Ein Ägypter geht nach Österreich, um Maschinenbau zu studieren. Vor Studienbeginn absolviert er ein Praktikum in einem Stahlwerk. Dort trifft er auf einen jungen Österreicher; die beiden verstehen sich ausgezeichnet: Die Frage nach dem Gottesglauben beantworten sie mit Vernunft; die herrschende Ordnung erscheint ihnen dermaßen widervernünftig, daß sie ihr gerne helfen würden zu verschwinden. Da sie dazu keine Gelegenheit bekommen, beschäftigen sie sich anderweitig: Sie gehen nach Ägypten und gründen mitten in der Wüste eine Farm. Als sie sechzig sind, wollen sie dort ein Fest veranstalten. Doch jeder hat klare Indizien, daß der andere eine gemeine Intrige gegen ihn spinnt, und aus inniger Freundschaft wird erbitterter Haß.
Michael Scharang spickt in seinem neuen Buch die Ideen von unverbrüchlicher Freundschaft und von Freiheit im Leben und in der Arbeit mit den Stacheln der Kritik am irrationalen und menschenfeindlichen Kapitalismus. Die Komödie des Alterns ist ein Roman in streng gefügter Sprache mit ungefügigem Witz. Über den Autor urteilt Elfriede Jelinek: "Scharang hat eine neue ästhetische Möglichkeit für das Schreiben gesellschaftskritischer Literatur gefunden."
Michael Scharang spickt in seinem neuen Buch die Ideen von unverbrüchlicher Freundschaft und von Freiheit im Leben und in der Arbeit mit den Stacheln der Kritik am irrationalen und menschenfeindlichen Kapitalismus. Die Komödie des Alterns ist ein Roman in streng gefügter Sprache mit ungefügigem Witz. Über den Autor urteilt Elfriede Jelinek: "Scharang hat eine neue ästhetische Möglichkeit für das Schreiben gesellschaftskritischer Literatur gefunden."
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 22.06.2010Ich habe genug von dieser ewigen Dehydrierung
Ein Versuch in angewandter Weltverbesserung zwischen den Alpen und Ägypten: Michael Scharang erzählt in seiner "Komödie des Alterns" von zwei sehr ungleichen Freunden fürs Leben.
Irgendwann in der Mitte der Geschichte sitzen die beiden Helden, der Ägypter Zacharias Sarani und der Obersteirer Heinrich Freudensprung, bei Most und Speck in einer Bauernstube und reden über das, was sie begeistert. Während der Maschinenbaustudent Sarani von einer Revolution der Bremssysteme schwärmt, zitiert der angehende Schriftsteller Freudensprung Nestroy und Musil, um sein Faible für "polyphones Schreiben" zu illustrieren: "Vielstimmig zu schreiben heiße, einen Satz, der in der Gegenwart spiele, in die Vergangenheit, von wo er den Ausgang nehme, springen zu lassen, aber auch in die Zukunft, wohin es ihn, unzufrieden mit der Gegenwart, ziehe."
Es bedarf keines besonderen Spürsinns, um in diesem Protagonisten ein Alter Ego des Autors zu entdecken, der (wie jener) aus der steirischen Stahlstadt Kapfenberg stammt und über Robert Musil dissertiert hat. "Unzufrieden mit der Gegenwart" ist der bekennende Kommunist Michael Scharang bis heute, und Unzufriedenheit ist ja nicht die schlechteste Motivation für eine ästhetische Anstrengung.
Im Falle dieses Romans, Scharangs erstem nach zwölf Jahren, findet die Gegenwart unmittelbar nach dem 11. September 2001 statt: Die verheerende Attacke auf das World Trade Center ist für die Geschichte freilich nicht relevant. Obwohl der eine der beiden Freunde zu jener Zeit in New York wohnt, hat das Massaker bloß Verweischarakter: Mit den Türmen - den Zwillingstürmen! - scheint eine jahrzehntelange innige Freundschaft zusammenzubrechen, unter deren Trümmern auch die aus ihr entwickelten gesellschaftlichen Utopien begraben werden. Die nunmehr feindlichen Brüder bewegen sich trotzdem aufeinander zu: In der Erzählgegenwart fliegt Freudensprung nach Kairo, während Sarani den dortigen Flughafen ansteuert, um ein effektvolles Lebewohl loszuwerden. Womit der Erzähler eine Situation erzeugt hat, aus der er seine Sätze programmgemäß in die Vergangenheit, aber auch in die Zukunft springen lassen kann, was genaugenommen eher ein "polychrones" als ein "polyphones Schreiben" bewirkt, denn Scharangs Stimme behält stets denselben behäbig-nüchternen Klang.
