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Kein Begriff, der nicht seine Geschichte hätte, keine Geschichte, die nicht aus vielen anderen Geschichten zusammengesetzt wäre. Deshalb geht es bei der Darstellung von Wort- und Begriffskarrieren, wie sie die Historische Semantik unternimmt, nicht darum, einen definitiven Sinn zu eruieren und akkurat abzubilden. Es geht vielmehr darum, die Bedürfnisse, Ansprüche und Motive zu entdecken, die hinter den Begriffen und ihren Geschichten stehen. Philosophische Texte sind dann nicht schlicht 'gegeben', so wenig wie die Probleme, denen sie sich widmen: Ihre Aktualität ist oft Teil einer langen…mehr

Produktbeschreibung
Kein Begriff, der nicht seine Geschichte hätte, keine Geschichte, die nicht aus vielen anderen Geschichten zusammengesetzt wäre. Deshalb geht es bei der Darstellung von Wort- und Begriffskarrieren, wie sie die Historische Semantik unternimmt, nicht darum, einen definitiven Sinn zu eruieren und akkurat abzubilden. Es geht vielmehr darum, die Bedürfnisse, Ansprüche und Motive zu entdecken, die hinter den Begriffen und ihren Geschichten stehen. Philosophische Texte sind dann nicht schlicht 'gegeben', so wenig wie die Probleme, denen sie sich widmen: Ihre Aktualität ist oft Teil einer langen Geschichte von Anverwandlungen, Variationen und Gegenversionen. Solchen Geschichten spürt die Historische Semantik nach, indem sie Kontexte vergegenwärtigt und Deutungstraditionen heranzieht. Sie führt vor Augen, wie Begriffen und Erzählungen im Horizont der Geschichte Bedeutsamkeit zuwächst. Und sie erinnert daran, daß Philosophie von jeher mit elementaren Orientierungen befaßt ist - mit ihrer Bereit stellung, Untersuchung und Prüfung: Es geht um die Klärung der Herkunft und Tragweite theoretischer Ansprüche.
Autorenporträt
Ralf Konersmann, geb. 1955, ist Professor für Philosophie und ihre Didaktik an der Christian-Albrechts-Universität Kiel.
Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 26.10.2000

Das hohe Roß ist schon lange kein echter Geheimtip mehr
Die Welt ist alles, was der Stall ist: Ralf Konersmann will die Philosophie als Bedeutungsgeschichte erneuern und setzt sein ideenreiches Denkvermögen auf das Trojanische Pferd

Die Philosophie ist einmal die Königin der Wissenschaften gewesen. Jetzt ist sie fast eine Hure, mit der sich jedes Magisterlein begattet. So schrieb der Dichter Christian Friedrich Schubart vor etwas über 200 Jahren. Was ist aus der Philosophie geworden, seit sie auch noch Scharen arbeitsloser Akademiker und sinnsuchender Pensionäre bei Laune halten muß? Der Abstieg der Philosophie ist offensichtlich. Er geht einher mit einem Bedeutungswandel. Das Wort stand für eine ungeheure Anstrengung: die Mannigfaltigkeit der Welt unter die Disziplin von Begriffen zu bringen. - Nein, noch mehr: sie unter einen letzten Begriff zu zwingen, sie aus einem höchsten Prinzip abzuleiten. Philosophie war das Denken des Einen.

"Philosophie" steht heute für eine andere Anstrengung. Diese Arbeit ist vielleicht nicht weniger gewaltig. Jedenfalls kostet sie Unsummen. Man formuliert die Philosophie eines Unternehmens. Man kann sich die Philosophie eines Werbefeldzugs vorstellen. Man spricht von der Philosophie eines Automodells, das Kundenwünsche und -bedürfnisse befriedigt. Eine Philosophie ist hier das Ergebnis der Anstrengung, ein Alleinstellungsmerkmal zu definieren. Sie muß sich behaupten im Prozeß der industriellen Fabrikation des Individuellen. Das Individuelle ist das Allgemeine. Aber der Name dieses Allgemeinen ist nicht mehr das Eine der Philosophen. Das Allgemeine, es heißt Marketing. Für dieses Allgemeine gelten nicht mehr philosophische Prinzipien, sondern wissenschaftliche Gesetze.

