umsetzen, kann guten Gewissens als ,anthropologisch gemeistert' gelten."
Der Nachvollzug dieser Praxis setzt nun gerade nicht voraus, auch ihre Theorie mitzudenken. So wie man Musik auch hören - und lieben - kann, ohne ihre kompositorischen Grundlagen zu überblicken, kann man Lyrik lesen, ohne sie mit einem hermeneutischen Universalschlüssel zu "verstehen". In Popps neuem Buch finden sich einige der schönsten Möglichkeiten, in deutscher Sprache dichterische Erfahrungen zu machen. Sich zu üben etwa in "Auratischer Flurkunde": "Unmerklich stilbildender Wind aus Nordwest / und das Garagentor formen ein strömendes Rechteck // das emotionale Projekt, verstimmt / hängt es vor uns, in der Luft, atmet angestrengt // wir suchen die Ordnungen der Liebe / im Gespräch zu binden, auf langen Waldgängen / durch Nebel."
Steffen Popp: "Kolonie Zur Sonne". Gedichte. Kookbooks Verlag, Idstein 2008. 64 S., br., 19,90 [Euro].
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Perlentaucher-Notiz zur F.A.Z.-Rezension
Als eine der "wichtigsten und markantesten Stimmen" unter den deutschsprachigen Lyrikern seiner Generation preist Richard Kämmerlings den 1978 geborenen Steffen Popp. Seine Texte charakterisiert er einerseits als post-avantgardistisch, betont andererseits aber auch, dass es Popp dennoch sehr wohl und in erster Linie um die Sprache geht, durch die die Wirklichkeit hindurch, in die die Wirklichkeit hinein muss, um Gedicht zu werden. So sind die Verse Popps offen für die unterschiedlichsten Fachsprachen und Diskurse, fügen sich nie einem auf Anhieb - oder auch durch ausdauerndes Nachdenken - eindeutig erkennbaren Sinn. Man sollte, so Kämmerlings' grundsätzliches Plädoyer, Lyrik ja sowieso eher als Analogon zur nicht-figurativen Bildenden Kunst begreifen und nicht darauf beharren, hermeneutisch hinters auf den ersten Blick Unverständliche zu kommen. Für Steffen Popp jedenfalls scheint ihm das der einzig richtige Zugang.
© Perlentaucher Medien GmbH
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