Vor vierzig Jahren waren die ziemlich unrüstigen, ja geradezu lustvoll in ihrem Verfall schwelgenden Sechziger (eine "Komödie des Alterns" eben) zwei hoffnungsfrohe Burschen, die den eigenen Talenten ebenso selbstverständlich vertrauten, wie sie die kapitalistische Weltordnung missbilligten und einem fröhlichen Atheismus frönten. Es müsse doch, darin waren sich die beiden einig, möglich sein, anders zu arbeiten und anders zu leben. "Für das Können gibt es nur einen Beweis: das Tun", schrieb einst die reform-, aber nicht revolutionsfreudige Adelige Marie von Ebner-Eschenbach. So versuchen die Freunde sich nicht in politischer, sondern in angewandter Weltverbesserung und starten in der ägyptischen Wüste ein Experiment: eine Musterfarm, die, längst ein wirtschaftlicher Erfolg geworden, um die Jahrtausendwende ihren gesellschaftlichen Pioniercharakter eingebüßt hat.
Michael Scharang besetzt die Rollen nicht nach Klischee: Der Österreicher ist der Arme, das Arbeiterkind, das Landei. Der Zugereiste kommt aus Kairo, aus einer der ersten Familien Ägyptens, ebenso reich wie einflussreich. Man einigt sich darauf, dass (wenn schon die Revolution nicht stattfindet) die "Neuerung" der "Erneuerung", also dem faulen Kompromiss mit dem Alten, allemal vorzuziehen sei. Anders als in Nikos Kazantzakis' Roman "Alexis Sorbas", in dem der Erzähler aus der Stadt mit dem Kreter Sorbas ein irrwitziges Bergbauunternehmen beginnt, ist es bei Scharang der Fremde, der in der Wüste das Recht auf ein gutes Leben hochhält. Die erste Begegnung der Männer im Kapfenberger Stahlwerk - der eine hat den Ferienjob bitter nötig, der andere möchte den Rohstoff handgreiflich studieren - wird im Rückblick zum Glück ihres Lebens, das auch anhält, als Freudensprung als Schriftsteller seine eigenen Wege geht.
Scharang erzählt in seinem Roman von zwei, um es mit einem altmodischen Wort zu sagen, hochherzigen Menschen, die sich in einer Kette kleinlicher Missverständnisse - cherchez la femme! - verstricken, ehe sich alles komödienadäquat in Wohlgefallen auflöst. Dass der Autor, wie sein literarischer Hausgott Musil, den Erzählstrang mit (klugen) essayistischen Einlagen verknüpft, passt zum Inhalt: Versuche sind beide, der Essay und das soziale Experiment. Zwischen dem Village, Kairo und Kapfenberg eröffnet Scharang authentische Schauplätze; gerade die nicht weit von Elfriede Jelineks literarischem Versuchsgelände angesiedelte Landschaft um das Hochschwab-Massiv enthüllt im Roman ihren rauhen Reiz. Auch gibt es markante Szenen, etwa als Sarani bei seinem ersten Einsatz am Hochofen und dann abermals bei einer Bergtour in Lebensgefahr gerät.
Warum empfindet man "Komödie des Alterns" trotz alledem nicht als geglückt? Vielleicht weil die verschüttete Tradition des linken Epikureertums, dem der Autor das Wort redet, mit Hilfe etlicher Menüfolgen nur beschworen, aber nicht gestaltet wird. Ähnlich blutarm erscheint das Komödienhafte: Scharangs Roman ist ein im Doppelsinn des Wortes bewusst gesetztes Alterswerk, seine Komik kommt irgendwie umständlich und gestelzt daher. Das Mustergültige des Freundesprojekts und das Mustergültige des Romans stehen in einem verkehrt proportionalen Verhältnis zueinander. Das Modellhafte wirkt quasi dehydrierend: Während in der Wüste bewässert wird, wird dem Kunstwerk Saft und Kraft entzogen, bis es in makelloser Dürre erstarrt.
