Ein Gedichtband wie ein Streifzug durch einen Luna-Park: Wir treffen einen Wikinger an der 54. Straße, versuchen, aufblasbare Münzen durch die ihnen zugewiesenen Löcher zu quetschen, besteigen Barthelmes Ballon in der Nähe des Central Park, fliegen in einer Disziplin unserer Wahl zu den inoffiziellen Weltmeisterschaften nach Milwaukee, behalten einen Kaugummi während eines Kreditgesprächs im Mund. Alles in allem sind wir in diesen Gedichten keine Freunde von mittelmäßiger Gesellschaft. Eine letzte Arche Noah sticht in See, mit Walen, Salamandern und Ratten, wenn nur genügend Gewässer rund um den Ararat zusammengefunden haben.
Die neuen Gedichte von Thomas Kunst verlassen den Pfad des Fernwehs und der Liebessehnsucht. Sie geben sich regional, sind aber durch und durch international: Im Toom Baumarkt sammeln sich arabische Reiter. Zwischen Carports und Gartenmöbelauflagen tobt die Schlacht von Tours und Poitiers im Jahre 732. Das Ordnungsprinzip des Sonettenkranzes soll verbinden, was sich ausschließt. Prosagedichte und jambische Elfsilber. Disziplin und Ernüchterungsrausch.
Die neuen Gedichte von Thomas Kunst verlassen den Pfad des Fernwehs und der Liebessehnsucht. Sie geben sich regional, sind aber durch und durch international: Im Toom Baumarkt sammeln sich arabische Reiter. Zwischen Carports und Gartenmöbelauflagen tobt die Schlacht von Tours und Poitiers im Jahre 732. Das Ordnungsprinzip des Sonettenkranzes soll verbinden, was sich ausschließt. Prosagedichte und jambische Elfsilber. Disziplin und Ernüchterungsrausch.
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 17.08.2017Am Küchentisch wird mit aufblasbaren Münzen gezahlt
Tiere in Tüten: Neue Gedichte des Leipziger Lyrikers Thomas Kunst
Unter den Büchern, die der Leipziger Autor Thomas Kunst seit den neunziger Jahren veröffentlicht hat, gab es einen Gedichtband mit dem Titel "Kunst". Das war nicht bloß ein Jux mit dem eigenen Namen, es war auch das Bekenntnis zu Form und Artistik. Kunst probierte seine Kunstfertigkeit vor allem an Sonetten und Sonettenkränzen aus - mit Paten wie Rimbaud, Rilke oder Brecht.
Jetzt aber hat Kunst gewechselt. Zunächst einmal den Verlag. Statt in einem Kleinverlag erscheint der neue Gedichtband in einem unserer ersten Häuser, bei Suhrkamp. Doch der neue Autor strebt nicht einen Platz im Olymp an, sondern eher einen im Parterre: Er gibt sich als hemdsärmeliger Pop-Autor. Der Buchtitel spannt so Heterogenes wie "Kolonien und Manschettenknöpfe" zusammen, und als Cover erscheint das Farbfoto eines leeren Rummelplatzes.
Der Band umfasst sechs Kapitel mit doppelten Titelformulierungen wie "Disziplin der Idioten / Wasserkerne", "Fingerwäsche / Konferenzen" oder "Sonett in den Bergen / Von all unseren Kameraden". Dagegen bleiben die Gedichte titellos. Es sind meist Texte in rhythmisierter Prosa. Dazwischen finden sich, als Relikte früherer Produktionen, acht Sonette und einige gereimte Kurzgedichte.
Es ist nicht leicht, in Kunsts neuen Texten thematische Kohärenz und strukturelle Konsistenz zu erkennen. Beides scheint nicht beabsichtigt. Der Autor überlässt sich lieber dem Fluss seiner Einfälle. Manchmal setzt sich aus Gedankensprüngen so etwas wie eine Geschichte zusammen. Etwa die von den Tieren in Tüten: "Unsere Tiere an der / Grenze in Tüten, aber unsere Tiere laufen an / Der Grenze in den Tüten nicht im / Kreis." Zuletzt, wenn die Tiere bei Schräglage in der Luft nach Stufen tasten, heißt es: "Aber wir / Glauben nicht daran." Was bringt diese Einsicht? Gut, auch Salvador Dalí hätte keine Tiere in Tüten gemalt.
Thomas Kunst ist um extraordinäre Einfälle bemüht. Etwa: "Den Kaugummi hätte ich während des Bankgesprächs / Getrost drinlassen können." Oder: "Zu Hause sind wir der Demenz näher als der Unregierbarkeit. / Wir bezahlen am Küchentisch mit aufblasbaren Münzen." Das sind Einfälle, die weder provokativ noch poetisch sind. Der Kaugummi im Mund ist allenfalls schlechtes Benehmen, die aufblasbaren Münzen schlechter Surrealismus. Den Motiven fehlt, was Joyce die profane Epiphanie nannte, welche die Seele des gewöhnlichsten Objekts strahlen lässt.