Mit all dem sagen wir nichts Neues. Wir geben anhand der Bedeutungsveränderung des Lexems "Philosophie" ein Beispiel für Bedeutungsgeschichte. Damit sind wir beim Alleinstellungsmerkmal des Buchs von Ralf Konersmann über "Historische Semantik als philosophische Bedeutungsgeschichte". Denn Historische Semantik versteht Konersmann als "lebendige Methode". Es handele sich nicht lediglich um einen weiteren "Ansatz", "der auf der bunten Palette der verfügbaren Theorieangebote seine ,Position' beansprucht". Die Historische Semantik könne sich nicht auf eine sichere Methode stützen. Sie bewähre sich nur in beispielhaften, konkreten Analysen. Das mindert jedoch nicht ihren hohen Anspruch. Sie untersuche "ihre Gegenstände im Kontext ihrer Sprachwirklichkeit". Diese "Risikobereitschaft" einer "jederzeit im Wandel begriffenen Disziplin" sei es, "die heute das Recht und den Status der Philosophie auf neue Weise begründet".

Wir vernachlässigen hier den interessanten und komplexen Inhalt des Buchs von Ralf Konersmann, das unter anderem auf die Gedanken Denis Diderots, Michel Foucaults und Hans Blumenbergs eingeht. Wir betrachten nur diesen Anspruch in seinem kulturellen, bedeutungsgeschichtlichen Kontext. Dabei kommen wir hinter die Bedeutung des Buchtitels - "Komödien des Geistes". Die Philosophie neu "begründen" - dieser Vorsatz enthält einen Hinweis darauf, was Philosophie seit etwa zweihundert Jahren ist: Sie ist ein gigantischer Hohlkörper. Die Philosophie gleicht einem Trojanischen Pferd, das den Untergang Trojas überdauert hat.

In der frühen Neuzeit trafen Rechenkünstler und Handarbeiter auf den Geltungsanspruch der philosophischen Theologie. Diese allein wies den Weg zur Wahrheit: Von "dieser" Welt ging es über etliche spekulative Stufen in die Sphären des unbewegten Bewegers. Mario Biagioli hat gezeigt, wie sich diese Artisten dem Schutz adliger Gönner unterstellten und zu Naturphilosophen erklärten. So gelang es ihnen, sich selbst und ihre naturwissenschaftlichen Vorlieben weniger verächtlich zu machen. Als Festungsbauer oder Geschützspezialisten konnten sie sich mit ihren allzu erdnahen Kenntnissen über fallende Steine und schwimmende Eisschollen praktisch nützlich machen.

Aber was mehr zählte: Sie konnten Kosmologie betreiben, um die Mathematik aufzuwerten. Als Naturphilosophen erreichten sie damit Sphären, die bis dahin der einzig ernsthaften theologischen Wissenschaft vorbehalten geblieben waren. Im Trojanischen Pferd namens "Philosophie" versteckten sich diese listigen Sturmtruppen der neuzeitlichen Wissenschaft. Sie ließen sich darin ins Herz der theologischen Finsternis ziehen. Dann versetzten sie ihm von innen her den Todesstoß. Damit waren die Zeiten vorbei, als sich die theoretische Sehnsucht der Philosophie, verkörpert in der Person des Philosophen Thales, von jeder hergelaufenen thrakischen Magd als weltfremd verlachen lassen mußte.

Im neunzehnten Jahrhundert war Philosophie der Sammelname aller Disziplinen, die nicht wie die höheren Fakultäten Jura, Medizin und Theologie berufsbildend waren. Sie spielte auf andere Weise die Rolle des Trojanischen Pferds. Zu Beginn des Jahrhunderts zählte die Experimentalphysik neben der neueren Geschichte etwa zu den "unterhaltenden Kollegien". Die Philosophie wurde jetzt ein Teilbereich der bald so genannten "Geisteswissenschaften". Die philosophische Fakultät war die institutionalisierte Unverbindlichkeit. Sie bedeutete für jeden Professor die Freiheit, bei begrenztem beruflichem Risiko neue Wege zu gehen. Sie war damit die Garantin für Spezialisierung und Professionalisierung der Einzelwissenschaften.