Vor allem aber gibt der Autor sich just in seiner Sprache, die er so deutlich als gediegen inszeniert, einige Blößen. Neben allzu originellen Bildern ("Die Augen waren tief in den Kopf gesunken, lagerten dort als Höhlenmalerei") stört insbesondere Scharangs strategische Verwendung des Konjunktivs, der seitenlang indirekte Rede nicht nur dort markiert, wo jemand spricht, sondern auch dort, wo er sich still erinnert ("Er sei, erinnerte Sarani sich, von Mustafas Engagement beeindruckt gewesen"). Leider: das ist kein polyphones Schreiben, das ist ein monophones Missverständnis.
DANIELA STRIGL
Michael Scharang: "Komödie des Alterns". Ein Roman. Suhrkamp Verlag, Berlin 2010. 252 S., geb., 19,80 [Euro].
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Ein Versuch in angewandter Weltverbesserung zwischen den Alpen und Ägypten: Michael Scharang erzählt in seiner "Komödie des Alterns" von zwei sehr ungleichen Freunden fürs Leben.
Irgendwann in der Mitte der Geschichte sitzen die beiden Helden, der Ägypter Zacharias Sarani und der Obersteirer Heinrich Freudensprung, bei Most und Speck in einer Bauernstube und reden über das, was sie begeistert. Während der Maschinenbaustudent Sarani von einer Revolution der Bremssysteme schwärmt, zitiert der angehende Schriftsteller Freudensprung Nestroy und Musil, um sein Faible für "polyphones Schreiben" zu illustrieren: "Vielstimmig zu schreiben heiße, einen Satz, der in der Gegenwart spiele, in die Vergangenheit, von wo er den Ausgang nehme, springen zu lassen, aber auch in die Zukunft, wohin es ihn, unzufrieden mit der Gegenwart, ziehe."
Es bedarf keines besonderen Spürsinns, um in diesem Protagonisten ein Alter Ego des Autors zu entdecken, der (wie jener) aus der steirischen Stahlstadt Kapfenberg stammt und über Robert Musil dissertiert hat. "Unzufrieden mit der Gegenwart" ist der bekennende Kommunist Michael Scharang bis heute, und Unzufriedenheit ist ja nicht die schlechteste Motivation für eine ästhetische Anstrengung.
Im Falle dieses Romans, Scharangs erstem nach zwölf Jahren, findet die Gegenwart unmittelbar nach dem 11. September 2001 statt: Die verheerende Attacke auf das World Trade Center ist für die Geschichte freilich nicht relevant. Obwohl der eine der beiden Freunde zu jener Zeit in New York wohnt, hat das Massaker bloß Verweischarakter: Mit den Türmen - den Zwillingstürmen! - scheint eine jahrzehntelange innige Freundschaft zusammenzubrechen, unter deren Trümmern auch die aus ihr entwickelten gesellschaftlichen Utopien begraben werden. Die nunmehr feindlichen Brüder bewegen sich trotzdem aufeinander zu: In der Erzählgegenwart fliegt Freudensprung nach Kairo, während Sarani den dortigen Flughafen ansteuert, um ein effektvolles Lebewohl loszuwerden. Womit der Erzähler eine Situation erzeugt hat, aus der er seine Sätze programmgemäß in die Vergangenheit, aber auch in die Zukunft springen lassen kann, was genaugenommen eher ein "polychrones" als ein "polyphones Schreiben" bewirkt, denn Scharangs Stimme behält stets denselben behäbig-nüchternen Klang.
Vor vierzig Jahren waren die ziemlich unrüstigen, ja geradezu lustvoll in ihrem Verfall schwelgenden Sechziger (eine "Komödie des Alterns" eben) zwei hoffnungsfrohe Burschen, die den eigenen Talenten ebenso selbstverständlich vertrauten, wie sie die kapitalistische Weltordnung missbilligten und einem fröhlichen Atheismus frönten. Es müsse doch, darin waren sich die beiden einig, möglich sein, anders zu arbeiten und anders zu leben. "Für das Können gibt es nur einen Beweis: das Tun", schrieb einst die reform-, aber nicht revolutionsfreudige Adelige Marie von Ebner-Eschenbach. So versuchen die Freunde sich nicht in politischer, sondern in angewandter Weltverbesserung und starten in der ägyptischen Wüste ein Experiment: eine Musterfarm, die, längst ein wirtschaftlicher Erfolg geworden, um die Jahrtausendwende ihren gesellschaftlichen Pioniercharakter eingebüßt hat.
