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Ein Gedichtband wie ein Streifzug durch einen Luna-Park: Wir treffen einen Wikinger an der 54. Straße, versuchen, aufblasbare Münzen durch die ihnen zugewiesenen Löcher zu quetschen, besteigen Barthelmes Ballon in der Nähe des Central Park, fliegen in einer Disziplin unserer Wahl zu den inoffiziellen Weltmeisterschaften nach Milwaukee, behalten einen Kaugummi während eines Kreditgesprächs im Mund. Alles in allem sind wir in diesen Gedichten keine Freunde von mittelmäßiger Gesellschaft. Eine letzte Arche Noah sticht in See, mit Walen, Salamandern und Ratten, wenn nur genügend Gewässer rund um…mehr

Produktbeschreibung
Ein Gedichtband wie ein Streifzug durch einen Luna-Park: Wir treffen einen Wikinger an der 54. Straße, versuchen, aufblasbare Münzen durch die ihnen zugewiesenen Löcher zu quetschen, besteigen Barthelmes Ballon in der Nähe des Central Park, fliegen in einer Disziplin unserer Wahl zu den inoffiziellen Weltmeisterschaften nach Milwaukee, behalten einen Kaugummi während eines Kreditgesprächs im Mund. Alles in allem sind wir in diesen Gedichten keine Freunde von mittelmäßiger Gesellschaft. Eine letzte Arche Noah sticht in See, mit Walen, Salamandern und Ratten, wenn nur genügend Gewässer rund um den Ararat zusammengefunden haben.

Die neuen Gedichte von Thomas Kunst verlassen den Pfad des Fernwehs und der Liebessehnsucht. Sie geben sich regional, sind aber durch und durch international: Im Toom Baumarkt sammeln sich arabische Reiter. Zwischen Carports und Gartenmöbelauflagen tobt die Schlacht von Tours und Poitiers im Jahre 732. Das Ordnungsprinzip des Sonettenkranzes soll verbinden, was sich ausschließt. Prosagedichte und jambische Elfsilber. Disziplin und Ernüchterungsrausch.
Autorenporträt
Thomas Kunst, geboren 1965 in Stralsund, lebt und arbeitet in Leipzig. Er veröffentlicht Gedichte und Romane sowie Hörbücher, für die er mehrfach ausgezeichnet wurde, unter anderem mit dem Lyrikpreis Meran 2014. Für einen Auszug aus Zandschower Klinken erhielt er den Niederösterreich Literaturpreis 2018.
Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 17.08.2017

Am Küchentisch wird mit aufblasbaren Münzen gezahlt
Tiere in Tüten: Neue Gedichte des Leipziger Lyrikers Thomas Kunst

Unter den Büchern, die der Leipziger Autor Thomas Kunst seit den neunziger Jahren veröffentlicht hat, gab es einen Gedichtband mit dem Titel "Kunst". Das war nicht bloß ein Jux mit dem eigenen Namen, es war auch das Bekenntnis zu Form und Artistik. Kunst probierte seine Kunstfertigkeit vor allem an Sonetten und Sonettenkränzen aus - mit Paten wie Rimbaud, Rilke oder Brecht.

Jetzt aber hat Kunst gewechselt. Zunächst einmal den Verlag. Statt in einem Kleinverlag erscheint der neue Gedichtband in einem unserer ersten Häuser, bei Suhrkamp. Doch der neue Autor strebt nicht einen Platz im Olymp an, sondern eher einen im Parterre: Er gibt sich als hemdsärmeliger Pop-Autor. Der Buchtitel spannt so Heterogenes wie "Kolonien und Manschettenknöpfe" zusammen, und als Cover erscheint das Farbfoto eines leeren Rummelplatzes.

Der Band umfasst sechs Kapitel mit doppelten Titelformulierungen wie "Disziplin der Idioten / Wasserkerne", "Fingerwäsche / Konferenzen" oder "Sonett in den Bergen / Von all unseren Kameraden". Dagegen bleiben die Gedichte titellos. Es sind meist Texte in rhythmisierter Prosa. Dazwischen finden sich, als Relikte früherer Produktionen, acht Sonette und einige gereimte Kurzgedichte.

Es ist nicht leicht, in Kunsts neuen Texten thematische Kohärenz und strukturelle Konsistenz zu erkennen. Beides scheint nicht beabsichtigt. Der Autor überlässt sich lieber dem Fluss seiner Einfälle. Manchmal setzt sich aus Gedankensprüngen so etwas wie eine Geschichte zusammen. Etwa die von den Tieren in Tüten: "Unsere Tiere an der / Grenze in Tüten, aber unsere Tiere laufen an / Der Grenze in den Tüten nicht im / Kreis." Zuletzt, wenn die Tiere bei Schräglage in der Luft nach Stufen tasten, heißt es: "Aber wir / Glauben nicht daran." Was bringt diese Einsicht? Gut, auch Salvador Dalí hätte keine Tiere in Tüten gemalt.

Thomas Kunst ist um extraordinäre Einfälle bemüht. Etwa: "Den Kaugummi hätte ich während des Bankgesprächs / Getrost drinlassen können." Oder: "Zu Hause sind wir der Demenz näher als der Unregierbarkeit. / Wir bezahlen am Küchentisch mit aufblasbaren Münzen." Das sind Einfälle, die weder provokativ noch poetisch sind. Der Kaugummi im Mund ist allenfalls schlechtes Benehmen, die aufblasbaren Münzen schlechter Surrealismus. Den Motiven fehlt, was Joyce die profane Epiphanie nannte, welche die Seele des gewöhnlichsten Objekts strahlen lässt.