Einmal ist er diesem Epiphanischen nahe, wenn er in einem Venedig-Sonett schreibt: "Die Schiffe demonstrieren hier verlegen, / Wie Häuser sich an Häusern lang bewegen." Hier ist es der Reim, der ironisch die Eindrücke zu einem Bild fasst. Und wenn Ironie an Selbstironie grenzt, stimmt man auch der folgenden Frage zu: "Wieviel / verändert sich, wenn Jamben durch Verlage / Verschiedener Herkunft rinnen?"
HARALD HARTUNG.
Thomas Kunst: "Kolonien und Manschettenknöpfe". Gedichte.
Suhrkamp Verlag, Frankfurt am Main 2017. 125 S., geb., 20,- [Euro].
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Tiere in Tüten: Neue Gedichte des Leipziger Lyrikers Thomas Kunst
Unter den Büchern, die der Leipziger Autor Thomas Kunst seit den neunziger Jahren veröffentlicht hat, gab es einen Gedichtband mit dem Titel "Kunst". Das war nicht bloß ein Jux mit dem eigenen Namen, es war auch das Bekenntnis zu Form und Artistik. Kunst probierte seine Kunstfertigkeit vor allem an Sonetten und Sonettenkränzen aus - mit Paten wie Rimbaud, Rilke oder Brecht.
Jetzt aber hat Kunst gewechselt. Zunächst einmal den Verlag. Statt in einem Kleinverlag erscheint der neue Gedichtband in einem unserer ersten Häuser, bei Suhrkamp. Doch der neue Autor strebt nicht einen Platz im Olymp an, sondern eher einen im Parterre: Er gibt sich als hemdsärmeliger Pop-Autor. Der Buchtitel spannt so Heterogenes wie "Kolonien und Manschettenknöpfe" zusammen, und als Cover erscheint das Farbfoto eines leeren Rummelplatzes.
Der Band umfasst sechs Kapitel mit doppelten Titelformulierungen wie "Disziplin der Idioten / Wasserkerne", "Fingerwäsche / Konferenzen" oder "Sonett in den Bergen / Von all unseren Kameraden". Dagegen bleiben die Gedichte titellos. Es sind meist Texte in rhythmisierter Prosa. Dazwischen finden sich, als Relikte früherer Produktionen, acht Sonette und einige gereimte Kurzgedichte.
Es ist nicht leicht, in Kunsts neuen Texten thematische Kohärenz und strukturelle Konsistenz zu erkennen. Beides scheint nicht beabsichtigt. Der Autor überlässt sich lieber dem Fluss seiner Einfälle. Manchmal setzt sich aus Gedankensprüngen so etwas wie eine Geschichte zusammen. Etwa die von den Tieren in Tüten: "Unsere Tiere an der / Grenze in Tüten, aber unsere Tiere laufen an / Der Grenze in den Tüten nicht im / Kreis." Zuletzt, wenn die Tiere bei Schräglage in der Luft nach Stufen tasten, heißt es: "Aber wir / Glauben nicht daran." Was bringt diese Einsicht? Gut, auch Salvador Dalí hätte keine Tiere in Tüten gemalt.
Thomas Kunst ist um extraordinäre Einfälle bemüht. Etwa: "Den Kaugummi hätte ich während des Bankgesprächs / Getrost drinlassen können." Oder: "Zu Hause sind wir der Demenz näher als der Unregierbarkeit. / Wir bezahlen am Küchentisch mit aufblasbaren Münzen." Das sind Einfälle, die weder provokativ noch poetisch sind. Der Kaugummi im Mund ist allenfalls schlechtes Benehmen, die aufblasbaren Münzen schlechter Surrealismus. Den Motiven fehlt, was Joyce die profane Epiphanie nannte, welche die Seele des gewöhnlichsten Objekts strahlen lässt.
Einmal ist er diesem Epiphanischen nahe, wenn er in einem Venedig-Sonett schreibt: "Die Schiffe demonstrieren hier verlegen, / Wie Häuser sich an Häusern lang bewegen." Hier ist es der Reim, der ironisch die Eindrücke zu einem Bild fasst. Und wenn Ironie an Selbstironie grenzt, stimmt man auch der folgenden Frage zu: "Wieviel / verändert sich, wenn Jamben durch Verlage / Verschiedener Herkunft rinnen?"
HARALD HARTUNG.
Thomas Kunst: "Kolonien und Manschettenknöpfe". Gedichte.
Suhrkamp Verlag, Frankfurt am Main 2017. 125 S., geb., 20,- [Euro].
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»Vor allem beeindrucken diese Gedichte ... durch ihre Widerborstigkeit und durch ihre hartnäckige Weigerung, einer schlechten Welt dennoch schöne Verse zu singen.« Dirk Pilz Frankfurter Rundschau 20180115