Michael Scharang besetzt die Rollen nicht nach Klischee: Der Österreicher ist der Arme, das Arbeiterkind, das Landei. Der Zugereiste kommt aus Kairo, aus einer der ersten Familien Ägyptens, ebenso reich wie einflussreich. Man einigt sich darauf, dass (wenn schon die Revolution nicht stattfindet) die "Neuerung" der "Erneuerung", also dem faulen Kompromiss mit dem Alten, allemal vorzuziehen sei. Anders als in Nikos Kazantzakis' Roman "Alexis Sorbas", in dem der Erzähler aus der Stadt mit dem Kreter Sorbas ein irrwitziges Bergbauunternehmen beginnt, ist es bei Scharang der Fremde, der in der Wüste das Recht auf ein gutes Leben hochhält. Die erste Begegnung der Männer im Kapfenberger Stahlwerk - der eine hat den Ferienjob bitter nötig, der andere möchte den Rohstoff handgreiflich studieren - wird im Rückblick zum Glück ihres Lebens, das auch anhält, als Freudensprung als Schriftsteller seine eigenen Wege geht.
Scharang erzählt in seinem Roman von zwei, um es mit einem altmodischen Wort zu sagen, hochherzigen Menschen, die sich in einer Kette kleinlicher Missverständnisse - cherchez la femme! - verstricken, ehe sich alles komödienadäquat in Wohlgefallen auflöst. Dass der Autor, wie sein literarischer Hausgott Musil, den Erzählstrang mit (klugen) essayistischen Einlagen verknüpft, passt zum Inhalt: Versuche sind beide, der Essay und das soziale Experiment. Zwischen dem Village, Kairo und Kapfenberg eröffnet Scharang authentische Schauplätze; gerade die nicht weit von Elfriede Jelineks literarischem Versuchsgelände angesiedelte Landschaft um das Hochschwab-Massiv enthüllt im Roman ihren rauhen Reiz. Auch gibt es markante Szenen, etwa als Sarani bei seinem ersten Einsatz am Hochofen und dann abermals bei einer Bergtour in Lebensgefahr gerät.
Warum empfindet man "Komödie des Alterns" trotz alledem nicht als geglückt? Vielleicht weil die verschüttete Tradition des linken Epikureertums, dem der Autor das Wort redet, mit Hilfe etlicher Menüfolgen nur beschworen, aber nicht gestaltet wird. Ähnlich blutarm erscheint das Komödienhafte: Scharangs Roman ist ein im Doppelsinn des Wortes bewusst gesetztes Alterswerk, seine Komik kommt irgendwie umständlich und gestelzt daher. Das Mustergültige des Freundesprojekts und das Mustergültige des Romans stehen in einem verkehrt proportionalen Verhältnis zueinander. Das Modellhafte wirkt quasi dehydrierend: Während in der Wüste bewässert wird, wird dem Kunstwerk Saft und Kraft entzogen, bis es in makelloser Dürre erstarrt.
Vor allem aber gibt der Autor sich just in seiner Sprache, die er so deutlich als gediegen inszeniert, einige Blößen. Neben allzu originellen Bildern ("Die Augen waren tief in den Kopf gesunken, lagerten dort als Höhlenmalerei") stört insbesondere Scharangs strategische Verwendung des Konjunktivs, der seitenlang indirekte Rede nicht nur dort markiert, wo jemand spricht, sondern auch dort, wo er sich still erinnert ("Er sei, erinnerte Sarani sich, von Mustafas Engagement beeindruckt gewesen"). Leider: das ist kein polyphones Schreiben, das ist ein monophones Missverständnis.
DANIELA STRIGL
Michael Scharang: "Komödie des Alterns". Ein Roman. Suhrkamp Verlag, Berlin 2010. 252 S., geb., 19,80 [Euro].
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Perlentaucher-Notiz zur FR-Rezension
Dem Rezensenten kommen die Tränen. Wenn Michael Scharang, dieser theoriefeste Autor, zwei alte linke Utopisten noch einmal die wilden Sechziger und Siebziger als "Schlaraffenland der Ökonomie" Revue passieren lässt, um sie schließlich endgültig zu begraben und seine Helden quasi in die Toskana zu schicken, lässt Anton Thuswaldner sich vom versöhnlichen Ende nicht täuschen. Traurig findet Thuswaldner nicht die "melancholische Elegie auf eine untergegangene Epoche", in der die Linke noch Recht hatte, sondern eben die Friedfertigkeit, in die sich die beiden alten Grantler schließlich ergeben. Da kann Scharang noch so farbenprächtig fabulieren vom Wüstenparadies und seinen Figuren gegenüber noch so gnädig sein.
© Perlentaucher Medien GmbH
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