Und am Ende des Jahrhunderts? Physik und Geschichte waren eigenständige Disziplinen. Ihren Zweck als Platzhalter wissenschaftlicher Neugier hatte die Philosophie erfüllt. Was wurde aus dem Geschenk der Danaer, nachdem Troja geschleift war? Vergil schweigt darüber ebenso wie Homer. Vermutlich ist es in den Flammen der Freuden- und Signalfeuer aufgegangen. Dem Namen der Philosophie hat man eine solche Feuerbestattung versagt. In dem verbliebenen Hohlraum dieses Namens entstand im neunzehnten Jahrhundert die Universitätsphilosophie - und damit eine neue Form von Komik.

Den Ausdruck "Universitätsphilosophie", im Grimmschen Wörterbuch nicht nachgewiesen, hat als einer der ersten Arthur Schopenhauer gebraucht - "und sogleich wortgewaltig mit Verachtung" gefüllt, so Ulrich Johannes Schneider. Von der Philosophie blieb im wesentlichen das immerwährende Bedürfnis, sich als ernsthafte akademische Disziplin im Kampf um Lehrstühle, Stipendien und Druckkostenzuschüsse zu behaupten. Sie wurde damit auf eine neue Weise komisch. Lächerlich erscheint sie seitdem vom Standpunkt nicht nur der "harten" Tatsachenwissenschaften, sondern auch aus Sicht der historischen Disziplinen. Der Philosoph erscheint als eine Art Don Quijote auf einem zu großen Schaukelpferd. Getrieben von den Wonnen einer Geschichte großer Begriffe, will er der Welt "elementare Orientierungen" geben. Dabei gerät er mit den Windmühlenflügeln einer technisch und wissenschaftlich formierten Welt aneinander, in der alles andere als der Atem des Weltgeistes weht.

Konersmann will der Komik der Philosophen die Verächtlichkeit nehmen, und das gelingt ihm auch leicht. Das Komische der Philosophie liege nämlich darin, daß sie "das Erreichen ihrer selbstgesteckten Ziele" - nämlich letzte Fragen des menschlichen Daseins zu beantworten - "beständig aufschieben muß", weil sie immer nur neue Fragen aufwirft. Diese Haltung hat tatsächlich nichts Verächtliches. Nur geht sie einigen unserer besonders pragmatisch veranlagten, ungeduldigen Mitmenschen auf die Nerven.

Ralf Konersmann scheint jedoch einer Verwechslung zu erliegen. Die Legitimität, immer wieder derartige Fragen zu stellen und umständlich zu beantworten, also zu philosophieren, hat nichts zu tun mit einer Notwendigkeit der "Philosophen und ihres Faches". Diese Notwendigkeit besteht nicht. Ohne diese Verwechslung hätten sich Konersmanns Ressentiments gegen den "Historismus" und "Reduktionismus" verwandter Disziplinen vielleicht erübrigt. Als akademische Disziplin ist die Philosophie so begründet und nötig oder so grundlos und luxuriös wie etwa die Geschichtswissenschaft. Sie muß nicht die "Krise der philosophischen Erkenntnis" zu einer Chance umdeuten. Sie sollte aufhören zu glauben, sich endlos selbst begründen zu müssen.

Statt dessen sollte sie lediglich unterhaltsamer das tun, was sie ohnehin seit zweihundert Jahren treibt: Philosophielehrer ausbilden, verläßliche Texteditionen für den Philosophieunterricht erstellen und Philosophiegeschichte für die Unterrichtsvorbereitung schreiben, sei es über Philosophen, Werke, Begriffe, "Diskurse" oder philosophische "Deutungsarbeit" am "kulturellen Text".

CHRISTOPH ALBRECHT

Ralf Konersmann: "Komödien des Geistes". Historische Semantik als philosophische Bedeutungsgeschichte. Fischer Taschenbuch Verlag, Frankfurt am Main 1999. 248 S., Abb., br., 28,90 DM.

Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
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Perlentaucher-Notiz zur F.A.Z.-Rezension

Zum Inhalt dieses Buches will uns Christoph Albrecht partout nichts mitteilen, auch wenn er ihn für interessant hält. Dafür schreitet er mit uns den langen Weg des bedeutungsgeschichtlichen Wandels des Begriffs `Philosophie` ab und kommt zu dem Schluss: Der Autor des Buches geriert sich als Retter der Zunft und rennt dabei offene Türen ein.

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