Die Bolschewiki inspirierte der Glaube - eine Art weltliche Religion - an die Möglichkeit einer radikalen Umgestaltung der rückständigen bäuerlichen Gesellschaft. Von Anfang an erklärten sie der Orthodoxie den unversöhnlichen Krieg, installierten ein System von kommunistischen Riten und betrieben eine effektive Propaganda der Errungenschaften des neuen Regimes. Zentrum des sowjetischen Kultus wurde das Leninmausoleum: dort liegt bis zum heutigen Tag der einbalsamierte Leichnam des toten Parteiführers. In den dreißiger Jahren kommt es zu seiner Vergöttlichung, wird im Recht die "Schuldvermutung" eingeführt, in der Kunst ein einheitlicher Stil (der Sozialistische Realismus) verordnet und der Sowjetpatriotismus eingepflanzt.Keine weltliche Religion des 20. Jahrhunderts kann sich in ihrer Anziehungskraft für die Intellektuellen mit der kommunistischen (Raymond Aron nannte sie das "Opium für die Intellektuellen") vergleichen. Die Gründe dieser Verzauberung zu klären ist die wichtigsteAufgabe des Buches. Was am ursprünglichen revolutionären Glauben und seiner Kultur erschien Walter Benjamin, André Gide, Lion Feuchtwanger, Bertolt Brecht und vielen anderen als ungewöhnlich wertvoll und sogar einzigartig? Mikhail Ryklin zeichnet die Konturen des kommnistischens Glaubens, die Funktionsweise des Kommunismus als Religion nach.
Perlentaucher-Notiz zur Süddeutsche Zeitung-Rezension
Für Tim B. Müller steht außer Zweifel, dass es sich bei Michail Ryklin um einen der "interessantesten Denker Russlands" handelt. Dessen These, dass Kommunismus eine Religion ist, sei zwar nicht neu, der Autor verstehe dies allerdings anders als Eric Voegelin oder Gerd Koenen nicht als "Ersatzreligion", sondern als wirklichen Glauben, so der Rezensent gefesselt. Solange Ryklin diese Erkenntnis auf die Auswirkungen des Sowjetsystems auf das heutige Russland anwendet, findet der Rezensent seine Ausführungen sehr erhellend. Schwieriger erscheint es ihm, wenn der Autor seinen kommunistischen Religionsbegriff auf die Intellektuellen insgesamt ausweitet. Hier gelingen ihm zwar äußerst treffende politische Porträts von Walter Benjamin, Bertrand Russell oder Bertolt Brecht, wie der Rezensent anerkennend anmerkt. Sein "Glaubensbegriff" allerdings scheint Müller nicht recht treffsicher und insgesamt zu "undifferenziert.
© Perlentaucher Medien GmbH
© Perlentaucher Medien GmbH
»Ryklins bedeutsamer und eindrucksvoller Essay unterzieht die Texte einiger Moskaupilger wie André Gide, Arthur Koestler, Lion Feuchtwanger und Walter Benjamin einer erneuten Lektüre, um die Tiefenwirkung des kommunistischen Glaubens zu ermitteln. .... Ryklin vermag im Detail nachzuzeichnen, wie das Opium gewirkt hat, obgleich die Jünger glaubten, sie hätten die Droge längst hinter sich.« Wolfgang Sofsky DIE WELT 20080503