Einmal ist er diesem Epiphanischen nahe, wenn er in einem Venedig-Sonett schreibt: "Die Schiffe demonstrieren hier verlegen, / Wie Häuser sich an Häusern lang bewegen." Hier ist es der Reim, der ironisch die Eindrücke zu einem Bild fasst. Und wenn Ironie an Selbstironie grenzt, stimmt man auch der folgenden Frage zu: "Wieviel / verändert sich, wenn Jamben durch Verlage / Verschiedener Herkunft rinnen?"

HARALD HARTUNG.

Thomas Kunst: "Kolonien und Manschettenknöpfe". Gedichte.

Suhrkamp Verlag, Frankfurt am Main 2017. 125 S., geb., 20,- [Euro].

Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
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Süddeutsche Zeitung - Rezension
Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 10.10.2017

Das wahre
Delitzsch
Thomas Kunsts tänzerischer
neuer Gedichtband
Die La-Plata-Küste, Mozambique, das Hunza-Tal in Pakistan - und Thomas Kunst greift noch weiter aus. Bis auf den Mount Everest, ja bis hinauf in den Weltraum reichen seine Gedichte. Aber auch das nicht allzu ferne Rügen, die Hebebühnen von Delitzsch-West („an der Shell Tankstelle, Höhe Securiusstraße“), der Paupitzscher See und die Monheimer Allee tauchen hier auf. Wobei der Stadtplan von Delitzsch, einem Ort dreißig Kilometer nördlich von Leipzig, dem Wohnort des Autors, nur eine Monheimer Straße kennt, keine Allee. Ein Hinweis darauf, dass Kunst das wahre Delitzsch vielleicht genauso fremd ist wie das Hunza-Tal, der Chilva-See und Quelimane?
Ob Thomas Kunst tatsächlich einmal in Pakistan war oder gar im Weltraum, spielt für seine Gedichte dabei keine Rolle. Es geht dem 1965 in Stralsund geborenen Autor nicht darum, eigene Beobachtung in lyrische Sprache zu fassen. Ihn interessiert vielmehr, die verschiedenen Vorstellungswelten, die mit den einzelnen Worten verknüpft sind, auf engstem Raum miteinander reagieren zu lassen. Schon der Titel des Bandes, in dem ein konkreter Gegenstand mit einem politischen Konzept kollidiert, weist auf dieses Prinzip hin. Sucht man auf den folgenden Seiten nach dem entsprechenden Vers, tun sich gleich neue Fragen auf: „Makumba und/ Matemba, Kolonien an Körpertemperatur/ Unter den Manschettenknöpfen, die Beine in/ den Flanken eines minuziösen Kontinents.“
Wenn man sich fragt, wie es Thomas Kunst gelingt, so disparates Material auf so engem Raum unterzubringen, ohne dass das Ganze beliebig wirkt oder einem um die Ohren fliegt, so liefert eine Liste von Schallplatten am Ende des Bandes einen Hinweis: Kunst weiß wie ein guter DJ die Elemente seiner Versmusik gut zu mischen und nahtlose Übergänge dort zu schaffen, wo eigentlich gar keine Verbindung zu existieren scheint.
Auch Pferde, Flussdelphine und das Flachdach-Carport Arcadia 5000 tauchen in Kunsts Gedichten immer wieder auf. Gemeinsam mit den Ortsnamen bilden sie ein Reservoir an Klang- und Bildelementen und zugleich eine Art Privatmythologie. Doch Kunst arbeitet nicht allein mit der sanften Kollision von Wirklichkeitssplittern. So widmet sich das längste Gedicht des Bandes durchaus erzählerisch der Schneekatastrophe in Norddeutschland im Winter 1978/79: „als ich / dreizehn Jahre alt war, gab es auf Rügen sechs Meter/ hohe Schneewehen, Flugsand, Eisregen und die maßlos/ übertriebenen Regalauffüllungen aus Temperatursturz und/ einigen bis an die Obergrenze verschmierten Wind-/ Entgleisungen“.
Auch dem mit Thomas Kunst befreundeten Feridun Zaimoglu begegnet man in diesem Band mehrmals. Beide Schriftsteller teilen eine kindliche Begeisterungsfähigkeit, einen zuweilen euphorische Schreibgestus. Als Leser lässt man sich gerne davon anstecken und tanzt mit, wenn Kunst im vorletzten Gedicht des Bandes alle vorhergehenden Motive noch einmal neu remixt: „An der Delitzscher Küste, die nahe Großstadt/ Leer und morsch, mit einem Luftgewehr wohl/ kaum noch zu zerlegen“.
TOBIAS LEHMKUHL
Thomas Kunst: Kolonien und Manschettenknöpfe. Gedichte. Suhrkamp
Verlag, Berlin 2017.
126 Seiten, 20 Euro. E-Book 16,99 Euro.
DIZdigital: Alle Rechte vorbehalten – Süddeutsche Zeitung GmbH, München
Jegliche Veröffentlichung und nicht-private Nutzung exklusiv über www.sz-content.de
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»Vor allem beeindrucken diese Gedichte ... durch ihre Widerborstigkeit und durch ihre hartnäckige Weigerung, einer schlechten Welt dennoch schöne Verse zu singen.« Dirk Pilz Frankfurter Rundschau 20180115